top of page

Hans Günter Holl: DIE LEHREN DER GESCHICHTE

  • vor 17 Minuten
  • 4 Min. Lesezeit

Eine populäre Ermahnung lautet, aus der Geschichte zu lernen. Damit soll sie möglichst als warnendes oder abschreckendes Beispiel dienen, um nicht verheerende Fehler noch einmal zu machen. Marx hielt das für naiv und erklärte „im Sinne Hegels“, dessen Pathos er dafür genau umkehrte, dem historischen Drama wohne eine Tendenz inne, im Original als „große Tragödie“ und in Reprise als „lumpige Farce“ abzulaufen. Demgegenüber sah Hegel gerade in der Wiederholung ein besonderes Wertmaß, weil durch sie „das, was im Anfang nur als zufällig und möglich erschien, zu einem Wirklichen und Bestätigten wird“. Wenn man den ultimativen Imperativ „Nie wieder!“ unter diesen Aspekten betrachtet, so gewinnt er eine sehr schillernde Bedeutung, kann doch aus Geschichte lernen nicht nur als Abschreckung, sondern auch als Anleitung verstanden werden.



Lebemann mit Geldsorgen: Ludwig XIV, Herrscher
Lebemann mit Geldsorgen: Ludwig XIV, Herrscher


Dies zeigt sich auf widerwärtige Weise beim krassesten aller Beispiele, dem Holocaust, den das „Nie wieder“ anspricht. Was bei uns als grauenhafte Singularität gilt, die einen tief sitzenden Schuldkult begründet hat, das wird von den massenhaft hier einfallenden „Palästinensern“ und Konsorten als nachahmenswertes Modell verherrlicht. Als ob das nicht an sich bereits ekelhaft genug wäre, hat die Stadt Frankfurt soeben, unterstützt von SPD plus Grünen, eine eindeutig volksverhetzende Großdemonstration zugelassen, die vom einstigen Sammelpunkt für die Deportationen ausging und zur Vernichtung Israels und der Juden aufrief. Diese behördlich geduldete und sogar geförderte Rabulistik zeigt, dass historische Ereignisse nicht nur als Muster für Possen oder als Bewährungsproben der Vernunft dienen können, sondern auch als Schablonen für die Anwendung erprobter Ausrottungsmethoden. Die dritte Variante, das bewusste, ja skrupellose Bekenntnis zur Infamie, ist Jorge Luis Borges zufolge für Machtstrategien besonders attraktiv und bildet das Erfolgsrezept des Islam.


L’État, c’est nous!


Doch bislang ist unser Staat noch nicht erobert, sondern bloß belagert, und wir können, gewiss zum Erstaunen aller gläubigen Marxisten, einen Sonderfall beobachten, bei dem die Uraufführung alle Merkmale einer großen Farce aufwies und die Nachäffung sich als eine lumpige Tragödie darstellt.


Das Kurioseste an dem wahrhaft kuriosen Spruch des selbstherrlichen „Sonnenkönigs“ Louis XIV – L’État, c’est moi – dürfte wohl sein, dass er wirklich zutraf. Der Monarch hatte in Versailles einen riesigen servilen Hofstaat um sich versammelt, der wenig anderes zu tun hatte, als auf Kosten der ausgeplünderten, notleidenden Bevölkerung den Herrscher zu unterhalten und zu bewundern; im Übrigen durch ständige wechselseitige Bespitzelung zu verhindern, dass sich andere dank übermäßiger Annäherung und Einschmeichelung unlautere Vergünstigungen oder Privilegien ergaunerten. Das Ganze war eine beständig gärende Gerüchteküche von Wichtigtuern, die den in seiner Majestät verkörperten Staat nicht für irgendwelche gestalterischen Aufgaben benutzten, sondern nur dafür, das Volk auszupressen, um den eigenen Luxus dauerhaft zu sichern.


Diese ganz auf den Adel zugeschnittene „Sozialhilfe“ verschlang Unsummen und türmte einen gewaltigen Schuldenberg auf, den der Schotte John Law nach dem Sonnenuntergang 1715, als Direktor der Banque Générale und danach als Contrôleur général des finances, abtragen zu können versicherte. Das gelang zunächst tatsächlich, mit einer Kombination aus weitverzweigten Aktiengesellschaften und Staatsanleihen, doch als das wagemutige System des Papiergeldes zusammenbrach, erschien der Schuldenberg wieder in erdrückender Größe.


Stillhalteprämien für Parlamentarier und Wähler


Interessanterweise charakterisierte Karl Marx, der große Anwalt der sozial Schwachen, die letztlich dafür bluten mussten, – Wenn der Staat pleite macht, macht natürlich nicht der Staat pleite, sondern seine Bürger“, so der Bankier Fürstenberg –, eben diesen John Law als eine „angenehme Mischung aus Schwindler und Prophet“. Wäre es abwegig zu vermuten, dass er damit im Grunde auch sich selbst meinte?


Die heutige „lumpige Tragödie“ unterscheidet sich im Wesentlichen nur dadurch von der einstigen „großen Farce“, dass die Nutznießer und die Leidtragenden andere sind. Damit erweiterte sich auch das „L’État, c’est moi“ zu „L’État, c’est nous“. Dieses „nous“ besteht aus den Parteien und ihren Stiftungen, den so genannten NGOs, den mit Zwangsgeldern finanzierten Propagandamedien und vielen weiteren abhängigen Zuträgeragenturen, die insgesamt eine Staatsquote von derzeit deutlich mehr als fünfzig Prozent ausmachen.


Ähnlich wie im royalistischen Frankreich kreist dieser neue Adel nur um sich selbst, und benutzt den Staat ohne Rücksicht auf seine ethischen Grundlagen ausschließlich für die eigenen Belange. Da jedoch die Organisationsform nicht „Absolutismus“ heißt, sondern „parlamentarische Demokratie“, müssen neben den vielen Parlamentariern selbst auch diejenigen mit stattlichen Zuwendungen bei Laune gehalten werden, die sie wählen und durch Friedfertigkeit in Ruhe gewähren lassen sollen. Man kann also in beiden Fällen mit guten Gründen von intendierten Stillhalte- und Treueprämien sprechen. Allerdings bleibt abzuwarten, ob sich wieder ein John Law finden wird, um Käufer die Papiere unproduktiv angehäufter Staatsschulden zu mobilisieren.


Infamien der Nachahmung


Wo eine Person, eine Partei oder ein Parteienblock den eigenen Willen auf allen Ebenen als Staatsziel durchsetzen will, da setzt dies Ermächtigung und Gleichschaltung voraus. Während der „Führer“ 1933 beides, im Handstreich, gesetzlich regeln konnte, hatten die sozialistischen Einheitsparteiler, bei denen die Führung „Avantgarde“ hieß, das gar nicht nötig, weil ihr historischer Auftrag durch die objektive Wahrheit des Histomat und durch den im sowjetischen Bruderstaat bereits real existierenden Marxismus-Leninismus voll verbürgt war.


Die mit dem gescheiterten Avantgarde-Projekt verschmolzene Bundesrepublik machte sich in zunehmendem Maße dessen Wahrheitsanspruch zu eigen. Auch ihre Vorhut sah es am Ende als zwingend geboten an, das ganze Staatswesen in den Dienst parteilicher Apparate zu stellen, um in Fragen von grundsätzlicher Bedeutung keine Rücksicht mehr auf demokratische Kinkerlitzchen nehmen zu müssen. Auf diese Weise konnte man mit bester Absicht reguläre Wahlen als „unverzeihlich“ rückgängig machen, aber irreguläre Entscheidungen als „alternativlos“ außer Diskussion stellen. Man konnte auch Gesetze und Regeln missachten, den politischen Gegner dämonisieren und entrechten, Kritiker mit Repressalien einschüchtern, verfolgen, bestrafen und zum Schweigen bringen, und alles im Dienste der guten Sache: der neuen One-World-Internationale.


Erschiene das Ziel, ein universeller, multiethnischer, globalisierter Sozialismus, nicht so unvergleichlich edel, hätte man vielleicht auf breiterer Front erheblichen Druck ausüben müssen, um Widerstände zu überwinden. Das Faszinierende an dieser Neuinszenierung war aber, dass man diesmal fast nichts für die Gleichschaltung zu tun brauchte, weil alle wesentlichen Akteure freiwillig mitspielten. Man führt hier also weder eine Tragödie noch eine Farce noch eine stringente Wiederholung auf, sondern bestätigt ein simples Prinzip der Tarnung, das Sir Thomas Gresham mit Jorge Luis Borges und Ignazio Silone vermählt: Die Mächte der Infamie verschleiern ihr wahres Streben, feinere Werte durch gröbere zu verdrängen, stets mit edlen Motiven.


Über den Autor: Hans Günter Holl, geb. 1949, ehemals Übersetzer (Whitehead, Bateson), heute Essayist und Rechtsanwalt.


Beitragsbild von Charles Antoine Coysevox (29 September 1640 - 10 October 1720), CC BY-SA 2.0 FR via Wikimedia Commons


Hier können Sie TUMULT abonnieren.

Für Einzelbestellungen klicken Sie bitte hier.


Besuchen Sie das Dresdner TUMULT FORUM - für Termine und Neuigkeiten genügt eine Nachricht mit Ihrem Namen und dem Betreff TERMINE an TUMULTArena@magenta.de

bottom of page