Jörg Friedrich: Sunday Punch. Texte zum Chaos der Welt
Jörg Friedrich spürt der Eigendynamik von Kriegsausbrüchen und -verläufen im 20. und 21. Jahrhundert und dem Kollektivgeschick der Deutschen nach. Seine Erkundungskunst entzündet sich an Fragen, die von der offiziellen, staatlich betreuten Zeitgeschichtswissenschaft ausgeblendet werden. Warnungen vor dem Sündenfall der »Aufrechnung« haben es länger als ein halbes Jahrhundert verhindert, daß die Leiden der Deutschen in ihrem ganzen Ausmaß in den Blick gerieten. Friedrich hat mit diesem Tabu gebrochen; kein Buch über den Zweiten Weltkrieg wurde in Deutschland häufiger gekauft und gelesen als sein unerschrockener Bericht Der Brand. Der Bombenkrieg 1942–45.
Mit den hier versammelten zehn Essays setzt Jörg Friedrich seine Nachforschungen im toten Winkel der etablierten Geschichtsschreibung fort: Wie kam es zu der – von keiner Macht gewollten – »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts«, zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs, von dem sich Europa nicht mehr erholt hat? Die vertraute Antwort – Schuld und Versagen – erklärt so gut wie gar nichts. Weil Sieger und Besiegte ihre wechselseitige Verstrickung und ihre gemeinsame Lage nicht begreifen wollen, nehmen sie – bis heute – Zuflucht zur Schuldfrage, zu gegenseitigen Schuldzuweisungen (und Selbstentlastungen), zur Aburteilung der Besiegten und zur Stigmatisierung eines »Tätervolks«. So bleiben sie im Teufelskreis der Selbstherabwürdigung gefangen.
Wem ist es zu verdanken, fragt Jörg Friedrich, daß die Welt bisher von einem nuklearen Schlagabtausch verschont geblieben ist? Friedrich gibt eine ernüchternde Antwort. Und schließlich: Das, was sich heute noch »die Freie Welt« nennt, eine Koalition von Realitätsflüchtigen, ist nachhaltig erschöpft. »Zur größten Enttäuschung meines Weges wurde der Westen«, resümiert Friedrich. Er zeigt, daß Europa nun keine Ausflüchte mehr bleiben. Um unser Existenzrecht zu wahren, verbietet sich jede Identifizierung mit den Angreifern und jeder Kompromiß mit ihnen.
Eingeleitet wird der Band mit einer politischen Selbstbefragung, zu der sich Jörg Friedrich im August 2025 durchgerungen hat: »Katalog meiner Irrtümer«.

Jörg Friedrich
*1944 in Tirol, aufgewachsen im Ruhrgebiet. Nach Anfangsjahren als Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor 1968 Übersiedlung nach Berlin und Anschluß an die Außerparlamentarische Opposition. 1975 Abschied vom Linksradikalismus und Tätigkeit als Funk-, Fernseh- und Zeitungsautor. 1982 Zusammenarbeit mit dem Ankläger der Nürnberger Prozesse, Robert M. Kempner, daraus dessen Memoiren Ankläger einer Epoche. Buchveröffentlichungen u.a.: Die kalte Amnestie. NSTäter in der Bundesrepublik, 1984. Das Gesetz des Krieges. Das Deutsche Heer in Rußland 1941-45, 1995. Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1942-45, 2002 (Übersetzung in zehn Sprachen). Brandstätten. Der Anblick des Bombenkriegs, 2003 (Bildband). Yalu. An den Ufern des III. Weltkriegs, 2008 (Geschichte des Koreakriegs). 14/18. Der Weg nach Versailles, 2014. Ehrungen: PIOOM-Preis für Menchenrechte der Niederlande und Ehrendoktorat der Universiteit van Amsterdam. Friedrich lebt als Schallplattensammler in Berlin.
