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Beate Broßmann: NOBELPREIS FÜR LITERATUR AN LÁSZLÓ KRASZNAHORKAI

  • vor 1 Stunde
  • 3 Min. Lesezeit

Da ist den Juroren eine wirkliche Überraschung gelungen! Seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, war die Auswahl des höchsten Literaturpreises der Welt ideologisch linksliberal, also modisch, geprägt. Nach der Nominierung einer koreanischen Lyrikerin ein Jahr nach dem Desaster im Kreise des Komitees und dem Ausbleiben einer Nominierung des Weltliteraten Philip Roth erwartete ich nichts Inspirierendes mehr. Und dann das: László Krasznahorkai, der trotz seines üppigen Werkes, das in viele Sprachen – auch die deutsche – übersetzt wurde, wenig bekannt ist und der politisch weder für Links noch für Rechts steht. Und überhaupt: ein Ungar! Politisch korrekt ist hier gar nichts.



László Krasznahorkai, *1954
László Krasznahorkai, *1954

Meine Einstiegsdroge war der Film „Ein Mann aus London“, zu dem der Schriftsteller 2007 das Drehbuch lieferte. Eines glücklichen Tages wurde er von Arte ausgestrahlt. Daraufhin versuchte ich, mir alle Verfilmungen durch den ungarischen Regisseur Bela Tarr – und es sind derer viele – anzusehen. YouTube: Fehlanzeige. Auch kein anderes Internetfilmportal zeigte die Filme in voller Länge. Also käuflich erwerben. In Südkorea wurde ich fündig – aber leider nur dort. Die versendeten DVDs liefen in der ungarischen Originalsprache mit koreanischen Untertiteln und englischer Audiospur... Wahre Kunst will hart erarbeitet sein. Schwierig war das allerdings nur bei den Verfilmungen der frühen Romane, denn später wurde kaum noch gesprochen. Stattdessen: Grundsätzlich schwarz/weiß, sowohl die Bücher als auch die Filme. Und: Noch nie in meinem nicht mehr kurzen Leben bin ich auf solch kongeniale Weise mit der Bebilderung des Nichts konfrontiert worden.


Höhepunkt jedes Enthusiasten war die Verfilmung des Romans „Satantango“ im Jahre 2007. Erschienen war dieser Roman 1985. Man konnte das Buch und den siebenstündigen Film, der nur wenige, aber extrem lange Schnitte aufweist, als menschliches Elend unter dem sozialistischen Regime lesen oder als Darstellung der Verheerungen infolge des Regimewechsels. Von Tarkowski war man ja schon einiges gewohnt in Bezug auf Film- und Einstellungslängen. Aber das war die Höhe!


Minimalismus vor Elendskulisse


Handelten die frühen Romane und Filme noch in kleinen Städten und in erbärmlichen Wohnungen mit eben solchen Mietern – dem Dauergeschnatter der Großfamilie auf kleinem Raum war kaum zu folgen beim Lesen der englischen Untertitel – spielten die späteren und späten Werke ausschließlich in ländlichen Räumen und ungarischen Kleinststädten.


Es passiert nie viel in den Elendskulissen. Meist wird getrunken und geschimpft und in der traurigsten Weise der Welt getanzt. Die Provinzbewohner sind abgehängt, und das nicht erst seit 1990ff. Sie versuchen, auf irgendeine und auf die fragwürdigste Weise zu Geld zu kommen, machen kleine halblegale Geschäfte. In der Landwirtschaft scheint niemand mehr zu arbeiten. Man läßt sich gehen oder strebt fort, in die Hauptstadt oder die große Welt. Ein alter Mann sitzt tagein tagaus in seinem zugerümpelten Haus, schaut vom frühen Morgen an zum Fenster hinaus und schreibt alles, was er sieht, in ein Notizheft. Da nie wirklich viel zu sehen ist, fügt er seine Gedanken und Spekulationen über die Verhältnisse im Dorf, d.h. die minimalen Handlungen der Dorfbewohner und ihre Beziehungen untereinander hinzu.


Uneheliche Liaisons, Eifersucht, Mißgunst, Verrat, Rache: Die Menschen sind arm, aber bar jeder Solidarität mit dem oder den anderen. Jeder belauert den anderen, um frühzeitig zu bemerken, wenn einer plötzlich Geld oder die Chance hat wegzugehen oder die Möglichkeit zu Erpressung und damit die Umverteilung des geringen Wohlstandes aufleuchtet. Liebe und Haß auf der untersten Ebene des Kreatürlichen, des Elementaren. Keine Guten und keine Bösen. Niemand, mit dem man sich identifizieren könnte. Doch alle zusammen machen die conditio humana aus.


Harter Stoff für Ausdauernde


Gefühlt regnet es ständig, und die Gräue des Schwarz-Weiß-Films könnte auch die eines Farbfilms sein. Das Nichts nichtet vor sich hin. Die Musik vervollkommnet die Tristesse.

So etwas muß man mögen, um es auszuhalten. Entweder langweilt man sich als Leser und Zuschauer zu Tode. Oder man wird ergriffen und langsam, aber tief in eine fremde und doch irgendwie vertraute Welt hineingezogen.


Ich habe bislang nur einen Menschen getroffen, dem der Name des diesjährigen Nobelpreisträgers und der des Regisseurs Bela Tarr etwas sagte. Er sieht sich jedes Jahr zu Silvester den erwähnten siebenstündigen Film an. Nihil humani a me alienum puto.


Diese Auszeichnung holt den Autor hoffentlich aus seiner Kategorie „Geheimtip“ heraus. Glückwunsch László Krasznahorkai! Glückwunsch Nobelpreis-Komitee!



Über die Autorin: Beate Broßmann, 1961 in Leipzig geboren, erfolgreiches Philosophie-Studium, vor der „Wende“ in der DDR Engagement für demokratische Reformen, später Mitglied der oppositionellen Vereinigung „Demokratischer Aufbruch“.


Beitragsbild im Original von Hpschaefer www.reserv-art.de, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons


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