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Jörg Gerke: WAS VERMEINTLICHE EXPERTEN SO ÜBER LANDWIRTSCHAFT VON SICH GEBEN

Warum geht es in der öffentlichen Diskussion, soweit es die Landwirtschaft betrifft, nicht um den Kern der Probleme? Warum gibt es vor allem Diskussionen um aufgebauschte Gegensätze, die genauer betrachtet nicht gegensätzlich sind, sondern auf denselben Auffassungen aufbauen? Ein Grund dafür dürfte in der Art der Wahl und der Bestellung von „Experten“ für den Diskurs über Landwirtschaft liegen. Kommentare von drei „Experten“ werden im Folgenden bezüglich ihrer Richtigkeit unter die Lupe genommen.



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Fall 1.: Ute Scheub ist taz- Autorin und Autorin von Sachbüchern - laut Aussage des OEKOM- Verlages zu den Themen Frieden, Ökologie und Frauen.

Im Jahr 2017 hat Scheub ein Buch zur Bodenbewirtschaftung mit herausgegeben (Terra preta. Die braune Revolution aus dem Regenwald. OEKOM Verlag). Darauf basierend hat Scheub aktuell einen Artikel in der Monatszeitschrift „Schrot und Korn (4/2020, S. 53-55) verfasst. Diese Zeitschrift wird kostenlos in Bioläden verteilt, und hat eine große Auflage. Scheub plädiert in dem Beitrag für den Einsatz von Biokohle/Pflanzenkohle als bodenverbesserndem Dünger, auch in Hobbygärten. Sie gibt Tipps für den Bezug kleiner Pyrolyseöfen zur Eigenerzeugung der Biokohle. Sie behauptet, daß man so Terra-preta-Böden - sie bezeichnet diese als Schwarzerden - im Kleinen und Großen herstellen kann. Die Terra preta Böden des Amazonas sind jedoch etwas vollständig anderes als Schwarzerden der gemäßigten Klimate.


Und auch die von Scheub behauptete Aussage, daß die Bodenfruchtbarkeit von Terra preta Böden auf ihrem Gehalt an Biokohle beruht, stammt letztlich aus einer Untersuchung einer bodenkundlichen Arbeitsgruppe in Bayreuth, deren singuläres Ergebnis weit verbreitet wurde und letztlich zu dem Hype um die Biokohle (englisch black carbon oder pyrogenic carbon) geführt hat.


Die Bayreuther Autoren behaupten in ihrem Beitrag, daß 30% der organischen Substanz der Terra-preta-Böden des Amazonas aus Biokohle bestünden und daß diese Biokohle die Bodenfruchtbarkeit dieser Böden ausmachen würde (Glaser, Guggenberger, Haumeier und Zech, 2001, Naturwissenschaften, 88, S. 37- 41).


Neben vielen anderen Problemen dieser Arbeit zeigte sich recht schnell, daß die dort verwendete Methode der Biokohlebestimmung deren Gehalt um bis zu 90% überschätzt (Brodowski et al, 2005, Org. Geochem., 1299-1310), was aber dem Hype um Terra preta Böden keinen Abbruch tat und von Autoren wie Scheub bis heute am Leben gehalten wird.

Spätere Untersuchungen zur von Glaser et al. (2001) verwendeten Methode zeigten, daß mit dieser Methode vorwiegend Huminstoffe und nicht Biokohle erfasste wird (Chang et al., 2018, Sci. Tot. Environ., 626, 660- 667; Gerke, 2019, Chem. Biol. Technol. Agric., 6: 13).

Der Hype um Biokohle und Terra preta beruht also letztlich auf fehlerhaften Analysen und hätte schon 2005 zusammenbrechen müssen, wenn dieser nicht bis heute sachwidrig am Leben gehalten würde.


Sachlicher Unsinn ist das Eine, eine unangemessene Empfehlung auch an Laien, Biokohle selbst zu erzeigen ein Anderes. Jeffery et al. (2017, Environ. Res. Lett., 12: 53001) haben gezeigt, daß der positive Effekt von Biokohle auf den Pflanzenertrag in den Tropen allein auf einem Nährstoff- und Kalkeffekt beruht, während die Anwendung im gemäßigten Klima zu einer Depression des Pflanzenertrages von im Mittel 3% führt. Ein Grund dafür kann in der Produktion toxischer Verbindungen wie der von polyzyklischen aromatischen Verbindungen während der Produktion liegen. Es ist deswegen fahrlässig, Laien die Biokohleproduktion zu empfehlen.



Fall 2.: Der Autor Holger Douglas schreibt unter anderem über landwirtschaftliche Themen in der Zeitschrift „Tichys Einblick“. Am 21. 10. 2019 veröffentlichte er dort den Beitrag: „Nitrat im Grundwasser: Die fragwürdige Meßpraxis der deutschen Behörden.

Ausgangspunk für diesen Artikel ist die Nachricht, daß die EU Strafzahlungen von Deutschland aufgrund zu hoher Nitratkonzentrationen im Grundwasser verlangt. Douglas ist nun der Auffassung, daß vor allem nur Meßstellen mit hohen Nitratwerten für die Datenlieferung an die EU beprobt werden, also die gemeldeten Werte nicht repräsentativ seien. Zusätzlich legt der Autor nahe, daß ein hoher Anteil des Nitrats im Grundwasser aus den Kläranlagen stamme.


Douglas streift in seinem eher propagandistischen Artikel noch nicht einmal ansatzweise das Problem. Auf mehr als 16 Millionen Hektar (ha) landwirtschaftlicher Nutzfläche in Deutschland wird jährlich ein Stickstoff (N)- Überschuss von im Mittel rund 100 kg N/ha erwirtschaftet, d.h. es werden rund 100 kg N/ha mehr ausgebracht, als von den Pflanzen entzogen werden. Dieser Überschuss beträgt also bundesweit 1,6 Milliarden kg N. Dieses N wird entweder als Nitrat ins Grundwasser ausgewaschen, als Ammoniak in die Luft abgegeben, oder als Lachgas oder N2 in die Luft abgegeben. Alle drei Prozesse bedeuten unerwünschte Nebenwirkungen. Der Düngungsüberschuss, der vor allem auf der Trennung von Ackerbau und Tierhaltung in der industriellen Landwirtschaft beruht, ist wesentliche Ursache der hohen Nitratkonzentrationen im Grundwasser. H. Douglas, der an anderer Stelle gerade diese industrielle Landwirtschaft als Vorbild verteidigt, versucht von den Nebenfolgen der Industrialisierung abzulenken.



Fall 3.: Der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer unternimmt seit Jahrzehnten Ausflüge in das Gebiet der Agrikultur, die er als vermeintlicher Experte einem mehr oder minder geneigtem Publikum erklären will. So pflegte Pollmer längere Zeit eine Sendereihe im Deutschlandfunk Kultur. In der Sendung vom 18.11.2016 veröffentlichte er einen Beitrag mit dem Titel: „Der Schwindel vom Nitrat im Grundwasser.“


Daß jedoch Nitrat im Grundwasser kein Scheinproblem ist und Ursache in der landwirtschaftlichen Wirtschaftsweise hat, wurde am Fall 2 gezeigt. Der „Agrarexperte“ Pollmer weiß: a. „Wein und Gemüse gedeihen auf nitratdurchlässigen Boden“ und b. „Gülle aus viehreichen Gebieten… [wird]… in jene Regionen gefahren, die keine Tiere mehr halten und Dünger brauchen“.


Zu a.: Alle Böden Mitteleuropas sind „nitratdurchlässig“. Chemisch formuliert ist Nitrat ein Anion, das nur elektrostatisch und damit unspezifisch an positiv geladene Bodenkolloide gebunden wird. Da aber praktisch alle Böden Mitteleuropas einen pH-Wert oberhalb des isoelektrischen Punktes aufweisen, gibt es hier keine Nitratbindung an die Bodenfestphase. Ob das der Lebensmittelchemiker Pollmer bedenken konnte, scheint angesichts seiner Aussage fraglich. Tatsächlich liegt der Grund für hohe Nitratwerte im Boden unter Gemüse und Wein daran, daß dort die Stickstoffdüngung weit über den Pflanzenbedarf erfolgt.

Zu b.: Pollmer behauptet in seinem Beitrag, daß Gülle aus viehreichen Gebieten in Gebiete mit wenig Viehhaltung transportiert würde, implizit behauptet er, daß die Nährstoffbilanzen in der Massentierhaltung kein Problem seien.


Sicher gibt es Gülle- und Misttransporte, aber abgesehen von dem Sinn solcher aufwendigen Transporte anstelle von betrieblichen Nährstoffkreisläufen, wird das Problem durch diese Transporte nicht beseitigt. Bodenuntersuchungen in den Regionen der Tierindustrie wie dem Oldenburger Raum in Niedersachsen zeigen seit Jahrzehnten eine hohe, weiter steigernde Akkumulation von Phosphat (P), vor allem aus der industriellen Massentierhaltung. Und die P-Akkumulation hat schon lange die Unterböden erreicht, trotz der starken Bindung des Orthophosphat-Anions im Boden.


Die Fälle der drei hier erwähnten „Agrarexperten“ repräsentieren nur einen kleinen Ausschnitt dessen, was in der Diskussion über Landwirtschaft der Öffentlichkeit an Unsinn zugemutet wird. Diese Art von Experten sind die perfekte Ergänzung zu einer versagenden Agrarpolitik.



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Beiträge von Jörg Gerke finden sich auch in unseren Ausgaben vom Frühjahr 2019 und Winter 2019/20.


 

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