Ralf Rosmiarek: UNTER HEIDEN – VERWUNDERUNG ÜBER EIN BUCH VON TOBIAS HABERL
- 28. Juli
- 11 Min. Lesezeit
„Da schlag‘ doch das Gewitter drein!“, pflegte meine Oma auszurufen, wenn es allzu heftig wurde und knüppeldick daherkam. Der alttestamentarische Gedanke der Sintflut stand wohl hinter diesem geflügelten Wort, denn schließlich hatte Gott die Nase schon nach kurzer Zeit voll von seiner Schöpfung und wollte sie loswerden. Und so ein Gewitter reinigt eben. Denn heftig ist es schon, wenn ein Artikel eröffnet: „Diesen Text traue ich mich nur zu schreiben, weil ihn sowieso niemand liest.“ Da fehlt dem Autor also die Traute über seinen Glauben zu schreiben, auch fühlt er sich „als gläubiger Christ zunehmend unverstanden“ gar „wie eine seltene Affenart“ – das nennt man dann doch mal Einfühlungsvermögen! – und dies angesichts von rund 37,8 Millionen Menschen, die sich noch immer einer der beiden großen Kirchen zurechnen, davon 19,8 Millionen Katholiken und knapp 18 Millionen Protestanten. Ansonsten darf man von den derzeit knapp acht Milliarden Menschen, die auf diesem Planeten leben, circa fünf Milliarden zu den monotheistisch Gläubigen rechnen, der Rest glaubt an eine nicht zu definierende Macht oder den Zufall. Selbst der Atheist glaubt schließlich, daß es Gott nicht gibt. Fällt dem Menschen dann gar nichts mehr ein, glaubt er wenigstens noch an seine Einmaligkeit.

Es ist viel Glauben in der Welt, auch wenn der Autor meint: „Die Menschen glauben nicht mehr“. Und weil ihm eben die Traute fehlt, macht der Autor der Süddeutschen Zeitung aus seinem Artikel „Unter Heiden“ ein gleichnamiges Buch. Kokettiert wird sodann: „Ich hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt, ein Buch über den Glauben zu schreiben, aber immer wieder gezögert“. Ein „katholischer Freund“ wird befragt, „soll ich dieses Buch schreiben?“ Dann dessen mirakelhafte Antwort: „Schreib keinen Satz, für den du dich nicht totschießen lassen würdest, aber schreib dieses Buch!“. Noch ein bißchen Halbherzigkeit des Autors später und schon ward er geboren – der „SPIEGEL Bestseller“. Die Nichtleser sorgen für nette Umsatzzahlen, vor mir liegt das Buch in der sechsten Auflage. Mit dem Veröffentlichen klappte es offensichtlich für den Autor der Süddeutschen Zeitung Tobias Haberl bestens, auch wenn mich der Beginn des Essays an die herrliche Szene im Film Schtonk! erinnert: … aber Text,Buch „dürfen nicht veröffentlicht werden … Nicht veröffentlicht, hm?! Nun, wissen Sie, für eine Zeitung ist das eine... sehr harte Bedingung.“
Gestörte Befindlickeit
Auf eine solch harte, knüppeldicke Bedingung wollte sich bei Zeitung und Verlag niemand einlassen und auch der Autor fragt im Buch in purzelbaumartiger Manier sogleich: „Hatte man meinen Mut honoriert, mich in einem säkularen Umfeld zum Glauben zu bekennen?“ Nochmals: knappe 40 Millionen der Deutschen sind wenigstens noch Namenchristen. Schon baten „Priester“ um Erlaubnis, „Teile meines Textes für ihre Osterpredigt verwenden zu dürfen“. Von Dürftigkeit zu Dürftigkeit. Freudig resümiert der Autor deshalb: „Ich muss ein Lebensgefühl beschrieben haben“. Mir scheint, es ist eher die larmoyante Beschreibung seiner Befindlichkeitsstörung, die der Autor vorlegt. Noch nicht einmal klar wird, wer denn alles unter „Heide“ subsumiert wird? In der Buchversion heißt es einmal: „Heiden sind nämlich sehr wohl gläubige Menschen […] Im Prinzip ist jeder, der einen Kriegsgott oder eine Fruchtbarkeitsgöttin anbetet, aus christlicher Sicht ein Heide“. Dann aber wird betont: „Ich aber bin von Menschen umgeben, die an überhaupt nichts glauben.“ Woher dieses Wissen des Autors? Glauben Atheisten und Agnostiker also gar nichts? Was glauben all die Neureligiösen, die sich in Klima-, Gesundheit-, Umwelt-, Antifa- und Antirassismus-, Gender-Sekten und dergleichen tummeln? Worauf hoffen sie? Der Leser wird jedoch aufgeklärt: „Aber seien wir ehrlich, Unter Heiden klingt irgendwie griffiger“ (die Verkaufszahlen des Buches erhöhen sich!, RR) „und viel wichtiger: […] Heiden, das sind eben Menschen, die mit dem lieben Gott nichts zu tun haben wollen“. Wie spricht noch mal der liebe Gott? „Meine Pfeile mache ich trunken von Blut, während mein Schwert sich ins Fleisch frißt – trunken vom Blut Erschlagener und Gefangener“ (Dtn. 32,42).
Tobias Haberl kennt als Christ das „Gefühl von einer Mehrheit zur Minderheit, vom Mainstream zur Randgruppe zu werden“. Sodann aber die „andere Erfahrung“: „Offenbar darf, wer seinen Standpunkt aufrichtig vertritt, sehr wohl auf Respekt hoffen“. Der Autor der Süddeutschen nimmt auf die Ausgrenzungen und Diffamierungen der pandemischen Jahre – weshalb wohl? – keinen Bezug, lamentiert viel lieber darüber, sich „als Christ zunehmend rechtfertigen“ zu müssen, als hätte er „den Sprung in die Gegenwart verpasst oder irgendetwas nicht ganz verstanden“. Denn tatsächlich scheint es endlich lohnenswert, über die „andere Erfahrung“ zu sprechen, als es keinen „Respekt“ gab für das aufrichtige Vertreten seines Standpunktes, als vielmehr eine enthemmte Meute von Reportern und Journalisten in den Fernseh- und Radiosendern, den Redaktionsstuben zu wirkmächtigen Treibern und Einpeitschern der Pandemieabartigkeiten wurden. Das geistige Infektionsgeschehen, das die Scharf- und Mitmacher, die Denunzianten, Aufstachler, Hetzer, Anheizer hervorbrachte, erzeugte tatsächlich das „Gefühl von einer Mehrheit zur Minderheit […] zur Randgruppe zu werden“. Fleißige Panikmacher und Propagandisten des Corona-Gedöns waren nicht zuletzt die Kirchen mit ihren Oberhirten und Hirten. Impfen wurde gar zur Heilstat. „Das Impfen ist Ausdruck von Solidarität, konkreter Nächstenliebe und Gerechtigkeit, weil es darum geht, eine gefährliche Situation in unserem Land und weltweit gemeinsam zu überwinden“, weiß glaubensstark der Militärbischof Franz-Josef Overbeck, der überdies wieder auf „Kriegstauglichkeit“ rekurriert: „Wir müssen kriegstauglich werden – um friedenstüchtig zu bleiben“. Das nennt man theologische Logik! Nicht über das Gefühl ist zu diskutieren, Gefühle hat man eben, aber über die geschaffenen Tatsachen wäre dringlich zu reden.
Der nächste Christ, da steht er
Knüppeldick dann die Information an den Leser im nächsten Kapitel: „Dieses Buch beginnt mit einer Lüge und einer Übertreibung“. Doch dieses Gefühl kennen Menschen nur allzu gut aus der Zeit des Corona-Irrsinns. Auch hat dieses Gefühl noch immer schmerzhafte Nachwirkungen. Plötzlich wurde der nachdenklichere Mensch zum Außenseiter, wurde Teil einer Randgruppe, „ruckzuck ist man ein fragwürdiger Rechtsausleger“ geworden, zum „Volksschädling“ sogar und bald startete die Karriere vom Leugner zum Nazi. Doch über diese Randgruppen mag Tobias Haberl, der glaubensvolle „Sonderling“, nicht sprechen. Dennoch, einmal muß es auch bei ihm fallen, das Reiz- und Schlüsselwort „Verschwörungstheoretiker“, weil „der Dinge glaubt, die von den meisten anderen nicht geglaubt werden“. Dann immerhin die Einsicht gegen die eigene Weinerlichkeit: „Es wäre nicht nur lächerlich, sich als an den Rand gedrängter Außenseiter zu inszenieren, es wäre auch geschmacklos“. Freilich, hier bleibt es ausschließlich beim Blick auf den eigenen Kreis, anderes Blicken wäre zu anstrengend, Nächstenliebe hin oder her. Immerhin hat der Autor begriffen, „der nächste Christ [ist] immer nur ein paar Meter entfernt“. „Wie also kann es sein, dass ich mich in einer so riesigen Gemeinschaft isoliert fühle? Warum meine ich sogar ein Buch darüber schreiben zu müssen“? Um das Mainstream-Bekenntnis folgen zu lassen: „wo doch fast alle gesellschaftlichen Gruppen kleiner (und viele diskriminierter) sind?“ Gegenwärtiger Opfer- und Betroffenheitsmentalität ist offensichtlich schwerlich zu entkommen. „Gefühle [sind] manchmal stärker […] als Zahlen“. Es bleiben eben einbrennend „die abschätzigen Kommentare und skeptischen Blicke“. Von Gefühligkeit zu Gefühligkeit!
Knüppeldicke Überzeugungen ereilen den Leser. Überzeugt ist der Autor jedenfalls, daß sein „Glaube Erfahrungen bereithält, die uns als Gesellschaft schmerzlich fehlen“, um die „Herausforderungen der Zukunft […] beherzt anzugehen“. Seine Erfahrungen heißen: „Solidarität, Rhythmus, Rituale, Traditionen, Demut, Hoffnung“. Fehlen diese Erfahrungen der Gesellschaft tatsächlich? Solidarität – unablässig beschworen, eingefordert auf unzähligen Demoschildern. Rhythmus – permanent wird auf Sport-, Polit-, Kulturveranstaltungen rhythmisch geklatscht und gesprungen, mit dem gemeinsamen Gesang hapert es allerdings inzwischen, früher sang sogar die SPD. Rituale – Kniefälle in den Stadien zuhauf, Verbeugungen, allenthalben Gedenkveranstaltungen, mithin Gesten der Demut. Traditionen – noch werden Volksfeste gefeiert, Verbände und Vereine geben dem Brauchtum vielfältigen Raum, Museen bewahren immerhin Spuren, auch die Klassik wagt den Blick auf die Tradition, wenn auch inzwischen häufig ein Verdachtsfall für woke Gesinnung. Demut – jede Messerattacke, jeder Amoklauf, jede Naturkatastrophe hat Betroffenheitserklärungen und -gesten im Schlepptau. Hoffnung – der Blick in aktuelle Parteiprogramme zeigt manch phantastischen Gedanken. Was ist mit der christlichen Liebe? Noch sprach der Autor nicht darüber. Kein Hinweis auf die Millionen getöteten Ketzer und Andersgläubigen? Auf die millionenfachen Missionsopfer? Auf das millionenfache Verbrennen von Hexen und Zauberern? Auf die millionenfachen Opfer der Kriege und Weltkriege, in denen Gott immer voranging, Sonne und Schild war? Auf die millionenfach Traumatisierten, denen Fegefeuer und Hölle zur psychischen Bedrohung wurden? Tobias Haberl ist allein interessiert am Guten und Schönen des Katholischen und fragt lieber, „ob das Christentum der Menschheit vielleicht doch mehr als Kreuzzüge, Hexenverbrennungen und tausendfachen – (nur?, RR) – Missbrauch beschert haben könnte“?
Knüppeldick auch die Weigerung des Tobias Haberl, „zu glauben, dass die Welt ohne Gott besser, schöner oder gerechter wäre“. „Der Mensch, der von Gott nichts mehr wissen will, findet nicht, was er sucht […] Wie Kain nach dem Mord an seinem Bruder Abel muss er ‚rastlos und ruhelos‘ über die Erde ziehen“. Ich würde hingegen durchaus gerne von Gott wissen wollen, was es mit Mord und Totschlag schon am Anfang der Schöpfung auf sich hat, in dieser schöneren und gerechteren „funkelnde[n] Gegenwelt Gottes“. Denn was sollte diese Welt Gottes anderes meinen als ein dauerhaftes Paradies, in dem die Menschen als Ebenbild des Allmächtigen wandeln? Auch beim Autor findet sich „die Sehnsucht nach einem gültigeren, richtigeren Leben“. Doch längst kam der Mensch zur bitteren Erkenntnis: Es ist alles so ganz anders. Begierde und Sündhaftigkeit (Konkupiszenz) durchkreuzten die Pläne des Allwissenden. Urplötzlich agieren die Geschöpfe, der Schöpfer verfällt in die Rolle des Reagierenden. Festzuhalten bleibt damit: zwei kleine Menschenkinder torpedieren das irdisch-kosmische Projekt des allwissenden, allguten und allmächtigen Gottes.
Vom Glauben muss man erzählen
Welche guten Gründe gibt es somit, seine Hoffnung auf einen scheiternden Gott zu richten? Einen Gott, der zudem stetig bekennt, „ich, Jahwe, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott“. „Jahwe, dein Gott, ist verzehrendes Feuer, ist ein eifersüchtiger Gott“. Was hat es auf sich mit dem „Buch von den Kriegen des Herrn“ (Num. 21,14) und dem Bekennen: „Jahwe ist der rechte Kriegsmann“ (Ex. 15,3)? Der Blutrausch dieses Gottes, der immerhin der Vater des neutestamentlichen Jesus ist, sei hier dahingestellt. Folgt man immer noch der schöpferlichen Glaubenslehre, die schließlich eine Wirklichkeit der biblischen Geschichte dekretiert, dann kann auch die Verbreitung des Menschen nur durch permanente Inzucht gelungen sein. Nicht so schlimm damals, was heute unter das Strafrecht fällt? Die Geschichte wird pikant, muß aber geglaubt werden: „Das von Gott Geoffenbarte, das in der Heiligen Schrift enthalten ist und vorliegt, ist unter dem Anhauch des Heiligen Geistes aufgezeichnet worden […] die Bücher des Alten wie des Neuen Testamentes in ihrer Ganzheit [gelten] mit allen ihren Teilen als heilig und kanonisch“ befindet die katholische Kirche beim 2. Vatikanischen Konzil.
Man mag ja noch über Kleinigkeiten hinwegsehen können, als der ratlos Allwissende fragte: „Wo bist du, Adam?“ (Gen. 3,9) und daß er höchstpersönlich „Röcke“ von „Fellen“ fertigte (3,21) und sich die Frage verkneifen, wo diese eigentlich herkommen. Waren Tiere zu schlachten und wer unternahm dies? Wer sich anschickt, hier etwa zu schmunzeln oder gar zu lachen, der mache sich bewußt, er lache über die theologischen Fundamente der christlichen Religion, nicht über etwaige mythologische Folklore. Noch 1950 doziert Papst Pius XII. in seiner Enzyklika Humani generis (Von der Einheit des Menschengeschlechts), die Erbsünde erkläre sich durch den „Monogenismus“ (Abstammung von einem Menschenpaar). Will der heute Glaubende all das gar nicht mehr wissen? Der katholische Freund des Autors meinte ohnehin: „Vom Glauben muss man nichts wissen […], vom Glauben muss man erzählen“. Genügt es somit von „der rätselhaften Schönheit der Alten Messe in Rom“ zu erzählen und darüber wie „in einer französischen Benediktinerabtei fast [der] Verstand verloren“ gegangen wäre? Genügt allein solches für „ein Glaubensbekenntnis für das 21. Jahrhundert“?
Einen Schatz mit anderen teilen
Knüppeldick sind allerdings die Fragen, die an den christlichen Glauben zu richten sind. Denn sollte man nicht wenigstens etwas von den Grundlagen wissen, an die man glaubt? Könnte es also sein, daß sich eine Abkehr von Christentum und Kirche vollzieht, weniger wegen der „Signalwörter“, die da für den Autor heißen: „Mißbrauch, Diskriminierung, Zölibat, Frauenpriestertum“ und „fummelnde Priester“? Die beträfen doch ohnehin nur den inneren Zirkel der Gläubigen. Des Autors Bekannte stolpern bereits beim Begriff „Eucharistie“. Könnte nicht also eher der Anspruch der Wahrheit an den Glauben mit seinem Verlust zu tun haben? Könnte somit weniger Kirchenkritik für die schwindenden Mitgliederzahlen verantwortlich sein als Kritik an der kirchlichen Lehre? Scheitert nicht schon derjenige grandios, der es unternimmt, nach dem christlichen Menschenbild zu fragen? Der Theologe Ernst Käsemann konstatierte: „Der neutestamentliche Kanon begründet als solcher nicht die Einheit der Kirche. Er begründet als solcher, d.h., in seiner dem Historiker zugänglichen Vorfindlichkeit dagegen die Vielzahl der Konfessionen“. Von Liebe wird viel geredet, von Nächstenliebe, von Feindesliebe. Stellte Jesus nicht aber das „Reich Gottes“ in den Fokus seiner Reden? Unmittelbar bevorstehend? „Erfüllt ist die Zeit, und nahe gekommen ist das Reich Gottes. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Mk. 1,15). Das Evangelium, das ist die gute Botschaft, meint nun aber keinen Glauben an ihn, sondern den Glauben an das Anbrechen des Gottesreiches. „Amen, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bevor dies alles geschieht“ (Mk. 13,30). Alles mögliche kam, vor allem die Kirche, fortan auch eine reiche Kirche, nur das „Reich Gottes“ kam nicht.
Jesus, der Menschen- bald der Gottessohn im Irrtum, verfangen in der Welt der Apokalyptik, wirrer Endzeitspekulationen des Frühjudentums. Von einem Christentum wußte der Jesus der synoptischen Evangelien nichts. Die Menschen anderer Völker und anderer Religionen lagen außerhalb seines Horizontes. Für die „Heiden“ fühlte sich Jesus nicht zuständig: „Gehet nicht auf der Heiden Straße und ziehet nicht in der Samariter Städte, sondern gehet hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel“ (Matth. 10,5f.). Und noch deutlicher: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“ (Matth. 15,24). Der sogenannte Taufbefehl („Gehet hin in alle Welt…“) den der Evangelist Matthäus am Ende seiner Niederschrift bietet, ist seine ureigenste Erfindung, bei der Entstehung des Evangeliums war die Heidenmission Realität geworden. Tobias Haberl jedenfalls wähnt sich „im Besitz eines Schatzes“, den er „gern mit anderen teilen würde“: „die Vergegenwärtigung Jesu Christi in der Eucharistie, das Sich-Aufhalten in der Gegenwart Gottes, die Hoffnung auf das ewige Leben“.
Der Atheist ist ein Trinker
Knüppeldick gibt es angesichts des Gefühls, „ein Eisbär auf schrumpfender Scholle“ zu sein, dann aber das Geständnis des Autors Haberl, „ein ausgesprochen privates Verhältnis zu Gott“ zu pflegen. Weder Meßdiener war er, noch zugange in der katholischen Jugend, auch noch „nie im Kirchenchor gesungen“, habe er, nicht „an einer Wallfahrt teilgenommen, einen Bibelkreis besucht, für den Pfarrgemeinderat kandidiert“. Auch fühle er sich „nicht mal einer bestimmten Gemeinde zugehörig“, gesteht er, „auf einem Kirchentag war ich überhaupt noch nie“. „In Wahrheit mag ich es nicht, wenn sich Christsein nach Zeltlager oder Parteitag anfühlt“. Von Gefühligkeit zu Gefühligkeit: „Christen sollen sich unbedingt außerhalb der Messe begegnen, austauschen und anfreunden“. Sogleich quält den Autor „der Verdacht“, er sei „vielleicht nur zu bequem“, „um gemeinsam mit anderen Christen für meinen Glauben einzustehen“. Immer ist dann da auch noch „das Gefühl, als riefe ich von der einen Seite eines Grabens auf die andere, aber keiner hört mehr zu“ und vor allem, was dem Autor „zu schaffen macht, ist, dass man als Katholik von Menschen angegriffen wird, die sich weigern, sich mit der Logik meines [sic] Glaubens auseinanderzusetzen“. Ich erlaube mir die stillschweigende Unterstellung, es handele sich um einen Angriff auf die Logik des Glaubens seiner Kirche. Wer aber „angreift“ hat sich mit dem Gegner beschäftigt, es sei denn das Unternehmen ist ein von vornherein suizidales, hat somit (gute) Gründe für seinen Angriff. Der eine oder andere mag sich verwundern ob der Vielzahl herauf- und herabsteigender Götter, oder auch über Götter, die sterben und auferstehen, über einen Monotheismus, der sich als Trinität ausweist. Zudem mag er sich verwundern, was es mit einem bluttriefenden wie sadistischen Sühneopfer auf sich hat, das doch Heilstat für alle Menschen ist, obschon Not, Elend, Krankheit, Krieg, samt Mord und Totschlag weitergehen wie eh und je.
Verwundert mag man sich auch fragen, wann hat der allmächtige, allwissende, allgute Gott endlich sein Genügen am Leiden des Menschen? Allein 38 Mal wird für die Lutherbibel von 1952 das Stichwort „ewige Verdammnis“ ausgewiesen. Sollte man nicht auch Fragen stellen dürfen nach der Umtriebigkeit gewisser Engel und Erzengel oder der Gottessöhne gar, die sich die schönsten irdischen Töchter wählen, um sich sexuell zu vergnügen? Was sagt überhaupt die Mutter Gottes dazu und wie kam sie zum Kinde? Wie ist es bestellt um Hölle und Jüngstes Gericht, denn ist doch eine solche „Lehre von den letzten Dingen die tiefste übernatürliche Sinngebung der Weltgeschichte, die zuletzt Heilsgeschichte zur Verherrlichung Gottes ist“. Der Gläubige wird schriller im Ton angesichts alter Mythen und ihren Verheißungen, er sei eingedenk, daß Gott auch gebietet: „Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen. Jeder, der mit einem Tier verkehrt, soll mit dem Tod bestraft werden“ (Ex. 22, 17f.). Doch dem Gläubigen bleibt viel Freude am Ende, verkündet doch das Liebesbuch der Offenbarung (10,10); „Und der Rauch ihrer Qual wird aufsteigen von Ewigkeit zu Ewigkeit“.
Knüppeldick trifft es Haberl dann aber doch noch „regelmäßig“ in seinem Bemühen um atheistische Trunkenbolde, die bereits „nach dem dritten Gin Tonic mit einem Geständnis um die Ecke biegen. ‚Irgendwie beneide ich dich‘, sagen sie: ‚„Ich würde so gerne glauben, aber ich schaffe es nicht.‘“
Na, dann also: Prost und sehr zum Wohle!
Tobias Haberl: Unter Heiden. Warum ich trotzdem Christ bleibe. btb Verlag, München 2024
Über den Autor: Ralf Rosmiarek, geb. 1962, Studium der Theologie, seit 1989 als Angestellter in Erfurt tätig. Mitbegründer und -organisator des Klassik-, Kunst- und Literaturfestes „Sommerklang“ (Oberbösa), Beiträge u. a. in Aufklärung & Kritik, Nietzsche-Studien, Humanistischer Pressedienst, Makroskop, TUMULT und manova News (vormals Rubikon).
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