Thomas Hartung: DIE NIEDERLAGE DER IDEOLOGISCHEN ZENSUR
- 20. Sept.
- 8 Min. Lesezeit
Das Frankfurter Urteil pro Lau-Verlag zeigt: Wo der Staat zum Zensor degeneriert, kehrt das Recht als Gegenspieler zurück – und setzt ein Zeichen für die Renaissance der freien Debatte.
Das Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 29. August 2025 ist auf den ersten Blick eine unscheinbare Nachricht aus dem juristischen Alltag. Doch es entfaltet seine volle Bedeutung erst vor dem Hintergrund eines Kulturkampfes, der längst den gesamten öffentlichen Raum durchdringt. Es geht um das Buch „Kulturkampf um das Volk“ von Martin Wagener, einen Druckkostenzuschuss von 7.500 Euro aus dem Corona-Programm „Neustart Kultur“ und um die Frage, ob ein Staat das Recht hat, missliebige Positionen über die Hintertür der Förderpolitik zu unterdrücken.

Was wie ein Randkonflikt zwischen einem kleinen Verlag und dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels wirkt, offenbart sich als symbolische Niederlage einer ganzen Ideologie. Die Versuche Claudia Roths, staatliche Kulturförderung in ein Instrument der Gesinnungskontrolle zu verwandeln, sind an der harten Mauer des Grundgesetzes zerschellt. Das ist mehr als eine juristische Episode. Es ist ein Menetekel für die grün-linke Deutungshoheit, deren Selbstverständnis darin besteht, das „Sagbare“ in Deutschland zu definieren.
Wagener ist kein populistischer Agitator, sondern Professor an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, zuständig für die Ausbildung des künftigen Geheimdienstnachwuchses. Dass ausgerechnet er ins Visier des Verfassungsschutzes geriet, hat eine eigene Ironie: Ein Mann, der die innere Sicherheit lehrt, wird von eben jener Institution als Gefahr markiert. Der Anlass: ein wissenschaftliches Buch, das nüchtern über nationale Identität, Migration und staatliche Selbstbehauptung reflektiert.
Der Vorgang zeigt, wie tief sich die Mechanismen der Pathologisierung konservativen Denkens inzwischen eingeschliffen haben. Wagener kritisierte den Verfassungsschutz und erhielt prompt ein internes Gutachten, das ihm „Verfassungsfeindlichkeit“ attestierte. Gleichzeitig entzog man ihm seine Sicherheitsfreigabe, suspendierte ihn unter Weiterzahlung der Bezüge und degradierte ein Fachbuch zum Fall für die Staatssicherheit. Matthias Brodkorb hat im Cicero zu Recht darauf hingewiesen, dass dies kein Fall juristischer Sauberkeit, sondern politischer Verblendung war.
Das Instrumentarium der Zensur
Das Muster ist erkennbar: Der Staat nutzt seine Institutionen nicht mehr primär zum Schutz der Bürger, sondern zur Sicherung ideologischer Narrative. Förderprogramme, die einst der kulturellen Vielfalt dienen sollten, werden zu Disziplinierungswerkzeugen. Claudia Roths Kulturstaatsministerium ließ sich vom Verfassungsschutz eine Stellungnahme anfertigen und übergab diese dem Börsenverein, der die Rückzahlung der 7.500 Euro forderte. Ein symbolisch kleiner Betrag, aber mit einem immensen Signalwert: Wer das Falsche schreibt, verliert die Unterstützung. Kulturförderung wird so zum politischen Schwungrad – Zuckerbrot für die Konformen, Peitsche für die Abweichler.
Dieser Mechanismus steht im Widerspruch zu Art. 5 des Grundgesetzes, der Freiheit von Wissenschaft, Kunst und Publikation garantiert. Wenn aber Begriffe wie „hochgradig problematisch“ ausreichen, um Förderentscheidungen zu kippen, dann wird die Norm des Grundgesetzes durch ein semantisches Gift ersetzt. Begriffe, die nichts definieren, werden zum Hebel, um alles zu verdächtigen.
Besonders drastisch zeigt sich dies am vom Börsenverein beauftragten Gutachten von Alexander Thiele, Professor an der Berliner Business and Law School. Es bescheinigt Wagener ausdrücklich keine eindeutige Verfassungsfeindlichkeit, spricht aber von einem „Graubereich“. Damit wird das Fehlen belastbarer Beweise selbst zum Beweis gemacht. Ein intellektuelles Kunststück, das Brodkorb als „juristischen Salto mortale“ entlarvte: Recht wird durch Rhetorik ersetzt, der Rechtsstaat durch Geschmacksurteil.
Ein Zitat verdeutlicht die Absurdität: Wagener schrieb, die Bundesregierung betreibe das Projekt der Ersetzung der Kulturnation durch eine multikulturelle Willensnation – und nahm damit die AfD-Debatte zum ethnischen Volksbegriff vorweg. Thiele interpretierte das als Angriff auf den Gesetzgeber. Doch was ist das anderes als eine – vielleicht falsche, vielleicht treffende – Beschreibung politischer Realität? Wer aus so etwas eine implizite Verfassungsfeindlichkeit herausliest, verlässt das Terrain der Juristerei und betritt das Feld der hermeneutischen Hexenjagd.
Hier beginnt die Kulturkampfdimension. Wenn Thiele schreibt, Wagener habe mit seinen Aussagen „implizit“ die Menschenwürde von Zuwanderern verletzt, dann verrät das mehr über das Gutachten als über das Buch. Denn implizit heißt: Es steht nicht da, aber ich lese es hinein. Diese Methode ist die Quintessenz heutiger Gesinnungsjustiz. Nicht mehr der Text zählt, sondern das, was man ihm andichtet. Nicht mehr die Realität, sondern das moralische Erregungspotenzial.
Zwischen Recht und Haltung
Brodkorb zeigt dies am Beispiel der Düsseldorfer Grundschule mit 98 Prozent Migrantenkindern: Wagener verweist auf offenkundige Integrationsprobleme, Thiele deutet das zur „Abwertung integrationswilliger Personen“ um. Das Faktische wird in eine moralische Anklage transformiert. Wahrheit wird zur Gefahr, sobald sie gegen das Dogma der unbegrenzten Integration verstößt.
Das Landgericht Frankfurt stellte schließlich klar: Es gibt keine Grundlage für die Rückforderung der Fördermittel. Thieles Gutachten wird verworfen, die Rechtslage ist eindeutig. Doch auch hier zeigt sich der Zeitgeist: Der Richter konnte nicht widerstehen, das Buch als „reaktionär“ und „vorurteilsbeladen“ zu denunzieren. Das Urteil ist korrekt, die Kommentare verraten aber, dass Justitias Augenbinde längst verrutscht ist. Die Haltung hat Einzug gehalten in die Rechtsprechung – nicht als entscheidendes Kriterium, aber als Begleitmusik, die die Richtung vorgibt.
Damit ist das Urteil doppelt lesbar: als Sieg der Freiheit und zugleich als Dokument der ideologischen Durchdringung. Es zeigt, dass die Rechtsordnung noch funktioniert, aber nur widerwillig, nur gezwungen, nur unter der Last eines Grundgesetzes, das den Akteuren selbst längst „lästig“ geworden ist. Genau hier setzt der größere Kulturkampf an. Seit Jahren erleben wir, wie politische Eliten versuchen, den Bereich des Sagbaren einzuhegen. Wer über nationale Identität spricht, gerät unter Faschismusverdacht. Wer Migration als Problem beschreibt, wird zum Menschenfeind erklärt. Der Vorwurf der „Verfassungsfeindlichkeit“ ersetzt die Debatte.
Das Urteil von Frankfurt durchkreuzt diese Strategie. Es zeigt, dass nicht jedes „hochgradig problematisch“ zur Rechtsnorm erhoben werden kann. Es zwingt dazu, zwischen Meinung und Angriff auf die Verfassung zu unterscheiden. Und es entlarvt die Haltung der politischen Klasse: Man will am liebsten beides gleichsetzen.
Die Rolle der Kulturförderung
Der Fall Wagener offenbart zugleich, wie sehr die staatliche Kulturförderung zur ideologischen Waffe geworden ist. Programme wie „Neustart Kultur“ oder die unzähligen Fonds für Theater, Festivals und Projekte funktionieren längst nicht mehr neutral. Sie dienen der Verstärkung einer bestimmten politischen Agenda: Diversität, Dekolonialisierung, Antifaschismus in Dauerschleife. Wer sich diesem Kanon entzieht, steht schnell am Pranger. Subventionslogik und Zensurreflex sind zwei Seiten derselben Medaille. Der Staat tritt als Mäzen auf – aber nur, wenn das Werk dem herrschenden Narrativ dient.
Hinzu kommt die Rolle der Medien, die solche Verfahren nicht mit kritischer Distanz begleiten, sondern mit orchestrierter Einordnung. Bücher wie das von Wagener gelten dort nicht als Beiträge zur Debatte, sondern als Gefahr für die Demokratie. Feuilletons, einst Orte der freien Reflexion, haben sich in moralische Tribunale verwandelt, wie die Geschichte vor dem Prozess zeigt: Im April 2023 schaute sich der DLF an, wer im Rahmen der „Kulturmilliarde“ Geld bekommen hatte. Der Sender fand 955 geförderte Buchprojekte, darunter skurrile Sachtitel wie „Handball und Umweltschutz“, „Bizarre essbare Pflanzen“ und „Eheverträge in der Landwirtschaft“. Er fand aber auch „Kulturkampf um das Volk“ und stellte eine Anfrage bei Kulturstaatsministerin Roth. Die wiederum fragte den Verfassungsschutz. Der lieferte seine oben zitierte Einschätzung in Rekordzeit – kein Wunder, er hatte das Buch ja bereits entsprechend eingestuft. Roth informierte dann den Börsenverein, der nach Thieles Gutachten dann den Prozess anstrengte.
Historisch ist dieser Vorgang besonders brisant. Nach 1945 war es das erklärte Ziel, Kunst und Wissenschaft frei zu halten von staatlicher Gängelung. Das Grundgesetz meißelte diese Lehre in Stein. Heute jedoch erleben wir eine Umkehr: Nicht der Staat wird von der Kultur in Schach gehalten, sondern die Kultur vom Staat. Förderentscheidungen, Gutachten, Verfassungsschutzberichte – das sind die Instrumente eines neuen dirigistischen Systems, das mit der freiheitlichen Demokratie nichts mehr zu tun hat.
VS als neue Stasi
Man könnte sagen: Der Verfassungsschutz ist zur neuen Stasi geworden. Ursprünglich gegründet, um die Demokratie zu schützen, dient er heute als ideologisches Wächteramt. Er entscheidet, welche Meinung zulässig ist und welche nicht. Das ist der Kern einer schleichenden Diktatur, die sich demokratisch tarnt. Theoretisch lässt sich das präzise beschreiben. Carl Schmitts Begriff des Politischen – die Unterscheidung zwischen Freund und Feind – lebt in diesen Vorgängen fort. Nicht die Sache, sondern die Etikettierung entscheidet. Wer als „rechtsextrem“ gilt, wird aus dem Diskurs entfernt. Das Etikett ersetzt das Argument.
Roger Scruton wiederum warnte vor einer „Kultur der Ablehnung“, die alles Traditionelle vorschnell als faschistisch denunziert. Genau das passiert hier: Die Rede von einer Kulturnation wird nicht als legitimer Beitrag zur Debatte verstanden, sondern als Angriff auf die Menschenwürde. Das ist nicht nur intellektuell schwach, sondern auch politisch gefährlich. Juristen, die sich weigern, offenkundige Realitäten anzuerkennen; Politiker, die ihre Ressorts für Gesinnungsschlachten missbrauchen; Medien, die jeden Zweifel moralisch exekutieren: das ist nicht einfach Böswilligkeit – es ist Dummheit im bonhoefferschen Sinn. Eine kollektive Unfähigkeit, das Offensichtliche zu sehen, weil es nicht ins Dogma passt.
Das Urteil von Frankfurt reiht sich in eine Serie von Fällen ein, die alle denselben Kern haben: Der Staat versucht, unliebsame Stimmen zu delegitimieren. Man denke jüngst etwa an die Schließung des Forschungszentrums Globaler Islam – weil dessen Leiterin Susanne Schröter zu unbequem. An deutschen Universitäten sei kritische Islamforschung kaum noch möglich, sagt sie dem Cicero: „Wer nicht bereit ist, sich ideologisch anzupassen, kommt nicht weiter“. Pikanterweise heißt ihr letztes Buch „Der neue Kulturkampf“. Immer wieder zeigt sich: Wo das Argument nicht reicht, greift man zum Stigma.
Gleichzeitig werden provokante Kunstprojekte, die den gesellschaftlichen Konsens sprengen, mit öffentlichen Geldern belohnt. Holzingers „Sancta“, in dem die Kreuzigung ins Pornographische gezogen wird, gilt als künstlerische Freiheit. Ein Fachbuch, das Grenzen der Integration beschreibt, wird hingegen zur Gefahr erklärt. Das ist kein Zufall, sondern Programm: Die Freiheit gilt nur in eine Richtung.
Der symbolische Zusammenbruch
All das macht die Niederlage von Claudia Roth so symbolisch. Eine Ministerin, die sich als Gralshüterin des demokratischen Diskurses inszenierte, hat vor Gericht eine Niederlage erlitten, die ihre Autorität zerstört. Ihr Versuch, ein Buch zu verbieten, mündete in ein Urteil, das die Freiheit der Publikation bekräftigte. Der moralische Anspruch brach am Recht.
Das Urteil markiert damit nicht nur das Ende eines Prozesses, sondern den Zusammenbruch einer Deutungshoheit. Es zeigt, dass die grün-moralische Hegemonie nicht unantastbar ist. Es beweist, dass das Grundgesetz noch wirksam ist – auch gegen seine Feinde im Staatsapparat. Für den 78-jährigen Willi Lau „kommt es darauf an, zu informieren und Akzente zu setzen“, sagte er der Welt. „So sehen wir unsere Aufgabe.“ Er sei für Meinungsfreiheit und wolle Themen zur Debatte stellen: „Wenn es zwei Wahrheiten gibt, dann gibt es auch zwei Unwahrheiten.“
„Uns als Mitglied des Börsenvereins so in der Pressefreiheit einzuschränken, das finde ich erstaunlich“, so Lau. „Der Börsenverein hat einen eigenen Arbeitskreis zur Meinungsfreiheit, von denen hat sich keiner zu Wort gemeldet“, sagt er enttäuscht. „Da kommt es wirklich mal drauf an, und dann halten sie alle die Füße still und lassen ihr Mitglied im Regen stehen, das ist für mich nicht nachvollziehbar.“ An dem gesamten Vorgang bewege ihn besonders „dieser vorauseilende Gehorsam, der sich seit geraumer Zeit in unserer Gesellschaft immer stärker ausbreitet, und der in meiner Generation undenkbar war.“
Am Ende bleibt die Einsicht: Demokratie lebt nicht von Konformität, sondern von Konflikt. Sie lebt von der Möglichkeit, das Heilige der herrschenden Klasse zu kritisieren, zu karikieren, ja zu verwerfen. Das Frankfurter Urteil ist deshalb mehr als ein juristischer Sieg. Es ist ein Aufruf zur Renaissance der freien Debatte, ein Manifest gegen die Hybris der Macht. Das Urteil von Frankfurt sprengt den Konsens, zwingt die Medien, zu berichten – und erzeugt den Streisand-Effekt: Gerade weil man das Buch verbieten wollte, wird es nun gelesen. Zensur produziert Aufmerksamkeit, das Verbot verstärkt das Verbotene.
Es ist der Sieg des Rechts über die Zensur, des Arguments über die Denunziation, der Freiheit über die Ideologie. Wer heute glaubt, Bücher verbieten zu können, wird morgen durch sie gerichtet. Und wer meint, das Grundgesetz sei „lästig“, hat übersehen, dass es genau dazu da ist: lästig zu sein – für alle, die Macht missbrauchen.
Über den Autor: Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.
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