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Thomas Hartung: KRIEG DER STERNCHEN

Zwar bleibt uns der Genderstern offiziell erspart - vorerst. Dafür werden das Generische Maskulinum sexualisiert, statische Unterstriche benutzt und Sprachdiskriminierte erfunden. Das führt in die Hölle.



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Eigentlich wäre die Nachricht bestenfalls einer kurzen, durchaus erleichterten Herzens formulierten Meldung wert gewesen: Der Genderstern wird bis auf weiteres nicht in das Amtliche Regelwerk der deutschen Sprache aufgenommen. Wie Ende März aus einem Zwischenbericht des Rats für deutsche Rechtschreibung Mannheim hervorging, will das Expertengremium die Entwicklung des Schreibgebrauchs zunächst weiter beobachten. In dem Papier heißt es, der Rat wolle sich in seiner Bewertung geschlechtergerechter Schreibweisen an der Lesbarkeit und Verständlichkeit orientieren. Ziel sei, „einem unkontrollierten Nebeneinander unterschiedlichster Variantenschreibungen entgegenzuwirken“ und „die Einheitlichkeit der Rechtschreibung in allen deutschsprachigen Ländern zu erhalten“.


Aber eben nur eigentlich. Dass inzwischen 16 der 30 DAX-Konzerne „geschlechtergerechte Sprache“ verwenden bzw. verwenden wollen, darunter die VW-Tochter Audi, deren Mitarbeiter jetzt „Audianer_innen“ heißen, war dabei noch das geringste Übel. Dass die Publizistin Nele Pollatschek bei Maischberger schon mal „das Bundeskanzler“ als geschlechtsneutrale Bezeichnung vorschlug, kann man sicher ebenso als Unsinn abtun wie die geschlechtsneutrale Sprache des Braunschweiger Gender-Germanisten Thomas Kronschläger. Er will aus einer Person ein Neutrum mit dem Artikel „das“ machen und an den Wortstamm ein -y anhängen, also: das Studenty, das Einbrechy. In der Mehrzahl kommt ein -s dazu, also: die Ärztys oder die Köchys.


Viel schwerer jedoch wiegen aktuell einige Ereignisse, die an drei Arten sprachpolitischer Handlungen geknüpft waren: Die Diabolisierung, ja Sexualisierung des Generischen Maskulinums, die Substitution des Gendersterns durch den Statischen Unterstrich und die Lexikalisierung oft pseudosemantischer Worthülsen zu elitär-ideologischen Kampfbegriffen für angeblich - mindestens sprachlich - Ausgegrenzte. „Weil die Linke nicht mehr daran glaubt, dass man die Welt besser machen kann, versucht sie, die Sprache besser zu machen“, muss selbst Küchenphilosoph Richard David Precht in der Welt eingestehen. Gäbe es einen Nobelpreis für moralische Überlegenheit, wäre der jüngste Höllentrip der deutschen Sprachwissenschaft ein Top-Kandidat: die feministische Linguistik.


Deren Vertreter singen das ungrammatische Hohelied „Nur wer genannt ist, ist gemeint“ in immer höherer Frequenz, Quantität – und Aggressivität. Das Generische Maskulinum, also die geschlechtsneutrale Verwendung maskuliner Personen- und Berufsbezeichnungen wie „Lehrer“ oder „Leser“, abstrahiere danach nicht mehr das Geschlecht, sondern setze es als ausschließlich männlich, ja patriarchal: Die weibliche Bedeutung sei lediglich behauptet oder abgeleitet. Damit konfrontiert, dass sich viele Frauen trotzdem vom generischen Maskulinum nicht ausgeschlossen fühlten, erwiderte die Hannoveraner Linguistin und Duden-Autorin Gabriele Diewald im neuen „Kompendium gendersensible Sprache“ des Bundesverbands der Kommunikatoren e. V. BdKom: „Man könnte ihnen auch ‚Identifikation mit dem Aggressor‘ unterstellen.“ Das ist kein Witz. Damit werden altfeministische Thesen wie die von Sheila Jeffreys „Wenn eine Frau einen Orgasmus hat, kollaboriert sie mit dem patriarchalischen System, indem sie ihre eigene Unterdrückung erotisiert“, langsam verstehbar.



Psychologisierung der Grammatik


Diewald verbindet die Reaktionen auf ein grammatisches Phänomen mit einer tiefenpsychologischen Angstbewältigungsstrategie mit oft traumatischen Hintergründen: „Es wird suggeriert, dass es erklärungsbedürftig ist, falls jemand kein Problem mit dem generischen Maskulinum hat“, erkennt Tim Hirschberg in der Welt. Was hier geschieht, ist die Psychologisierung der Grammatik und der Sprachgemeinschaft auf primitivem Niveau.


Das hat nichts mehr mit Psycholinguistik zu tun, die als legitime sprachwissenschaftliche Teildisziplin unter anderem die (assoziative) Repräsentation von Sprache im Gehirn untersucht, sondern mit ihrem Gegenteil: Der (kognitiven) Präsentation von Sprache durch das Gehirn unabhängig vom Assoziierten. Haben wir es beim ersten mit einem interpretativen Wahrnehmungsakt zu tun, ist das zweite ein reiner Willens-, ja Willkürakt.

Viele Sprachen, auch das Deutsche, weisen unbelebten Objekten ein Geschlecht zu, selbst wenn das unsinnig scheint: Warum sollte der Fußball männlich und die Sonne weiblich sein? Die Butter ist ja auch keine Frau und der Käse kein Mann, auch wenn es manchmal passen würde. Doch hat diese Zuweisung geschlechtsspezifische Assoziationen zur Folge. Je nachdem, ob ein Wort männlich oder weiblich ist, verbinden die jeweiligen Muttersprachler mit diesem eher Stärke oder Grazilität; etwa bei „Brücke“. Im Deutschen hat das Wort den weiblichen Artikel „die“. Im Spanischen dagegen sind Brücken maskulin: el puente. Deutsche assoziieren mit der Brücke Adjektive wie schlank, elegant, zierlich, friedlich und hübsch; Spanier jedoch beschreiben Brücken als stark, gefährlich und groß, fasst Jessica Antosik in Gehirn & Geist entsprechende Studien zusammen.


Oder: Werden Franzosen gebeten, sich vorzustellen, eine Gabel habe eine Stimme und könne sprechen, dann beschreiben sie die Stimme als hoch. Das französische Wort für Gabel lautet la fourchette (weiblich). Die Spanier hingegen weisen der Gabel, el tenedor (männlich), eine tiefe Stimme zu. Niemand wird wohl ernsthaft behaupten, dass das grammatische Geschlecht bei unbelebten Objekten mit Männlich- oder Weiblichkeit im biologischen oder sozialen Sinn korreliert, und trotzdem gibt es diese Assoziationen. Oder: Deutsche Maler stellen den Tod als Mann dar, für einen russischen Maler ist sie (смерть) jedoch eine Frau. Doch selbst manche Sprachwissenschaftler „hören nur noch auf Propaganda, nicht mehr auf fachliche Argumente“, ärgert sich der Linguist Nikolaus Lohse in der Welt und hält für „offenbar schwer zu vermitteln, dass die Entstehung und der Gebrauch des generischen Maskulinums - jedenfalls zunächst - mehr mit Grammatik und Wortbildung zu tun hat als mit Biologie und empirischer Sozialforschung.“


Er verweist zu Recht darauf, dass die meisten personalen Subjekte als generische Maskulina von Verben - „Tu-Wörtern - abgeleitet sind und dabei den Suffix „-er“ bekommen haben, bspw. fahren>Fahrer oder backen>Bäcker, aber auch Sachsubjekte wie bohren>Bohrer, die grammatisch (!) maskulin sind. Feminine Ausnahmen wären etwa sägen>Säge oder feilen>Feile. Semantisch (!) hingegen bezeichnen diese Substantive eine Person oder Sache, die tut, was das zugrundeliegende Verb aussagt – und zwar völlig unabhängig von ihrem biologischen Geschlecht, was bei Sachsubjekten ohnehin keine Rolle spielt. Wenn also aus dem Verb lehren das Substantiv Lehrer gebildet wird, ist damit nichts anderes gemeint als eine Lehrperson einerlei welchen biologischen Geschlechts.


Ähnlich markiert ist im Deutschen der Suffix „-in“: Hängt man dem Lehrer noch diese Endung an (ein sogenanntes Genusmorphem), sodass daraus die Lehrerin wird, bezeichnet das Wort nun eine Lehrperson weiblichen Geschlechts. Ein Substantiv „Lehrer“ hat also beide Bedeutungen, die neutrale, generische und die spezifisch männliche, und erst der Kontext entscheidet darüber, welche gilt. Das Substantiv Lehrerin dagegen hat in jedem Kontext nur eine Bedeutung. Während -er also eine geschlechtsneutrale Endung mit oberflächlich männlicher Konnotation sein kann, hat -in eine tief verankerte geschlechtliche Bedeutung – die heute mit „wissenschaftlichem Anspruch“ für läßlich gehalten wird. Ein Satz „Viele Lehrerinnen an meiner Schule sind Männer“ ist aber komplett unsinnig.


Noch gar nicht berücksichtigt ist dabei die Tatsache, dass für den Plural aller Substantive, der maskulinen wie der femininen und auch der neutralen, als Artikel „die“ verwendet wird, also jener, der im Singular für das Femininum steht. Die Interpretation liegt nahe, dass somit in den frühen Zeiten der Sprachentstehung schon berücksichtigt wurde, dass „die“ Bäckerin sich gewürdigt sieht, wenn „die“ Bäcker gesundes Brot backen und auch „die“ Bäuerin, wenn „die“ Bauern die Ernte einbringen. Es bestand theoretisch genauso gut die Möglichkeit, für den Plural anstelle von „die“ einen anderen Artikel zu wählen: „das“, ähnlich wie im englischen Sprachraum, oder eben „der“. Man hätte auch einen völlig neuen Artikel bilden können. Es hat sich aber das feminine „die“ behauptet.



„Bausteine für künftige Normierungsarbeit“


Der menschliche Drang zum Assoziieren ist grenzenlos und lässt sich auch nicht dadurch austreiben, dass grammatische Endungen eliminiert, erfunden oder umfunktioniert werden: Nur weil das Wort „Brücke“ durch das feminine Genus bei Deutschen eher weibliche Assoziationen hervorrufe, käme niemand auf die Idee, nach einem Date zu fragen, zitiert die Welt den Linguisten Steven Pinker. Gleiches lässt sich aber auch fürs generische Maskulinum sagen. Würde man individuelle, aber kollektiv behauptete Assoziationen zum Maßstab für Wörterbücher, Rechtstexte und den offiziellen Sprachgebrauch erklären, wie es an der Universität Kassel wohl schon geschehen ist, öffnete man die Büchse der Pandora: Der 20-jährige Lehramtsstudent Lukas Honemann, zudem CDU-Fraktionsgeschäftsführer im Kreistag des Landkreises Kassel, berichtet in der HNA, er sei schlechter benotet worden, weil er in einer Arbeit ausschließlich das generische Maskulinum verwendet habe.


Die Entscheidung, ob man in seinen Arbeiten gendere oder nicht, müsse aber freiwillig bleiben: „Politische Akte dürfen nicht benotet werden“, ärgert er sich. Teils zögen Dozenten aber sogar dann Punkte ab, wenn in Fußnoten darauf hingewiesen werde, dass zwar das generische Maskulinum verwendet wird, damit aber alle Geschlechter gemeint seien. Sylke Ernst, die Leiterin der Stabsstelle Gleichberechtigung, lässt sich in der HNA mit dem Satz zitieren, „Lehrende“ könnten „zum Beispiel in Hausarbeiten Punkte abziehen und so eine schlechtere Note geben, wenn die Geschlechtsbezeichnungen nicht korrekt sind“. Bislang habe sie dazu keine Beschwerden erhalten – „dieses Vorgehen wird an der Universität auch nicht als Problem thematisiert“.


Mit dem Argument, dass eine grammatische Konstruktion unerwünschte mentale Bilder hervorrufe, lässt sich jedoch alles diskreditieren, damit schuldhaftes Verhalten konstruieren und inquisitorisch deklarieren. Das gilt auch für die Strategien zum fairen Formulieren des Duden-Handbuchs geschlechtergerechte Sprache. Doch was assoziiert der Vorschlag, Personen- und Berufsbezeichnungen durch Kollektiva zu ersetzen, also „Lehrkräfte“ statt „Lehrer“, „Leserschaft“ statt „Leser“ usw., bei den Sprechern? „Verschlucken solche Kollektiva nicht die Individuen, rufen sie nicht mentale Bilder von einer kühl-technisierten, entpersonifizierten Welt hervor und tragen damit zu einer Entwicklung bei, die durchs Internet und die Corona-Lockdowns sowieso schon bedenkliche Züge angenommen hat“, fragt Hirschberg. Der wiederholte Rat, die vielen Modi geschlechtergerechten Formulierens könnten ja auf kreativ-spielerische Weise gemischt werden, um einem allzu abgehobenen Genderstil entgegenzuwirken, zeugt von Weltfremdheit: Als ob Amtsstuben, Kanzleien oder technische Redaktionen die gleiche Lust zur Variation mit den Signifikanten hätten, als ob der allseitigen, zunehmenden Wut übers Gendern beizukommen wäre mit „Lust“ und „Kreativität“ – zwei in Genderleitfäden inflationär gebrauchten Wörtern.


Im Gegenteil: Selbst der P.E.N. befragte jetzt die „Kolleginnen und Kollegen“ in Vorbereitung des Zwischenberichts des Rats für deutsche Rechtschreibung zum „öffentlichen Schreibgebrauch“ und stellte zwölf solcher Modi zur Auswahl, darunter Binnen-I, Sternchen oder den Statischen Unterstrich. „Literarisches Schreiben und persönliche schriftliche Äußerungen (Brief, Karte, e-mail)“ sollen, wie es lakonisch hieß, „nicht betroffen“ sein. Warum werden dann ausgerechnet die Mitglieder des P.E.N. dazu befragt, geht es denen doch um literarisches Schreiben, wundert sich Bernhard Lassahn auf dem Blog achgut. Sollen sie trotzdem den neuen Empfehlungen für den „öffentlichen Schreibgebrauch“ folgen, wenn sie beispielsweise Stellungnahmen abgeben oder Solidaritätsadressen verfassen, ja künftig „einen doppelten Schreibgebrauch pflegen, so dass sie in ihren Novellen weiterhin von inhaftierten ‚Journalisten‘ schreiben, bei ihrem ‚öffentlichen Schreibgebrauch‘ jedoch von ‚Journalistinnen und Journalisten‘, von ‚Journalist*innen‘, von ‚Journalist­_innen‘, ‚Journalist:innen‘, ‚JournalistInnen‘ oder ‚Journalistx‘?“Dabei bleibt noch unberücksichtigt, dass mit permanenter Beidnennung permanent falsche Akzente gesetzt und jedes Mal die eigentlichen Kernaussagen vernebelt werden.



„moralinsaures Distinktionsmerkmal“


Der emeritierte Kernphysiker Hans Hofmann-Reinecke belustigt sich auf achgut: „Wollt ihr lieber mit Kabelbindern oder Handschellen gefesselt werden?“ Lassahn erkennt prompt – und entsetzt – das tieferliegende Problem: Der vorgeschlagene neue Schreibgebrauch mit Sternchen, Unterstrich oder Doppelpunkt ist nicht aus dem Sprechgebrauch hervorgegangen, sondern umgekehrt und dazu gleichsam der Tastatur des Computers entwischt. Er verweist auf das regierungsgeförderte „Projekt Schreibgebrauch“ (2013 – 2016), das ein Instrumentarium entwickeln wollte, um die „tagtägliche Produktion von Schriftdeutsch für orthografische Untersuchungen auszuwerten“, so dass sie dem Rat für deutsche Rechtschreibung als „Bausteine für die künftige Normierungsarbeit“ dienen können.


Sein Fazit: „Die Gendersprache hat sich umso stärker durchgesetzt, je mehr der Nichtgebrauch mit sozialer Ächtung und Nachteilen, beispielsweise an Universitäten, verbunden war“ – logisch, wer wirtschaftlich davon abhängig ist, bestimmte Positionen zu vertreten, wird diese doch nicht öffentlich relativieren. Resultat sei „auf lange Sicht die Trennung der Öffentlichkeit in zwei Lager – und damit auch die Spaltung der Gesellschaft.“ Hofmann-Reinecke sieht die Trennung noch schärfer: „Genderismus wäre eine Lachnummer, würde ihm nicht untertänigst gefolgt; aber er ist zum Verlust von Freiheit geworden, weil man ihm gehorcht. Die neue Sprache ist zum Gesslerhut geworden, und man verneigt sich vor ihm, um Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Man befleißigt sich des ‚Virtue Signalling‘; man demonstriert seine Fügsamkeit gegenüber dem Zeitgeist, weil man glaubt, das Verneigen sei das geringere Übel.“


Auch den Genderstern zerreißt er: „Wenn wir bei Gendersternchen etc. mitmachen, dann ist das ein Signal der Unterwerfung unter die Kuratel von Feinden der Logik und der Wahrheit.“ Hirschberg kritisiert: „Statt nicht binäre Geschlechtsidentitäten sichtbar zu machen, hat das Sternchen für viele den Status eines moralinsauren Distinktionsmerkmals angenommen“. Denn bei ihm stehen nicht sprachsystematische Faktoren, sondern wiederum Assoziationen im Vordergrund, so dass es in Ermangelung einer etablierten grammatischen Funktion „weniger als linguistisches denn als soziales Zeichen“ wahrgenommen werde. Da ist der Schluss auf ein neues, zunächst - noch - verbales Parteiabzeichen nicht fern und auch nicht, dass, wer es verwendet, ohnehin nichts Wichtiges mitzuteilen hat, sondern einfach nur Verbündete suchen und Einheit erzwingen will.

Das mag ein Grund sein, weshalb seit Anfang April plötzlich auch der Statische Unterstrich verstärkt in Erscheinung tritt, und das nur in unguten Zusammenhängen. So zitiert Hoffmann-Reinecke aus der Beschreibung einer Schulübung: „Die Schüler_innen lesen sich den Text in Paararbeit gegenseitig vor. Jede_r Schüler_in liest einmal. Dann vervollständigen die Schüler_innen in Einzelarbeit den Lückentext.“ Noch bizarrer allerdings war die FU Berlin unterwegs, die bei der Aufarbeitung der jetzt ihr gehörenden Liegenschaft Ihnestraße 22, dem ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, die sterblichen Überreste ermordeter Juden fand. Auf der zugehörigen Homepage des Projekts stand allerdings „J_üdinnen“. Auch das ist kein Witz.


80 Jahre nach dem Holocaust kann man besser kaum ausdrücken, dass man sich für überlegen hält und sich weder für Opfer noch Täter wirklich interessiert, sondern ausschließlich für Selbstverherrlichung und moralistische Überhöhung. Wozu genau versucht man nun den Ermordeten mit geschlechtergerechter Sprache zu verhelfen? Zu Gerechtigkeit post mortem? Das ist nicht nur geschmacklos, das ist respektlos, zynisch, eine übergriffige Instrumentalisierung im Namen des eigenen Gutmenschentums – übrigens an jener Uni, die sich in der Causa ihrer Doktorandin Giffey nicht mit Ruhm bekleckerte. Wurde eigentlich mit den Familien der Opfer gesprochen?


Es ist eine erbärmliche Unterstellung, dass jeder Mensch bei dem Wort „Juden“ bisher nur an Männer gedacht habe. „Wir haben es mit einem politischen Überbietungswettbewerb einer privilegierten, realitätsfernen und elitären Minderheit zu tun, bei dem die Form den Inhalt dominieren, der Inhalt zweitrangig und die Beschäftigung mit der Form vorrangig werden soll“, erbost sich der wissenschaftspolitische Sprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg, Dr. Bernd Grimmer MdL. Das negiere alle Geistesgeschichte seit der Aufklärung. Sprach man einst von Behinderten als „lebensunwert“ und von der Bevölkerung Osteuropas als „Untermenschen“, so ist es nun zeitgeistig, von „J_üdinnen“ zu sprechen. Dann muss man aber so konsequent sein, „Gauleiter*innen“ und „KZ-Aufsichtsperson“ zu sagen.



„Das ist keine Verschwörungstheorie“


Doch damit längst nicht genug. Diese Melange aus beanspruchtem Privileg und kreativer Willkür folgt dem Trend, eine intellektuelle Subkultur zu etablieren, „die die Errungenschaften der Aufklärung und auch gesellschaftliche Übereinkünfte durch Gruppendenken zu ersetzen versucht“, ärgert sich Marcel Peithmann in der Welt: „Weitgehend ohne Wissen der Öffentlichkeit wurden intransparente Strukturen geschaffen, die nicht selten staatlich finanziert sind und die dort erdachten Konzepte in die Gesellschaft tragen. Das ist keine Verschwörungstheorie.“ Donnerwetter. Dabei werde „der Versuch der Delegitimierung von Kritik hauptsächlich von denen unternommen …, die von diesen Strukturen profitieren und langsam ihre Felle davonschwimmen sehen. Es geht um Deutungshoheit und daraus resultierend um Macht und Geld“ - unter dem Deckmantel des Mitgefühls und einer trivialen Vorstellung von Gerechtigkeit, könnte man ergänzen.


Peithmanns Kritik richtet sich vor allem gegen „das Einführen neuer Begriffe und Bezeichnungen, die nicht selten auf wackeligen Theorien beruhen“ und mit denen zumal auf Englisch „weniger Begünstigte und nicht universitär Gebildete vom Diskurs ferngehalten“ würden. Das passe „so gar nicht zum Anspruch der Inklusion und dem oft erhobenen Vorwurf des ‚Klassismus‘, also einer Benachteiligung aufgrund der sozialen Herkunft.“ Als Beispiel nennt er die aus Respekt und Höflichkeit gebotene Ersetzung des Begriffs „Neger“, welcher „durch seine Wortgeschichte als rassistisch empfunden“ werde. Das später eingeführte Wort „Schwarze“ sei nicht perfekt, erfülle aber seinen Zweck. Doch als vor einigen Jahren der Begriff „PoC“ - „Person of Color“ – aufkam, wurde er bereits kurze Zeit später modifiziert, so dass als „PoC“ nun nicht mehr Schwarze, sondern alle nicht hellhäutigen Menschen gelten: Die Bezeichnung für Schwarze ist seitdem „BPoC“, also „Black Person of Color“. Aha.


Der für mehrere öffentlich-rechtliche Formate tätige farbige Journalist Malcolm Ohanwe schlug auf Twitter als Alternative „SOJARME-Person“ vor: „schwarze, osteuropäische, jüdische, asiatische, Roma-Sinti-, und/oder muslimische Person“. Man müsse mit diesem Begriff „nicht gleich of Color“ sein oder „nicht-weiß“ oder nicht-hellhäutig, um mit angesprochen zu werden. „Europäischstämmige Menschen, die abgewertet werden, würden ebenfalls mitgenommen.“ Wörter wie SOJARME sind nun allerdings ein hochfunktionales Werkzeug, aus Tätern anspruchsberechtigte Opfer zu machen und zu zeigen, dass es sich nicht um Wissenschaft handelt - noch nicht einmal um Sozialwissenschaft. Es hat vielmehr Züge einer Ersatzreligion. Fiat aequalitatem et pereat mundus - wir erleben die Torpedierung des tragenden Prinzips von Demokratien, in denen Verfassungen die Integrität einzelner Menschen schützen sollen, nicht aber die Privilegien irgendwelcher willkürlich geschaffener Gruppen.


Wer eben übrigens SOJA-ARME las, sollte den nächsten Rotwein einschenken, um seine Gedanken noch halbwegs unter Kontrolle zu halten. Denn vielen linguistischen Eventmanagern reichte das nicht; sie kritisierten, dass dieser Begriff „indigene Menschen aus Ozeanien oder Amerika und anderen Regionen“ ausschließe und es deshalb „SOJARIME-Person“ heißen müsse. Das ist ebenfalls kein Witz. Peithmann befindet zwar, dass für Monty-Python-Liebhaber solche nicht mehr von Satire zu unterscheidenden Vorschläge und die entsprechenden Reaktionen darauf natürlich ein großes Vergnügen seien: „Sie zeigen leider ebenfalls, wie weit diese Herangehensweise von einem humanistischen Ansatz entfernt ist, weil hier die Vollständigkeit der Aufzählung auch zu einem Kriterium für Wertigkeit gemacht wird.“ Daneben würde die elitäre Sprache verschleiern, dass die Argumentation oft weder konsistent ist noch auf Fakten basiert. So ließe sich ebenfalls „die Abwesenheit eines tiefer gehenden Verständnisses für politische und gesellschaftliche Zusammenhänge“ verbergen: Eine nützliche Schutzmauer gegen Kritik, die auch die LSBTTIQ-Gemeinde gern um sich herum errichtet.


Derweil hat ein Berliner Sportgymnasium sich kürzlich dazu durchgerungen, im schulinternen Schriftverkehr die Kürzel „SuS“ und „LuL“ (für „Schülerinnen und Schüler“ bzw. „Lehrerinnen und Lehrer“) einzuführen, um dem Zwang zur permanenten Doppelnennung zu entgehen. Und wenn man liest, dass Gleichstellungsbeauftragte von Universitätsangehörigen verlangen, statt „Rednerliste“ „Redeliste“ und statt „Rednerpult“ „Redepult“ zu sagen, nur um den impliziten Rednern ihre Männlichkeit zu entziehen, ist ebenso für eine gewisse Komik gesorgt wie bei der Lektüre des „Leitfadens für eine wertschätzende Kommunikation“ der Stadt Köln. Darin gibt es Tipps, wie die männliche Sprachform zu vermeiden sei mit Begriffen wie etwa „Führungskraft“ statt „Chef“ oder „Lernende“ statt „Schüler“. Um auch sexuelle Orientierungen abzudecken, sollen Bezeichnungen wie „Vater“ und „Mutter“ in Formularen geändert werden, etwa zu „Elternteil“. Und nicht mehr komisch, sondern schon surreal mutet die Etablierung „tierfreundlicher Alternativen“ zur Abkehr von „tierfeindlichen Redensarten“ durch die Tierrechtsorganisation PETA an. Denn unsere Sprache sei „durchzogen mit Redewendungen, Sprichwörtern und Ausdrücken, die Gewalt an Tieren verherrlichen“, genannt „Speziesismus“. Für „den Stier bei den Hörnern packen“ schlagen die Tierrechtler vor: „Ich gehe das so furchtlos wie eine Kuhmutter an.“ Auch das ist kein Witz.



„ein feministischer Rachereflex“


Doch wenn, wie inzwischen selbst in Radio- und TV-Kommentaren häufig zu hören ist, nicht nur die weiblichen Endungen zusätzlich genannt werden („Bürger*innen“), sondern die Sprechpause übersprungen oder weggenuschelt wird, dann verkehrt sich der Sinn der Aussage geradezu ins Gegenteil. Auch wenn es uns das Öffentlich-Rechtliche Fernsehen am 20. Januar 2021 glauben machen wollte: Kamala Harris ist nicht „die erste Frau im Amt der Vizepräsidentin“. Was übrig bleibt, ist nicht intersubjektiv gerechter, sondern objektiv falsch: „In solchen Nuancen artikuliert sich ein feministischer Rachereflex, der mit den Strukturgesetzmäßigkeiten von Sprache und Semantik nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun hat“, befindet Peithmann. Doch der „Diskurs der Überempfindlichkeit entfaltet einen Systemzwang“, erkennt der Wiener Literaturwissenschaftler Achim Hölter in der FAZ.


Im Grunde sind das alles Symbolhandlungen, mit denen man politische oder weltanschauliche Statements abgibt, aber nicht Sprachkompetenz unter Beweis stellt: „In der Massierung haben sie längst etwas Zwanghaftes und Unterwürfiges; gleichwohl entfalten sie ihre suggestive Wirkung“, meint Peithmann. Nach Jahr(zehnt)en teils offener, teils subtiler Propaganda haben sie dazu geführt, dass die Sprachgemeinschaft tief gespalten ist. Wer aber die verordneten linguistischen Register nicht als natürlich gewachsen erlebt, sondern als Konformitätsdruck obrigkeitlicher Bevormundung, wird sich ihnen verweigern. Doch Einwände dieser Art können die Entschlossenheit der Gender-Lobby, ihre Agenda um jeden Preis durchzusetzen, offenbar nicht erschüttern.


Im Gegenteil: Der Erfindungsreichtum, was alles im Sinne der Political Correctness umbenannt werden soll, treibe immer seltsamere Blüten, weiß Peithmann und nennt die an jeder Ecke lauernden „Studierenden, Dozierenden, Diskutierenden, Teilnehmenden usw., als wäre die Welt von lauter beseelten Partizipien bevölkert“. Dabei fällt mindestens partiell manche Inkonsistenz auf. So heißt es in dem Hörbuch „Die Gestrandeten“ von Dinko Skopljak etwa „Zombiejagende“ statt Zombiejäger und „Messerwerfende“ statt Messerwerfer - andererseits spricht der Ronin-Verlag in seinen PR-Texten von „Sprechern“ und „Autoren“. Solcherart Praxis legt für die gleichstellungspolitische Sprecherin der AfD-Fraktion Baden-Württemberg, Carola Wolle MdL, den Schluss nahe, „dass es sich um eine genehme Schaustellersprache handelt, die man nur nutzt, wenn es einem nutzt – und die ansonsten je nach Gusto zu- oder abgewählt werden kann.“ Das zeuge von einer armseligen, funktionalisierenden Doppelmoral.


Aber auch per se geschlechtsneutrale Wörter werden erbarmungslos gegendert: Mitglieder und Mitgliederinnen, Gäste und Gästinnen, selbst von Menschinnen war schon die Rede, und es kann einem tatsächlich passieren, dass die Bundeskanzlerin als Tochterin eines Pfarrers bezeichnet wird. Was ist dann eine Tochter? Die ehemalige Bundesfamilienministerin Maria Böhmer brillierte gar schon 2007 mit dem Ausspruch: „Frauen sind die Motorinnen der Integration.“ Je näher eine Gesellschaft aber einer Gleichstellung aller Mitglieder kommt, umso weniger ist es gerechtfertigt, Ungleichheiten pauschal zu betonen. Gendersprache tarnt sich als moralisches Gebot und reine Form- und Höflichkeitsfrage, die keine inhaltlichen Konsequenzen habe – obwohl sie die sehr wohl hat.


Liebe, Verbundenheit oder gar Vereinigung der Geschlechter, aus der dann Kinder entstehen, werden bei der Anwendung der gendergerechten Sprache nicht nur in den Hintergrund gerückt und vernachlässigt, sie werden geleugnet und finden keine sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten mehr. Der Sprachfeminismus schafft ein Gedankengefängnis, aus dem man kaum noch herauskommt. Oder drastischer: Wer versucht, einen manipulierten Sprachgebrauch zu etablieren und damit das Denken der Menschen im Sinne bestimmter Überzeugungen, ja im Sinne einer Ideologie top-down zu beeinflussen, verhält sich im Kern totalitär. Unsere Freiheit ist in Gefahr. Es tut not, sich wieder auf Ernst Moritz Arndt zu besinnen: „Ein geistigeres und innigeres Element als die Sprache hat ein Volk nicht. Will ein Volk also nicht verlieren, wodurch es Volk ist, will es seine Art mit allen Eigentümlichkeiten bewahren, so hat es auf nichts mehr zu achten, als dass ihm seine Sprache nicht verdorben und zerstört werde.“




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Über den Autor:

Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.


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