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Bettina Gruber: DAS SINNLICHE SCHEINEN DER IDEENLOSIGKEIT. ANGESTRENGTE BLASPHEMIE IM WIENER KÜNSTLERHAUS

  • vor 2 Stunden
  • 6 Min. Lesezeit

„Muss man sich aufregen?“ fragte mich mein Mann mit leicht ermüdeter Stimme, als ich ihn aus Wien anrief, um über meinen Besuch der Ausstellung „Du sollst Dir ein Bild machen“ zu berichten. „Muss man sich aufregen?“ Das ist eine gute, ja die entscheidende Frage. Muss man? Ich möchte darauf zwei gegenläufige Antworten geben. Nummer 1 lautet: Nein, muss man nicht. Antwort Nummer 2 dagegen: Ja, man muss. Unbedingt!   


Das Erste, was man sieht, wenn man die Treppe zum ersten Stock, der die Ausstellung beherbergt, hinaufsteigt, ist ein Schild mit pinkfarbenem Rand und der Aufschrift „Grüß Göttin“ – was die Veranstalter vermutlich für eine mutige Ansage halten. Geradeaus durch den hohen Türsturz fällt der Blick auf eine weißliche, teigartig verlaufende Oberfläche in ungefährer Kreuzform. Der Ratlosigkeit, die der Betrachter empfinden könnte, hilft das Begleitheft vorsorglich ab. Bei „Zärtlicher Christus“ handelt es sich um „ein klassisch geformtes Kruzifix, vollständig mit Latexnoppen [und mit Gummipenissen, B.G.] bedeckt“, ein, wie dem Besucher versichert wird, „radikales Werk feministischer Religionskritik“. Dabei verwandle die Künstlerin „eines der mächtigsten Symbole der westlichen Kultur in ein erotisch konnotiertes, zärtliches Objekt – und stellt damit tiefgreifend Konventionen in Bezug auf Glauben, Körper, Geschlecht und Sexualität infrage. Es ist sowohl eine Provokation als auch ein poetischer Vorschlag für eine neue, lebensbejahende Symbolik.“ Diese Lenkung des Blicks ist auch dringend notwendig, denn der amorphe kreuzförmige Batzen suggeriert von sich aus weder Radikalität noch Feminismus noch schlägt er gar irgendetwas vor. Um Religions- oder sonstige -kritik darzustellen, müsste eine in irgendeiner Form diskursivierbare Aussage vorliegen. Und: Radikal ist daran gar nichts, denn scheinbare Grenzüberschreitungen dieser Art sind ein hoch konventionelles, ja ritualisiertes, Standardelement moderner und „postmoderner“ Kunst. In diesem Sinn ist nahezu alles, was die Ausstellung zeigt, erwartbar und die ganze Konzeption zutiefst unoriginell.



Drago Persic, aus der Serie Bergotte (J. Pontormo / Leithners Blau, Molybdänrot), 2025 Öl auf Leinwand, 95 x 60 cm
Drago Persic, aus der Serie Bergotte (J. Pontormo / Leithners Blau, Molybdänrot), 2025 Öl auf Leinwand, 95 x 60 cm

 

Der weitere Gang durch die Räume bestätigt, von ganz wenigen Werken abgesehen, diese Eingangswahrnehmung. Herzstück ist das älteste und bewährteste Schlachtross in der Pubertät steckengebliebener Provokateure, Martin Kippenbergers gekreuzigter Frosch in Knallgrün. Unser fürsorgliches Begleitheft, ohne das der Besucher womöglich noch auf eigene Ideen käme, schreibt zum Skandal, den die Präsentation 2008 bei der Eröffnungsausstellung in Südtirol hervorrief: „Viele Menschen fühlten sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt. Der Vorwurf der Blasphemie stand im Raum, und die Empörung in großen Teilen der Bevölkerung und Politik war groß. Sie schlug sich in unzähligen Leserbriefen und öffentlichen Protesten wie etwa Gebetswachen […] nieder.“ Der Effekt, nämlich möglichst viele Menschen verletzt zu haben, scheint im Künstlerhaus das dringende Bedürfnis hervorgerufen zu haben, dies wegen des großen Erfolgs zu wiederholen. Weiter heißt es: „Der Leitung des Museions gelang es nicht, den Inhalt des Kunstwerks zu vermitteln und eine Verbindung zur Bevölkerung herzustellen. [...] Es ist überraschend, wie wenig es gelang, eine fundierte theologische Diskussion über das Kreuz wie auch über eine zeitgenössische künstlerische Praxis zu führen. Für Kippenberger war die gekreuzigte Comicfigur seine Antwort auf den Jesuskitsch, den er bei seinem Kuraufenthalt in Tirol antraf. In den dortigen Herrgottswinkeln geht es unter dem Kreuz auch heute noch mitunter feuchtfröhlich zu.“


Also langsam: Über den „Inhalt des Kunstwerks“, der einzig in der Provokation der „Bevölkerung“ (anscheinend einer bedauernswerterweise nicht ausgestorbenen indigenen Sekte) und im Herumtrampeln auf deren Glaubensüberzeugungen liegt, gelang es nicht, eine Verbindung zu dieser herzustellen? Wer hätte das ahnen können? Und „zeitgenössische künstlerische Praxis“ findet ihre ideale Verkörperung in Blasphemie? Das stimmt leider, warum erläutere ich weiter unten, sagt aber Dinge über diese Praxis aus, die sich ihre Vertreter vielleicht lieber nicht zu eigen machen möchten. Wie primitiv und verdreht ist ferner die Annahme, unter einem Herrgottswinkel dürfe es nicht feuchtfröhlich zugehen: Das Kruzifix hängt nicht zufällig über dem Esstisch… Und schließlich: Der urbane Bürger Kippenberger traf „Jesuskitsch“ an und fühlte sich dazu berufen, die retardierten Eingeborenen von ihrem Hang zum Kitsch zu kurieren? Heißt sowas im heutigen Sprachgebrauch nicht kolonialistisch? Ist es nicht der klassistische Gestus der (vermeintlichen) Anywheres gegen Indigene? (Und ist es ein Zufall, dass ich dabei ununterbrochen an die Vendée denken muss? Der Geist ist derselbe, der Geist einer Moderne, die, wo sie nicht massenmörderisch ist, sich wenigstens im Zerstören jeglicher Tradition als symbolischem Äquivalent gefällt.) Kolonialistisch auch: „Trotz des Hungerstreiks, Mahnwachen und Leserbriefen bestätigten die Direktorin des Museums und der Verwaltungsrat ihre Entscheidung, die Skulptur im Museum bis zum regulären Ausstellungsende zu belassen.“[1] Der zeitgenössische Kunstbetrieb zeigte sich schon hier als das, was er auch und immer mehr geworden ist: der progressivistische Terror einer auch im Wortsinn grenzenlos überheblichen Blase, ein bloßes Mittel zur Generierung sozialen Kapitals, das sich beizeiten in monetäres ummünzen lässt, ein  Machtinstrument, eingesetzt zur Zerstörung aller Bestände.

 

Sehr deutlich zeigt sich das an dem von „Anouk Lamm Anouk“ verbrochenen Acrylbild, das eine Pietà mit einer Trans-Maria darstellen soll, wobei der tote Jesus Marias – Pardon! – Schwanz in der Hand hält, übrigens das einzige Element, das ohne den erklärenden Text überhaupt identifizierbar ist. Offenbar stand die unter dem Motto „No age, no gender, no origin!“ Künstlernde unter dem Eindruck, dass unsere Gesellschaft unter einem Mangel an Darstellungen primärer Geschlechtsorgane leide, dem dringend abgeholfen werden müsse. Wie sehr es hier um simple Marketingstrategien geht, erkennt man an daran, wie systematisch das Motiv der Grenzüberschreitung ausgebeutet wird: Die im ÖsterreichWiki weiblich als „Künstlerin“ figurierende Person hat, wie könnte es anders sein, eine „nicht-binäre Geschlechtsidentität“[2]: ob Gender oder Blasphemie – alles, was Aufmerksamkeit durch Provokation erzeugen könnte, wird verwertet.      

 

Der Satz, den man angesichts von Produkten wie den oben beschriebenen regelmäßig hört: „Das hat mit Kunst nichts zu tun“ ist leider falsch. Die Praxis blinder Provokationsversuche hat auch einen systemischen Grund: Sie beleuchtet die Grenzen autonomer (wahlweise: ausdifferenzierter) Kunst und wird deswegen fortgesetzt, obwohl weite Teile der Gesellschaft längst provokationsresistent geworden sind. Diese unter künstlerischem Gesichtspunkt masturbatorische und unter historischem Gesichtspunkt überholte Moderne kreist ewig in sich selbst; am Innovationsprinzip orientiert, kann sie keine Innovation mehr leisten und ist zwangsläufig nichts als Betrieb. Statt originell, wie ihre Vertreter zu glauben scheinen, ist sie repetitiv bis zum Abwinken.

 

Zurück zur Ausgangsfrage: Sofern es jemandem um Kunst, und nur um Kunst, geht, muss man sich nicht aufregen, außer darüber, dass hier auch Steuergelder für eine wirklich schlechte Ausstellung verbraten wurden, in der es nur drei oder vier gelungene Bilder und Objekte gibt, die sich bezeichnenderweise alle der Logik der Blasphemie entziehen. Man verlässt die Räume je nach Temperament gelangweilt oder angewidert, in meinem Fall primär mit dem Gefühl, die eigene Zeit auf etwas Unangenehmes aber Unerhebliches, zutiefst Nichtiges, verschwendet zu haben. Gleichzeitig streifte mich im Hinausgehen der Flügel der Zeit: das beruhigende Bewusstsein von der Vergänglichkeit auch unserer kulturellen Epoche, ein Versprechen, dass dieser gesamte irrelevante Schrott sehr bald im Orkus der Geschichte verschwinden würde. Und ich meine: sehr bald, denn es ist offensichtlich, dass dieses Verständnis von Kunst sich historisch überlebt hat und nur mehr als subventionsgepäppelter Untoter durch die Galerien und Museen der Welt taumelt. A konto dieses Gedankens verließ ich das Gebäude beschwingten Schrittes.   

 

Nicht alle haben das so wahrgenommen: Ich erfuhr am nächsten Tag, dass etwa zwei Stunden nachdem ich die gesammelte Ödnis hinter mir gelassen hatte, ein kleines Trüppchen Aufrechter vor dem Künstlerhaus gegen den blasphemischen Charakter der Ausstellung protestierte. Sie waren nicht allein, denn Empörung hatte sich zuvor auch anderweitig Bahn gebrochen.[3] Und hier greift nun Antwort zwei: Kunst, die religiöse Sujets traktiert, ist niemals nur Kunst. Sie berührt mit der Religion einen Bereich, der sich ihrer inhaltlichen Beliebigkeit entzieht und eine ungleich existenziellere Dimension anspricht. Die Verletzung der Gefühle ist klares Ziel einer solchen Veranstaltung, weil ohne sie der Provokationsmechanismus gar nicht funktioniert. Die gegenteilige Behauptung des Kurators ist deshalb fundamental unehrlich, denn man wird ihm nicht unterstellen wollen, dass ausgerechnet er nicht verstünde, wie der Kunstbetrieb funktioniert.[4]

 

Blasphemische Kunst partizipiert als Parasit an der unglaublichen Form- und Sinnfülle, die das Christentum hervorgebracht hat – aus sich selbst ist sie nichts, was man ihr regelmäßig auch anmerkt. Hier reiht sich die Ausstellung in eine lange Reihe von antichristlichen Angriffen ein, was nicht überrascht, weil Christianophobie zum eisernen Bestand progressiver Ideologien gehört. Das Christentum wird, und da sollte man sich keinen Illusionen hingeben, stellvertretend für die gesamte europäische Kultur und Geschichte attackiert. Warum von den Helden der Kunstfreiheit ausgerechnet und ausschließlich das Christentum in ebenso obszöner wie primitiver Weise herabgewürdigt wird, bedarf keiner weiteren Erklärung. Es liegt auf der Hand. Auch der heroischste Brecher längst gefallener Tabus möchte ungern leben müssen wie Sir Salman Rushdie oder das Schicksal des irakischen Christen Salwan Momika in Schweden erleiden. Dann doch lieber dahin prügeln, wo man es aus der „Mitte der Gesellschaft“ heraus gefahrlos, beklatscht und subventioniert tun kann! Das eigentlich Empörende an der Ausstellung ist neben der schäbigen Respektlosigkeit vor dem Heiligen die tiefe Verlogenheit der ihr zugrundeliegenden Haltung. Es ist ein hoffnungsvolles Zeichen, dass das auch in einer europäischen Hauptstadt nicht mehr widerstandslos hingenommen wird.

 

Zahlreiche Bilder der angestrengt blasphemischen Schau finden sich auf der Webseite des Veranstalters.


Wie in ihrer Heimat verfolgte Christen die Ausstellung wahrnehmen, zeigt dieses YouTube-Video.



Über die Autorin: Bettina Gruber, Dr. phil. habil., venia legendi für Neuere Deutsche Philologie sowie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Vertretungs- und Gastprofessuren in Deutschland, Österreich und den USA. Seit 2005 a.o. Professorin an der Ruhr-Universität Bochum 2005. Letzte Buchveröffentlichung: Bettina Gruber (als Sophie Liebnitz): Halbmondsüchtig. Xenomanie in Europa. Schnellroda 2025.


Beitragsbild: Drago Persic, Bildrecht Wien 2025


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