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Hans Günter Holl: DIE FÜNF SÄULEN DES IRRSINNS

  • vor 8 Minuten
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1. Ideologie als Maßstab


Zwar ist zum Thema Rechts und Links schon fast alles von fast allen gesagt worden. Man weiß also längst, dass es bloß auf die Sitzordnung ankommt, und dass diese sich je nach Perspektive ändert, um Ernst Jandls „Werch ein Illtum“ zu bestätigen. Trotzdem soll aber neuerdings wieder Links als gut und Rechts als böse gelten – was bereits Heinrich Heine als „die ganze Wissenschaft“ seiner Zeit verhöhnt hatte.


Mit dieser Wissenschaft kann man Leute leicht anstiften, „gegen Rechts“ und damit auf der guten, richtigen Seite zu kämpfen. Und da Orthodoxie Feindseligkeit fördert, geraten die oft als Nazis diffamierten „Rechten“, also alle anderen, in eine missliche Defensive. Wenn sie in ihrer Not auf die Revanche verfallen, den Bösen schlechthin, nämlich Hitler, von Rechts auf Links zu wenden, so verfehlen sie den zentralen Punkt, dass rechte und linke Ideologen eine wesentliche Eigenschaft verbindet: „Es ist der fanatische Wille zur Borniertheit, der nur lernen will, was er schon weiß; der den Schmerz der Erkenntnis scheut und nur das Wohlgefühl des Rechthabens sucht!“ So die zutreffende Diagnose Konrad Heidens in seiner berühmten Biographie.


Selbstverständlich ist das Eintreten für das Gute, soviel wissen wir seit Platon, absolut „alternativlos“. Doch im Unterschied zu Platon versuchen die heutigen Ideologen nicht zu ergründen, was sachlich gut wäre, sondern begnügen sich damit, ihre Bewertungen aus pauschalen Zuordnungen und Ausgrenzungen abzuleiten. Dabei gilt grundsätzlich, dass „das Eigene der Anderen“ – kurz gesagt, striktes Beharren auf rationalen Argumenten und rechtsstaatlichen Prinzipien – vom Übel ist, das „eigene Eigene“ dagegen durch das Bekenntnis zur Humanität geheiligt. Darauf beruht die pathetische Unterscheidung zwischen Demokratie und unserer Demokratie, deren moralische Legitimation an einen skurrilen Imperativ Theodor W. Adornos erinnert: „Der Logik spotten, wenn sie gegen die Menschheit ist.“


2. Energiewende als Thermodynamik


Das neben der kulturellen Selbstaufgabe durch Entgrenzung krasseste Beispiel für gezielte ideologische Verblendung ist die, wie jene, insgesamt sehr destruktive, für wenige Einzelne jedoch äußerst lukrative Energiewende. Man darf getrost davon ausgehen, dass ihre Drahtzieher die Hauptsätze der Thermodynamik ebenso wenig interessieren wie die Helfershelfer der Invasion die Natur des Islam. Denn nur damit wäre plausibel erklärbar, dass sie sich konstant mutwillig über das warnende Menetekel des RESPICE FINEM hinwegsetzen.


Selbst wenn ein „Klimawandel“ erwiesen, und selbst wenn er sicher menschengemacht wäre, würde das nicht die Hoffnung rechtfertigen, ihn durch technische Eingriffe (in eine global gesehen winzige Region) aufhalten zu können. Gleichwohl muss das Postulat der „anthropogenen Erderwärmung“ dafür herhalten, kosmische Faktoren auszuschließen, da gegen solche Gegner jede Technik völlig machtlos wäre. Eine Klimadoktrin erhebt also die moralische Verantwortung fiktiver Verursacher über das wissenschaftliche Gebot, nur empirisch begründbare Maßnahmen in Erwägung zu ziehen. Dabei gilt: Um die Temperatur des Ökosystems zu regeln, müsste man entweder die Wärmezufuhr drosseln, was unmöglich sein dürfte, oder die Wärmeabfuhr fördern, wie es mittels der CO2-Reduktion erreicht werden soll.


Wenn CO2 das Problem wäre, so hätte man einen Vorlauf von rund drei Jahrhunderten mit Emissionen, die global gesehen kaum vermindert andauern. Gleichzeitig wirkt man, ohne genauere Kenntnis des Gesamtsystems, massiv auf dieses ein, um den Ausstoß zu senken. Man holzt Wälder ab, versiegelt immer weitere Flächen, verändert Luftströme und reflektiert großflächig Sonnenlicht. Da seriöse Erfolgskontrollen naturgemäß nicht machbar sind, ist das ganze Unternehmen ein extrem riskantes Vabanquespiel, bei dem man niemals zuverlässig wird feststellen können, was es bewirkt oder angerichtet hat. (Letzteres schon eher.)


Die Energiewende kostet Unsummen, die natürlich an anderer Stelle fehlen (besonders im Katastrophenschutz, der – wie zum Beispiel die Flut im Ahrtal bewiesen hat – die einzig sinnvolle Präventivmaßnahme wäre), und diese enormen Ausgaben werden damit entschuldigt, dass es ja nur Geld sei, und dass sie zudem der Zukunft und dem Wohl der Bürger dienen. Nun hat Geld zwar keine eigene Substanz, in ihm spiegelt sich aber wider, was an Energie (Arbeit, Rohstoffe, Transport und Organisation) aufgewandt werden muss, um Klimaziele zu erreichen. Daher ist jedes vor Laufzeitende aus „Umweltgründen“ vernichtete Wirtschaftsgut – ob Kraftwerke, Heizungen oder Autos, sofern sie nicht wirklich pesten – faktisch eine unwiederbringliche Energieverschwendung; von den zusätzlichen Kosten der Volatilität zu schweigen. Im Fall der KKW ist der Angst- und Propagandafaktor eine Sache für sich, da er rationale Erwägungen von vornherein ausschließt.

Angesichts des absurden Kampfes – heute nicht gegen Windmühlenflügel, sondern mit ihnen –, dessen Erfolgsaussichten mehr als zweifelhaft sind, dürfte es angebracht sein, nicht von Klima-, sondern sachlich zutreffend von einer Klientelpolitik zu sprechen.


3. Abweichung als Norm


Missbildungen, Anomalien, Perversionen und Probleme der sexuellen Identität galten seit William Bateson, Sigmund Freud und Ludwig Frank als gründlich erforschte Phänomene der weit aufzufassenden Genetik. Bateson (der den Begriff „Genetik“ prägte) begriff das Gesamtspektrum der evolutionären Formenbildung als eine Art Thema mit Variationen (siehe dazu sein Standardwerk Materials for the study of variation aus dem Jahre 1884), die sich auch mathematisch modellieren ließen. In erster Annäherung folgt daraus, dass sie eine Gaußsche Normalverteilung aufweisen.


Doch eine rein statistisch definierte Normalität entsprach Ende des 19. Jahrhunderts durchaus nicht dem, was konventionell als normal galt. Vielmehr löste alles Irreguläre ein diffuses Unbehagen und Reaktionen aus, die von Tabuisierung über Ächtung bis zur Strafandrohung reichten. Weil solche Antipathien primär auf Verdrängung und Abwehr beruhten, wurden sie offiziell „wissenschaftlich“ begründet. Dafür erfand man sittliche hygienische, venerologische und evolutionäre Argumente, die sich kombiniert von den Gesetzen des Überlebenskampfes herleiten ließen: Je stärker der Konformitätsdruck einer Population ausgeprägt war, desto strikter bekämpfte sie Abweichungen von der Norm und förderte rigoros alles, was der „gesunden Fortpflanzung“ diente, notfalls bis zur Eugenik.


Doch je mehr eine Gesellschaft in Richtung Individualität oder „Identität“ abdriftet, desto duldsamer wird sie gegenüber Abweichungen aller Art. In der vom Wokismus geprägten Endzeitstimmung steigerte sie sich in eine Feier alles Queeren hinein und löste zugleich die Sexualität als Genderismus prinzipiell von der Fortpflanzung ab. In diesem Zustand geht es nicht mehr um Toleranz von Normalen gegenüber Perversionen und Anomalien. Vielmehr wird öffentlich regelrecht dafür geworben, Normalität als pervers aufzufassen und Anomalien, inklusive Transgender bereits im Kindesalter, als neue Norm der Vielfalt durchzusetzen.


Bei der wissenschaftlich fundierten Entpönalisierung und Enttabuisierung ehemals als pervers verrufener Praktiken schienen anfangs gewisse Prinzipien unberührt zu bleiben, die als Eckpfeiler der konventionellen Übereinkunft fortbestehen sollten. Sie besagten im Wesentlichen: Zwischen Erwachsenen ist alles erlaubt, was sie auf freiwilliger Basis tun. Tolerieren bedeutet nicht, eine neue, traditionsfeindliche Normalität zu begründen. Die Ehe ist kein Instrument der sozialen Anerkennung, sondern eine Institution mit dem Ziel, Kinder zu zeugen und geschützt aufwachsen zu lassen. Die zwischen Erwachsenen geltenden Regeln der sexuellen Toleranz gelten nicht gegenüber Minderjährigen; und als erst neuerdings erforderlicher expliziter Zusatz: Entscheidungen über die operative und medikamentöse Geschlechtsumwandlung setzen Volljährigkeit voraus.

Von diesen Prinzipien ist offenbar nicht viel übriggeblieben. Die queere Ideologie zieht ihre Kreise, und die ganze Gesellschaft gleicht mit ihrer öffentlichen Selbstdarstellung zunehmend einem Tollhaus.


4. Autokratie auf Staatskosten


Politiker mit starkem Durchsetzungsdrang neigen zum Leninismus. Sie betrachten sich als Führer einer oft handverlesenen Avantgarde und nehmen für ihre Mission gerne den Segen in Anspruch, dass der Zweck die Mittel heiligt. Wenn der gewählte Weg trotzdem nicht dem erklärten Ziel entspricht, so kann dies daran liegen, dass die Mittel sich zum Zweck verselbständigten oder von Anfang an als Selbstzweck konzipiert waren.


Helmut Kohl bedauerte, dass seine „geistig-moralische Wende“ auf dem Sitzungsweg zu langsam vorankam, und beschloss deshalb, die Dreh- und Angelpunkte mit Bimbes zu schmieren. Dies war jedoch ein altmodisches Verfahren, das auf Fremdfinanzierung basierte und damit bei Indiskretionen oder Enthüllungen in den Verdacht der Korruption geraten konnte. Allerdings war Kohl Patriot und wollte – bei aller Machtbesessenheit – das Beste für sein Land, sodass er die moderneren Methoden seiner Nachfolger/innen verabscheut und abgelehnt hätte.


Diese von „seinem Mädchen“ eingeführten und perfektionierten Kniffe beruhten im Wesentlichen darauf, den Fiskus selbst für den Kauf der Funktionäre aufkommen zu lassen. Das geschah auf drei Ebenen:


Erstens sind schon die unangemessen hohen, ständig steigenden Bezüge der Abgeordneten – die außerdem noch ihr MdB vermarkten können – eine Art Korruption. Sie garantiert (neben der schieren Größe des Parlaments) prinzipiell dessen Gefügigkeit, erst recht wenn die Staatsführung sich als bloßes Vollzugsorgan einer fanatischen Opposition erweist. Mit diesem Schachzug fiel es der Exekutive leicht, sich auch die Legislativfunktionen des Parlaments anzueignen, und außerdem noch die (ebenfalls fanatischen) Medien auf ihre Seite zu ziehen.


Um das Machtgefüge zu festigen, wählte die Kanzlerin einen absolut zuverlässigen Kitt, der aus ebenso charakterschwachen wie unfähigen Personen bestand, die in Spitzenämter gehievt wurden. Die Zuspitzung des Peter-Prinzips (Aufstieg bis zum Erreichen des persönlichen Unfähigkeitslevels) durch Überspringen der Zwischenstufen verdammte die Nutznießer zu ewiger Dankbarkeit und machte sie zu wirksamen Multiplikatoren der Inkompetenz in Präsidien und Ministerien, in der Justiz und in der EU.


Eigentlich war damit die Gewaltenteilung erledigt. Aber es gab ja noch „den Souverän“, der jedoch erst vom Schlaf- in den Halbschlafmodus wechselte, als schon alles zu spät war. Außerdem rumorte eine verfemte IPO und eine rührige neue APO. Als die Kanzlerin abtrat, hatte sie neben einem monolithischen Regimeblock eine Reihe von staatsfinanzierten NGOs hinterlassen, die sich unter dem frivolen Motto „Demokratie leben“ jederzeit aktivieren ließen, um die unerlaubte Nutzung von Grundrechten zu bekämpfen. Wie man erwarten konnte, wäre keine neue Regierung, egal welcher leninistischen Provenienz, so tollkühn, sich freiwillig der Waffe solcher Schlägertrupps zu entledigen; allein schon deshalb, weil der unter diesen Verhältnissen angerichtete Schaden zu groß ist, als dass er jemals wieder zu beheben wäre. Ja, man könnte es sich nicht einmal erlauben, ihn öffentlich zuzugeben, denn er ist „too big to admit“. Also bleibt nur der Notbehelf, die Opposition abzuwürgen.


5. Suizidale Bewirtung


Durch die vorsätzliche, selbstverstärkend wirkende Förderung von Inkompetenz wurde der Staat in doppelter Hinsicht als Wirtsystem missbraucht: Parteikarrieristen machten sich seine Pfründe zur Beute, ohne einen Willen zu produktivem, koordinierten Handeln erkennen zu lassen. Und da sie ihrerseits den Abhängigenstatus genießen, fördern sie auch nach Kräften die parasitäre Existenz anderer Kostgänger. Obwohl damit absehbar die Einnahmen schrumpfen und die Ausgaben steigen, zeigen die Funktionäre weder echte Initiativen zur Abwendung der bedrohlichen Strukturkrise, noch scheinen sie die klaren Analysen und Lösungsvorschläge von Experten überhaupt zu verstehen.

Die Folge ist eine Art „politische Entropie“, nicht aus Trägheit, sondern durch bewusste Abwehr restriktiver Maßnahmen (die je nach Akzent als faschistisch, rassistisch, rechts oder schlicht unmenschlich gelten). Doch irgendwann dürfte der suizidale Import von Bittstellern durch staatlich alimentierte Versager und deren Profiteure den Kipppunkt erreichen. Dann würde die scheinbar entropische Diffusion, in der ein Feingeist längst Spuren eines „molekularen Bürgerkriegs“ erkannte, ein brisanteres Muster ausprägen. Sieferle zufolge formiert sich darin die armutsbedingte „Ordnung des Behemoth“ als Übergang zur totalen Nivellierung im Chaos.


Dieses Unheil soll durch ausufernde, das staatliche Budget längst überfordernde, also kreditfinanzierte Transferleistungen abgewendet werden. Daher muss man annehmen, dass die Wichtigtuer und Salonsozialisten, die infolge der Inkompetenzinitiative einer DDR-Nostalgikerin auf Führungsposten gelangten, das Wesen der Staatsfinanzen nicht kapieren. Beim Umgang mit unvorstellbaren Milliardensummen dürften sie sich fühlen wie in Aladins Höhle und den Staat für märchenhaft reich halten. Nur so lässt sich ihre Einstellung erklären, dass man Geld mit vollen Händen für Geschenke und illusionäre Fantasieprojekte aus dem Fenster werfen kann. Übrigens: Der aus Politikersicht noch relativ geringe Betrag von hundert Milliarden Euro ergäbe als Münzfeld eine Fläche von gut 230 Tausend Quadratkilometern oder eine etwa 230 Tausend Kilometer lange Stange.


Auf dem Höhepunkt der ersten Rohstoffkrise, als die Prognosen des Club of Rome alle Welt beunruhigten, diskutierten Freunde über die Frage, was man dagegen tun könnte. „Aussaufen!“, stöhnte einer im Brustton finsterer Überzeugung. Genau diese „Lösung“ scheint, entgegen ihren Weltrettungsparolen, auch den Apologeten der grenzenlosen Staatsverschuldung vorzuschweben.

 



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Über den Autor: Hans Günter Holl, geb. 1949, ehemals Übersetzer (Whitehead, Bateson), heute Essayist und Rechtsanwalt.




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