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Matthias Matussek: KAFKAS KOPF (und eine Diskussion in Prag)


Weil das bloße, wenn auch lebhafte Berichten von einer Prager Konservatismus-Konferenz für unseren Autor offenbar eine sträfliche Unterforderung bedeutet hätte, schreibt Matthias Matussek inspiriert vom Genius Loci der tschechischen Hauptstadt im Vorübergehen auch noch ein Schlüsselwerk der literarischen Moderne um und fort.

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Es kann keinen besseren Romananfang als den von Kafkas Prozess geben – nicht in diesen Tagen, in denen alle vertrauten Koordinaten nachzugeben scheinen: »Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.«

Der Prozess, eine düstere und düsterkomische Groteske über eine ferne Instanz, die in unser Leben eingreift.

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Und so könnte es in einer aktualisierten Version weitergehen:

K. grübelte über die Ursachen. Er zergrübelte sein Gewissen, seine Erinnerungen. Hatte er etwas übersehen? Hatte er seine Unterschrift unter einen Aufruf gesetzt gesetzt, der an der Politik der obersten Behörde zweifelte?

Denunziationen gelten doch gegenwärtig eher als Kunstform im deutschen Nachbarland, wo das sogenannte Zentrum für politische Schönheit Denunzianten aus Chemnitz prämiert, auch gemeldete »charakterliche« Schwächen zählen.

War er als Frauenfeind angezeigt worden? Nun, die folgenden Ereignisse, seine in der Tat nicht sehr vorteilhaften Schilderungen von Fräulein Bürstner oder Fräulein Leni würden ans Licht bringen, daß er in dieser Hinsicht stets die Wahrheit sagte.

Hatte er sich eines anderen Vergehens schuldig gemacht, würde er sich heute vielleicht fragen, ein Vergehen, das irgendein Zensor in der fernen Bürokratie als Verstoß gegen das kürzlich von den Behörden erlassene Verbot einer hate speech hätte mißverstehen können?

Auf jeden Fall war K. an diesem Morgen ohne Frühstück geblieben. »Die Köchin der Frau Grubach, seiner Zimmervermieterin, die ihm jeden Tag gegen acht Uhr früh das Frühstück brachte, kam diesmal nicht.«

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Tatsächlich, so könnte man dieses Kunstwerk des Grauens fortschreiben, allerdings überall anders in diesen Tagen als in Prag, denn hier ist man neugierig auf den ungeschützten Meinungsaustausch. Das CEVRO-Institut hat eingeladen zu einer Diskussion über die »Zukunft des Konservatismus – die deutsche Erfahrung.« Und die ist sehr fraglich.

Einstweilen richtet sich der Blick hier in der schmalen Gasse neben der gotischen Teyn-Kirche in der Prager Altstadt in die Höhe. Hinter einem der Fenster des gegenüberliegenden Hauses, fast ans Mauerwerk des Doms anstoßend, hat Kafka an seinem Prozess gearbeitet.

Martin Kastler von der Hanns-Seidel-Stiftung ist geladen. Daneben der Publizist Alexander Wendt und ich. Die Journalistin Alexandra Moistyn führt vor Veranstaltungsbeginn die tschechische Erfahrung vor.

Was auffällt: die Stadt ist ohne Angst.

Vor dem Weihnachtsmarkt fehlen die Betonpoller, die in Berlin und anderen europäischen Metropolen zum Standard gehören. Von patrouillierenden Sicherheitskräften keine Spur. Auch das jüdische Viertel kommt ohne Schutzpolizei aus.

Kann es daran liegen, daß sich Tschechien geweigert hat, den von Deutschland zugewiesenen Anteil an muslimischen Flüchtlingen aufzunehmen? In einem jüngst in der EU ausgearbeiteten Papier über Antisemitismus rangieren die Visegrad-Staaten auf den hintersten Plätzen, Deutschland rangiert vorne.

Staatspräsident Zeman spottete, daß man in Deutschland nicht ohne behördliche Genehmigung angeln dürfe, aber jeder ins Land käme, der seine Papiere fortschmeißt. Ich mag die Tschechen.

Mit Václav Klaus, einem Vorgänger Zemans, Kopf der »samtenen Revolution« von 1989, hatte ich auf einer Konferenz in Rhodos bestes Einvernehmen in der Warnung vor dem Verlust eines christlichen Europa, besonders aber im Widerwillen gegen die über allen Wolken schwebende Willkommens-Kanzlerin und den pompösen Villepin aus Frankreich, der in seinem Europa-Pathos völlig abhob. Nach dem Abschlussbankett tanzte der 75-jährge mit seiner überaus schönen, rund 40 Jahre jüngeren Freundin Rock 'n' Roll.

Zurück: Keine Sturmgewehre auf dem Prager Weihnachntsmarkt. Nichts kann die schöne Gelassenheit trüben, mit der sich hier in der Altstadt die Eltern von Kleinkindern vor den Ständen mit den gebrannten Kastanien anstellen oder denen mit den rotlackierten Äpfeln. Was für ein wundervolles historisches Orchester aus mittelalterlichen Türmen und Giebeln, barocken Fassaden und solchen der Renaissance: Das christliche Abendland zur Architektur geronnen.

Natürlich Kafkas Geburtshaus und dasjenige, in dem er die längste Zeit seines Lebens verbrachte, heute ein verbrettertes Museum. Kafkas Kopf, an der Hauskante im ersten Stock angebracht, steckt in einem Holzkasten, als ob man dieses Künstlerhirn, das ohnehin nach innen arbeitete, nicht in seiner Konzentration stören wollte – ich stelle mir vor, daß ihm der Blickschutz angenehm wäre in diesen tumultuarischen Zeiten, in denen vor allem Künstler sich erklären und zu erklären haben.

Prag übrigens erwähnt er nie. Ihm war die eigene Stadt fremd. Er musterte sie in seinen Romanen mit schrägem Blick. Er war reicher Kaufmanns-Sohn und mochte die Lebensfülle in den Armenvierteln. Er war Deutscher unter Tschechen, Jude unter Christen, geselliger Kaffeehaus-Literat, allerdings Asket. Weltbürger, aber Außenseiter. Seine Spezialität: Das Missverständnis.

Eine bessere Einstimmung auf eine Diskussion über das konservative Europa und die Zukunft kann es nicht geben, denke ich mir, denn auch Europa wird sich selber fremd und entdeckt das große, das deutsche Missverständnis, das es zusammenbinden soll. Müßig zu sagen, daß die tschechische Republik sich weigert, dem sogenannten Migrationspakt beizutreten.

Das CEVRO-Institut, eine Privatuniversität, liegt hin zum Wenzelsplatz, dieser gloriosen Aufmarsch-Meile der Oppositionellen seit 1968, einem anderen, einem tatsächlichen lebensgefährlichen Aufstand gegen den realen Totalitarismus. An der Südspitze heute der Schwarzmarkt für Crystal-Meth, über das Moystin und Wendt angeregt palavern; Wendt verfasste gerade ein glänzendes Reportage-Buch über die Droge.

Rund 200 Besucher haben sich im Instituts-Foyer versammelt, für einen Wochentag erstaunlich. Eine ältere Dame möchte mein Buch Das katholisches Abenteuer signiert haben. Ich bin weltberühmt in Prag! Geleitet wird der Abend von Alexandr Vondra, Ex-Minister, Kampfgefährte Václav Havels, der sich allerdings, als überzeugter Martwirtschaftler, später linke Flausen verbot.

Was ist Konservatismus heute?

Podiumsteilnehmer Martin Kastler, der ein paar Jahre lang für die CSU im Europa-Parlament saß, empfiehlt Bayern als Vorbild. Alexander Wendt, Focus, nimmt die Formel Erneuern, wo nötig – bewahren, wo möglich. Und ich beschwöre die Dreieinigkeit von Familie, Nation und Glaube als – mittlerweile bedenklich gelockerte – Halterungen in einer rasenden Moderne.

Natürlich bringe ich den Hinweis an, daß ich über alle drei Begriffe Bestseller geschrieben habe, nicht ohne Grund. »Alle Bücher, besonders aber das über Patriotismus, waren noch vor ein paar Jahren von den Feuilletons gefeiert worden; heute gälten sie bei uns als nationalistisch, also als gefährliche Bückware.«

Das klingt wehleidiger, als es gemeint ist – es soll eine Veränderung der Stimmungslage in deutschen Breiten umreißen. Im Parkett ist man über deutsche Angelegenheiten wie etwa die Chemnitz-Hysterie und die Wahlsiege der Grünen bestens informiert.

Der Abends könnte deshalb auch lauten: Was ist los mit den verrückten Deutschen und ihrer offenbar immer noch leidlich beliebten Kanzlerin, die die politischen Koordinaten in einen linken Utopismus verschob?

Im Publikum Studenten, Professoren, ältere Leute, Medienvertreter, besorgte Gesichter. Wie ist es zu diesem Linksruck gekommen? Eine Antwort wäre: die deutsche Kanzlerin hat, zur Überraschung vieler, das Elitenprojekt der Linken einfach von oben vollendet. Die Umerziehung durch die 68er ist Staatsräson geworden.

Bange Frage: »Was kann man tun, wo wird das enden?« Der Untergang des Abendlandes steht hier in Prag als große Sorge in den Gesichtern unten im Parkett. Ratlosigkeit, Kopfschütteln, Ärger über die deutsche, ja ausgerechnet deutsche Anmaßung. Die Dame, die sich das Buch signieren ließ, könnte die deutsche Besatzung noch erlebt haben.

»Wir müssen von den Linken lernen«, meint CSU-Kastler, »den Marsch durch die Institutionen beginnen.« »Vielleicht ein bisschen spät dafür!«, meine ich. Kastler lächelt.

Allerdings wird immer deutlicher, führe ich aus, daß Deutschland einen Sonderweg geht, denn die Umerziehung ist bereits ein Elitenprojekt, seit die Stoiker in der hellenistischen Dekadenzphase zu Königsberatern aufstiegen.

Mit Trumps anti-elitärem Triumph in den USA, mit der Haltung der Visegrad-Staaten in der Frage der muslimischen Invasion, mit dem Sieg der Vox-Bewegung in Spanien, den Straßenkämpfen der Gelbwesten in Frankreich, der italienischen Salvini-Regierung, dem Abschied Großbritanniens aus der EU, steht die deutsche Kanzlerin doch reichlich isoliert in der Landschaft.

Allerdings: der Kampf verschärft sich in deutschen Breiten. »Bei euch wird alles, was nach Kritik an der Kanzlerin aussieht, gleich als Nazi bezeichnet«.

Die Diskussion wird simultanübersetzt, Nazi versteht man auch ohne Kopfhörer.

Tatsächlich kämpft die deutsche Regierung mit harten Bandagen gegen Dissidenten. Nun wurde in der Wochenzeitschrift Tichys Einblick die wahre Geschichte des ominösen Amateur-Videos der Antifa von Chemnitz enthüllt, das die Nachrichtensendungen und Pressekonferenzen tagelang beherrschte und zur Entlassung des Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen führte.

Der Artikel bewies, daß die friedlich demonstrierende Dame, die es aufnahm, anders als gemeldet keineswegs rechte Hetzjagden dokumentierte, sondern den Angriff von zwei Geflüchteten auf sie und ihren Mann. Ja, das Video bestärkte die Version Maaßens, der den Mut hatte, der Kanzlerin, die über »rechte Hetzjagden« delirierte, zu widersprechen und deshalb in den Ruhestand versetzt wurde.

Bis heute kein Wort der Entschuldigung.

Auch in der in der deutschen Presse herrschte gespenstische Stille auf die Enthüllung. Keiner reagierte auf den Scoup. Einvernehmliches Schweigen.

Proteste seitens der deutschen Presse blieben ebenfalls aus, auch gegen jenen Passus in dem von Merkel mitausgehandelten globalen Migrationspakt, der wirtschaftliche Sanktionen für seine Kritiker androht.

Ich würde sagen: Ein Angriff auf die Meinungsfreiheit, der bei uns wie selbstverständlich hingenommen wurde. Gespenstisch. Doch die Kanzlerin will diesen deutschen Sonderweg weitergehen, denn, so sagt sie, »es geht darum, den Planeten zu retten«.

»Schwingt da nicht auch eine Art Schuldreflex der Deutschen mit«, will ein Herr im gelben Anorak gegen Ende dieses etwa 2-stündigen Gestochers im deutschen Polit-Nebel wissen? »Zweifellos«, da sind sich alle einig, die unten und die auf dem Podium.

Da bittet mich Alexandra, ein Zitat vorzulesen, das sie in meinem letzten Buch entdeckt hat und das die ganze Malaise womöglich illustriert.

Es stammt von Franz Werfel, einem Prager Schriftsteller. Werfel schrieb in seinem nachgelassenen dystopischen Roman Stern der Ungeborenen, den er 1945 kurz nach Kriegsende, zwei Tage vor seinem Tod fertigstellte:

»Zwischen Weltkrieg II und Weltkrieg III drängten sich die Deutschen an die Spitze der Humanität und Allgüte. Und sie nahmen das, was sie unter Humanität und Güte verstanden, äußerst ernst. Sie hatten doch seit Jahrhunderten danach gelechzt, beliebt zu sein. Und Humanität schien ihnen jetzt der bessere Weg zu diesem Ziel. Sie fanden diesen Weg sogar weit bequemer als Heroismus und Rassenwahn

Ich lese langsam, damit die Dolmetscherin mitkommt. Atemlose Stille. Der deutsche moralische Imperialismus. Die Kanzlerin meinte jetzt in Marrakesch, es gehe ihr darum, »den Planeten zu retten«. Der Einsatz hat sich erhöht. Schon Kohl wollte Europa, aber erst Merkel die ganze Welt.

Schließlich Schlussbeifall nach dem Motto: Wir Prager waren schon immer hellsichtiger.

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Danach Besuch einer der wunderbaren böhmischen Kneipen. CSU-Kastler lacht. »Das wird unserm Außenminister Heiko Maas nicht gefallen, daß er solche Veranstaltungen finanziert«. Schließlich der Weg zurück durch die nächtliche Altstadt.

Nun stoßen die spitzen Türme zur Karlsbrücke wieder in eine dunkle Nacht, die Stadt Kafkas legt ihr Geheimniskleid an, der Weihnachtsrummel ist verstummt, fremd und düster das alles, wie in der absurden und schwarztintigen Welt des Symbolisten Alfred Kubin.

Vor dem nächtlichen Kaufhaus steht ein Riesenkopf. Mondlicht spiegelt sich in dessen Lamellen.

Oder sind es Messerklingen?

Es ist der monumentale Kopf Franz Kafkas. Natürlich kann man seinen Prozess auch als schwarze Phantasmagorie über eine gleichgeschaltete Gesellschaft lesen und ihr Achselzucken über das Ausschalten von Außenseitern.

»Aber an K.s Gurgel legten sich die Hände des einen Herrn, während der andere das Messer ihm tief ins Herz stieß und zweimal dort drehte. Mit brechenden Augen sah noch K., wie die Herren, nahe vor seinem Gesicht, Wange an Wange aneinandergelehnt, die Entscheidung beobachteten. ›Wie ein Hund!‹ sagte er; es war, als sollte die Scham ihn überleben.«

Kafka hat seinen Freunden aus dem Manuskript übrigens unter prustendem Gelächter vorgelesen.

Kafkas Kopf

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