Ralf Rosmiarek: DAS BÖSE – EINE TEUFLISCHE KARRIERE (I)
- vor 3 Tagen
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Warum ist der Mensch böse? Und vielleicht sogar: Warum bin ich es? Das Böse kann mich befallen, verführen, anstecken, aber genauso gut als Neigung und Bereitschaft aus mir wachsen. Was also ist das Böse? Eine Wahnidee ohne reale Entsprechung? Läßt es sich vermessen oder entzieht es sich jeglicher Quantifizierung? Woher die rätselhafte Unschärfe dieses Hauptwortes? Ist das Böse also eine bloße natürliche Tatsache?

„Gewalt als biologische Kraft zu erkennen, das ist wahrer Materialismus“, schrieb Umberto Eco in seinem Essay Über Gott und die Welt. Gewalt, dann sich äußernd im Aggressionstrieb als ein Instinkt wie jeder andere, evolutionär sogar lebens- und arterhaltend? Eine Unzulänglichkeit, die dennoch verheerende Wirkung im Gepäck hat, also die entsteht, da der Mensch seine Lebensbedingungen zu rasch verändert und dabei im Unübersichtlichen versinkt? Ein Gefühlsstau daraus sich bildend, der die Aggression befeuert? Die Anpassungsfähigkeit der Instinkte hielt mit den Veränderungen nicht Schritt. Komplexität als Überforderung. Oder ist es doch eine unheimliche transzendente Kraft – die „ganze Welt steht unter der Macht des Bösen“ (1. Joh. 5,19)? Der Teufel eben, als das personifizierte Böse?
Stammelndes Nachdenken sodann als Ursachenforschung. Die Fragen der Alten korrelieren in gehaltvoller Weise mit den Fragen der Modernen. Im Raum steht freilich der Verdacht, es könnten antwortlose Fragen sein. Vielleicht darum das unaufhörliche, hilflose aber offensichtlich völlig nutzlose Anflehen Gottes: „Erlöse uns von dem Bösen!“? Hat der Mensch zu leichtsinnig „Abschied vom Teufel“ genommen, weil er meint, alle Phänomene seien geklärt, wenn man statt „Teufel“ nun das „Böse“ sagt?
Der Duft von Schwefel
Immerhin stößt man zur Stunde noch manche Verwünschungen aus: „Geh zum Teufel!“; „Hol dich der Teufel!“; „Mögen sie zur Hölle fahren!“. Das seien „dunkle Schatten“ die da auf der Seele lasten und rumoren, Verdrängtes, Nichtgelebtes, Unerfülltes tief im Unbewußten eingegraben, wird moderne Psychologie erkenntnisbringend rufen. Franz Kafka schon zeigte sich nachdenklich und notierte ins Tagebuch: „Psychologie ist Lesen einer Spiegelschrift, also mühevoll, und was das immer stimmende Resultat betrifft, ergebnisreich, aber wirklich geschehen ist nichts … Zum letzte Mal Psychologie!“ Zugegeben: Drache, Kröte, Schlange erscheinen uns zu possierlich, um ernsthaft zu schrecken. Sind also die teuflischen Erscheinungsformen uns nachgerade lächerlich und peinlich geworden, obwohl es doch gerade in Deutschland so gewaltig wieder nach Schwefel stinkt?
Schwefel ist das Parfüm des Teufels, sein Erkennungszeichen, Hörner und Schwanz indes hält er verborgen. Nicht umsonst ist er ein Verwandler. Die widerliche Fratze wäre wohl sein eigenes Abschreckungsmittel geworden. Der evangelische Theologe Rudolf Bultmann stellte angesichts der Entrümpelung biblischer Schriften jedenfalls launig fest: „Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben“. Auch die Schriftstellerin Ludmila Ulitzkaja ist sich sicher: „Die These von der infernalen Natur des Bösen hat ausgedient, der Mensch schafft das Böse aus eigener Kraft – und er übertrifft den Teufel darin“. Dem mag man beistimmen, doch könnten diese Implikationen zu kurz greifen? Mit der Philosophin Ricarda Huch ließe sich nämlich vermuten, der Teufel sei geradezu ein „Urphänomen“ der Menschheit. Aus welcher Urerfahrung des Unheimlichen er entstanden ist, mag dahingestellt bleiben.
Eine beeindruckende historische Karriere hat er jedenfalls aufzuweisen. Beständigkeit und Gewicht sind Anwachsungen an solche Urphänomene, das Abschütteln gelingt nur schwer. Lange Zeit besaßen die biblischen Texte wörtliche Autorität, sowohl für Juden, Christen wie Muslime, galt und gilt teils noch immer uneingeschränkt: „Das von Gott Geoffenbarte, das in der Heiligen Schrift enthalten ist und vorliegt, ist unter dem Anhauch des Heiligen Geistes aufgezeichnet worden […] die Bücher des Alten wie des Neuen Testamentes in ihrer Ganzheit [gelten] mit allen ihren Teilen als heilig und kanonisch“. Die göttliche Eingebung ist die Grundlage ihrer Autorität. Bultmanns Annahme, daß sich der „Geister- und Dämonenglaube“ durch „die Kenntnisse der Kräfte und Gesetze der Natur“ doch „erledigt“ habe, ist offensichtlich fragwürdig. Die Pflege geliebter Illusionen dauert an. Wir sind allesamt fest in gemeinsamen Geschichten, kollektiven Mythen verstrickt: der Mensch – das Glaubenstier.
Unheilvolle Gespräche
Zumindest klar erscheint: Der Teufel herrscht lange schon – hier in Europa – und hat seine Hände nun wirklich überall im Spiele: Krieg, Seuchen, Politik, Krankheit, Verschwörung sind seine Tummelplätze und Lieblingsorte für eben teuflisches Vergnügen. Wer übernatürliche, numinose Mächte zur Realität erklärt, dem sind eben letztlich auch natürliche Übel (Krankheiten, Naturkatastrophen) „Manifestationen des Bösen“. Allein der Tod ist nicht mehr gänzlich teuflische Domäne, jedenfalls der natürliche. Die biologische Wissenschaft entlastete den Teufel hier recht unerwartet und schob die Schuld am Tod den Geschlechtern zu. Die Natur bedurfte einer wirkungsvollen Begrenzung, denn die durch Zellteilung ermöglichte ständige Reproduktion millionenfach neuen Lebens hätte die Ressourcen der Welt allzu schnell verbraucht und die Erde damit sprichwörtlich zum Teufel gehen lassen. Der für das Geschlecht, für das Mann- und Frau-Sein, gezahlte Preis war und bleibt die Sterblichkeit. Das wußte nach gnostischer Anschauung auch der apokryphe Jesus, denn auf die Frage der Salome: „Wie lange wird der Tod herrschen“?, antwortet er unwirsch: „So lange, als ihr Weiber gebärt!“
Teufelswerk könnte allerdings die Inbeschlagnahme der Sexualität durch die Religion sein, denn die Sexualität gilt dieser noch immer als Wurzel des menschlichen Übels. Sexualität als teuflischer Spaß! Dann aber hätte Gott den Menschen erschaffen, ihn zu betrügen und zu quälen, ihn dem Teufel überlassen. (Lacht Mephisto schon wieder im Hintergrund?) Es ist nämlich nicht ausgemacht, wann der Teufel oder Satan (hebräisch) überhaupt am Weltgeschehen teilnimmt. Das unheilvolle Gespräch von Eva und der Schlange in der Genesisgeschichte war noch teufelsfrei.
Sprechende Tiere verwunderten in mythischer Zeit niemanden, und noch in den Märchen sprechen Tiere ganz selbstverständlich. Satan wurde später erst zum Akteur, so in der in griechischer Handschrift vorliegenden apokryphen Apokalypse des Mose, auch als das Leben Adams und Evas benannt. Satan sollte den Menschen Adam als Gottes Ebenbild anbeten. Satan verweigert sich. „Auf, wohlan, wir wollen es dahin bringen, daß er [Adam] wegen seines Weibes aus dem Paradiese getrieben werde, wie auch wir seinetwegen vertrieben worden sind“ (§ 16). Zur Schlange spricht der Teufel: „Fürchte dich nicht! Werde nur mein Gefäß, so will ich durch deinen Mund ein Wort reden“. Auch im Koran, der wohl den jüdischen Text zur Grundlage hat, verweigert sich der Engel Iblis der Anbetung des Adam. „Und niederfielen alle die Engel insgesamt, außer Iblis; der wollte nicht niederfallen […] Nimmer werde ich niederfallen vor einem Menschen, den du aus trocknem Lehm erschufst, aus geformten Schlamm“ (Sure 30ff.). Aus Stolz verweigern sich Satan wie Iblis, der bekennt: „Ich bin besser als er. Du hast mich aus Feuer erschaffen“ (Sure 7,11).
Nicht jedem mißfiel später offensichtlich auch das Treiben der Schlange. Wurde der Mensch durch die Schlange wirklich um das Paradies betrogen, fragte die gnostische Bruderschaft der Ophiten (óphis = ‚Schlange‘). Ist die Wahrheit nicht gar mit der Schlange? Wurden Adam und Eva nicht durch sie zu Erkennenden? Forderte nicht sogar Jesus: „Darum seid klug wie die Schlangen“ (Matth. 10,16)? Häresie wird die Kirche sodann rufen! Mephisto aber lacht …
Zu fragen bliebe nämlich danach, wozu wurden Engel überhaupt geschaffen und mit triebhaftem Wollen und menschlichen Gefühlen ausgestattet? Nur durch diese vermag man den himmlischen Skandal und Satans spektakuläres Verhalten zu erklären. Es sei denn, Gott hätte gewollt, daß Satan so handelte, wie er handelte – und ihn mit Bedacht in die Hölle relegiert, von dort her sein Unwesen zu treiben. Bevor der Mensch also existierte, bevor er sündigen konnte, war alle Verantwortung für das teuflische Treiben bei Gott und ebenso alle Voraussetzung für das Böse im Himmel, im Paradiesgarten und auf der Erde.
Über den Autor: Ralf Rosmiarek, geb. 1962, Studium der Theologie, seit 1989 als Angestellter in Erfurt tätig. Mitbegründer und -organisator des Klassik-, Kunst- und Literaturfestes „Sommerklang“ (Oberbösa), Beiträge u. a. in Aufklärung & Kritik, Nietzsche-Studien, Humanistischer Pressedienst, Makroskop, TUMULT und manova News (vormals Rubikon).
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