Ralf Rosmiarek: DAS LEBEN, DER TOD UND DIE MUSIK
- vor 18 Stunden
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Unentrinnbarkeit. Tiefes Erschrecken zugleich: „Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Leben! Wie ein Nebel bald entstehet und auch wieder bald vergehet, so ist unser Leben, sehet!“ Mit dem Anfang des Lebens, noch vor dem ersten Schrei, beginnt sogleich das „Vorlaufen in den Tod“ (Martin Heidegger). Wer „Leben“ sagt, der sagt auch „Tod“, sagt es notwendig mit. Bis in die Neuzeit, geprägt auf vielen Uhren, wurde der Mensch durch die antiken Römer erinnert: Mors certa, hora incerta. Gewißlich also der Tod, fraglich allein bleibt die Stunde seines Kommens. „Tod, wo ist dein Stachel“ konnte und kann nur der fragen oder gar singen, der den Erlöser oder die Gottheit vor Augen hat, bei denen mag darob ein Lachen sein. Der Mensch aber ist terminiertes Sein, er bleibt ein Provisorium. Zudem ist da ein schauriger Verdacht: der Mensch als Fehlgeburt. Bald wird es ihm um die Ohren geschlagen, immer neu muß er hören, er sei doch nur ein Sünder, der Tod aber, „der Sünde Sold“. Sogar melodisch wird ihm eingebrannt: „Durch Adams Fall ist ganz verderbt menschlich Natur und Wesen“. Als die alten Erzählungen nicht mehr gänzlich überzeugen wollen, nennt man diesen alten Adam das „noch nicht festgestellte Tier“ (Friedrich Nietzsche), nennt ihn das „Mängelwesen“ (Arnold Gehlen) oder tief kränkend einen „Irrläufer der Evolution“ (Arthur Koestler).
Freilich, die sich gleichsam aufdrängende Frage – nach dem Ob und Warum der Geburt überhaupt – wird nicht gestellt. Der Mensch von Anfang auch ein Künstler des Verdrängens. Da ist schließlich die Schöpfungserzählung mit dem: „Und siehe, es war sehr gut“! Leben hat fortan als Geschenk zu gelten: Gottesgeschenk zuvörderst, Elterngeschenk sodann. „Jauchzet, frohlocket“! Mithin gilt: die Welt ist „Licht“ – „Wohl denen, die da wandeln“. Dankbares und Dankbarkeit einforderndes Lebensgefühl. Nur Hiob wagt deutlichen Einspruch: „Alsdann öffnete Hiob seinen Mund und verfluchte den Tag seiner Geburt [… ] Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, und die Nacht, da man sprach: Ein Knabe kam zur Welt! […] Weil sie meiner Mutter Leibespforte nicht verschloß und so das Leid verborgen hätte meinen Augen […] Warum denn ließest du mich aus dem Mutterschoß kommen? […] Wie nie gewesen, so wäre ich dann“. Hiob wagt sogar den Gegenruf: „Jener Tag, er werde Finsternis!“.

Wäre es nicht somit ratsam, auch die Frage nach dem „Geschenk des Lebens“ zu stellen? Bedeutet doch die Geburt eben den Anfang vom Ende, welches der Tod ist. Vielmehr dann aber lieber die „wunderlich ungeheure Frage, die das Wort ‚Tod‘ aufwirft“ (Friedrich Nietzsche). Das höchste Gut, das Sein, sollte der Befragung entzogen bleiben. Fraglich war und bleibt allein das Sterben und der Tod, der Verfall, der Raub des Lebensgeschenkes. Doch der Tod ist eben „wunderlich“, nochmals Hiob: „Warum schenkt Er dem Elenden das Licht und Leben den mit Bitternis Erfüllten, denen, die des Todes harren, doch umsonst“. Dazu die nüchterne Feststellung, die aber zugleich nie frei der Verwunderung ist: „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“.
Daseinsverwunderung
Dem Trauergefühl, dem Zorn über den Verlust, galt es, sich trotzig entgegenzustemmen. Tränenreich sollte nur werden dürfen, wer Zerknirschung empfand über seine Verfehlungen: „O Mensch, bewein dein Sünde groß“. Heftige Trauer war gläubiger Orthodoxie verpönt. „Dem Tod keine Herrschaft über seine Gedanken einräumen“ lassen, wird dem Gläubigen immerfort gepredigt, „[d]er Tod ist eine große Macht“. In der Moderne greift diesen rigorosen Gedanken Thomas Mann in seinem Roman Zauberberg erneut auf, um ihn sogleich auch wieder vergessen zu machen. Die einstige große Erzählung machte jedenfalls deutlich: Da ist doch schließlich die befreiende, die freudige Botschaft, das Evangelium. Der Tod ist die „schöne Pforte“ zum eigentlichen Leben: „Tut mir auf die schöne Pforte, führt in Gottes Haus mich ein“, wird der Gläubige bitten. Freilich erscheint solches Flehen manchem als Egozentrismus in reinster Form. Der Unsterblichkeitswunsch des Menschen, eine pure Anmaßung. Denn ist das irdische Leben nicht schon trivial genug, sowohl für den einzelnen, als auch für viele andere? Die ewige Befüllung des Kühlschrankes als Lebenssinn? Schöpfungsmythos versus Erlösungsmythos. Bald auch der Versuch von Anti-Biologie: „Ich freue mich auf meinen Tod“, bekennt mit Inbrunst der barocke Christ. Johann Sebastian Bach gibt dieser Zumutung in seiner Kantate „Ich habe genug“ (BWV 82) unvergleichlich musikalischen Ausdruck.
Wie anders als eine Zumutung sollte der moderne, zumeist säkulare Mensch solch Ansinnen auch empfinden? Von Kindesbeinen an wehrt sich der Mensch gegen den Tod. Unmöglich aber scheint es, „dem Tod keine Herrschaft über seine Gedanken ein[zu]räumen“. Der Mensch bleibt der „Warum-Frager“ (Heidegger), bleibt stetig das „fragende Tier“ (Fritz Mauthner). Der Stachel des Todes ist in den genetischen Code eingefräst, auch wenn das biologische Programm das Sein, das Lebe! befiehlt. Tod und Schmerz bleiben darum der immerwährende Impuls des menschlichen Fragens, sind der Grund der Grundfrage: Hat das Dasein überhaupt einen Sinn? In der griechischen Tragödie begegnet die „Verwunderung über das Dasein“ und diese Verwunderung wird den Menschen bis in unsere Tage nicht mehr verlassen. So wird der Mensch der „ewige Protestant gegen die bloße Wirklichkeit“, wird gar zum „Neinsagenkönner“ (Max Scheler). „Unheimlich“, nackt, „ist das menschliche Sein und immer noch ohne Sinn“. Mit den alten Griechen fragt der Mensch noch immer: „Wozu lebt dieser? Wozu stirbt jener? Niemand kann es wissen, denn es giebt kein Wozu darin“. Wozu also der „Mensch überhaupt“? Eine „Frage ohne Antwort“. Unablässig dröhnt „der Schrei der Frage wozu leiden“ (Nietzsche). Antwortlosigkeit. Das Leben aber schreit nach Antworten, ihm bleibt die Flucht in die Welt der Fiktion.
Will der Mensch leben, so hat er keine Wahl, als von Fiktion und Utopie zu leben. Es ist an ihm zu tun, als ob die von den Sinnen wahrgenommene Welt, die absolute Wirklichkeit darstellte. Es ist an ihm zu tun, als ob der Mensch einen freien Willen besäße, der ihn für seine Handlungen verantwortlich macht. Es ist an ihm zu tun, als ob es einen Gott gäbe, der Tugendhaftigkeit belohnt und das ewige Leben gewährt – „Dir, dir, Jehova, will ich singen, denn wo ist doch ein solcher Gott wie du? … Wohl mir, daß ich dies Zeugnis habe“. Und so muß auch der einzelne Mensch so leben, als sei er nicht vom Anfang schon zum Tode verurteilt, muß die Menschheit die Zukunft planen, als seien ihre Tage nicht längst gezählt. Nur mittels dieses „Als ob“, dieser Krücke der Fiktion, vermochte menschlicher Geist und menschliche Phantasie einen bewohnbaren Planeten zu schaffen. Was heißt aber schon bewohnbar? Denn ist nicht der nachhaltigste Klang auf Erden, der von Kriegstrommeln und der von Kriegserzählungen? Ersann der Mensch trotz der „sehr guten“ Schöpfung nicht in endloser Zahl Stammeskriege, Religionskriege, Bürgerkriege, dynastische Kriege, Kolonialkriege. Sind da nicht nationale und revolutionäre Kriege, Eroberungs- und Befreiungskriege? Es scheint, der Mensch ist gefangen in einer Kette zwanghafter Wiederholung.
Nur nebenbei ist zu fragen, ob es Gründe geben könnte zu der Annahme, daß diese Kette sich nicht ad infinitum fortsetzen wird? Findet sich in der Todesfurcht vielleicht der Ursprung für den menschlichen Herdentrieb, zugleich für die Existenz von Diskriminierung, (Fremden-)Hass, Feindschaft und Opportunismus, und damit der Beleg für das relativ konstante Vorkommen dieser Phänomene? Mit dem Krieg verbunden ist unauflöslich der Mythos einer wie auch immer gearteten Erlösung, die ungeheure Sehnsucht, als ob es nach dem Siege endlich besser werden könnte. Auch gegen die Sünde, den Sünder ist dauerhafter Krieg zu führen: „Ach wundergroßer Siegesheld“. Der Mensch lebt in Gemeinschaft(en), ist ein „Herdentier“ und schafft sich damit ein ausgeprägtes Gruppenbewußtsein. Solches Bewußtsein verschafft dem Individuum Sicherheit, gegen die „Quaal in der Realität“ (Nietzsche). Schon die Eltern vermögen dem Menschenjungen tröstliche Sicherheit und wärmende Wohligkeit zu geben. Das Menschenjunge, dieses „schreiende Zeugniß einer ganzen Welt voll Elend“ (Arthur Schopenhauer), ist für lange Zeit besonders hilflos und verletzlich. Sein „Grundvertrauen“ zur Welt entsteht innerhalb der ersten Jahre durch Nähe zu Bezugspersonen. Fehlen diese, bildet sich das Gefühl der Angst. Der Entzug von Zuneigung und Wärme als Strafe für falsches Verhalten prägt gleichermaßen das Kind zutiefst, das freut insbesondere auch die religiöse Erzählung. Gehirnwäsche beginnt mit der Wiege.
Die gegenwärtige Psychologie verweist darauf, im Alter von drei Jahren beginne die Todesfurcht – „die düstere Magd der Selbstwahrnehmung” (Sheldon Solomon, Jeff Greenberg, Tom Pyszczynski) – sich im Leben des Kindes auszubilden. Nachtangst und Albträume treten hervor. Fünf- bis Neunjährige halten indes den Tod für vermeidbar, wenn sie sich nicht von ihm erwischen lassen. „Elfjährige reagieren auf Impulse, die ihnen ihre eigene Sterblichkeit bewusst machen, bereits wie Erwachsene. Sobald sie realisiert haben, dass der Tod unausweichlich und unumkehrbar ist, schwören sie sich auf ihre Kultur ein und verhalten sich deren Werten gegenüber loyal.“ Doch im Laufe des Heranwachsens verlieren sich die anfänglichen Gewißheiten, nicht länger taugen die Eltern „als Primärquelle ihres psychischen Gleichgewichts … Gottheiten, gesellschaftliche Autoritäten und Institutionen scheinen ab diesem Punkt stabiler und beständiger.“
Wo soll ich fliehen hin?
Die Erkenntnis der Sterblichkeit ließ Raum für eine tiefe Sehnsucht, schuf das Bedürfnis nach Unsterblichkeit. „Wo soll ich fliehen hin, weil ich beschweret bin … Wo kann ich Rettung finden? Wenn alle Welt herkäme, mein Angst sie nicht wegnähme“. Eine Menschheit ohne Gott oder Götter ist schwerlich kaum vorstellbar. Die Spezies Mensch mit dem Bewußtsein der Endlichkeit mußte zwangsläufig gläubig werden, um existieren zu können. Anpassung wird der Evolutionsbiologe den Prozeß nennen. Wer mit der Todesfurcht am besten zurande kam, konnte seine Gene am besten reproduzieren. Am Anfang war alles Religion. Mit der Religion kam die Musik, denn die Musik ist die Sprache der Transzendenz. Unsägliches Gefühl übersetzt sich in intimste Resonanzen. Musik ist ein ganz eigenes Universum, wirklich und gleichsam ungreifbar und flüchtig. So beginnt Mensch auch zu singen. Musik als „Lebenstraining“ (Thomas Bernhard). Der Anfang seines Gesanges, seiner Musik liegt jedoch im Dunkeln, wer hier nachspüren wollte, der bedürfte der Dokumentation. Ohne Notenschrift und in Ermangelung technischer Möglichkeiten der Aufzeichnung gab es keine Überlieferung von Musik. Musik und Vergänglichkeit.
Das große „Als ob“ wird in der Musik geradezu absolut. Nach dem Verklingen des Tones das Eintreten der Stille. Dennoch ist der musikalische Zustand keine Täuschung. Die Empfindung des Entschwindens, der Fluidität sind Schwingungen einer Verzauberung. Musik erinnert den Menschen immer auch an die eigene Sterblichkeit. Zu Beginn des 7. Jahrhunderts notierte Bischof Isidor von Sevilla: „Wenn sie nämlich nicht von den Menschen im Gedächtnis behalten werden, vergehen die Töne, weil sie sich ja nicht aufschreiben lassen.“ Es bleibt somit nur eine Ahnung davon, daß Musik immer war. Spuren finden sich etwa im Hohelied des Salomo, und eben die Ahnung des Verlustes einer ganzen Welt von Rhythmen, Melodien und Klängen. In 800 Versen wird in der Bibel auf Musik verwiesen, 146 Verse benennen die jeweiligen Instrumente. Doch die ins Deutsche übertragenen Begriffe wie „Harfe“, „Leier“, „Trompete“, „Pauken“ zeitigen bestenfalls Mißverständnisse; Bauart, Klang, Spielweise sind unbekannt. Immer aber war klar, die Musik hat ungezwungen aus der Tiefe der Seele zu strömen.
Es scheint, unsere Musikkultur feiert ihre Geburt erst im Mittelalter. Bedeutsam wird der gregorianische Choral, der wiederum sich dem Profanen sofort entzieht. Ein Publikum ist bei dieser Musik nicht vorgesehen, der Adressat allein ist Gott. Doch der einstimmige Gesang verlor rasch an Bedeutung, der meditative Gesang war Ort der Klöster. Für den gemeinschaftlichen Gottesdienst war der gregorianische Choral kaum einsetzbar. Das geistliche Volkslied dämmerte herauf. Kraftvoll schmetterte man Martin Luthers „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ und „Nun freut euch, lieben Christen gmein, und laßt uns fröhlich springen“. Also wurde gesungen und gesprungen in den Häusern und Werkstätten, auf Märkten, in Gassen, auf den Feldern, nicht zuletzt in den Horten der Rebellion, den Wirtshäusern und Spelunken. Luther wollte es jedoch erhabener, er bekannte: „Ich gebe nach der Theologie der Musik die nächste Stelle und die höchste Ehre“. Doch sogleich bekam die Musik schwere Bürde auferlegt, denn auch dieser Deutsche wollte retten und die Menschheit durch Musik zum Himmel und damit zur Erlösung führen: „Himmelan geht unsre Bahn, wir sind Gäste nur auf Erden“. Mit dem Pietismus wußte man sodann: „wer singet, der bezeuget damit, daß sein Gottesdienst aus einem fröhlichen, willigen, lustigen Herzen gehe … Wer singend betet, der betet zweimal, denn er betet mit Lust“. Die Musik erzeugt eben Klänge, die aus einer anderen Welt scheinen, sie vermag, „das träge Gemüt“ zu ermuntern und „das kalte Herz“ zu entflammen, meinte der Rostocker Prediger und Schriftsteller von Erbauungsliteratur, Heinrich Müller. „Ach, laß die Welt mit ihrem Dreck fahren!“, wird er rufen, nur die Musik vermag zu transzendieren. Bei Johann Sebastian Bach schreit die geschundene und gequälte Menschenseele dann unmittelbar, markerschütternd auf. Der Großmeister kontrapunktischer Ordnung entäußert sich in wildestem, ungehemmtem Gefühlsausbruch: „Sind Blitze, sind Donner in Wolken verschwunden? / Eröffne den feurigen Abgrund, o Hölle; / Zertrümmre, verderbe, verschlinge, zerschelle“ (Matthäuspassion, BWV 244).
„Der Tod übte stets eine außerordentliche Faszination auf ihn aus, und viele seiner schönsten Kompositionen wurden durch Gedanken über den Tod angeregt“, schrieb der englische Komponist Hubert Charles Parry. Es mag freilich eine schaurige, tieftraurige Faszination gewesen sein oder eher doch der „empfindliche Schmerz“. Das Kindersterben im Hause Bach konnte kaum spurlos vorübergehen. Ergreifendste Melodien wird Bach ersinnen zu Texten, die den Tod betrachten: „Komm, sanfter Tod, und führ mich fort“ (BWV 157) – „Liebster Gott, wann werd ich sterben“ (BWV 8) – „Letzte Stunde, brich herein“ (BWV 31). Einer abgrundtiefen Todessehnsucht verleiht er unsterblichen Ausdruck in der Vertonung des Textes: „Ach, schlage doch bald, selge Stunde, / Den allerletzten Glockenschlag! / Komm, komm, ich reiche dir die Hände, / Komm, mache meiner Not ein Ende, / Du längst erseufzter Sterbenstag!“ (BWV 95). Der unbefriedigt quengelnden Metaphysik, der kindlichen Warum-Fragerei bereitet Bach ein virtuoses wie grandioses, fast dogmatisches Ende: „Ich habe genug“ (BWV 82) – „Schlummert ein, ihr matten Augen, Fallet sanft und selig zu! /Welt, ich bleibe nicht mehr hier, / Hab ich doch kein Teil an dir, / Das der Seele könnte taugen. / Hier muss ich das Elend bauen, / Aber dort, dort werd ich schauen / Süssen Frieden, stille Ruh.“ Der moderne Mensch ist gegenüber solchen Texten häufig hilflos, doch die Musik braucht kein Bekenntnis, sie bindet niemanden. Immer fordert aber die Musik heraus. Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum, wußte Friedrich Nietzsche, denn ist dem Menschen auch fast alles auszutreiben, das Bedürfnis nach dem Absoluten bleibt. „Bach: kosmogonisches Dahinschmachten; Tränenstufen, die unser Gottesverlangen emporklimmt; Gefüge unserer Gebrechlichkeiten; positive – und sublimste – Auflösung unseres Willens; himmlisches Verfallen inmitten unserer Hoffnung; einzige Weise, unterzugehen ohne zu stürzen, zu schwinden ohne zu sterben …“ (Emil Cioran).
Die Todesbewältigung wie sogar die Todessehnsucht schuf sich nicht zuletzt in der Musik eine irgendwie befreiende, tröstliche und sinnstiftende Antwort auf die Frage nach dem Hier und Jetzt, wie dem Danach. Überhaupt Musik – diese Himmelsmacht, die zugleich doch ist „[d]ie Sprache der Engel“. „Die Sprache der Engel? Wo konntest du die Engel sprechen hören? Die Musik […] die Musik ist die Sprache der Engel. Anders ist Musik nicht zu erklären und darum können wir sie auch nicht in Worte fassen. Wir können nur zuhören und uns an ihr erfreuen. Musik – die Sprache der Engel“ (Christoph Hein).
Sodann das Danklied der Erlösten beim Propheten Jesaja: „Der Herr wird den Tod verschlingen ewiglich“ – „O Ewigkeit, du Donnerwort“. Dennoch: Ohne Tod gäbe es weder Metaphysik, noch Religion, noch Kunst. Noch die verzehrendsten Leidenschaften des Menschen wurzeln in seiner Sterblichkeit: „Doch alle Lust will Ewigkeit –,– will tiefe, tiefe Ewigkeit!“ (Nietzsche). — „Du meine Seele singe, wohlauf und singe schön“! Das Kreuz dann einst verschattet unter Rosen: „Nun ist es aus, es ist vollbracht, / Welt, gute Nacht! / Welt, gute Nacht!“
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Über den Autor: Ralf Rosmiarek, geb. 1962, Studium der Theologie, seit 1989 als Angestellter in Erfurt tätig. Mitbegründer und -organisator des Klassik-, Kunst- und Literaturfestes „Sommerklang“ (Oberbösa), Beiträge u. a. in Aufklärung & Kritik, Nietzsche-Studien, Humanistischer Pressedienst, Makroskop, TUMULT und manova News (vormals Rubikon).
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