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Ralf Rosmiarek: DER PIANIST MARTIN STADTFELD — Eine Annäherung




„… jeder Mensch ist ein kleines Universum, und besonders der Kopf, da ist pro Kopf immer ein kleines Universum drinnen“

Wolf Haas



„Ja, sind wir nicht indiskret genug, wenn wir in unseren Interpretationen unser ganzes Fühlen und Denken offenbaren?“

Edwin Fischer




Alles hat eben seine Zeit, so auch gute Radioprogramme. Es gab sie tatsächlich und deshalb so manches zu entdecken. Ein Radioknopf wurde mir zum Auslöser einer Kettenreaktion. Noch dieser Versuch einer Näherung ist Glied dieser Kette. Leben ändert sich. Ich traute meinen Ohren nicht an diesem Nachmittag, im Dezember des Jahres 2003, als ich die Aria der Bachschen Goldberg-Variationen aus den Lautsprechern meines Radiogerätes vernahm. Und dabei war es nicht einmal die gesamte Aria, die ich hörte. Ein Ausschnitt genügte, mich gänzlich zu berühren. Was erklang war zu ungewöhnlich, hatte so gar nichts mit den Aufnahmen gemein, die mir in der Erinnerung geblieben oder der Einspielung, die sich mir im selben Jahr, nur wenige Monate zuvor, ins Gehör drängte. Kein Vergleich taugte. Hier spielte einer, der diese Musik in sich aufgesogen hatte und die nun wieder herausströmte, sich verströmte. Das Spiel: kristallklar, sensibel, poetisch, gesangvoll. Klangerotik. Kafkas Forderung, ein Buch habe zu sein wie eine Axt für das gefrorene Meer in uns, fand hier durch das Medium Musik ihre Einlösung. Mir stand noch kein Name, kein Gesicht, kein weiteres Wissen zur Verfügung. Ich war unvorbereitet auf diese Axt Kafkas, auf dieses einzigartige Erlebnis - auf das Erlebnis und Ereignis Martin Stadtfeld.



Vom Staunen


Vom Staunen ist hier also zu erzählen. Von diesem übermächtigen Gefühl, das wir doch eigentlich einer anderen Zeit zuschlagen. Dieser Rückbesinnung kann ein Blick in lachende Kinderaugen helfen. Dieses Lachen strahlt zurück. Gute, alte Kindertage. Faszinosum der Möglichkeiten. Was für eine Welt, die sich auftat, die erregte, verstörte, bewegte, irritierte, die träumen ließ und zugleich so fragvoll war. Wir staunten. Wir entdeckten augenloses Sehen und erfuhren hörbares Schweigen. Hörendes Hören jedoch begleitete uns von Anfang. Das Land der immateriellen Seele wohnte sich in uns ein. Freilich, diese Begrifflichkeit fehlte noch in jenen Kindertagen wie manch anderes. In Worte konnten wir diese körperlosen Erinnerungen und nicht aufweisbaren Träume damals unmöglich kleiden, können es vielleicht noch immer nicht. Doch wir staunten, konnten dabei das Glück der intimen Entdeckungen kaum fassen. Der Mund blieb mehr als einmal nur offen und die Augen wurden größer und glänzten. Glücksmomente also. Wir eröffneten uns einen Schauplatz heimlicher Selbstreflexion, einen Schauplatz des Mit-sich-Ringens und Mit-sich-zu-Rate-Gehens, erlebten diese Schaubühne als munteren Tummelplatz der Wünsche und Erkundungen, der Ängste und Enttäuschungen, eroberten sie für unsere aufwallenden und widerstrebenden Gefühle und Empfindungen, für unsere überbordende Phantasie und unsere endlosen Fragen. Was war das auch für eine Lust am Fragen? Bemerkten wir dazu die Ungeduld und Unlust zur Antwort der Erwachsenen, dann konnte ein regelrechtes Fragefeuer aus uns sprudeln („Warum?“ „Darum!“ „Warum?“ „Darum!“ … – „Ach!“).


Mit dem Schalk im Nacken wurde das Fragen (auch) zum Spiel. Wir wurden uns täglich unserer selbst bewußter, bestaunten ein Universum in uns, in dem wir tatsächlich als unumschränkte Potentaten herrschen konnten. Von Verantwortlichkeit(en) wußten wir fast nichts in diesen Tagen. Noch bedeuteten diese Kindertage zu allererst Geborgenheit und Experiment, Sicherheit und Neugier. Etwaige Blessuren ließen sich rasch vergessen, ramponierte Knie oder Ellenbogen zählten nicht, zu unwirklich waren sie angesichts des Ausblicks auf die bevorstehenden Abenteuer. Wie süchtig waren wir nach jedem neuen Tag, der uns in die Natur entließ, an dem Wälder, Wiesen, Seen, Gärten, Höhlen, Tiere, Menschen sich uns zu Vertrauten und Gesellen formten. Wir waren so maßlos empfänglich. Und wenige von uns konnten sich maßlos schon versenken in das Reich der Töne. Ein Experimentieren auch hier, ein wundersames Entdecken eines grandiosen Zaubers. Ein Spiel und ein Spielen wiederum. Das Staunen war der große, treue Begleiter unserer Kindertage, war der große Begleiter in eine menschliche Welt, wenngleich auch dafür der Begriff noch fehlte.



Die Macht der Musik


Nun freilich, wir sind (zumeist) erwachsen geworden, sind angekommen in der Härte des Alltäglichen, des Realen und wie es gegenwärtig scheint, auch im Absurden. Die Leichtigkeit spielerischer Existenz ist weitgehend absentiert, mit ihr auch so mancher Kindertraum. Mehr als zweitausend Jahre lang erklärte man: Es ist gut zu sein. Es ist gut zu schaffen. Prometheus hat uns längst die Hand gereicht und wurde unser Freund. Und so sind wir zu Machern geworden. Fortschritt wird als Heilmittel gepriesen. Finsternis ist existent nur noch an Rändern einer erleuchteten Welt, die Königin der Nacht aus Mozarts Zauberflöte verschwindet in den Untiefen und Sarastro singt – was sollte er auch anderes singen: Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht. Lichtmetaphern überall. Wer anders fragt und wem dieses Licht doch keine Erleuchtung ist, wem Existenzfragen und Ausweglosigkeiten nicht zwangsläufig zum Postament kommender Triumphe werden, der steht schlicht unter Pathologieverdacht. Sigmund Freud nennt krank, wer nach Sinn und Wert des Lebens fragt. Doch wer krank ist, der begibt sich auf die Suche nach Heilung, ist dies nicht möglich, dann bedarf er zumindest des Trostes. Dem verdrängten Wissen um Ausgesetztsein und Gefährdung des Menschen, von denen die alten Schöpfungsmythen berichten, begegnen wir am ehesten noch in der Musik. Die Gegenwart kennt für Gefahren den zerstörerischen Lockdown und vermeint, er ermögliche Leben. Wer aber ein gutes Leben meint, nach dem Philosophen, Maler, Literaten und nicht zuletzt Musiker seit Jahrtausenden suchen, dem hat Goethe im Faust den Rahmen abgesteckt: Vom Himmel durch die Welt zur Hölle. Vielleicht kann beim Abschreiten die Richtung, wenigstens zeitweise, geändert werden. Hier ist jedenfalls die Dimension beschrieben, um die allein es nur gehen kann. Die Macht der Musik kommt aus diesen unendlichen Weiten des angedeuteten Raumes.


Und da kam und kommt nun einer, der diesen Raum durchschreiten und durchmessen will, immer wieder sich der Herausforderung stellend. Er liefert sich damit der unheimlichen Macht der Musik aus, will uns obendrein an ihr teilhaben lassen, nimmt uns mit auf eine Reise und lehrt das Staunen wieder, lehrte mich das Staunen wieder. Martin Stadtfeld hat in der Musik eines Bach und Beethoven, eines Mozart und Schubert, eines Brahms und Schumann, eines Rachmaninow und Prokofjew seinen Erzählgrund gefunden. Und sein Erzählen weist ihn aus als einen, dem eine musikalische Intelligenz eignet, die von überirdischem Adel ist. So wird aus (meinem) Staunen Überwältigung. Eine Überwältigung, die Gefahr läuft, nahtloser Verklärung zu weichen.


Ein Tabubruch wird hier also zwiefach begangen, denn ein Tropfen krittelnder Bitternis, der noch – postpostmodern – in jeder Festrede, Apologie oder einer solchen Annäherung seines Ausflusses harrt, fällt nicht. Es findet sich dazu kein Grund, oft genug wird sich sogenannte Musikkritik daran abarbeiten. Weiters bin ich nicht bereit, die Hypothek des Thomas Bernhardschen Verdikts, daß nichts zu loben sei, – in diesem Falle – zu tragen. Eklatauslösend die Bemerkung seiner Zeit, ob zu Recht oder Unrecht, muß hier nicht entschieden werden. Vielmehr: Hier ist zu loben und nach dem Besonderen, Unverwechselbaren, Einmaligen zu fragen. Staunen und Überwältigung haben ja schließlich ihre guten Gründe. So sei eine erste Näherung versucht an den Klaviergott aus dem Westerwald, wie ein anderer vom Staunen übermannter damals schrieb.


Immer wieder zu lesen: der Shooting-Star am Klassikfirmament; die diesen Ausdruck begleitende Konnotation kann nur dem jeweiligen Kontext entnommen werden. Pejorative Verwendung scheint überwiegend, schon anfänglich schleicht sich der Neid als Motivation zur Kritik ein. Gerne gibt sich jedoch schreibende Zunft objektiver, weiß von der unablässigen Gefahr des Mainstreams, vergißt dabei, daß sie selbst unablässig Kind dieses Mainstreams ist und meint warnen zu müssen vor allzu häufiger optischer Präsenz. Nur Massenware und -meinung werde bedient, so der mahnende Vorwurf. Billige Effekthascherei ist ausgemacht, Verantwortungslosigkeit gegenüber Kunst und Musik betont. Vermeintlich künstlerisches und kritisches Gewissen gibt sich angewidert. Natürlich ist solcher Art Kritik durchaus Gehör zu schenken, was sich da, etwa auf dem Gebiet von Volks- und Popmusik, ausgelöst durch die Musikindustrie ereignet, gleicht einer viralen Epidemie vom Typ Corona. Bekanntermaßen fehlt zu deren Abwehr noch immer ein Gegenmittel. Läßt sich vielleicht nicht auch anders fragen: Kann es nicht ebenso verantwortungsvollen Umgang mit den verschiedensten Medien geben? Warum sollte sich künstlerische Integrität und künstlerischer Ausdruck nicht etwa – im Medium Fernsehen – vermitteln lassen? Ob es doch nur ein Ondit ist, daß es (noch) mutige Redaktionen und Sender gibt? Hier könnte es sich somit überprüfen lassen. Mag letztlich auch nicht jeder Beitrag gelingen und glücklich erscheinen. Warum sollte sich aber im und beim Experimentieren Verantwortlichkeit und absolute Unbedingtheit gegenüber der Kunst ausschließen?



Musik ist Gespräch


Kunst ist zur Sprache zu bringen! Das ist für Martin Stadtfeld durchaus ein kategorischer Imperativ und somit nicht hintergehbarer Anspruch. Und wenn vielfach beklagt wird, daß es der authentischen Musik an Zuhörern, vor allem jungen Zuhörern, ermangele, sollte dann nicht eben auch außerhalb des Konzertsaals nach möglichen Vermittlungsträgern gesucht werden? Martin Stadtfeld ist sich jedenfalls seiner Verantwortung als Künstler sehr bewußt und stellt sich ihr. Sein Engagement im Bereich musikalischer Erziehung, in Schulen wie auf Tonträgern und eben im Fernsehen kann nicht genug herausgestellt werden. Der Künstler im Elfenbeinturm der Klassik ist überflüssig. Für Martin Stadtfeld ist es unverrückbare Gewißheit, daß Menschen die Musik benötigen. Er weiß um die Darstellungsmacht von Musik, weiß um ihre Spiritualität, damit (quasi-)religiöse Dimension und damit um die implizite Verkündigungsmacht. Er weiß um dieses unendliche Gespräch von Tönen, das eintaucht in eine Welt dämonischer Gewalten. Auch im Himmel treiben sinistre Kräfte ihr Unwesen, der Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling munkelt gar etwas vom dunklen Grund der Existenz Gottes. Und dieses hintergründige Wissen ist Garant Stadtfeldscher Identität - des Menschen und des Künstlers. In der Gegenwart leben, bedeutet damit ja nicht, sich vor jeden Karren spannen zu lassen, sich jeder Modeströmung per Kniefall zu unterwerfen. Und erkannte nicht schon Johann Gottfried Seume?: Alles, was man in dieser Zeit für seinen Charakter tun kann, ist, zu dokumentieren, daß man nicht zur Zeit gehört. Ein Kind des Zeitgeistes ist Martin Stadtfeld nicht.


Das Zusammenkommen von Ästhetik und Ethik besaß einen hohen Kurswert in der Romantik. Angesichts des Angekommenseins eines zunehmenden ökonomischen sowie zielführenden Denkens in künstlerischen Belangen, einer unablässigen Jagd nach Quoten und Zahlen zu Auslastung, Käufern, Besuchern usw. durch Plattenindustrie und Sendeanstalten überrascht eine solche kunstintegre Haltung und macht sie ungewöhnlich. Eine Verkehrung also: Das künstlerisch Geforderte wird zur Besonderheit. Ein Preisgeben der Wahrheit eines Werkes ist für Martin Stadtfeld ausgeschlossen. Die nur referierende Wiedergabe eines Stückes, darin ist er sich mit manchem Vorgänger der Musikgeschichte einig, vor allem mit dem großen Musiker Wilhelm Furtwängler, ist ein Irrtum und ein Irrweg. Verblüffend seine Unbekümmertheit von Anfang, sein Eingriff in den Notentext, um Stimmen etwa zu oktavieren und zu verdoppeln. So kann er bezüglich seiner Arbeit an den Goldberg-Variationen sagen: Ob ich das trotz Urtext darf, interessiert mich eigentlich überhaupt nicht. Der Grund ist vor allem meine Spielerei daran, es hat für mich etwas Sinnliches, es anders hörbar zu machen. Mit diesen Veränderungen hoffe ich, bestimmte Stimmen ins Bewußtsein des Hörers zu bringen. Man kann ja eigentlich immer nur eine Stimme hören – wenn man meint, polyphon zu hören, dann springt das Gehör nur von einer zur anderen Stimme. Deswegen denke ich, daß es vielleicht sogar im Sinne von Bach gewesen wäre, so etwas zu machen. Nachschaffen ist immer schöpferisch, ist immer ein neu schaffen auch, ist dabei die unablässige Suche nach dem großen Zusammenhang. Martin Stadtfeld wendet sich vehement gegen jegliche Überbetonung bestimmter Details. Vielmehr beobachtbar wird sein Aufspüren der poetischen Aussagen einer Komposition, seine unbedingte und konzentrierte Aufmerksamkeit, die er der Gestaltung musikalischer Übergänge widmet. Gleich Wilhelm Furtwängler, gleich Edwin Fischer erscheint bei ihm auch die Formulierung der Pausen nie leer, nie als plumpes Absacken, sondern sie gerät zu einem eminenten Höhepunkt dramatischer Anspannung. Seine analytische Durcharbeitung, seine sensible Durchdringung der Werke bilden schlußendlich die Voraussetzungen seiner stupenden Ausdruckskunst.



Die Vernunft der Gefühle


Überdies hat Martin Stadtfeld keine Schwierigkeit mit einem Agens, das romantischem Repertoire entstammt: dem Gefühl. Immer wieder wird betont, das romantische Gefühl sei tot. Die Schuldigen sind längst ausgemacht: Vernunftglaube, Optimismus, Vertrauen auf Fortschritt. Oberflächlichkeit soweit das Auge reicht. Die Erzeugung eines Shitstorms gilt in unseren Tagen als tief empfundener Gefühlsausdruck. Tot aber ist das romantische Gefühl nicht, was uns ihm entfremdet, ist ein anderes Gefühl: Verzweiflung. Wir sind untröstlich. Pathos, Tiefe und Versenkung sind historisch diskreditiert, müssen jedoch ihren Platz neu finden. Beethoven jedenfalls ist nicht zu spielen, als hätte er bei Arnold Schönberg das Handwerk der Komposition erlernt.


Martin Stadtfeld ist kein Übertreibungskünstler im Sinne Thomas Bernhards. Brillantes Virtuosentum, perfektes technisches Vermögen sind Beigaben, sind für ihn wichtige Mittel des Ausdrucks, die gelegentlich durch den Komponisten selbst eingefordert werden, zu denken wäre etwa an den frühen Liszt oder Rachmaninow. Nutzlos sind diese stilistischen Mittel, wenn dabei gefühlsmäßige Entäußerung unterbleibt. Das Gefühl gehört nämlich zur Wahrheit eines Werkes, ist Seele des Werkes gar. Bereits 1753 wähnte sich Carl Philipp Emanuel Bach in seinem Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen, sicher: Ein Musicus kann nicht anders rühren, er sey dann selbst gerührt; so muß er nothwendig sich selbst in alle Affekten setzen können, welche er bey den Zuhörern erregen will. Bei Martin Stadtfeld ist diese Überzeugung zur inneren Gewißheit geworden. Er weiß etwas von der Vernunft der Gefühle, nicht zuletzt kehrt es sich heraus bei der kaum noch erlebbaren und eben bei ihm wunderbar aufscheinenden Kunst des cantabile-Spiels. Und damit einher geht sein famoser Pedalgebrauch. Anton Rubinstein war es, der das Pedal einmal Seele des Klaviers nannte, hört man Martin Stadtfeld, so bedarf das Wort keiner weiteren Erklärung. Vor allem in seinen Konzerten gibt es Augenblicke, die von schier unglaublicher Gefühlsekstase zeugen. Es sind unwiderstehliche Momente, die Zeit, Raum, Instrument und Interpreten vergessen machen, Momente einer unfaßlichen Erschütterung, Momente absoluter Katharsis. Musik gräbt sich hier direkt in die Seele der Zuhörenden. Bereits die Debüt-Aufnahme der Goldberg-Variationen verrät vollendete Meisterschaft, macht eben Staunen möglich. Und es schließt dabei nicht aus, daß Martin Stadtfeld in weiterer Werkauseinandersetzung noch zu anderen Sichtweisen findet, die wiederum überraschend sind, sagt er doch selbst: Ich glaube, daß es eine Lebensarbeit ist, dieser Intention, die ich habe – die ja immer weiter wächst – Ausdruck zu verleihen.



Akkorde steigen gen Himmel …


Die Musik eines Johann Sebastian Bach ist Martin Stadtfelds Heimat. Dieser abgründige Blick in den Bachschen Kosmos ist für ihn Grundlage aller musikalischen Auseinandersetzung. Bach ermöglicht auch die Hinwendung in Gegenwart wie Zukunft. Wer den Boden der Tradition als Fundament benutzt, der ist gewappnet für Entdeckungen und Wiederentdeckungen. Heimat als Voraussetzung. Spiel-Räume eröffnen sich derart, erweisen sich geradezu konstitutiv für Stadtfeldsche Neugier, Offenheit, Weitsicht, Empfindsamkeit und Flexibilität.


Diese Flexibilität ist wirkungsvolles Element auch für seine Lust am Musizieren mit anderen, für die Lust an kammermusikalischer Arbeit, für die Lust an orchestraler Arbeit. Von hier dann wieder die Rückübertragung, die Transformation auf das solistische Vermögen. Eine Bereicherung allemal. Das Zusammenspiel ist ebenso vorteilhaft für die Ausarbeitung der polyphonen Strukturen Bachscher Musik. Die Klarheit der Stimmen herauszuarbeiten ist für den Pianisten nachgerade essentiell. Dazu gesellt sich bei ihm die Fähigkeit, den Strukturen eines Werkes nachzugehen, Motive aufzuspüren, ihnen dann im Spiel Charakter zu verleihen. Er besitzt die Einsicht zur Unterscheidung von Struktur und Charakter und wird so zum Charakterdarsteller der Komposition. Farbgebung und damit spezifische Tongebung, Nuancierung der Stimmungen, vielleicht Franz Schubert abgelauscht, Feinabstimmung eines Akkordes, das machen die weiteren Besonderheiten im Spiel Martin Stadtfelds und machen ihn damit zu einem der ganz großen seiner Profession.


Musik ist für Martin Stadtfeld eine Frage der Existenz, letztlich darin aufgreifend die Frage des Hamlet nach Sein oder Nichtsein. Es gibt keine Sprache, die so alles Elend, allen Schmerz, alles Leiden stillen kann, so tröstet wie die Musik. Die Musik ist der Trost in existentieller Tiefe. Es gibt keine Sprache, die so aller Freude, aller Verzückung, allen Jubels, aller Innigkeit teilhat, so verschenkt wie die Musik. Die Musik ist das Sich-Verlieren in existentieller Tiefe. Musik schenkt Leben.

Das viel mißbrauchte Wort Erlebnis – es wird bei Martin Stadtfeld doch immer zur Tat, zu einer Tat die beschenkt.


Martin Stadtfeld berührt, seine Kunst vermag unsere Welt für den Augenblick, für anhaltende Augenblicke zu verzaubern. Lassen wir uns so anstecken und von ihm einladen, um zu hören. Akkorde steigen gen Himmel …




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