Markus C. Kerber: SIE WERDEN BLEIBEN
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Die unbedachten Äußerungen des deutschen Außenministers bei der Besichtigung eines zerstörten Vorstadtgebietes von Damaskus haben auch in seiner Partei zu Verunsicherung geführt. Seine Behauptung, aufgrund der Zerstörungen in Syrien sei mit einer baldigen Rückkehr der ca. 950.000 Syrer aus Deutschland in ihr Heimatland nicht zu rechnen, erzürnte seine Parteifreunde und veranlasste den Bundeskanzler zu der Feststellung, dass in Syrien kein Bürgerkrieg mehr herrsche und Syrier sunnitischen Glaubens bei ihrer Rückkehr Gefahren für Leib und Leben nicht zu befürchten hätten. Damit und ihm folgend sein scheintreuer Fraktionsvorsitzender Jens Spahn – der heimlich auf das Außenamt schielt – sollte dem Publikum kommuniziert werden, dass die CDU/CSU eine Rückführung der syrischen Flüchtlinge befürworte.

Den entsprechenden politischen Willen unterstellt, ergibt sich die Frage, ob Deutschland zu einer solchen Massenrückführung in einem absehbaren Zeitraum überhaupt die nötige staatliche Autorität und die erforderliche Verwaltungseffizienz besitzt. Zwar hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nach dem Regimewechsel in Syrien bis September 2025 die Entscheidung über Asylanträge von Syrern ausgesetzt, um eine Aktualisierung der Lagebeurteilung von Syrien zu ermöglichen. Seit September dieses Jahres wird indessen wieder Fall für Fall auf der Basis einer Lageeinschätzung durch das Auswärtige Amt entschieden, ob aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention Schutz zu gewähren ist oder dieser Schutz ausläuft.
Angesichts dieses Individualprozederes wird einmal mehr deutlich, dass die grundrechtliche Gewähr des Asylrechts gem. Art. 16 a GG von der Situation ausging, dass einzelne Schutzsuchende sich in Deutschland um einen Asylstatus bemühen. Für Masseneinwanderung – normativ getarnt durch die Genfer Flüchtlingskonvention – ist weder das Asylrecht des Grundgesetzes geschaffen, noch sind die Institutionen der deutschen Republik in Gestalt des BAMF hinreichend ausgerüstet. Hinzu kommt, dass jeder Verwaltungsakt des BAMF, also insbesondere Abschiebungsverfügungen oder die Zurückweisung von Asylanträgen, vor den deutschen Verwaltungsgerichten überprüft werden kann. Dies verzögert die Rückführung und erlaubt den Betroffenen, sich in Deutschland umzuorganisieren und ggf. auch unterzutauchen. Kommt es letztendlich doch zu einer Abschiebung, so muss die Bundespolizei auf die Amtshilfe der Bundesländer zurückgreifen.
Wie die Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern, die abschiebepflichtige Syrer aufgreifen und dem Bund, der die Rückführung durch einen Flug organisiert, bisher verläuft, kennt der kundige Zeitungsleser zur Genüge. Deutschland demonstriert vor den Augen der Welt die Ohnmacht des Föderalismus.
Betrachtet man die Entwicklung der Einwanderungszahlen – im Vokabular der Grünen „die Not der Schutzsuchenden“ – so zeigt sich die Dimension des Problems: Kamen 2015 wegen einer unbestreitbar grausamen Bürgerkriegssituation ca. 500.000 Syrer, darunter sehr viele wehrpflichtige junge Männer nach Deutschland, sind hieraus mittlerweile 950.000 geworden. Über die Integration der syrischen Schutzsuchenden im deutschen Arbeitsmarkt gibt es hinreichend verlässliche Zahlen, die eine eindeutige Interpretation erlauben. Obschon ca. 60 % der in Deutschland lebenden Syrer erwerbsfähig sind, hält sich die Beschäftigungsquote auch nach zehn Jahren bei 287.000.
Integrationserfolge gibt es deshalb im Gesundheitssystem, weil es auf die ca. 600 syrischen Ärzte mittlerweile fast angewiesen ist. Auch in Pflegeberufen finden sich viele Arbeitnehmer mit syrischer Herkunft. Die Einbürgerungsquote bei den Syrern ist außerordentlich hoch, alleine im Jahr 2024 erhielten 83.000 Syrer einen deutschen Pass, ohne indessen ihren syrischen Pass abzugeben. Ob und wann die von Kanzler Merz geführte Koalition die Turboeinbürgerung nach nur drei Jahren mit zweifelhaften Sprachnachweisen und die doppelte Staatsbürgerschaft wieder abschafft, bleibt abzuwarten. Indessen dürfte der Wunsch nahezu aller aus Syrien kommenden Menschen groß sein, die persönliche und soziale Sicherheit Deutschlands weiter in Anspruch nehmen zu können. Ob und in welchem Maße Deutschland hieran ein Interesse hat, dürfte allein die Politik zu entscheiden haben.
Die Hinweise deutscher Politiker auf die Notwendigkeit des Wiederaufbaus in Syrien, werden jedenfalls bei jungen Syrern, die bereits seit zehn Jahren in Deutschland verweilen, keinen Motivationsschub auslösen. Sie sehen nicht nur aus Gründen der sozialstaatlichen Gewährleistung, sondern aufgrund der Lebenschancen in Deutschland ihre Zukunft. Für die über 60-jährigen Syrer, die in Deutschland keiner Arbeit nachgehen und somit dem Steuerzahler auf der Tasche liegen – sollten sie sich nicht in ihre Heimat zurückgezogen fühlen – müsste sich die Bundesregierung zu einer rationalen Entscheidung durchringen. Mehrere Hunderttausend Syrer, also Mitglieder einer mediterran-orientalischen Kultur mit überwiegend muslimischem Hintergrund, auf Dauer den Aufenthalt in Deutschland zu subventionieren, dürfte ökonomisch jedenfalls nicht leicht zu begründen sein.
Es soll hierüber auch nicht weiter räsoniert werden, sondern lediglich eine Prognose gestellt werden, die Prognose nämlich, ob von den 950.000 Syrern, die als Schutzsuchende nach Deutschland gekommen sind, zumindest der Großteil – sagen wir 500.000 – nach Syrien zurückgeführt werden könnte.
Da der Verfasser dieser Zeilen in Syrien und außerhalb von Syrien viel mit Syrern zu tun hatte. fällt ihm die Prognose angesichts der Autorität und Effizienz deutscher Staatsgewalt nicht schwer: Die Syrer werden bleiben und sie werden bei ihrem Bemühen zu bleiben auch erfolgreich sein. Etwas anderes würde nur dann eintreten, wenn eine überwältigende Mehrheit der politischen Kräfte in Deutschland den deutschen Staat ermächtigt, mit entsprechenden rechtlichen Grundlagen eine systematische Rückführung zu bewerkstelligen. Hierfür müsste sich im deutschen Staatswesen einiges ändern. Dazu gehört die Überwindung der föderalistischen Anarchie, also dem Nebeneinander von Bundesgewalt und Länderzuständigkeiten für die Polizei und insbesondere die Einschränkung der verwaltungsgerichtlichen Überprüfbarkeit der Abschiebungsverfügung. Solange aber nach Art. 19 Abs. 4 jeder Akt staatlicher Gewalt vor einem Gericht überprüfbar sein muss, entscheiden in Deutschland faktisch Verwaltungsgerichte über die Durchführbarkeit von Abschiebungen.
Welche Folgen dies haben kann, wurde unlängst bei der erzwungenen Rücknahme einer Rückführung durch das Verwaltungsgericht Berlin deutlich. Die Bundesregierung musste sich und wollte sich beugen, um in einem Einzelfall die Rückweisung einer Asylsuchenden nicht rechtlichen Zweifeln auszusetzen. Angesichts der Dimension des Problems, der mittlerweile erkannten demographischen Wirkungen, der Folgen für die öffentliche Sicherheit und den langfristigen bevölkerungspolitischen Konsequenzen dürfte die Rückführung von Flüchtlingen nach Syrien nicht länger von Verwaltungsgerichten abhängig sein.
Ein souveräner Staat hat das Recht auf Grenzen. Zu dieser Grenzziehung gehört auch die Entscheidung über die Frage, wer als Asylsuchender anerkannt wird und Schutz verdient. Angesichts der Anzahl von Wirtschaftsflüchtlingen, die unter dem Deckmäntelchen des Asylrechtes seit Jahren in Deutschland nicht nur Schutz, sondern finanzielle Unterstützung suchen, ist eine Entscheidung darüber, ob sie abgeschoben werden dürfen, durch die Gerichte politisch nicht länger zu verantworten. Dies soll nicht als Kritik des Richterstaates aufgefasst werden. Denn es kann dahingestellt bleiben, ob wir uns bereits aufgrund der politischen Entscheidungen in Urteilsform durch das Bundesverfassungsgericht sowie durch die anderen Obergerichte[1] in einem solchen Richterstaat befinden. Wenn die Rückführung einer so großen Zahl von Menschen, die auch nach zehn Jahren keine feste Anstellung in Deutschland gefunden haben, in ihr Heimatland politisch gewollt ist, muss sich die Politik von rechtlichen Fesseln weitgehend befreien. Dies gilt sowohl für internationalrechtliche Vereinbarungen, die bisher mit einer großen Mimosenhaftigkeit eingehalten worden sind, als auch für die nationale verwaltungsgerichtliche Kontrolle. Nicht die Richter der ersten oder zweiten Instanz in den Verwaltungsgerichten haben die Folgen einer Masseneinwanderung für kommende Generationen von Mitbürgern zu verantworten, sondern die gegenwärtige Politikergeneration besonders in den Kommunen.
Soll dafür Sorge getragen werden, dass wirtschaftlich und kulturell nur schwer integrierbare neue Bevölkerungsteile nicht im Land verbleiben, gilt der Primat des politischen Handelns und des politischen Willens. Diesem muss das positive Recht ggf. weichen, weil es hinter dem Interesse der eingeborenen Deutschen am Fortbestand deutscher Staatlichkeit sowie einer verfassungsgebenden Gewalt, die ganz wesentlich weiterhin aus dem deutschen Volk besteht, zurücktreten muss.
Gelingt die Rückführung der eingewanderten syrischen Bevölkerung, die nur von Subventionen lebt, in einem absehbaren Zeitraum nicht, würde dies in zweifacher Hinsicht fatal sein.
Zum einen, weil damit langfristig neben der türkischen Minderheit eine zweite kulturell-ethnische Minderheit in Deutschland entstände, die man – nicht ohne Schwierigkeiten –integrieren könnte.
Zum anderen, weil damit der Beweis erbracht würde, dass die erfolgreiche Einwanderung in ein Land faktische Wirkungen zeitigt. Wer einmal da ist, bleibt und wer bleibt, holt seine Familienangehörigen nach. Damit erfüllt er nicht nur die bevölkerungspolitischen Sehnsüchte grün-linker Politiker, sondern schafft sich einen neuen Lebensraum in einem fremden Land und demonstriert die Ohnmacht deutscher Staatlichkeit.
Die Ineffizienz bei der Abschiebung wird es der deutschen Demokratie schwierig machen, ihre Bürger von der Qualität ihrer Staatlichkeit zu überzeugen. Indessen reißt die Straßenbilddiskussion nicht ab und die Phänomene von Massenimmigration lassen sich auch von der Politik schwerer bestreiten als die Gefahren für den industriellen Standort der Bundesrepublik Deutschland. Die Rückführung syrischer Flüchtlinge könnte allerdings auch die Möglichkeit sein, den deutschen Staat „neu zu keltern“. Davon sprach einst Machiavelli („ripigliare lo stato“). Dies wäre nicht nur an der Zeit, sondern ohnehin von unabweisbarer Notwendigkeit.
[1] Vgl. die Kritik von Bernd Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, Habil., Tübingen 1968; Ders. Richter ohne Grenzen, FAZ 17.6.2010
Über den Autor: Markus C. Kerber, geb. 1956, ist Professor für Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin. Gründer des Instituts für Verteidigungstechnologie und Geopolitik, Berlin, und der Edition Europolis. Letzte Buchveröffentlichung: Führung und Verantwortung. Berlin 2023.
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Beitragsbild: DFID - UK Department for International Development, CC BY 2.0 via Wikimedia Commons


