Thomas Hartung: DAS UNSICHTBARE LÖSCHEN
- 30. Juli
- 5 Min. Lesezeit
Depublizieren – es trifft den Israel-Relativierer wie den Rechts-Hater. Anmerkungen zum falschen Spagat zwischen Zensurreflex und öffentlicher Selbstverleugnung.
Depublizieren – das klingt harmlos, technisch, fast hygienehaft. Doch was sich hinter diesem Begriff verbirgt, ist ein Symptom tiefgreifender Verschiebungen im Verhältnis von Öffentlichkeit, Recht und Macht. Wenn Beiträge verschwinden, obwohl sie zuvor durch alle Instanzen redaktioneller Verantwortung gewandert sind, handelt es sich nicht um Korrekturen im Sinne journalistischer Sorgfalt, sondern um Ausdruck eines gesellschaftlichen Drucks zur Selbstzensur – vorauseilend, feige, oft sogar feindlich gegenüber dem eigenen Auftrag: der Artikulation des Unbequemen. Zwei aktuelle Fälle zeigen exemplarisch, wie unterschiedlich, aber im Ergebnis ähnlich depubliziert wird – aus Angst vor Vorwürfen oder aus ideologischer Entgleisung. Der eine Fall: Maxim Biller bei der ZEIT. Der andere: ein ZAPP-Beitrag des öffentlich-rechtlichen NDR.
Maxim Biller, langjähriger Kolumnist, Jude, Satiriker, Provokateur – seine Kolumne „Der gebrauchte Jude“ erschien regelmäßig in der ZEIT. Im Januar jedoch wurde eine Folge, in der Biller sich kritisch und ironisch zur Präsenz muslimischer Funktionäre in Gremien der politischen Bildung äußerte, nach Protesten der Betroffenen gelöscht. Eine Depublikation, wie sie selbst von liberalen Feuilletonisten kaum verstanden wurde. Saba-Nur Cheema und Meron Mendel, selbst Adressaten der Kolumne, reagierten nicht mit juristischem Furor, sondern mit der intellektuell aufrechten Geste der Verteidigung: „Löschen ist keine Lösung“ – so ihr Gastbeitrag in der FAZ.
Was sie beklagen, ist bemerkenswert: „Statt sich einer Debatte zu stellen, flüchtet man sich in die Löschung. Damit wird der öffentliche Raum entkernt.“ Hier beginnt der Skandal: Der Text wurde nicht wegen juristisch begründbarer Verletzungen gelöscht, sondern aus Gründen der politischen Opportunität. Das „Streitbare“, das einst die Tugend liberaler Öffentlichkeit war, ist zur Gefahr erklärt worden – besonders, wenn es aus jüdischer Feder stammt und die falschen muslimischen Akteure trifft. Die ZEIT hat mit dieser Entscheidung nicht nur Biller abserviert, sondern sich selbst entmachtet. Zensur manifestiert sich heute „nicht durch das Verbot, sondern durch das Verschwindenlassen – moralisch flankiert“, erregte sich Rainer Paris.
Konservative mit Gehirnstörung?
Gleichzeitig zeigte der NDR, wie öffentlich-rechtliche Medien unter dem Banner „Haltung zeigen“ ihre Maßstäbe verlieren. Das Medienmagazin ZAPP veröffentlichte einen Videobeitrag, in dem suggeriert wurde, konservative Argumentationsweisen seien Ausdruck einer „kognitiven Verzerrung“, möglicherweise gar „Gehirnstörungen“. Der Beitrag wurde kurz nach Veröffentlichung depubliziert – mit halbherziger Entschuldigung. Die Entgleisung war zu offensichtlich, der Widerstand zu groß. Doch die Intention war klar: Entmenschlichung durch Psychologisierung.
Wie Apollo-News korrekt analysierte, war das Video ein Lehrbeispiel für medial legitimierte Diffamierung politischer Gegner. Die Kritik aus der Leserschaft war deutlich: „Wenn Konservative als gestört gelten, dann ist der demokratische Diskurs bereits entkernt.“ Das Depublizieren war in diesem Fall nicht etwa Ausdruck von Sensibilität, sondern von durchschaubarer Schadensbegrenzung – die Haltung bleibt, die Methode ändert sich. „Es ist mehr eine Relativierung mit subtiler Untermauerung des Gesagten”, ärgert sich ein Leser.

Juristisch ist das Depublizieren ein Graubereich. Weder das Telemediengesetz noch der Rundfunkstaatsvertrag schreiben konkret vor, wie mit publizierten Inhalten zu verfahren ist, wenn sie nachträglich umstritten werden. Bei öffentlich-rechtlichen Formaten gibt es formale Fristen (meist sieben Tage), doch viele Inhalte werden auch außerhalb der Depublikationspflicht gelöscht – aus politischen Gründen. Die juristische Literatur dazu ist dünn, doch einige Stimmen äußern sich klar.
So betont der Medienrechtler Prof. Christian Conrad: „Das vorschnelle Entfernen redaktionell geprüfter Beiträge untergräbt den Vertrauensschutz in mediale Öffentlichkeit – und kann im Extremfall rechtswidrige Selbstbeschränkung sein.“ Auch die FAZ-Journalistin Heike Schmoll weist auf die Verschiebung hin: „Was als Ausdruck von Verantwortung verkauft wird, ist oft nur Flucht vor dem Konflikt.“ Depublizieren ist zur Entlastungsgeste geworden – für Redaktionen, die lieber Inhalte löschen, als Redakteure schützen oder Debatten zulassen. Wolfgang Schulz schrieb im Archiv für Presserecht 2022: „Depublizieren ohne juristische Notwendigkeit stellt einen Eingriff in die dynamische Öffentlichkeit dar – mit strukturell zensurierendem Charakter.“
Bemerkenswert ist, wie Leserinnen und Leser mittlerweile auf solche Fälle reagieren. Im Fall Biller gab es hunderte Kommentare auf sozialen Plattformen, darunter viele jüdische Stimmen, die das Vorgehen der ZEIT als „kulturell feige“ oder „kollaborativ autoritär“ bezeichneten. Im Fall ZAPP wurde öffentlich-rechtliche Medienarbeit als „psychologische Kriegsführung gegen Andersdenkende“ entlarvt. Ein Leserkommentar auf Apollo News bringt die Empörung auf den Punkt: „Wenn Meinung zur Krankheit wird, ist die Demokratie klinisch tot.“ Diese Reaktionen zeigen, dass die Zensur nicht mehr im Geheimen agiert, sondern unter ständiger Beobachtung steht – aber auch, dass die Abwehrkräfte des Publikums wachsen. Die Gegenöffentlichkeit ist digital organisiert, rechtlich unbewehrt, aber diskursiv stark.
Symptom eines kranken Öffentlichkeitsbegriffs
Was beide Fälle gemeinsam haben, ist der Verlust des Vertrauens in die Öffentlichkeit als Ort des Konflikts. Stattdessen erleben wir eine mediale Selbstdressur – durch Angst vor Shitstorms, juristischem Druck oder politischer Richtigkeitsideologie. Das „Löschen“ wird zur Chiffre eines neuen Medienselbstverständnisses: Wir senden nicht, was wahr oder relevant ist, sondern was risikofrei ist. Damit wird Öffentlichkeit zur Simulation, zur abgestimmten Botschaft, zur Pressestelle der Ideologie.
Der Philosoph Odo Marquard schrieb einst: „Moderne Gesellschaften sind verwaltete Unsicherheiten. Wer zu viel Ordnung will, bekommt Zensur. ... Je höher das Sicherheitsbedürfnis, desto geringer die Freiheitsfähigkeit.“ Genau das erleben wir heute: das Bedürfnis nach Ordnung und Sicherheit in einer überhitzten Öffentlichkeit führt zur Löschung – und zur Auflösung dessen, was einst Pressefreiheit bedeutete: Die Freiheit zur Zumutung. „Der Medienbetrieb wurde zu einer geschlossenen Diskursgemeinschaft mit sich selbst als Prüfinstanz. Das Löschen wird zur letzten Verteidigung der eigenen moralischen Deutungshoheit“, erkannt Thomas Meyer in „Die Unbelangbaren. Wie politische Eliten ihre Macht sichern” schon 2015.
Was tun? Zunächst braucht es juristische Klarheit. Das willkürliche Depublizieren redaktioneller Inhalte muss einer Kontrolle unterworfen werden – durch Medienräte, aber auch durch Öffentlichkeit. Zweitens braucht es medienethische Prinzipien, die nicht auf Opportunität, sondern auf Aufklärung setzen. Und drittens braucht es eine konservative, republikanische Verteidigung der Debatte – gerade da, wo sie unbequem ist. Die Verteidiger Billers haben es vorgemacht: Wer sich der Öffentlichkeit stellt, muss auch verletzt werden dürfen. Wer sich ihr entzieht, verliert seine Würde. Oder wie ein Leser kommentierte: „Zensur ist nicht, wenn man nicht alles sagen darf – Zensur ist, wenn man nicht mehr weiß, ob etwas je gesagt wurde.“
Über den Autor: Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.
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