Thomas Hartung: MANNOSPHÄRE – EIN SCHATTENBEGRIFF
- 1. Okt.
- 6 Min. Lesezeit
Das digitale Schlagwort „Mannosphäre“ entlarvt kein Paralleluniversum, sondern ist das verzerrte Echo einer allumfassend pazifizierten Jugend. Ein Symptom, kein Feindbild.

Nietzsche schrieb, dass jedes Zeitalter seine Begriffe erschafft, um mit sich selbst fertig zu werden. Auch die Gegenwart lebt von Schlagworten. „Rechtspopulismus“, „toxische Männlichkeit“, „Fake News“ – Begriffe, die weniger beschreiben als denunzieren. Nun also: die „Mannosphäre“ – das Pendant zur „Zivilgesellschaft“. Seit diesem Jahr fällt die Häufung auf, in der Medien mit dem Begriff operieren: im Februar der BR und der DLF, im Mai die Zeit und die Berliner Morgenpost, im Juni der Focus, und seit dem Spätsommer wird aus allen Rohren gefeuert.
Die Tagesschau online sprach Ende August von einer „digitalen Parallelwelt rechter Männer“, die Muskeln, Hass und Politik miteinander vermischen. Mit provokanten Inhalten beeinflusst eine Szene aus Influencern und Tiktok-Kanälen zunehmend junge Männer in Deutschland, behauptete Anfang September die SWR-Doku „Shut Up, Bitch! Der Kampf um Männlichkeit: Willkommen in der Mannosphäre“ und behauptet, tief in ein digitales Netzwerk einzutauchen, „das mit aggressiver Männlichkeitsrhetorik Millionen junge Männer erreicht und ein frauenfeindliches Weltbild fördert“.
Und die erst 31jährige Mina Marschall sekundiert Mitte September in der FAZ, Jugendliche würden dort „Bro-Science“ betreiben und in einen „Männlichkeitskult“ abgleiten. Doch schon die Wortwahl entlarvt die Absicht: Eine „Sphäre“ klingt hermetisch, abseitig, gefährlich. Männlichkeit wird zum Verdachtsraum, die Krise des Mannes zur Pathologie. Man fragt nicht nach Ursachen, sondern konstruiert einen Feind. Die Angst vor dem ungeordnet Männlichen, vor der „Wiederkehr des Verdrängten“ schwingt mit. Jüngers „Stahlgewitter“ scheinen fern, und doch taucht der alte Topos vom „wehrhaften Mann“ wieder auf.
Männlichkeit war in allen Kulturen an Bewährung gebunden: Jagd, Krieg, Handwerk, Bürgersinn. Sie lebte vom Ernstfall, nicht vom Diskurs. Die Moderne hat den Ernstfall abgeschafft oder delegiert: Krieg wird ausgelagert, Handwerk durch Bürokratie ersetzt, Familie entwertet. Stattdessen Simulation: Computerspiele, Fitnessstudios, TikTok-Posen. Oswald Spengler sah es voraus: Die Zivilisation ahmt die Form nach, wenn der Inhalt schon verfallen ist. Genau das geschieht hier. Was die FAZ als „Pumpkultur“ verspottet, ist nichts anderes als der verzweifelte Versuch, verlorene Ernstfälle zu ersetzen.
Medien amüsieren sich über Mythen wie: „Soja senkt den Testosteronspiegel“. Sie nennen es „Bro-Science“. Solche Narrative erinnern an antike Diätetik: Ernährung, Körperkult und Moral verschmelzen. Aber wo die Griechen Maß hielten, verwandelt die digitale Gegenwart Askese in Agitation. Doch wer nur lacht, versteht nicht: Diese Mythen sind Ersatzreligion. Sie geben Jugendlichen Halt: der Körper zählt, Disziplin entscheidet, Muskeln werden Schicksal. Was früher in der Sozialisation durch Arbeit und Wehrdienst verankert war, verlagert sich ins Netz. Der Kommunikationswissenschaftler Jacob Johanssen nennt das einen „digitalen Körperpanzer“. Ein treffendes, aber einseitiges Bild: Online-Foren übernehmen die Funktion, Härte zu simulieren. Doch der Panzer ist nur nötig, weil die Realität keine Härte mehr kennt.
Die allumfassende Pazifizierung
Der eigentliche Skandal ist nicht, dass junge Männer Ersatzräume suchen. Der Skandal ist, dass unsere Gesellschaft sie dazu zwingt. Das Leitmotiv der Gegenwart heißt: Pazifizierung. Schon in den Schulen wird der Junge gebrochen. Sein Bewegungsdrang heißt „ADHS“, seine Aggression „Störung“. In den Universitäten herrscht das Paradigma der „Safe Spaces“, wo Worte bereits als Gewalt gelten. Alles Ernsthafte wird präventiv ausgeschaltet: durch Therapie, Coaching, Regulierung. Eine ganze Generation wächst auf ohne Risiko, ohne Widerstand, ohne Gefahr. Nietzsche hätte gesagt: die „letzten Menschen“, die blinzeln und sagen: „Wir haben das Glück erfunden.“
Die „Mannosphäre“ ist kein Paralleluniversum, sondern das Symptom einer dekadenten Kultur. Julius Evola beschrieb: Am Ende einer Zivilisation überleben virile Energien nur noch als Parodie – in Sport, Mode, Virtualität. Ernst Jünger sah im „Arbeiter“ die letzte große Verdichtung männlicher Energie – die Verbindung von Technik und Ernstfall. Heute bleibt der Influencer mit seinem Shaker in der Hand. Was die FAZ als „Jungs, die pumpen müssen“ karikiert, ist in Wahrheit das Echo einer verlorenen Initiation.
Die Tagesschau warnt, die AfD nutze die Mannosphäre als Wahlkampfinstrument. Maximilian Krah sprach junge Männer direkt an: „Echte Männer sind rechts. Echte Männer sind Patrioten. Dann klappt’s auch mit der Freundin“. Man mag den Satz belächeln – aber er trifft den Nerv: Orientierung, Stärke, Zugehörigkeit. Während der Mainstream Diversität und Fluidität predigt, spricht hier jemand von Bewährung. Die Kritik daran verrät mehr über die Kritiker als über die Szene. Wer beklagt, „rechte“ Politiker besetzten das Thema, übersieht: Niemand sonst behandelt es. Die Politik der Mitte hat Männlichkeit preisgegeben – und wundert sich über ihr Vakuum.
Das Versagen der Pädagogik
Unsere Gesellschaft hat aufgehört, Jungen zu Männern zu machen. Früher gab es Übergänge: Konfirmation, Gesellenprüfung, Wehrdienst. Heute verschwimmen die Schwellen. Die Jugend verlängert sich endlos, das Erwachsenenalter ist bloß Kindheit mit Kreditkarte. An die Stelle von Härte tritt Therapie. Statt Forderung: Coaching. Statt Mut: Resilienztraining. Ein Euphemismus für Anpassung. So produziert die „allumfassende Pazifizierung“ genau die Verunsicherung, die die Mannosphäre kompensieren soll.
Soziologen wie Robert Pfaller sprechen in der FAZ von einer „Infantilisierung der Geschlechterrollen“, in der traditionelle Männlichkeit zum pathologischen Problem erklärt wird. Der Erziehungswissenschaftler Rolf Pohl warnt hingegen, dass die Rückkehr zu „alpha-männlichen“ Rollenbildern eine Reaktion auf die Entwertung männlicher Sozialisation sei. Zwischen diesen Polen oszilliert die Forschung: Einerseits wird die Mannosphäre als toxisch und gefährlich beschrieben, andererseits als Symptom einer gesellschaftlich erzeugten Orientierungslosigkeit.
So beforscht das Forschungsverbundprojekt „GERDEA -Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen und der zeitgenössischen extremen Rechten. Dynamiken – Effekte – Ambivalenzen“ seit 2023 die Auseinandersetzungen in einer sich flexibilisierenden Geschlechterordnung und dem Agieren der „Rechten“. Mit seinen Ergebnissen soll „ein besseres Verständnis extrem rechter Mobilisierungsdynamiken erarbeitet werden“.
„Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch“, schrieb Nietzsche. Kappen wir dieses Seil, entsteht Leere. Darum suchen Jugendliche Gefahr virtuell. Darum fasziniert sie ein Andrew Tate, der Stärke, Risiko und Angstfreiheit verkörpert. Die Empörung über solche Figuren verfehlt den Kern. Sie sind nur Projektionsflächen. Das eigentliche Problem ist: Unsere Gesellschaft bietet keine eigenen Helden mehr. Stattdessen Diversity-Beauftragte und Sozialpädagogen.
Die mediale Methode ist durchsichtig: Man identifiziert eine Szene, überzieht sie mit Extremen, und stellt normale Jugendliche in eine Linie mit Incels und Terroristen. So schreibt Marschall, in der Mannosphäre würden „Jugendliche zum Kämpfen gedrängt“ und „körperliche Stärke mit politischer Härte“ verschränkt. Doch solche Totalisierungen pathologisieren bereits die Sehnsucht nach Stärke. Johanssen nennt es eine „faschistische Form von affektiv-körperlicher Männlichkeit“. Aber das sagt mehr über den akademischen Blick aus als über die Jugendlichen. Alles, was nach Wehrhaftigkeit aussieht, wird vorsorglich zum Faschismus erklärt.
Die Maske der Dekadenz
Dietrich Bonhoeffer unterschied zwischen Bosheit und Dummheit. Bosheit sei durchschaubar, Dummheit hingegen gefährlicher – sie sei Verführbarkeit. Die Pathologisierung der Männlichkeit ist ein solcher Akt der Dummheit. Sie verführt zur Schwäche, indem sie Stärke denunziert. Der Begriff „Mannosphäre“ ist selbst ein Ausdruck dieser Dummheit. Er verdunkelt, was er zu erhellen vorgibt. Statt zu differenzieren, produziert er Dämonen.
Eine Gesellschaft, die ihre Männer entwaffnet und gleichzeitig Gewalt importiert – durch Migration, Clanstrukturen, religiösen Fanatismus – schafft ein gefährliches Ungleichgewicht. Die Tagesschau inszeniert die AfD als Nutznießerin einer Szene von Pump-Boys und Hassrednern. Doch in Wahrheit ist es die einzige Partei, die eine anthropologische Selbstverständlichkeit verteidigt: dass eine Kultur Männer braucht, die kämpfen können – für Familie, Heimat, Volk.
Die Mannosphäre ist kein homogener Block, sondern zeigt das verzerrte Gesicht einer Jugend, die nie lernen durfte, Mann zu sein. Spengler schrieb: Am Ende erscheinen die Masken. Die Mannosphäre ist solch eine Maske – die Karikatur einer Sehnsucht, die im Ernst doch echt ist: nach Härte, Gefahr, Sinn. Nietzsche warnte vor einer Welt, in der alle nur noch blinzeln. Die Pazifizierung hat uns diesem Zustand nähergebracht, als wir wahrhaben wollen. Die Mannosphäre ist das Zeichen, dass noch nicht alle blinzeln. Sie ist nicht das Problem – sie ist der Schrei nach einer Lösung.
Über den Autor: Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.
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