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Thomas Hartung: MOHRENLERCHEN? GIBT'S NICHT MEHR!

Nach den Umbenennungsorgien „kolonialer“ Straßen und „rassistischer“ Apotheken sind derzeit nicht nur moderne Lebensmittel, sondern selbst historische Tiernamen betroffen. Der Kulturkampf hat Naturkunde und Marketing erreicht. Was folgt als nächstes?



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Felix Riedel ist promovierter Ethnologe, sitzt in der Grünenfraktion Bad Berleburg und versteht sich laut seiner Homepage als „unabhängiger, freiberuflicher Wissenschaftler“, der sich in der „Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz FARN“ engagiert. FARN ist ein gemeinsames Projekt der NaturFreunde Deutschlands, der Naturfreundejugend Deutschlands und der Initiative Transparente Zivilgesellschaft (ITZ) und untersucht seit 2017 „die historischen und aktuellen Verknüpfungen des deutschen Natur- und Umweltschutzes mit extrem rechten und völkischen Strömungen“. Das Herbeten dieses ideologischen Trallala ist leider nötig, da die Fachstelle, mit finanzieller Förderung des Bundesfamilienministeriums, über 11 Voll- und 8 Teilzeitkräfte (!) verfügt und neben einschlägigen Publikationen diverse Workshops, Veranstaltungen und gar ein Online-Hochschulseminar wider die „strategische rechte Landnahme“ anbietet, mithin nicht ganz einflusslos ist.


Riedel hat sich dabei einem ganz besonderen Projekt verschrieben: dem Zusammenhang von „Rassismus und Naturkunde“ und dem Kampf gegen die „Weigerung, rassistische Artbezeichnungen abzuschaffen.“ Dazu hat er 2019 sowohl im bedeutendsten Schmetterlingsforum Deutschlands als auch einer geschlossenen Facebook-Schmetterlingsgruppe mit etwa 3.000 Mitgliedern für eine Umbenennung der „Mohrenfalter“ geworben, weil „der Begriff Mohr heute gemeinhin als rassistisch“ gelte. Er plädierte stattdessen für „die Einführung der Bezeichnung ‚Bräunlinge‘ (analog zu Weißlinge, Gelblinge und Bläulinge)“. Auf DLF Nova gab er sich dann im März dieses Jahres „entsetzt, dass 95 Prozent der Beteiligten dieses Ansinnen, eine andere Bezeichnung einzuführen, durchweg ablehnten mit unterschiedlichen Strategien.“ Insgesamt acht solcher Abwehrstrategien „von sekundärem, verleugnetem Rassismus“ meinte er zu identifizieren, darunter „Relevanzbedenken“, „zynisch-polemische Trivialisierung“ oder gar „Umkehr der Anklage: Es sei ein Rassist, wer mit dem Begriff etwas Negatives assoziiere“.


Sein Fazit: „Das ostentative egozentrische Selbstmitleid dient zur Abwehr von Schuld und zur Aufrechterhaltung eines positiven Selbstbildes. Heute äußern sich viele Weiße in einer Weise über Sprachänderungen, als wären sie die Opfer in der Geschichte. Empathie für die Opfer von diskriminierender Sprache tritt in den Hintergrund.“ Angesichts der verbliebenen Spezies nicht nur aus Flora (Mohrenhirse, Mohrensalbei, Mohrenmalve, Mohrenpfeffer, Mohrenkopfmilchling), sondern vor allem Fauna verbleibt dem jungen weißen deutschen Mann da noch genug Opferarbeit: Mohrenkopfpapagei, Mohrenkaiman, Mohrenklaffschnabel, Mohrenmaki, Mohrenmakak, Mohrenibis, Mohrenweihe, Mohrenralle und Mohrenhonigfresser sollte er noch im Visier haben. Denn „Menschen werden dadurch auf ein einziges Merkmal reduziert und dann mit Tieren assoziiert.“



„Mit der Geschichte muss man leben“


Wer jetzt meint, er sei mitten in einen Satiretext gestolpert, wird unsanft fallen: Das ist kein Witz. Die Causa zeigt exemplarisch das moralistische Vorgehen linksgrüner Aktivisten, die - staatlich gefördert - ihre abgehobene Gesinnungsethik ausleben. Nun muss man zur Ehrenrettung der Naturkunde zunächst wissen, dass eine Umbenennung so einfach nicht ist. Bei den Trivialnamen – den deutschen Namen – ist das eine Frage der Konvention: Man beschließt, etwa auf einer Konferenz, etwas in den Publikationen nicht mehr so oder anders zu benennen. Anders ist es im internationalen wissenschaftlichen Bereich. Das ist Sache der „International Commission on Zoological Nomenclature“ mit 24 Mitgliedern, die auch nur selbst neue Mitglieder wählen: Alle weiß, manche aus dem asiatischen Raum, eine Frau ist dabei. In den Artikeln 23.1 und 23.3.7 hat die Kommission festgelegt, dass einmal vergebene Namen nicht mehr verändert werden können – sie werden dann als unverrückbare Naturtatsache dargestellt, vor allem, um Arbeitsaufwand bei der Einzelfallbewertung zu vermeiden. Es bräuchte also eine Satzungsänderung. Das deutsche Kommissionsmitglied, der Schneckenforscher und Göttinger Piraten-Vize Francisco Welter-Schultes meinte lakonisch: „Mit der Geschichte muss man leben und lernen, damit umzugehen.“


Der Modus der Konvention allerdings trifft hierzulande nicht auf die Vogelkunde, die Ornithologie, zu. Hier wacht die Deutsche Ornithologie-Gesellschaft über das Verzeichnis der 10.700 Vogelarten der Erde. Jeder Vogel hat auch einen deutschen Namen. „Wer sich durch die neue, 2020 veröffentlichte Liste scrollt, findet keine Namen, die den Test mit dem Rassismus-Detektor nicht bestehen könnten – es sei denn, man unterstellt dem Tahiti-Sumpfhuhn einen Hang zum Alkoholismus oder dem Krauskopf-Pelikan einen Afro-Look“, erregt sich Antje Hildebrandt im Cicero. Vogelnamen wie die schwarzgefiederte Mohrenlerche flogen raus, sie heißt heute Schwarzsteppenlerche. „Dabei ist ihr Lebensraum die Grassteppe. Grüner geht es nicht“, ergötzt sich Hildebrandt. „Es ist ein Kunstgriff, irgendeinen Namen muss der Vogel ja haben“, heißt es dazu von der Ornithologen-Gesellschaft.

Zehn Jahre lang hat eine eigene Kommission gebraucht, um die Liste der Vögel der Welt zu aktualisieren. Fast 1000 Vögel, so schätzt der Leiter der Kommission, Peter Barthel, einer der bekanntesten deutschen Ornithologen, wurden umbenannt. Sei es, weil sie nach Diktatoren oder Eroberern benannt worden waren, sei es, weil ihr Name einen „kolonialen Stempel“ trug. Dabei, versichert Barthel, hätte er schon von sich aus darauf geachtet, dass die Liste politisch korrekt sei. Das Mohrenschwarzkehlchen hört heute etwa auf den offiziellen Namen Elsterschmätzer. Leichtfertig will man aber auch nicht zu Werke gehen, erklärt Barthel in der GEO. Ein Grundsatz der Kommission sei, „so wenig wie möglich an den eingebürgerten Namen europäischer Brutvögel zu drehen“.



„politische Instrumentalisierung von Vögeln“


Nicht überall seien die neuen Namen auf Verständnis gestoßen, muss Barthel zugeben. Es habe Vogelliebhaber gegeben, die es kritisierten, dass die Mohrenlerche nicht mehr Mohrenlerche heißen dürfe. Der Name tue doch keinem weh, musste er sich anhören. In anderen Ländern wäre das noch das geringste Problem, so Barthel. Er habe erlebt, wie die Kollegen in Schweden 2015 „verhauen“ wurden, weil denen unter den zehn umbenannten Arten die Hottentotten-Ente durchgerutscht war. So etwas sollte in Deutschland nicht passieren. Nicht durchgerutscht waren den wackeren Nordmännern zum Beispiel der Zigeunervogel, den sie zum Hoatzin machten, der Weißbrust-Negerfink, aus dem der Weißbrust-Nigrita wurde, oder der Kaffernsegler, der nun Weißbürzelsegler hieß. Auch in Dänemark und Norwegen gab es Umbenennungen. Hildebrandt kritisiert prompt die „politische Instrumentalisierung von Vögeln“.


Überhaupt: die Hottentotten. Mehr als 50 Arten tragen sie im Namen: Hottentottenfliege, Hottentottenlaufhühnchen, Hottentotten-Graumull… Eine ganze Skorpionsgattung heißt seit 1787 „Hottentotta“, eine Art sogar „Hottentotta hottentotta“. Das waren in der Sprache der Buren, der niederländischen Kolonisatoren, afrikanische Völker in Südafrika und Namibia, die Khoikhoi-Gesellschaften. Die Wortschöpfung kann man sinngemäß als „Gestotter“ übersetzen: Die Sprachen der Khoi sind von – für europäische Ohren ungewohnten – Klick- und Schnalzlauten durchsetzt, die die Buren als Gestotter empfunden und die Khoi ab 1670 somit als Stotterer (im nördlichen Dialekt des Afrikaans: hottentots) bezeichnet hatten.


Die weitere Verwendung sei stets exotisierend gewesen, dekretiert Riedel: Lieder wie „Für Hottentotten wird kein Bier gebraut“ hätten die kulturelle und emotionale Distanz zusätzlich vertieft. In der deutschsprachigen Ausgabe von Wikipedia findet man die Hottentottenente zwar noch. Aber in der offiziellen Liste der deutschen Vogelnamen firmiert Spatula hottentota seit etwa drei Jahren als „Pünktchenente“. Ein Name, der das Aussehen des Federviehs politisch korrekt beschreibt: Brust und Bauch der Ente sind mit unterschiedlich großen Pünktchen übersät.


In den USA entschied sich das North American Classification Committee (NACC) nach langem Streit und mehreren gescheiterten Petitionen, die Ente Clangula hyemalis (Eisente) umzutaufen: aus „Oldsquaw“ wurde im Jahr 2000 „Long-tailed Duck“. Die Kommission erkannte damit an, dass „Squaw“ ein abwertender Ausdruck für weibliche Indigene ist. Auch die Weißkehl-Spornammer geriet in die Kritik: Der Namenspatron von „McCown's Longspur“, John P. McCown, war Offizier, der auf der Seite der Konföderierten für die Aufrechterhaltung der Sklaverei kämpfte. Die American Ornithological Society erklärte jüngst, den Vogel ab sofort nur noch „Thick-billed Longspur“ zu nennen, was sich ideologisch unverdächtig auf den dicken Schnabel der Ammer bezieht.


Man kann aber die Verbrechen eines Menschen nicht ungeschehen machen, wenn man die Erinnerung an ihn löscht, erkennt Hildebrandt zutreffend. Von Geschichtsbewusstsein soll die Umbenennungswut zeugen. Sie ist im Gegenteil historisch ahnungslos – und stützt die Thesen von George Orwell: „Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft“, ist die zentrale Doktrin seines „Engsoc“. Die Macht verkommt zum pervertierenden Faktor, der den Glauben an eine emanzipatorische Vernunft diskreditiert: Für die Stabilität des Regimes ist die permanente Fälschung der Geschichte durch das „Ministerium für Wahrheit“ ebenso unverzichtbar wie die permanente Unterdrückung und Überwachung durch das „Ministerium für Liebe“. Schon 1991 erkannte Richard Saage, dass in den 1940er Jahren „alle Hauptströmungen politischen Denkens autoritär“ waren: „Jede neue politische Theorie, welchen Namen sie sich auch geben mochte, führte zurück zur Hierarchie und Reglementierung.“ Politische Verhärtungen wie Inhaftierung ohne Prozess, Geständniserpressung oder gar Deportation wurden „nicht bloß allgemein wieder eingeführt, sondern auch von Leuten toleriert und sogar verteidigt, die sich für aufgeklärt und fortschrittlich hielten“. Nicht nur im Lichte der aktuellen Corona-Diskussion muss man darob erschrecken.


Der Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus, er hat längst auch die Ornithologie erreicht – und das nicht nur in Deutschland, bilanziert Hildebrandt. „Man könnte auch sämtliche Adler verdammen, weil der Vogel mal die Reichskriegsflagge der Kaiserlichen Marine verziert hat. Wo kommen wir denn da hin?“, empört sich plötzlich sogar Barthel. Ganz fertig sind die Deutschen mit den ornithologischen Spuren ihrer Geschichte aber noch nicht. So finden sich immer noch das Odins- und das Thorshühnchen in der offiziellen Namensliste. Die beiden Vogelarten hießen noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts Schmalschnäbliger und Plattschnäbliger Wassertreter. Im Jahr 1937 erhielten sie von dem Vogelkundler Günther Niethammer in seinem dreibändigen „Handbuch der deutschen Vogelkunde“ ihre neuen Namen – als Reverenz an die naziverehrte germanische Götterwelt. Seine SS-Mitgliedschaft und seine zweijährige Stationierung als KZ-Wachmann („Beobachtungen über die Vogelwelt von Auschwitz“, Wien 1942) schadeten der Karriere des Ornithologen übrigens nicht: Von 1968 bis 1973 war Niethammer Präsident der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft.



weiße Männer und die Weltherrschaft


Geflöhte Vogelnamen sind das eine – geflöhte Produktpaletten das andere. Angesichts von „Black Lives Matter“ wollte auch der weltgrößte Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé nicht zurückstehen und benannte jetzt in einem ersten Schritt seinen Keks „Negrita“ („kleiner schwarzer Mensch“) nach 60 Jahren in „Chokita“ um – die Nähe zum „Neger“ gab den Ausschlag. Die Entscheidung sei im Sinne einer „Kultur des Respekts und der Nicht-Diskriminierung“ getroffen worden - die männliche Version „Negrito“ hatte dem uruguayischen Fußballstar Edison Cavani erst kürzlich eine Geldstrafe wegen Rassismus eingebracht. Nestlé erklärte, es gebe ein „gestiegenes Bewusstsein von Marken und ihrer visuellen Sprache in Bezug auf die Verwendung von Stereotypen oder kulturellen Darstellungen“, die als „unangemessen“ angesehen werden könnten.

Rassistische Sprache beizubehalten, zementiere Klischees und bestärke damit verbundene negative Einstellungen, behauptet die Trierer Germanistin Andrea Geier, die zu rassistischer Darstellungstradition forscht, in der dpa. „Ein veränderter Markenname ist also ein Signal, dass man nicht Teil eines solchen Alltagsrassismus sein möchte.“


War Neger also „eine früher in Deutschland gebräuchliche rassistische Bezeichnung für Schwarze“, wie jüngst dpa textete? Auch das ist kein Witz. Damit werde „unterstellt, dass ausnahmslos jeder Nutzer der deutschen Sprache ‚früher‘ Rassist war: Ob er das wusste oder nicht, ob er das wollte oder nicht – einerlei“, ärgert sich der wissenschaftspolitische AfD-Fraktionssprecher Baden-Württemberg, Dr. Bernd Grimmer MdL. Er verweist darauf, dass Stephan Remmler 1992 in Köln auf einem von der Initiative „Arsch huh, Zäng ussenander“ veranstalteten Konzert noch gesungen hatte: „Mein Freund ist Neger“, um zur Verbundenheit mit Menschen anderer Hautfarbe aufzurufen. „Was soll da in den letzten gerade mal 30 Jahren passiert sein?“ Das Wort, das für „Schwarzer“ in Ableitung aus dem französischen Wort nègre, dem spanischen negro und letztlich dem lateinischen niger zurückgeht, wurde in den deutschen Wortschatz aufgenommen vom Dresdner Lexikografen Johann Christoph Adelung – und war mit keinem Werturteil verbunden. Das haben erst Autoren herbeifantasiert, die behaupten, dass „ein im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts zusehends negativ gekennzeichnetes Mohrenbild mit der im 18. Jahrhundert entwickelten Ordnungskategorie Rasse zum Begriff des Negers verschmolzen“ wurde. Diese auf Wikipedia genüsslich zitierte These des Soziologen (!) Wulf D. Hund von 1999 wird sonst nirgendwo linguistisch aufgegriffen.


20 Jahre später hatte ein AfD-MdL vor dem Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern mit einer Organklage Erfolg: Ein Ordnungsruf für den Gebrauch von „Neger“ im Landtag war unzulässig. „Hier wussten die Richter noch wissenschaftlich zu argumentieren“, so Grimmer. Denn man kann zwar meinen, mit dem Wort kontextfrei die Differenz der Hautfarben zu bezeichnen. Vertreter behaupteter Mehrheiten werden jedoch sofort den Subtext betonen und empört unterstellen, man bediene den rassistischen Stereotyp, will man nicht – bestenfalls – als ungebildet oder rückständig gelten. Doch zeugt es nicht einerseits von Weltwissen, die Sub- und Kontexte von „Neger“ semantisch einordnen zu können, und andererseits gereiftem Selbstbewusstsein, mit sozialen Enttäuschungserfahrungen umzugehen – denn das Wort Neger zu vermeiden, wird Rassismus nicht ausrotten.


Doch genau dies forderte die schwarze Soziologin Natasha Kelly jetzt in der Neuen Osnabrücker Zeitung. Neger dürfe in keinem Kontext mehr verwendet werden, weil es „strukturell rassistisch“ sei: Die Verwendung des Begriffes müsse immer kritisiert werden, egal wer es benutze – das war in diesem Falle die grüne Spitzenkandidatin (!) Annalena Baerbock. Auch Tahir Della, Sprecher der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland, meinte, dass der Begriff von schwarzen Menschen als rassistisch wahrgenommen werde, und diese Wahrnehmung solle doch Grundlage des Handelns sein, unabhängig davon, ob man sie nachempfinden könne oder nicht. Das ist absurd. Kelly fiel übrigens schon 2018 durch ihre Behauptung auf „Die Belichtungstechnologie wurde für weiße Haut entwickelt“, weshalb Fotografie rassistisch sei. Beide maßen sich also als Vertreter „einer Minderheit an, der Bevölkerungsmehrheit ihr Kommunikationsverhalten vorzuschreiben“, befindet Grimmer. „Und dies, verfolgt man ihre weiteren digitalen Äußerungen, mit dem Vorwurf, dass weiße Männer immer noch die Weltherrschaft in Form von Definitionsmacht an sich zu reißen‘ versuchten. Allein angesichts von Despoten wie Idi Amin als Afrikaner und Pol Pot als Asiate ist dieser Vorwurf geschichtsvergessen.“



„Endlich kein Waffelrassismus mehr“


In Deutschland war aus dem Bahlsen-Keks „Afrika“ zuvor schon „Perpetum“ geworden. „Endlich kein Waffelrassismus mehr“, belustigte sich der ernährungspolitische AfD-Fraktionssprecher Baden-Württemberg, Udo Stein MdL. Die Firma hatte letztes Jahr ein Foto des braunen Gebäcks mit der Notiz „Weil du mir jeden Tag versüßt“ gezeigt und dafür einen Shitstorm kassiert, weil hypermoralistische User die Verbindung von Farbe und Namen für rassistisch hielten. Doch was soll daran rassistisch sein? Darf man das Wort „Afrika“ überhaupt noch aussprechen, ja noch braune Schokolade essen, ohne dass man Angst haben muss, als Rassist bezeichnet zu werden? Droht die Umschreibung der Atlanten? Obwohl sich die Firma beeilte zu versichern, dass ihr sowohl bei der Einführung des Produkts vor 60 Jahren als auch heute „rassistische Gedanken mehr als fern“ lägen, hielt sie der Kritik letztlich nicht stand und kündigte an: „Um zu vermeiden, dass unser Produkt Assoziationen mit Rassismus hervorruft, arbeiten wir bereits an einer Umbenennung.“


Bahlsen hatte die Namenswahl einst damit begründet, dass Afrika der größte Produzent von Kakaobohnen auf der Welt ist und der Name damit perfekt zu den vollschokolierten Waffeln passe. Das hätte als Erklärung völlig ausgereicht. „Stattdessen werden wenige kritische Stimmen zum Anlass genommen, eine jahrzehntlange Tradition ohne Not über Bord zu werfen. Da bekommt der Begriff ‚einen an der Waffel haben‘ endlich eine neue Bedeutung“, ärgert sich Stein. Denn vom lateinisch intendierten „Perpetum“ für „ewig“ soll der Name gemeinsam mit der ägyptischen Tet-Hieroglyphe als traditionelles Bahlsen-Logo Beständigkeit symbolisieren. Die gilt aber offenbar nur für den zur Schau gestellten Antirassismus. Denn der Inhalt der Packung sank von 130 auf 97 Gramm – das ist weniger als eine Tafel Schokolade – obwohl der Preis gleichblieb. Antirassismus und politische Korrektheit muss man sich nicht nur leisten wollen, sondern auch können.


Dieselben Vorwürfe kann man auch an Unilever als Mutterkonzern richten, der die Zigeunersauce von Knorr zur „Paprikasauce Ungarische Art“ machte – allerdings noch unter Beibehaltung der Packungsgröße. Dabei ist die Begründung, das über 100 Jahre alte Produkt – das noch nicht mal der Zigeunerküche entstammt! – umzubenennen, weil es „negativ interpretiert werden“ könnte (!), nicht nur absurd, sondern gleich mehrfach dumm. Zum ersten nennen sich viele Angehörige der Sinti und Roma selbst so, wie Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller berichtete: „…Wir sind Zigeuner, und das Wort ist gut, wenn man uns gut behandelt“. Zum zweiten wird weder ein Klischee oder Vorurteil durch die Spachbereinigung verschwinden geschweige denn das Zusammenleben in Europa verbessert – es ist oberflächliche Kosmetik, die tiefensemantisch nichts ändert.


Und zum dritten ist die Umbenennung selbst für den Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma „nicht von oberster Dringlichkeit“, wie sich deren Vorsitzender Romani Rose im Focus zitieren lässt.“ „Ich bin Zigeuner. Und ich bin nicht damit einverstanden, dass der Begriff ‚Zigeuner‘ ein mit Klischees und Vorurteilen belastetes Schimpf- und Schmähwort ist“, platzte Tibor Racz in der taz der Kragen. „Und gleichzeitig finde ich es schwierig, dass einige meiner Bekannten mich nicht ‚Zigeuner‘ nennen.


Mit dem Gebrauch politisch korrekter Begriffe stellt sich nicht unmittelbar Respekt ein. Und die alltägliche Diskriminierung wird nicht dadurch geringer, dass man die Bezeichnungen ‚Sinti und Roma‘ benutzt.“ Damit wird im Gefolge von Mohr, Neger & Co. eine unterstellte Fremdzuschreibung für wichtiger gehalten als die eigene Wortschöpfung, deren Etymologie bis heute strittig ist. Mit nur einem Funken gesunden Menschenverstands könnte man erkennen, dass negativ bewertete Begriffe niemals zur Produktkennzeichnung genutzt würden: Wer sollte „Penner-Würstchen“ auf den Markt bringen? Der linksgrüne Zeitgeist entwickelt sich linguistisch aber immer mehr in Richtung Sprachfaschismus – solange freuen wir uns, dass Strauss‘ „Zigeunerbaron“ noch so heißen darf.


Nach Knorr, das sich 2013 noch gegen eine Umbenennung wehrte, wollen auch Bautz’ner und Homann ihre Soßen umbenennen. Den jüngsten Coup in der Tradition Riedels lieferte Mitte August die Foodbloggerin Chaheti Bansal, die die Bezeichnung „Curry“ für viele Gerichte der südasiatischen Küche rassistisch findet. „Es gibt ein Sprichwort, dass sich das Essen in Indien alle 100 km ändert, und dennoch verwenden wir immer noch diesen Oberbegriff, der von Weißen populär gemacht wird, die sich nicht die Mühe machen konnten, die tatsächlichen Namen unserer Gerichte zu erfahren.“ „Natürlich können westliche Köche thailändisches oder vietnamesisches Essen kochen – zu Hause. Aber wenn man davon profitieren will, missbraucht man sein Privileg“, schlägt die Thailänderin Dalad Kambhu Mitte August in der Zeit in dieselbe Kerbe.


Die gängigste der vielen Erklärungen dafür, woher das Wort Curry kommt, ist jene, dass es von den Briten erfunden wurde, die das tamilische Wort „kari“ (Sauce, auch Fleisch oder Beilage zum Reis) nicht richtig verstanden hätten. Der englische Begriff carree ist erstmals 1682 belegt. Im 19. Jahrhundert bürgerte sich die Schreibweise curry ein. Ebenfalls im 19. Jahrhundert wurde das Wort in das Deutsche übernommen. „Woke-Wahnsinn“ titelt Bild. Dann dürfen wir auch nicht mehr „Pasta“ sagen, sondern müssen immer strikt nach Linguine, Penne, Farfalle… trennen.



„Sinn statt Gier“


Ob Korrelation oder Kausalität, sei dahingestellt: Parallel dazu teilte VW mit, die VW-Currywurst vom Speiseplan der Kantine im Wolfsburger Markenhochhaus zu verbannen. „Offenbar möchte man auf diese Weise unerfreuliche Diskussionen mit Klimajüngern und Muslimen vermeiden“, mutmaßt Klaus Kelle auf seinem Blog The Germanz. „Viele Mitarbeiter wünschten sich vegetarische und vegane Alternativen“, heißt es zur Begründung. „Viele sind nicht alle, aber auf die tatsächliche Anzahl der ‚vielen‘ kommt es ja nicht mehr an. Entscheidend sind hier die Moralpunkte, die man im politischen Wettstreit um Subventionen und Staatsgarantien sammeln kann“, ärgert sich der verbraucherpolitische AfD-Fraktionssprecher Baden-Württemberg, Bernhard Eisenhut MdL. Denn die Neuausrichtung diene dem Thema Nachhaltigkeit, weil weniger Fleischverzehr pro Woche auch der Umwelt helfe, heißt es. Damit verschwindet fast das letzte „VW-Originalteil“.


Doch dass die rund 150 Rezepte dann ohne Fleisch auskommen und nur hin und wieder mit Fisch ergänzt werden wollen, rettet aber die Welt nicht. Schon vor drei Jahren rechnete der Stern vor, dass man zwölf Hühner braucht, um die gleiche Menge vegetarische Mortadella herzustellen, die aus einem Schwein fürs „Original“ gewonnen wird. Wenn die Menschen sich immer nur vegan ernährt hätten, würden sie heute noch in Höhlen hausen – denn es war das tierische Eiweiß, dass uns zum Wachstum des Gehirns und damit zu unserem evolutionären Schub verhalf. Mit den Kalorien für die Autobauer sinkt unterdessen auch der Nutzwert der Fahrzeuge, der hochgelobte elektrische ID.3 darf bereits laut Zulassung keine Anhänger mehr ziehen. Vor vier Jahren wurden die Grünen nur für die Idee eines Veggie-Days noch heftig im Wahlkampf geprügelt. So ändern sich die Zeiten. Selbst Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) war sauer und startete die Netzkampagne „#rettetdieCurrywurst“. „Kraftriegel der Facharbeiter“ nannte er das Gericht, und: „Wenn ich noch im Aufsichtsrat von VW säße, hätte es so etwas nicht gegeben.“


Unternehmen wehren sich also dagegen, etablierte Produktnamen zu ändern – und geben dann doch nach. „Große Unternehmen haben unfassbare Angst, auf dem Feld der öffentlichen Meinung zur Schlachtbank geführt zu werden“, sagt der Markensoziologe Oliver Errichiello, Direktor an der privaten Europäische Medien- und Business-Akademie EMBA in Hamburg, der dpa. Für ihn ist der stärkere Fokus auf Haltung statt Qualität „das wirtschaftliche Resultat eines Zeitgeists, der konkrete Leistungserbringung zugunsten von abstrakten Lifestyle-Ideen entwertet - Sinn statt Gier.“ Er findet eine Änderung von Markennamen und Logo riskant. Damit könne eine Präsenz in den Köpfen der Verbraucher zerstört werden, die über Jahrzehnte aufgebaut worden sei.


Auch hier kann man weltweite Beispiele anführen: Aus der Eiscreme „Eskimo Pie“ wurde in den USA „Edy's Pie“, aus Nestlés „Red Skin“ (Indianer)-Lutscher in Australien ein „Red Ripper“-Lutscher. Uncle Ben's Reis soll Ben's Original werden. Das Bild des schwarzen „Onkels“, der für den Reis warb, soll verschwinden, weil er als herabwürdigend gilt. Aus demselben Grund machte Pepsico nach Jahrzehnten mit seiner Marke „Aunt Jemima“ (Tante Jemima) Schluss: Die rundliche schwarze Frau mit Kopftuch erinnere an die gutmütige Haussklavin Mammy in „Vom Winde verweht“, die stets um das Wohl der weißen Herrschaft bemüht war. Zwar spielte der Film nicht im 21. Jahrhundert, sondern im amerikanischen Bürgerkrieg in den 1860er Jahren, doch entspreche dieses Bild nicht den Grundwerten der Marke, hieß es nun. Und während um den österreichischen Dessertklassiker Mohr im Hemd schon lang gestritten wird, hat die Schweizer Handelskette Migros vor einem Jahr das „Mohrenköpfe“ genannte Schaumgebäck des Aargauer Unternehmens Dubler aus den Regalen entfernt. Ein „Komitee gegen gewalttätige Süßigkeiten“ hatte eine Online-Petition dazu gestartet. „Gewalttätige Süßigkeiten“? Auch das ist kein Witz.


Laut Meinungsforschungsinstitut Civey will zwar fast jeder zweite Konsument Produkte häufiger kaufen, wenn sich die politischen Äußerungen von Unternehmen mit den eigenen Auffassungen decken. Letztlich wünsche sich aber nur jeder dritte Konsument (31,4 %) eine klare Haltung von Unternehmen; 58,6 % dagegen sprachen sich für Neutralität aus. Dieses Ergebnis spiegelt ebenso wie der gesamte Umbenennungsdiskurs ein Grundübel unserer Zeit wieder, das man als Ambivalenz von wissenschaftlichem Diskurs und autoritärem Aktionismus identifizieren kann. Wenn wenige Aktivisten sich aus (identitäts)politischen, ideologischen, moralischen, ja oft nur emotionalen, gar egoistischen Gründen als Retter der Vielen, ja der Welt aufspielen wollen, ist das schlicht ein Machtmechanismus, der auf dem Meditatisierungsprinzip „Ausnahme statt Regel“ („Mann beißt Hund“) beruht und auch klar als solcher benannt gehört. Wenn aus diesen subjektiven Gründen, und oft ohne Diskurs, ja Unterdrückung desselben, Macht zementiert, ja erweitert werden soll unabhängig von der faktischen, wissenschaftlichen, objektiven Sinnhaftigkeit des Tuns, liegt eine fatale Verwechslung von Quantität und Qualität, von Relevanz und Evidenz vor. Und die kann ein Gemeinwesen nicht nur spalten, sondern sprengen.





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Über den Autor:


Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.





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