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Thomas Hartung: SÜDLÄNDER? WESTASIATEN? NICHTINTEGRIERTE!

In Berlin entlud sich zu Silvester der Integrationsfrust migrantischer Jugendlicher. Ihre Gewalt wird aber nicht benannt, sondern verniedlicht, verschwiegen, ja verleugnet. So gibt sich der Staat auf.




Im Nachhinein erschien er kurz vor Weihnachten als Menetekel, der Leitfaden für vorgeblich „diskriminierungssensiblen Sprachgebrauch“, mit dem sich die SPD-Innensenatorin Iris Spranger zur Sprachpolizistin aufschwang. Er soll helfen, „die Reproduktion rassistischer, antisemitischer, antiziganistischer, frauenfeindlicher (…) oder menschenverachtender Zuschreibungen in Schrift und gesprochenem Wort [zu] vermeiden“. Das Dokument der „Beauftragten für Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ beim Landeskriminalamt Berlin, das unter „Einbindung einzelner thematisch befasster Nichtregierungsorganisationen“ gestaltet wurde, erweckte damit den Eindruck, als ob der hauptstädtischen Polizei der richtige Sprachgebrauch wichtiger zu sein habe als der richtige Disziplinargebrauch. Dieses „zutiefst fragwürdige Pamphlet“ müsse „umgehend eingezogen“ werden, forderte CDU-Generalsekretär Mario Czaja auf Twitter.


„Sprache“, heißt es darin, „formt … unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit“. Vor diesem Hintergrund werden Begriffe erläutert, sprachliche Alternativen genannt und „zu vermeidende“ Formulierungen aufgeführt. So wird beispielsweise der auch in der Genfer Flüchtlingskonvention gebrauchte Begriff „Flüchtlinge“ kritisiert, weil er Menschen „auf einen Teil ihrer Biografie reduziert“ und mittlerweile „stark negativ besetzt“ sei. Von Begriffen wie Asylbewerber „wird klar abgeraten“. Besser sei etwa „schutzsuchende Menschen“. Vermieden werden soll auch der Begriff „Leitkultur“, dessen Erläuterung weitgehend der des Deutschen Instituts für Menschenrechte entsprach. Wörtlich abgeschrieben wurde, dass den Begriff im Jahr 2000 der „damalige CDU-Generalsekretär Friedrich Merz“ nutzte.


Diese Funktion hatte der heutige Parteivorsitzende aber nie inne, und nach den Tweets von Czaja wurde das gestrichen. Bei anderen Ausführungen zeigten sich bemerkenswerte Abweichungen von der angegebenen Quelle. So wird etwa behauptet, dass Leitkultur als Begriff „vor allem in rechtspopulistischen bis rechtsextremen Kreisen“ kursiere, während im Original steht, dass er „teils in rechtsextremen Kreisen“ genutzt wird. Bei dem Hinweis, dass das Schlagwort „häufiger in der ‚bürgerlichen Mitte‘“ anzutreffen sei, wurde „bürgerliche Mitte“ in Anführungszeichen gesetzt. Damit werden gegenüber Staatsbediensteten unter dem Deckmantel der Antidiskriminierung (partei-)politische Ansichten propagiert: „Die Politisierung der Polizei muss aufhören“, fordert prompt Roland Tichy.


Zwar kann man Polizisten rechtlich nicht zwingen, statt sachlich korrekter Begriffe solche zu nutzen, die bestimmte politische Anschauungen transportieren sollen – was die Polizei Berlin gegenüber der Welt auch einräumte: Es handele sich lediglich „um Empfehlungen, ohne Verpflichtung zum Gebrauch“, weshalb die Beschäftigtenvertretung auch nur „zur Information angeschrieben“ wurde, und es eine „förmliche Beteiligung des Gesamtpersonalrats“ nicht gegeben habe. Doch das ist zutiefst unredlich, ja „ein politischer Taschenspielertrick“, so der Ludwigsburger Verfassungsrechtler Arnd Diringer im selben Blatt. Denn jedem Polizisten sei klar, dass mit den „Empfehlungen“ eine Erwartungshaltung seines Brötchengebers verbunden ist, die zu enttäuschen sich jeder gut überlegt, der auf berufliches Fortkommen hofft.


Statt „illegale Migranten“ soll es „irregulär eingereiste Person“ heißen, statt „Asylbewerber“ „schutzsuchende Menschen“. Den Gipfel des 29seitigen Pamphlets bildet aber die „Empfehlung“, das Wort „südländisch“ zu ersetzen durch geografisch spezifischere Beschreibungen wie „Phänotypus: westasiatisch, gem. Zeugenaussage Arabisch sprechend“. Das ist kein Witz. Wenn Gerhard Polt die Kunstfigur Herr Grundwürmer in seinem berühmten „Mai Ling“-Sketch sagen lässt: „Sie schmutzt nicht, wie der Asiate an und für sich überhaupt nicht schmutzt“, dann ist mit dem Asiaten hier eindeutig nicht der Sibirier, der Perser, der Bewohner des Nahen Ostens, der Afghane und noch nicht einmal der Inder gemeint, sondern ausschließlich Bewohner Südostasiens im weitesten Sinne, vielleicht mit Einschluss Japans und der Mongolei. Auch das Wort „Südländer“ soll nicht mehr benutzt werden, weil es „insbesondere auch durch die Nutzung in verfassungsfeindlichen Medien negativ belegt“ sei. Damit ist dieser linksideologische Sprachkurs auch noch ehrverletzend, da die Beamten, mal wieder, unter Generalverdacht gestellt werden.


Wenn jetzt Araber und Türken korrekt als dem westasiatischen Phänotyp zugehörig beschrieben werden sollen, „ist das eine merkwürdige Rückkehr zur antiken Vorstellung von Asien. Denn die Griechen, die das Wort Asia erfanden, nannten so zunächst nur Kleinasien, also die asiatischen Gebiete der heutigen Türkei“, weiß Matthias Heine in der Welt. Noch die römische Provinz Asia umfasste nur diesen Raum. Doch solche philologischen Finessen hatten die Twitternutzer kaum im Sinne, als sie zum Jahreswechsel den Hashtag Westasiaten trenden ließen – und damit auf den „westasiatischen Phänotyp“ anspielten, dem über zwei Drittel jener Straftäter angehörten, die sich in der Berliner Silvesternacht vor allem in Neukölln und Schöneberg an Polizisten und Feuerwehrleuten abreagierten.


Wirklichkeitsverdrängung um jeden Preis


38 Menschen sollen mit Böllern Einsatzkräfte angegriffen haben. Insgesamt, bezogen auf alle Delikte, wurden allein in Berlin 145 Menschen festgenommen: 45 Deutsche und 100 Angehörige 17 weiterer Nationalitäten, darunter 27 Afghanen und 21 Syrer. Insgesamt seien 355 Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet worden, so die Polizei. Ermittelt werde unter anderem wegen Landfriedensbruchs, Angriffs auf und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Rettungskräfte, gefährlicher Körperverletzung und Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion. 33 verletzte Einsatzkräfte wurden gezählt. Die Feuerwehr zeigte sich überrascht „von der Masse und der Intensität der Angriffe“. Auf achgut beschrieb Ulrike Stockmann, „wie Kreuzungen nicht mehr befahrbar waren, weil das bekannte Klientel der Meinung war, mitten auf der Straße Batterien zünden zu müssen. In der Stunde nach Mitternacht war es grundsätzlich nicht empfehlenswert, nach draußen zu gehen. Auch in Straßenbahnen geworfene Böller können mich nicht mehr schockieren.“ Soweit die Fakten.


Doch deren objektive Wiedergabe stellte die Medien, die öffentlich-rechtlichen zumal, vor das Dilemma, die Realität zu beschreiben – und damit das herrschende Narrativ von der erfolgreichen Migration zu beschädigen – oder aber in jene „Muster des Klein- und Vorbeiredens“ zu verfallen, mit denen sie schon auf die Silvesterübergriffe 2015/16 in Köln reagiert hatten, so Tichys Einblick TE: „Im Fall der Berliner Randale kippt das mediale Dummstellen mittlerweile ins völlig Groteske und Lächerliche.“ Von den Zeitungen sei nur der Tagesspiegel erwähnt, der sich nicht entblödete, mit einem Hinweis auf die frühlingshaften 18 Grad Nachttemperatur zu texten: „Die hohen Temperaturen begünstigten vermutlich die Neigung zur Randale.“ Da freut man sich ja, dass die Fußball-WM in Katar so friedlich blieb. Ganz anders manipulierten die ARD-Tagesthemen die Berichterstattung, indem sie ein RBB-Interview mit einem Berliner Feuerwehrmann an der entscheidenden Stelle abschnitten – nämlich der, an der er („ich nenne das Kind beim Namen“) darauf hinwies, dass es sich bei den Angreifern überwiegend um Jugendliche mit Migrationshintergrund handelte.


Stattdessen fragt der Tagesthemen-Kommentator mit gespielter Naivität, „wer denn sowas macht“ – also Sanitäter und Feuerwehrleute mit Böllern, Wurfgeschossen und Gaspistolen angreifen. Als Antwort präsentiert die Sendung ernsthaft „eine zufällig erstellte Umfrage“ unter drei (!!!) Passanten, die ausnahmslos korrekte Satzbausteine ins Mikrofon sprachen: Die Ausschreitungen hätten „ganz andere Gründe“, so ein Mann, der allerdings nicht ausführt, welche. Ein weiterer Passant belehrt im Soziologenjargon, die Frage nach dem Hintergrund der Täter habe eine „rassistische Konnotation“. Eine Frau weiß schließlich, es handle sich nur um „frustrierte Jugendliche“. Warum die ihren Frust dadurch ausdrücken, dass die Krankenwagen angreifen, möchten die Tagesthemen gar nicht erst wissen. Online behauptete die Redaktion später, der von ihnen zensierte Berliner Feuerwehrmann habe seine Eindrücke „anonym“ geschildert. Eine Lüge: im Originalinterview findet sich sein voller Name Baris Conban, selbst Migrant, eingeblendet. Ihm kann also eine „rassistische Konnotation“ auch beim besten Manipulationswillen nicht untergeschoben werden.

Der WDR holte als Experten den Streetworker Franco Clemens vor die Kamera, der ebenfalls das passende Narrativ der benachteiligten Jugendlichen ablieferte. Clemens‘ Name findet sich auch noch woanders: als von der Fraktion der Linkspartei in Köln registrierter „sachkundiger Bürger“ im Jugendhilfeausschuss. Erst, als der Sender auf Twitter dafür kritisiert wurde, reichte er – klein und verspätet – einen „Transparenzhinweis“ auf die politische Betätigung seines Gesprächspartners nach. Ein besonderes Rechenkunststück bot der BR: aus der Polizeimeldung, dass von den 145 Festgenommenen in Berlin 45 die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, machte der Sender: „Die meisten Verdächtigen sind Deutsche.“ Richtig ist: Besitzer eines deutschen Passes stellen die größte Gruppe – was in einer Stadt, in der 80 Prozent der Bewohner die deutsche Staatsbürgerschaft haben, kaum verwundern kann.


Das ZDF wiederum veröffentlichte auf seiner Webseite statt einer journalistischen Aufarbeitung einen langatmigen Aufsatz des Berliner Politikwissenschaftlers Ozan Zakariya Keskinkılıç, der schon in der Überschrift das Strohmann-Argument setzt: „Soziale Probleme statt Migration bekämpfen“ – so, als hätte irgendjemand pauschal die „Bekämpfung von Migration“ gefordert. In seinem Text gelingt es dem Autor, die Realität ins völlige Gegenteil zu verdrehen, in dem er ernsthaft schreibt: „Auch der Staat muss Verantwortung übernehmen, statt einseitig Respekt von Menschen zu erwarten, für deren Lebensrealitäten er sich recht wenig interessiert.“ Wenn die meisten Bürger und – eigentlich – auch der Staat von allen verlangen, sich an die Gesetze zu halten, dann ist das nach Ansicht des ZDF-Experten also „einseitig“. Und wenn Jugendliche, die meist aus patriarchalischen, gewaltaffinen Familien stammen, Rettungskräfte angreifen, dann liegt es eben daran, dass der Staat nicht genug „Verantwortung“ zeigt. Das ist ebenfalls kein Witz.

Ein wahres Meisterstück der Verleugnung liefert ein WELT-Video, in dem Polizeigewerkschaftschef Rainer Wendt zwar den Berliner Senat kritisiert, als Täterprofil für die Silvestermarodeure jedoch lediglich „die üblichen Krawallmacher, die auch sonst Autos anzünden und Steine auf Polizistinnen und Polizisten werfen“, angibt. Meint er damit jetzt die Linksextremen? Keiner der beiden Moderatoren fühlte sich berufen, Wendt dazu auf den Zahn zu fühlen. Immerhin zeigt sich der genervt von der dauerempörten und gleichzeitig untätigen Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey.

In der 14-Uhr-Tagesschau vom 2. Januar wurde ARD-Reporters Thomas Rostek von Moderatorin Susanne Stichler gefragt: „Wer sind denn die Täter, was weiß man denn dazu?“ Seine Antwort lautet: „Von den Tätern zu sprechen, ist in solchen Kontexten immer ein bisschen schwierig. Tatsächlich ist es so, dass die Gewerkschaft der Polizei sich dazu bereits geäußert hat und gesagt hat, es seien gruppendynamische Prozesse. Also ein gesamtgesellschaftlich großer Druck, der geherrscht hat, ähm, geherrscht haben soll, anlässlich jetzt nach zwei Jahren Pandemie und dass man da eben versucht, ähm … genau … dass man eben an Pyrotechnik auch leicht rankommt und dort eben das zu großen Problemen geführt habe.“ Auch das ist kein Witz. Selbst dem ehemaligen ARD-Programmdirektor Volker Herres fiel das als „politisch korrektes Geschwurbel“ auf. Unter seinem Tweet unterhielten sich seine Ex-Kollegen dann über die Angemessenheit einer solchen öffentlichen Kritik durch einen Insider.

Den Vogel schoss NDR-Info ab, das den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD), der von seinem Karrieresprung offenbar noch nichts ahnte, explizit fragte, ob die Täter nicht auch rechtsextremen Hintergrund hätten. Der Parteisenderfreund spielte das Spiel willig mit: „Es sind überwiegend junge Männer und zum Teil aus dem rechtsextremen Milieu, aber auch aus migrantischem Milieu“, ließ er sich mit einer Antwort zitieren. Der FAZ teilte sein Ministerium später mit, dass „zu den genannten Merkmalen … bisher keine Daten verfügbar seien“. Matthias Nikolaidis ärgert sich auf TE: „So schafft man ein fiktives Gleichgewicht des Grauens, das die reale Gefahr scheinbar neutralisiert, tatsächlich aber die Wirklichkeit vernebelt.“ Der oberste Sendeauftrag scheint mittlerweile „Wirklichkeitsverdrängung um jeden Preis“ zu lauten. Man könnte es noch schonungsloser fassen: Während heutzutage alles und jeder „sichtbar“ gemacht werden soll, ist es nun oberstes Ziel, die Täter unkenntlich zu machen und stattdessen von „jungen Männern“ zu fabulieren.


Alberne Nebelkerzen


Die Reaktionen der Politik nun waren zunächst komisch. Ex-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht nahm am Frankfurter Tor eine Art Neujahrsansprache auf, in der inmitten von Feuerwerksgetöse der Satz fiel: „Mitten in Europa tobt ein Krieg.“ Auch das ist kein Witz. Und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (beide SPD) bewies ein eigenwilliges Rechtsverständnis mit seinem ersten Tweet im neuen Jahr: „Eine Schande, dass eine kleine Gruppe von Chaoten gerade die Rettungskräfte angreift. Ich danke allen, die Verletzten und Kranken in dieser Nacht geholfen haben. Rücksichtslose Gefährdung der Rettungskräfte sollte ein Grund zur Kündigung der Wohnung sein.“ Kurz danach löschte er den Satz. Nur wenig ernsthafter bat Neuköllns Integrationsbeauftragte Balci zunächst darum, die Herkunft der Täter nicht zu beachten, mit dem Argument, dass diese gewaltbereiten Täter in den Vierteln schließlich nicht die Mehrheit der Bevölkerung stellten. Aha.

Neuköllns Bürgermeister Hikel lehnte einen „pauschalen“ Hinweis auf die Täterherkunft mit dem Argument ab, dass Menschen mit Migrationshintergrund schließlich auch zu den Opfern der Gewalttaten gehörten. Im Übrigen gebe es unter diesen auch friedliebende Menschen. Doch wer behauptet bei all den Punkten das Gegenteil? Es wird so getan, als hätte man mit der Feststellung, dass 90 Prozent der Täter Menschen mit Migrationshintergrund aus „Westasien“, damit auch behauptet, „90 Prozent aller jener ‚Westasiaten‘ hier im Land seien Gewalttäter. Das haben sie aber gar nicht, es sind völlig verschiedene Dinge, und wer sie in einen Topf schmeißt, begeht hochgradig Demagogie gegen den nötigen Realitätssinn“, ärgert sich Uli Kulke auf achgut.


Die rhetorischen Gegenschläge aus den anderen Ländern und dem Bund erschienen dann ebenso vorhersehbar parallelweltlich. Wie man bei mehr Ladendiebstählen ja einfach das Einkaufen verbieten könnte, kamen zunächst Forderungen nach einem Böllerverbot auf: Schuld ist das Feuerwerk, nicht die Hand, die es wirft, belustigt sich Roger Letsch auf achgut. So twitterte die schleswig-holsteinische Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) „Wir können jetzt natürlich gerne 18 Wochen lang dämliche Metadebatten über Integration führen oder wir schützen Einsatzkräfte und Bevölkerung mit einem Verbot von Böllern. Wie schwer kann es sein [sic!] eine so einfache Lösung für ein klares Problem zu finden?“ Die „einfache Lösung“ gilt übrigens an 364 Tagen im Jahr. Für den Kieler FDP-Fraktionschef Christopher Vogt grenzt es prompt an Arbeitsverweigerung, „wenn die zuständige Integrationsministerin plötzlich nicht mehr über Integration sprechen will und stattdessen nur alberne Nebelkerzen wirft“.


Das Problem seien offenkundig völlig enthemmte Jugendliche, die keinen Respekt vor dem Rechtsstaat haben und gezielt Einsatzkräfte angreifen. „Da treten erhebliche Erziehungs- und Integrationsdefizite zu Tage.“ Ein pauschales Feuerwerksverbot bringe bei dieser Form der Verrohung bei bestimmten Gruppen hingegen gar nichts. Das unterstützten auch der Parlamentarische Geschäftsführer und der innenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg, Emil Sänze MdL und Daniel Lindenschmid MdL; „aus dem Fehlverhalten einer bestimmten Gruppe darf doch kein Verbot für die gesamte Bevölkerung folgen“, befindet letzterer. „Offenbar halten es einige Politiker für zumutbarer, einer großen Gruppe den Spaß zu vermiesen, als eine kleinere Gruppe zur Einhaltung der Regeln zu bewegen“, meint auch Letsch.

Dass darin eine gehörige Portion Rassismus in Gestalt gesenkter Erwartungen steckt, entbehrt gerade im Fall der stolzen „Person of Color“ Aminata Touré nicht einer gewissen Tragik. Mehr als die Hälfte aller Bundesländer übrigens ist einer Tagesspiegel-Umfrage zufolge gegen ein generelles Böllerverbot in Deutschland – Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Schleswig-Holstein, Thüringen, Sachsen-Anhalt und das Saarland. Für den rheinland-pfälzischen Innenminister Michael Ebling (SPD) ist Gewalt gegen Einsatzkräfte, die sich für unser aller Schutz in gefährliche Situationen begeben, ein Problem, das nicht nur in der Silvesternacht vorkomme, sondern das ganze Jahr: „Ein Böllerverbot trifft deshalb nicht den Kern des Problems“.

In einem Zeit-Leserbrief sekundierte Andreas Müller aus Dormagen: „Ich bin seit über 38 Jahren Berufsfeuerwehrmann und beobachte diese Entwicklungen seit Langem mit Sorge. Die Gewalt gegen Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten nimmt seit Jahren zu. Das weiß die Politik, tut aber nicht wirklich was dagegen. Grenzen setzen ist out! Wir haben leider nur noch populistische Schönwetter-Politiker, die Angst um ihre Wiederwahl haben.“ Berlins Landesbrandschutzmeister Karsten Homrighausen berichtete von mindestens 20 Barrikaden, die in der Silvesternacht errichtet wurden, um Feuerwehrleute anzugreifen. Zum Teil seien Feuerwehrmänner in Hinterhalte gelockt worden, darunter auch Ehrenamtler. Die Gewalt gegen die Einsatzkräfte hat demnach „eine ganz neue Intensität“ erreicht.


Mehr als ein Jugendproblem


Anschließend rang sich die SPD nach einem Vorortbesuch der Berliner de-facto-noch-Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey und Bundesinnenministerin Nancy Faeser bei Homrighausen wenigstens mehrheitlich dazu durch, von massivem „Werteverfall“ und einer Respektlosigkeit, die das ganze Jahr über sichtbar werde, zu sprechen. Die „jungen Menschen“ fühlten sich „nicht mehr in dem Maße einer Gesellschaft zugehörig fühlen, wie wir das als normal betrachten würden“. Die Taten seien in Brennpunktlagen erfolgt, „wo wir seit Jahren investieren, auch Sozialarbeit machen und dennoch ist es passiert“, so Giffey – eigentlich ist das das Eingeständnis eigenen Scheiterns: „Liebe Regierende Bürgermeisterin, merkst du nicht, dass du über dich selbst redest?“, fragt SPD-Lokallegende Heinz Buschkowsky, Giffeys Vorgänger als Neuköllner Bezirksbürgermeister.


Ihr oberflächlicher Lösungsansatz: ein Gipfel gegen Jugendgewalt –„hilflos“ nennt das Tilo Sarrazin in der Jungen Freiheit: „Mitten in der Empörung tendiert der gewiefte Politiker schon wieder zur Verharmlosung. Es handelt sich um mehr als ein Jugendproblem, das man durch mehr Geld und ein paar zusätzliche Sozialarbeiter lösen könnte.“ Denn dann würde noch viel mehr Geld in die Integration von Integrationsverweigerern gesteckt, in viele neue Posten für Sozialarbeiter, Irgendwas-Beauftragte oder Multikulti-Pädagogen. Dass diese Prioritäten völlig daneben sind, liegt auf der Hand, denn das Geld fehlt andererseits für Infrastruktur, für Schulen, Krankenhäuser oder Altenheime. Faeser nun ergänzte, erwartbar, eine Verschärfung des Waffenrechts (!) – obwohl man auch mit kleinem Waffenschein nicht an Sylvester mit einer Schreckschusswaffe im öffentlichen Raum schießen darf. Dazu bedarf es einer Schiesserlaubnis. Und die bekommt man nicht für Silvester, jedenfalls nicht in Berlin und auch nicht, wenn man vorbestraft ist und/oder Hartz 4 bezieht.


Innensenatorin Spranger steigerte das Forderungsrepertoire der Sozialdemokratie, indem sie den Eltern der Silvesterrandalierer mit dem Entzug der Duldung drohte. Das wäre schon ein Gegenakzent im Vergleich mit dem offiziell bekundeten Wunsch der Ampel, die Duldungen abgelehnter Asylbewerber möglichst in ein dauerhaftes Bleiberecht zu verwandeln. Droht jetzt also die Abschiebung der Täterfamilien durch die Berliner Innensenatorin? „Angesichts der Berliner Landeskoalition (Rot-Grün-Rot) muss man befürchten, dass es nur wohlfeiles Vor-Wahl-Gebell war“, meint Nikolaidis. Minderheitlich erklärte dagegen Sawsan Chebli in der Zeit: „In Deutschland ist die Integration nicht gescheitert, weil es am Silvesterabend zu Gewalt kam.“ CDU-Vize Carsten Linnemann konterte prompt: „Ist sie doch. Wenn Menschen, die eigentlich Schutz suchen, unseren Rechtsstaat mit Füßen treten, ist sie gescheitert.“


Das ist ein Tabubruch


Und an dieser Stelle taten sich drei Argumentationsstränge auf. Der erste folgte der Erkenntnis: Wenn man ein Problem nicht klar benennt, dann bekommt man es nie gelöst. „Schweigen fördert Ungleichheiten und das Wegsehen verstärkt die Wirkmächtigkeit noch zusätzlich“, resümierte Gregor Kucera in der Wiener Zeitung. Und so sieht Berlins CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzender Kai Wegner MdA in einer Senatsanfrage die gescheiterte Integrationspolitik in vielen Teilen der Stadt als Ursache der Silvesterkrawalle. Man habe in der Vergangenheit viele Probleme „nicht wahrgenommen und weggedrückt“: „Ich lasse nicht mehr zu, dass wir uns vor Problemen wegducken.“ Wegner verteidigte den Fragenkatalog für den Innenausschuss des Abgeordnetenhauses, in dem die CDU auch nach Vornamen von Tatverdächtigen mit deutscher Staatsangehörigkeit fragt. „Wir müssen die Namen wissen, damit wir passgenaue Antworten geben und die Jugendlichen erreichen können“, sagte er. Kritik von SPD und Grünen, die der CDU deswegen Rechtspopulismus vorgeworfen haben, wies er zurück. Es sei traurig, dass die rot-grün-rote Landesregierung durch solche Vorwürfe von den eigentlichen Problemen in Berlin abzulenken versuche, sagte Wegner. „Wer Probleme immer und immer wieder verdrängt, erhält sie mit vielfacher Wucht zurück“, meint Roland Tichy.


Die Anfrage löste in den sozialen Medien zahlreiche Reaktionen aus – obwohl sie nur eine Kopie einer AfD(!)-Anfrage von 2021 aus dem Düsseldorfer Landtag war. „Neuer Gipfel der Schäbigkeit: Die CDU hat Fragen für den Innenausschuss zu Silvester2022 eingereicht und fragt nach den Vornamen der deutschen Tatverdächtigen. Offenbar, um ihnen damit das Deutschsein abzusprechen“, tobte Niklas Schrader MdA, Sprecher für Innenpolitik der Linksfraktion. Würde Schrader auch der Überzeugung sein, dass Herr Thomas Schmidt mit seinem chinesischen Pass ein waschechter Chinese ist, ebenso wie Frau Gudrun Müller mit ihrer türkischen Staatsangehörigkeit eine richtige Türkin? Für Vasili Franco (Grüne) kündet schon die Frage von Rassismus. Interessant: Vornamen wie Thomas, Detlef oder Hans wären doch sicher ganz in seinem Sinne: Deutsche machen das auch. Oder erwarten bzw. befürchten Franco und andere Kritiker andere Namen auf der Liste: Mohammed, Ali, Erkan? Wenn ja, dann sind sie es, die rassistische Vorurteile haben.


Der Mainzer Klimaaktivist Maurice Conrad twitterte: „Wer Listen mit Vornamen anfertigt, um daran die Abstammung von Menschen abzulesen und sie vermeintlich als ‚nicht richtig deutsch‘ zu entlarven, steht in der Tradition des Nationalsozialismus. Damals waren es Israel & Salomon, jetzt sind es Ali & Mohammed. Das ist ein Tabubruch.“ Kann sich jemand erinnern, dass Israel und Salomon deutsche Städte in Schutt und Asche gelegt hätten? Dasselbe Totschlagsargument bemühte Helge Lindh (SPD) „…die Rassifizierung nach Namen steht in der Tradition der Namenspolitik der Nazis. Wir werden Zeuge einer völkisch-rassistischen Enthemmungswelle der CDU“.


Die CDU lasse „ihre rechtspopulistische Maske fallen“ (oder setzt sie gerade auf?), meinte der SPD-Innensprecher Tom Schreiber. „Wie sich das wohl anfühlt für all die Mitglieder und WählerInnen von CDU und CSU, die keinen ‚deutschen‘ Vornamen haben“, fragte der grüne Fraktionsvize Konstantin von Notz MdB auf Twitter. Für die grüne Landesvorsitzende Bettina Jarasch handelt es sich schlicht um die „Jugend in Berlin“, die nun einmal zu zwei Dritteln Migrationshintergrund habe. Um die Ereignisse der Silvesternacht zu verstehen, twitterte Giffey, müsse man sich die Lage in den sozialen Brennpunkten anschauen und nicht im Parlament nach Vornamen fragen. Das Problem: Die Gruppe der Zuwanderer – Asylbewerber, Schutzberechtigte, unerlaubt Aufhältige und Geduldete – war 2021 für 44 Prozent aller Tötungs- und 37 Prozent aller schweren Gewaltdelikte verantwortlich, obwohl sie nur etwa zwei Prozent der Bevölkerung ausmacht. Aber das brauchen Giffey & Co. ja nicht zu wissen.


Man badete lieber in Politischer Korrektheit


Der zweite Argumentationsstrang kam der Realität schon näher. Denn: 1,3 Millionen Zuwanderer zogen gemäß dem aktuellen Migrationsbericht der Bundesregierung allein 2021 aus aller Welt in die Bundesrepublik. Hiervon stammten gut 500.000 aus Ländern außerhalb des europäischen Kontinents; und: lediglich 40.000 von den letztgenannten erhielten in Deutschland einen Aufenthaltstitel zur Erwerbstätigkeit! Das heißt: Von Nicht-Europäern, die nach Deutschland migriert sind, kamen vorletztes Jahr nicht einmal 10 Prozent, um hier zu arbeiten. Stattdessen ist von den üblichen Verdächtigen auszugehen: Asylantragstellern, „Flüchtlingen“ und Familiennachzüglern. Insgesamt 190.816 Asylanträge wurden 2021 in Deutschland gestellt – die Differenz lässt sich gemäß Statistik auffüllen mit Geduldeten, „humanitären“ Aufenthaltsgenehmigungen, allgemeinen Aufenthaltsgestattungen und – natürlich – „sonstigen Gründen“.


Andererseits: 45 Prozent derer, die Hartz IV bekommen, haben Migrationshintergrund. Der damalige Daimler-Chef Dieter Zetsche sagte 2015, Flüchtlinge lösten das Fachkräfteproblem. Heute sind zwei Drittel der Syrer, die ankamen, in Hartz IV: Über 300.000 Menschen, oft 20- bis 30-Jährige. Betrachten wir allein Neukölln, ballen sich die Probleme beim Zusammenleben von Menschen aus 150 Nationen (!) auf 330 000 Einwohner; damit ist der Stadtteil größer als Karlsruhe oder Mannheim. Die Polizei rückt im Schnitt alle sieben Minuten zum Einsatz aus. 12,9 Prozent der Neuköllner sind arbeitslos, zwei Drittel des kommunalen Haushalts gehen für Sozialleistungen drauf.


Jan Fleischhauer rechnete das im Focus bundesweit hoch: „44 Milliarden Euro geben wir jetzt schon jedes Jahr für die Unterstützung von Leuten aus, die entweder nicht arbeiten können oder nicht arbeiten wollen, weil das, was sie als Ungelernte verdienen würden, nicht so wahnsinnig von dem entfernt ist, was sie an Sozialhilfe bekommen. Oder wir entscheiden uns, mal genauer hinzusehen, was schiefläuft. Das würde allerdings voraussetzen, dass man aufhört, jeden einen Rassisten zu nennen, der auf Integrationsprobleme hinweist.“ Das bekräftigt auch Tichy: „Wer die Migrationspolitik kritisiert, ist kein Ausländerfeind“.


Für die Integrationsbeauftragte Reem Alabali-Radovan geht es hauptsächlich um junge Männer, die in einer Gruppe Gewalt als Erlebnis empfinden: „Bei vielen Tätern handelt es sich zu einem großen Teil um hier aufgewachsene Jugendliche. Was wir brauchen, ist eine ehrliche Debatte über Jugendgewalt.“ Integration, schreibt sie weiter, „ist eben vor allem eine soziale Frage, darüber sollten wir mehr sprechen“. Damit aber wird jede kulturelle Prägung ausgeblendet. Das sah die Publizistin Anabel Schunke auf Facebook ähnlich: „In ihrem Milieu ernten sie für dieses Verhalten noch Applaus, werden als Helden gefeiert. Es herrscht nicht nur kein Bewusstsein dafür, wie man sich in dieser eigentlich zivilisierten Gesellschaft verhält, schlimmer noch: Es ist einem völlig egal, weil man gar nicht Teil dieser Mehrheitsgesellschaft sein will.“

Wenn man den jugendlichen Gewalttätern zuhört, wie das Reporter von Achtung Reichelt taten, erfährt man, dass sie die Stimmung auf Berliner Straßen einerseits für normal halten, weil sie schon selbst Krieg erlebt hätten. „Das war für uns normal, Bruder … So ein bisschen Heimatgefühl“, erzählt ein Mann aus Syrien und dass sie andererseits einen absoluten Mangel an Respekt für die Polizei bekunden: „Die Mädels haben wir schon gefickt. Die Polizei kann unsere Eier lecken“, zitierte Judith Sevinc Basad auf Twitter aus ihren O-Tönen. Für Marc Felix Serrao von der NZZ steht fest, dass die Gewalt- und Straftäter in Deutschland „jung, männlich und fremd geblieben“ sind.


Damit aber rächen sich sämtliche Fehler der Vergangenheit. „Man hat die Probleme bereits zu einer Zeit verdrängt, als der Einwanderungsdruck noch nicht so groß war, die Demographie noch nicht so weit gekippt war und der politische Islam sich noch nicht so weit in den Köpfen der muslimischen Migranten ausgebreitet hatte“, meint Sarrazin. Trotz Texten wie 2005 Necla Keleks „Die fremde Braut“, 2010 Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ oder 2015 Ahmad Mansours „Generation Allah“ – diese und viele andere Warnungen „haben Politik und Medien in Deutschland vor Wunschdenken und Illusionismus nicht bewahrt. Man badete lieber in Politischer Korrektheit, schlug die Augen nieder vor offenkundigen Gefahren und verteufelte jene, die das kommende Unheil klarer sahen als andere und es auch benannten“, ärgert sich das Ex-SPD-Mitglied.


Bekenntnis der Lebenspraxis anpassen


Aus der linken Parallelwelt tönte dagegen Jagoda Marinic im Stern: „Die Jahrzehnte ausländerfeindlicher Rhetorik in der Bundesrepublik haben ihre Spuren hinterlassen“, befand sie. „Die alten Feindbilder sind in den Köpfen vieler Bundesbürger fest verankert, es braucht nur wenige Striche, um das alte Bild von den ‚bösen Fremden‘ neu zu zeichnen, die das Land angeblich kaputt machen. Das Ganze ist so denkfaul wie einfach, so bequem wie unambitioniert – und das in einer Zeit, in der die Komplexität der meisten Probleme ohnehin viele Menschen überfordert. Stattdessen macht man mit alten Denkreflexen Klicks und schlägt politisch Kapital.“ Der Konservative übersetzt: Wer die Realität zur Grundlage seiner Wahrnehmung macht, ist denkfaul, einfach, bequem und unambitioniert. Das ist ebenfalls kein Witz.


Doch es kam noch besser. Prof. Karim Fereidooni, Bochumer Rassismusforscher, erklärte im WDR: „Diese Debatten führen zu nichts, sie sind hochgradig unwissenschaftlich. Es gibt keine Nähe zwischen bestimmten Kulturen und Kriminalität.“ Und folgert messerscharf „Die Debatte führt dazu, dass Menschen, die vielleicht mal überlegen, nach Deutschland zu kommen, sich andere Zielländer suchen, weil sie nicht glauben, dass sie als vollwertige Bürger:innen hier anerkannt werden. Ich glaube, diese Debatte … beschädigt sozusagen die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland.“ Auf Deutsch: Je lauter die Migranten böllern und je gewalttätiger sie gegen Rettungskräfte sind, desto vollwertigere Bürger sind sie. Das ist auch kein Witz.


Zwar räumt die SPD-Politikerin Sawsan Chebli auf Twitter ein, dass alle „Migranten:innen“, mit denen sie sprach „wütend auf die Jungs“ seien. Andererseits fühlten sich „alle durch den Rassismus in der Debatte in ihrem Urteil bestätigt: sie werden nie dazugehören.“ Allein die Herkunft zu thematisieren ist also heute Rassismus. „Dass Silvester so gewalthaltig war, reiht sich ein in einen Anstieg an Gewalt in der gesamten Gesellschaft“, sagt Sozialpsychologe Andreas Zick. Andere erklären die Randale auch damit, dass junge Leute immer brutalere Videos bei Netflix sähen und auf Tiktok teilen. So will Julia Jüttner im Spiegel die parallel stattgehabten Krawalle in Bonn auf dem französischen Film „Athena“ zurückführen, in dem Regisseur Romain Gavras die sozialen Konflikte einer Banlieue abbildet.

Nicht nur mit Blick auf solches Geschwurbel ärgert sich Fleischhauer: „Wenn Lebenspraxis und politisches Bekenntnis zu weit auseinanderklaffen, hat man nur die Möglichkeit, das Bekenntnis der Lebenspraxis anzupassen – oder die Wirklichkeit zu leugnen.“ Wie – nicht zuletzt nach Corona – ein Volk wieder zueinander finden kann, in dem der gesunde Menschenverstand der urbanen Mehrheit und die woke Propaganda der politmedialen Minderheit derart auseinanderklaffen, weiß derzeit niemand zu beantworten.


Realität nicht mehr zur Kenntnis nehmen


Der dritte Argumentationsstrang nun dachte Verhalten, Kultur und Bildungsniveau zusammen. Angesichts einer Verdreifachung des Migrantenanteils allein von Viertklässern binnen eines Jahrzehnts kann man erahnen, wie es mit der „Bildungsnation“ Deutschland weitergeht, wenn es nicht gelingt, Schüler „mit Zuwanderungsgeschichte“ an gewisse Standards heranzuführen, meint Ex-Lehrerpräsident Josef Kraus auf TE. Allein in Neukölln hatten vor der Pandemie 10,9 Prozent der Schulabgänger keinen Abschluss. Multikulti-Schule geht nicht, so Kraus‘ These. Schüler-Väter wollten nicht mit Lehrerinnen reden, sie würden von radikalen muslimischen Eltern und deren Nachwuchs bedroht, wenn sie sich kritisch über Kopftuch, Kinderehe, Zwangsbeschneidung, Verwandtenehe, Mehrfachehe und dergleichen äußern. Oder sie sähen sich Beschwerden ausgesetzt, wenn sie die Weltgeschichte der Sklaverei behandeln oder auf den Völkermord der Osmanen an den Armeniern eingehen. Sanktionen für rabiate Schüler, die schon auch mal in Begleitung von drei starken Brüdern auftreten, gebe es nicht.


Sicher mit Blick auf diese Vorgänge setzte sich CDU-Chef Friedrich Merz jüngst gründlich in die Nesseln, als er bei einem Auftritt bei Markus Lanz von „kleinen Paschas“ sprach. Die Äußerung wurde als so skandalös empfunden, dass die Diskussion darüber immer noch nicht ganz abgeebbt ist, wunderte sich Fleischhauer: „Ich kann mir das Getobe nur so erklären, dass man eine Diskussion über Bildungsdefizite um jeden Preis vermeiden will. Teile der politischen Klasse haben offenbar beschlossen, die Realität einfach nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen.“ Bereits Pisa 2000 ergab, dass ein Ausländeranteil von mehr als zwanzig Prozent zu einer „sprunghaften“ Verringerung des Leistungsniveaus führt.

Ex-Ifo-Chef Hans Werner Sinn sagte in seiner Münchner Abschiedsvorlesung schon 2015: „65 Prozent der Bevölkerung in Syrien können die Grundrechenarten nicht.“ Aber eine womöglich unterschiedliche kognitive Begabung „Zuwandernder“ darf man gar nicht thematisieren, konstatiert Kraus und führt als Beispiel den Psychologen Bruno Klauk an, der das 2020 dennoch getan hatte. In der Wirtschaftspsychologie veröffentlichte er einen Beitrag zur „Intelligenzdiagnostik bei überwiegend Nicht-EU-Migranten“. Danach erzielten die 505 Getesteten im Durchschnitt das Niveau von deutschen Hauptschülern. Zusammenhänge fanden sich allerdings zwischen der Testleistung und der Weltregion, aus der jemand zugewandert ist, ferner dem Beruf im Heimatland. Vier Mitherausgeber der Wirtschaftspsychologie sind deswegen zurückgetreten, weil sie in Klauks Studie rechtspopulistische Ambitionen zu erkennen meinten. Das ist ebenfalls kein Witz.


Die Kinder dieser Gruppen müsse man mit den Mitteln der Bildungs- und Gesellschaftspolitik ihrem Milieu entziehen, fordert Sarrazin. „Das heißt: Verbindliches Deutschlernen für alle, auch für die Mütter. Dazu gehört ebenfalls, dass das Kindergeld und andere soziale Leistungen verbindlich an den Besuch von Kitas und Schulen gebunden werden. Und schließlich müssen die Anforderungen in den Schulen so gesetzt werden, dass unter den migrantischen Kindern und Jugendlichen die Leistungsträger gefördert, herausgefordert und besonders geehrt werden. Wer sich die Kulturtechniken, die in einer modernen Gesellschaft unerlässlich sind, nicht aneignen will, weil er dazu zu borniert, zu stolz, zu träge oder zu Macho ist, soll sich auch nicht mehr im Mythos seiner muslimischen Männlichkeit sonnen dürfen.“


Die CDU, immerhin, scheint nicht nur auf Sarrazin, sondern auch auf die AfD zu hören, die von Anbeginn nicht nur auf Grenzsicherung und Abschiebung setzte. So hat Czaja offenbar den Antrag „Deutsch als verpflichtende Umgangssprache an Schulen“ (Drs. 16/1526) der AfD-Fraktion Baden-Württemberg von 2017 (!) gelesen, als er Mitte Januar 2023 eine „Deutschpflicht auf Schulhöfen“ forderte. Denn im Sinne sozialen Zusammenhalts ist es in den Schulen unerlässlich, so damals die Begründung des bildungspolitischen AfD-Fraktionssprechers Dr. Rainer Balzer MdL, „dass es eine gemeinsame Sprache der Kommunikation gibt, die keine Schüler anderer ethnischen Herkunft ausschließt. Deshalb muss Deutsch Umgangssprache für alle Beteiligten in den Schulen werden, sowohl während des Schulunterrichtes als auch außerhalb, auf dem gesamten Schulgelände.“ Schulkonferenzen einiger Berliner Schulen haben nicht umsonst im Rahmen freiwilliger Vereinbarungen entschieden, die deutsche Sprache auch außerhalb des Unterrichts auf dem Schulgelände vorzuschreiben.


Einige Tage danach wagte sich Linnemann noch weiter aus der Deckung: Er will einen verpflichtenden Sprachtest für Vierjährige im Grundsatzprogramm seiner Partei verankern und mit der Pflicht verknüpfen, bei Defiziten eine Vorschule oder eine Kita zu besuchen. Bereits im Oktober hatte die CDU-Kultusministerin Schleswig-Holsteins, Karin Prien, ein verpflichtendes Kita-Jahr für Kinder mit Sprachförderbedarf gefordert. Beides hatte aber schon Monate zuvor die AfD-Fraktion Baden-Württemberg in ihrem „Das Gute-Schulstart-Gesetz“ (Drs. 17/2901) verlangt: Es sah ein Brückenjahr vom Kindergarten zur Schule mit einem verbindlichen Sprachtest vor. „Denn klar ist, dass vor dem Hintergrund der geförderten Migration die Anzahl der Kinder steigen wird, die bei ihrer Einschulung der deutschen Sprache kaum oder gar nicht mächtig sind und somit dem Unterricht nicht folgen können“, erklärte Balzer. Dass beide Initiativen von der CDU abgelehnt wurden, spricht Bände über deren wirklichen Willen zur Problemlösung.


Gewaltmonopol hat nur der Staat


Für den Berliner Ex-SPD-Politiker Erol Özkaraca zeigt der Einsatz von Feuerwerkskörpern gegen Vertreter des Staates, „dass man den Staat, seine Gesetze, seine Organe, seine Werte nicht respektiert und ihn auch nicht ernst nimmt, sondern ihn herausfordern will, weil man sich stärker glaubt.“ Es ist Staatsversagen, schreibt er auf achgut, wenn der Staat nicht in der Lage ist, sein Recht und sich selbst durchzusetzen: „Das Gewaltmonopol hat nur der Staat. Recht darf Unrecht niemals weichen. Der Aufschrei wird zwar groß sein, da muss man um des Rechtsstaats Willen durch. Wer nachgibt, hat verloren. Respekt bekommt man eben nicht geschenkt. Freiheit im Übrigen auch nicht. Beides ist zu verteidigen!“ Und Stockmann nüchtern: „Wenn man die gemeinschaftlichen Regeln eines Landes nicht mehr durchsetzt, dann ist Gesetzlosigkeit die logische Folge.“


„Wir müssen aufhören, schranken- und bedingungslose Migration schönzureden, sondern ernsthaft über den Schutz des Landes und seiner Bürger nachdenken“, beginnt Tichy seine „12 Thesen und Forderungen zur Migrationspolitik. „Einwanderung muss kontrolliert werden“ und „Grenzen sichern“, lauten denn auch zwei Forderungen: „Längst nicht alle sind wirklich auf der Flucht vor Gewalt und Krieg. Die Anerkennung als Asylbewerber ist selten, und trotzdem will die Bundesregierung den Daueraufenthalt erleichtern und die deutsche Staatsangehörigkeit billigst zuteilen. Wer Gewalt und Gesetzesbruch auch noch honoriert, darf sich nicht beklagen, wenn er Gewalttäter und Gesetzesbrecher erhält.“

Das sieht Sarrazin ebenso: „Um das Problem in den Griff zu bekommen, muss zunächst der ständige Nachschub aus illegaler Einwanderung wirksam begrenzt und besser kontrolliert werden. Dazu zeigt sich die deutsche und europäische Politik seit Jahrzehnten strukturell unfähig, und auch die amtierende Innenministerin Nancy Faeser (SPD) macht keine Anstalten, daran etwas zu ändern“, klagt er. Sein Fazit liest sich vernichtend: „Ich sehe gegenwärtig nicht, dass die führenden Kräfte in Politik und Medien den Mut und die moralische Reife haben, den Problemen, wie sie rund um Einwanderung, Integration und Islam bestehen, auch tatsächlich ins Auge zu schauen und – noch wichtiger – ohne Wunschdenken adäquate Maßnahmen zu entwickeln. Es muss wohl noch viel schlimmer kommen, damit es irgendwann wieder besser wird.“


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Über den Autor: Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in

Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg. Hier können Sie TUMULT abonnieren. Für Einzelbestellungen klicken Sie bitte hier.

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