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Thomas Hartung: WENN DIE SPD THEATER SPIELEN LÄSST – STATT FUSSBALL

Deutschlands Fußballteam setzt gegen Japan ein moralisches „Zeichen“, verliert und scheidet erneut nach der WM-Vorrunde aus – auf SPD-Drehbuch. Das kann man als Menetekel für‘s Land verstehen.



Noch am Abend nach dem Spanienspiel schossen die Verschwörungstheorien ins Kraut: Die Iberer hätten gegen Japan absichtlich, ja auf Anweisung der FIFA, wahlweise Katars, verloren oder sich den Sieg abkaufen lassen – nur damit Deutschland nicht ins Achtelfinale einzieht. Das Argument, Japans Siegtor sei irregulär, wurde bald entkräftet: Der Ball berührte noch mit genau 1,88 Millimeter die Torauslinie und war somit nicht mit seinem vollen Umfang im Aus. Das Fachmagazin Kicker fand immerhin zehn Gründe, warum das DFB-Team zum zweiten Mal hintereinander nach einer Weltmeisterschaftsvorrunde ausschied, und listete den primären Grund – ziemlich verkürzt – als „Binde“ auf Rang neun: Man könne uns die Binde nehmen, aber nicht unsere Werte, diesen gequälten Satz hatte DFB-Direktor Oliver Bierhoff von sich gegeben, was Birgit Kelle auf achgut als „peinliche Verzweiflungstat“ wertete. Schon der Satz hätte misstrauisch machen müssen, denn die pathetische Sprache ähnelt fatal der des einstigen SPD-Chefs Otto Wels, der sich 1933 den Nationalsozialisten im Reichstag mit den Worten entgegenstellte: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“.

Nein, es war mitnichten die von der FIFA unter Androhung disziplinarischer Mittel verbotene Kapitänsbinde „One Love“. Gegen Spanien hat das Team gut gespielt, gegen Costa Rica trotz erschütternder Schwächen seine Pflicht erfüllt. Es war die völlig verfehlte, arrogante Geste des Mundzuhaltens beim Mannschaftsfoto vor dem eigenen Japan-Spiel, die das Team spaltete und genau jene letzten Prozente Kraft ins Hirn statt ins Herz lenkte, die dann am Ende fehlten: Wer kann schon einem Ball folgen, wenn er eine Ideologie verfolgen muss?! Deutschland hat gegen Japan Konzentrationsschwächen gezeigt und sich dadurch die beiden Gegentore eingebrockt: „Die Spieler waren nicht hundertprozentig bei der Sache. Wären sie es gewesen, hätte die deutsche Elf das Spiel gewonnen oder zumindest nicht verloren“, bilanziert Ronald Berthold in der Jungen Freiheit. Wer noch daran zweifelte, dass deutsche Tugenden wie Siegeswille, Ehrgeiz, Fleiß, Disziplin sowie Konzentration auf den sportlichen Erfolg schon längst auf dem Regenbogenaltar geopfert wurden, war spätestens nach diesem Spiel geheilt. Die medienwirksam geäußerte Kritik von Ilkay Gündogan an der Abwehr und vor allem am Angriff – „Es fehlte so ein bisschen die Überzeugung mit dem Ball von hinten raus… dass man sich anbietet“ – war deutliches Indiz dieser Spaltung: Zu einer Ideologie Zwingende und Zwangsideologisierte passen nicht zusammen und können erst recht nicht harmonisch zusammenspielen.


Die Vorgeschichte der Aktion ist rasch berichtet: In einem Interview vor der WM hat der katarische WM-Botschafter und frühere Fußball-Nationalspieler Khalid Salman Homosexualität als „geistigen Schaden“ bezeichnet. Er habe vor allem Probleme damit, wenn Kinder Schwule sähen. Denn diese würden dann etwas lernen, was nicht gut sei. In seinen Augen ist Schwulsein „haram“, also verboten. Um dieser Sichtweise etwas entgegen zu setzen, überlegte sich das DFB-Team – gemeinsam mit anderen Fußballverbänden – die sogenannte One-Love-Armbinde zu tragen. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung sei ein Menschenrecht, und Menschenrechte seien nicht verhandelbar, so die Begründung: Die Binde wäre in dieser Lesart also kein politisches und damit verbotenes Symbol. Kapitän Manuel Neuer sagte Bild prompt: „Die Power, die die Binde hat, ist gut.“


Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Obwohl die Katarer in Finanzkraft, Reichtum und Wohlstand jedem westlichen „Werte-Land“ bei weitem überlegen und keinesfalls „rückständig“ sind, will ihnen vor allem das gründominierte Deutschland „Buntheit“, „Weltoffenheit“, „Toleranz“, „Diversität“ und „Geschlechtsfluidität“, aber auch Positionen zu Arbeits- und Sozialstandards aufdrücken. Kurioserweise war die mehrfarbige Binde mit einem Herz-Symbol bereits nach ihrer Präsentation von mehreren Seiten scharf kritisiert worden, weil sie eben nicht zumindest den symbolkräftigen Regenbogen abbildet, sondern diesen höchstens andeutet. Zwei Tage vor dem Spiel gegen Japan jedoch kündigte die FIFA-Generalsekretärin Fatma Samoura an, dass die Verbände mit ernsten sportlichen Sanktionen rechnen müssten, falls diese Kapitänsbinde getragen würde. Die Fußballverbände von England, den Niederlanden, Belgien, der Schweiz, Wales und auch Deutschland knickten daraufhin recht schnell ein und wiesen ihre Kapitäne an, ohne die One-Love-Armbinde aufzulaufen.


Verlieren für die Menschenrechte


Das verdeutlicht zunächst, wer in Bezug auf die Sitten und Gebräuche bei einer WM das Sagen hat: Ganz klar der Ausrichter, hier Katar, nicht die FIFA. Das Einknicken entlarvt aber auch, freut sich Stefan Osterhaus in der NZZ, „was von den ständigen Phrasen von Vielfalt, Respekt und Toleranz tatsächlich zu halten ist, wenn es einmal zum Praxistest unter verschärften Bedingungen kommt: Hohler hat das Betonen von Selbstverständlichkeiten, deren stetige Wiederholung jeder klardenkende Mensch als eine intellektuelle Zumutung empfinden muss, selten geklungen.“ Der außenpolitische AfD-Fraktionssprecher Baden-Württembergs, Emil Sänze MdL, wies dabei auf die „moralistische Symbolpolitik“ von DFB-Präsident Bernd Neuendorf hin, der erst vollmundig eine Million Euro für ein SOS-Kinderdorf in Nepal ankündigte, damit die „nächste Generation nicht wieder gezwungen ist, ihr Land zu verlassen.“ Was das mit den Kindern der 400.000 Gastarbeiter in Katar zu tun hat, wisse wohl nur er selbst: „Hätte jeder davon nur ein Kind, blieben immerhin zwei Euro fünfzig pro Kopf übrig.“


Ganz schlimm aber sei Neuendorfs Ankündigung, Kapitän Neuer die bunte One-Love-Binde tragen zu lassen, selbst wenn die FIFA das untersagen sollte, so Sänze. „Er sei bereit, dafür ‚auch eine Geldstrafe in Kauf zu nehmen‘. Das ist arrogant und anmaßend zugleich.“ Damit erweise sich der Auftritt des DFB als sportpolitisch und diplomatisch verheerend. Der eigentliche bundesweite Aufreger war also zunächst, ob man der FIFA nachgeben oder „Eier zeigen“ solle, wie Birgit Kelle auf achgut meinte: „Es hätte ein großer Moment der westlichen Wertegemeinschaft werden können, wenn hier tatsächlich ein Dutzend Mannschaften dem islamischen Emirat und seinem Geld die Stirn geboten hätten. Was hätte die FIFA denn tun können: alle Spitzenmannschaften vom Platz stellen? Jede einzelne Frau im Iran, die seit Wochen mit wehendem Haar ohne Kopftuch auf den Straßen demonstriert und damit ihr Leben für die Freiheit und ihre Rechte riskiert, hat deutlich mehr Eier als die gesamte übersättigte DFB-Mannschaft mit ihren gestylten Föhnfrisuren.“


Allerdings gibt es drei Regeln, die in der scheinheiligen Diskussion nicht nur um die Kapitänsbinde offenbar überhaupt keine Rolle spielten: Die internationalen Sportverbände verbieten erstens die Verbreitung politischer und persönlicher Botschaft während ihrer Sportveranstaltungen und geben auch das Design der Binde vor. Der Gastgeber ist Katar, und der kann zweitens vom Gast den Respekt vor seiner Lebenskultur einfordern – auch oder gerade weil genau das in naiver Weise in Deutschland nicht so gehandhabt wird. „Wenn wir zuhause in Frankreich Fremde begrüßen, erwarten wir, dass sie sich an unsere Regeln halten und unsere Kultur respektieren. Genau dasselbe werde ich in Katar tun, so einfach ist das“, erklärte Hugo Lloris, Kapitän der Équipe Tricolore. Noch deutlicher wurde Granit Xhaka, der Schweizer Nationalspieler: „Wir werden nicht das Gleiche tun wie die deutsche Nationalmannschaft. Wir werden die Sitten und Gebräuche in Katar respektieren. Wir sind hier, um Ball zu spielen und niemandem Unterricht zu erteilen.“


Und die WM ist eine Veranstaltung der FIFA, die aus 210 Verbänden besteht. Europäer sind dabei in der absoluten Minderheit und haben viele Gegner, sie sind sich ja, drittens, nicht mal selbst einig: Polen, Frankreich, Spanien, Wales, Portugal, Kroatien und Serbien verzichteten auf solchen Unsinn, auch Gegner Japan hatte nichts dergleichen vor. „Die Deutschen haben etwas völlig Neues eingeführt: Verlieren für die Menschenrechte“, ergötzt sich Wolfgang Herles auf Tichys Einblick. Die Mannschaft habe ihre Überlegenheit aus moralischen Gründen selbst boykottiert: „Die Niederlage war eine Form des Protests.“ Das muss wahres Heldentum sein: Die Mannschaft hat gar nicht gegen Japan verloren, sondern, wie ein öffentlich-rechtlicher Reporter vollmundig behauptete, „gegen die FIFA gewonnen“. Das ist kein Witz. Denn schon auf dem Weg nach Katar war es mit der Zivilcourage der DFB-Oberen vorbei: Ein Flugzeug, dessen Außenhaut mit einschlägigen Diversitäts-Botschaften versehen war, brachte die Mannschaft nur zum Testspiel bis nach Oman – nicht aber von dort aus zum finalen Bestimmungsort Doha


Heldmeister der Herzen


Harald Martenstein brachte die Schizophrenie mit Blick auf den ZDF-Experten Sandro Wagner, der die Kleidung des männlichen katarischen Publikums lax „Bademäntel“ nannte, in der Welt so auf den Punkt: „Wer in Deutschland islamische Sitten kritisiert, muss mit einer Anklage wegen Islamophobie rechnen, wer es aber in Katar unterlässt, mit einer Anklage wegen Homophobie. Ein Katarer, der deutsche Lederhosen blöd und schwer daneben findet, darf hier mit Verständnis rechnen. Ein Deutscher, der ein katarisches Gewand nicht jederzeit beim korrekten Namen nennt, sollte sich mal was schämen. Aus dieser Hölle der unauflösbaren Widersprüche können mental höchstens noch zwei, drei Joints hinausführen.“ Nun, für Joints schafft Coronaminister Karl Lauterbach ja gerade Abhilfe.


Mit einer cleveren Trittbrettfahrt landete dabei der Einzelhandelsriese Rewe den PR-Coup des Jahres. Vorgeblich aufgrund der Entscheidung der FIFA zum Verbot des Tragens der One Love-Armbinde kündigte Rewe-Chef Lionel Soque seinen Werbevertrag mit dem DFB. „Wir stehen für Diversität – und auch Fußball ist Diversität“, tönte der Manager. Für ihn als Chef eines „vielfältigen Unternehmens und als Fußballfan“ sei die Entscheidung der FIFA „absolut nicht akzeptabel.“ Der Kölner Konzern heimste mit dieser Erklärung eine Welle von positiv konnotierten Medienberichten ein. Was in der Berichterstattung über die vermeintlich mutige Haltung der Firma so gut wie unterging: Der Vertrag wäre Ende des Jahres ohnehin ausgelaufen. Offenbar hatte Rewe den DFB schon im Oktober darüber unterrichtet, die Kooperation nicht fortsetzen zu wollen – ohne das Thema Katar und Diversität damals auch nur mit einem Wort zu erwähnen.


Gemeinsam mit Neuendorf hat Bierhoff das Thema One-Love-Binde miserabel gemanagt, behauptet Matthias Brügelmann in Sportbild. Und meint: „Hätten wir doch wenigstens den Mut gehabt und wären mit dieser Arm-Binde aufgelaufen – dann hätten die Millionen Fans in Deutschland heute wenigstens einen Grund, auf ihre Nationalmannschaft stolz zu sein“. Auch das ist kein Witz. Der Redakteur rafft scheinbar nicht, dass Menschen sich auf eine WM des Sports wegen freuen, sondern denkt, dass sie noch mehr Binde hätten zeigen müssen, um zu begeistern. In genau diese Kerbe schlug aber Travestiestar Olivia Jones: „Das Motto der Stunde ist: Eier zeigen und Regenbogenbinde tragen! Die WM ist ja jetzt schon in die Geschichte eingegangen, aber du [Manuel Neuer] hast noch die Chance, Geschichte zu schreiben. Kohle auf dem Konto ist ja schön, aber Unsterblichkeit ist unbezahlbar. Geh‘ in die Geschichte ein als unser Heldmeister der Herzen.“ Mehr Pathos war seit Honecker nie.


SPD-Connection


Das Nachdenken und Handeln darüber, was „man“ tun muss, um trotz des FIFA-Verdikts dennoch nicht „einzuknicken“, glich nun eher dem Eingreifen von NVA-Politoffizieren oder SED-Propagandisten als dem sportlichen Miteinander in einer Nationalmannschaft. Ersonnen hatte das Politisierungsdrehbuch eine „SPD-Connection, die gegen die große Mehrheit der Spieler ihr Süppchen gekocht hat“, ärgert sich Berthold. Was dazu bisher bekannt ist, kann man so erzählen: DFB-Präsident Neuendorf hatte zunächst als SPD-Sprecher in Berlin und in Nordrhein-Westfalen, dann als Landesgeschäftsführer der NRW-Sozialdemokraten sowie als Staatssekretär eine mittelmäßige Partei-Karriere gemacht. Der Fußball bot ihm ein neues Aktionsfeld und eine höhere Position: Seit 11. März ist der Multifunktionär Chef des größten Fußball-Verbandes der Welt. Die One-Love-Binde oder eine andere politische Parole wollte der 61jährige offenbar auf Biegen und Brechen durchsetzen – zusammen mit Bierhoff, der 2015 aus der einst für die Identifikation mit den Deutschen stehenden Nationalelf das unbeliebte Polit-Marketingprodukt „Die Mannschaft“ geformt hatte.


Im Hintergrund machte Neuendorfs Genossin, Innenministerin Nancy Faeser (SPD), Druck. In den Tagesthemen bestätigte sie kurz vor der WM wie selbstverständlich, sie sei für die Nationalmannschaft „verantwortlich“. Eigentlich ist dies in demokratischen Staaten der Nationaltrainer. Zum Auftaktspiel erschien die Politikerin dann im Stadion demonstrativ mit der Regenbogen-Herz-Armbinde – die laut Spiegel dem Bonner „Haus der Geschichte“ (für Ausstellungswürdiges nach 1945) überlassen werden soll. Das ist auch kein Witz, zumal Faeser kurz zuvor den „Expertenkreis Politischer Islam“ aufgelöst hatte, der sich mit den extremistischen und für Europa nicht tolerierbaren Auswüchsen des Islam beschäftigt. „In Katar verbessert sich nichts in der rechtlichen Stellung Homosexueller, während sich deren Lage wegen des sich ausbreitenden und von Faesers Innenministerium ignorierten Islamismus in Deutschland verschlechtert“, erkannte Roger Letsch auf achgut. „Damit dürfte Nancy Faeser die erste deutsche Politikerin seit 1945 sein, die mit einer politischen Armbinde in ein fremdes Land reiste“, scherzt grimmig Ben Krischke im Cicero.


Da es aus Sicht der Funktionäre keine Alternative dazu gab, sich auf dem Platz politisch zu positionieren, fand am Vorabend des Spiels eine interne Sondersitzung mit sieben Führungsspielern im Teamhotel Dusit in Doha statt. Als erste Überlegung stand im Raum, die Hände zu einem Herzen zu formen, wie das Leon Goretzka beim EM-Spiel im Juni 2021 gegen Ungarn tat. Dazu riet auch die Kommunikationsagentur „BrinkertLück Creatives“, die neben Goretzka und dem DFB schon länger auch Bundeskanzler Olaf Scholz und weiteren SPD-Politikern zur Seite steht. Die Personalie Raphael Brinkert ist dabei mehr als schillernd. Nach Stationen bei den bekanntesten deutschen Agenturen gründet er 2018 gemeinsam mit Christoph Metzelder seine eigene „Brinkert/Metzelder“ in Düsseldorf.

Nach der Verurteilung Metzelders wegen der Verbreitung von teils drastischer Kinderpornografie verschwindet dieser aus der Firma und sein Name aus sämtlichen Chronologien. Im Jahr darauf outet sich Brinkert lautstark als Merkel-Fan, tritt öffentlichkeitswirksam in die CDU ein und wird umgehend mit der Kampagne zur Europawahl der Christdemokraten belohnt. Ein Jahr später ist er wieder draußen, wird Mitglied der SPD, präsentiert seine Agentur vor SPD-Chefin Saskia Esken und erhält nicht nur die lukrative Kampagne der SPD zum Bundestagswahlkampf, sondern auch die Betreuung der 32 Millionen schweren Impfkampagne des Lauterbachministeriums. Auf Brinkert geht übrigens auch zurück, dass Goretzka vor der EM 2021 im Magazin des Staatskonzerns „Die Bahn“ mit DFB-Trikot und diversen Antifa-Devotionalien posierte.


Seine Mannschaftskollegen waren allerdings „genervt“ und hatten wenig Lust, sich vor dem WM-Start mit anderen Themen zu beschäftigen. Sie wollten den Fokus, wie Joshua Kimmich auch öffentlich sagte, auf ihren Job richten, fühlten sich „instrumentalisiert“ – und wählten die Hand-vor-dem-Mund-Geste im Sinne von „uns wurde zu sprechen verboten“, was laut ARD als kleinster gemeinsamer Nenner akzeptiert worden sein soll: Mit „Klappe halten statt Klappe aufmachen“ etablierten die Deutschen eine neue Protestform, deren Widersinn sie offenbar bis heute nicht verstehen können oder wollen. Impfskeptiker Kimmich soll die Sondersitzung gar vorzeitig verlassen haben – mit der Bemerkung, er habe „keinen Bock“, sich mit politischen Themen auseinanderzusetzen. Belgiens Kapitän Eden Hazard lästerte: „Es wäre besser gewesen, wenn sie es nicht getan und gewonnen hätten“. Übrigens erwägen weder Neuer noch Goretzka, der gegen Japan gar nicht in der Startelf stand, einen Rücktritt. Dabei ist noch offen, welche Rolle Trainer Hansi Flick spielte. Sollte er sich nur dem Willen von gerade zwei Spielern gebeugt haben, hätte der Schwanz mit dem Hund gewedelt, und er wäre untragbar. Aber der Druck kam offenbar von den Funktionären – und nicht von „der deutschen Öffentlichkeit“, wie Jan-Hendrik Schmidt in der Hamburger MoPo Realitätsumkehr betrieb.


Nächstes Mal lieber auf Fußball konzentrieren


Das Gefühl der Instrumentalisierung darf übrigens in zwei Richtungen verstanden werden. Zum einen dahingehend, sich als Spieler überhaupt mit Umständen, die außerhalb des Sports liegen, zu befassen: Die WM-Vergabe rührte von 2010, ihre Defizite und die des islamischen Austragungsstaats waren lange bekannt. „Es müssen also sehr glaubwürdige und auch ein paar handfeste Argumente über den Tisch gerollt sein bei jenen, die auf die aberwitzige Idee kamen, eine Fußball-Weltmeisterschaft an einen Wüstenstaat ohne Fußballtradition, dafür mit Alkoholverbot und Frauenhass zu vergeben“, bilanzierte Birgit Kelle. „Die Vorstellung von weltweit geltenden Menschenrechten ist vielleicht ein schöner Wunsch, aber eben nicht die Wirklichkeit“, meint Wolfgang Meins auf achgut. „Die logische Folgerung daraus kann doch nur sein, entweder das zu akzeptieren und auf langsame und punktuelle Besserung zu hoffen oder solche Veranstaltungen wie eine WM konsequent im kleinen Rahmen westlich orientierter Staaten abzuhalten.“


Zum anderen aber natürlich auch, dass sich der DFB – der, angefeuert von aufgeregter Politik und hyperventilierenden Medien, nur die Regenbogenfarben thematisierte – in symbolische Protestformen einmischte, die gern auch nur der Mannschaft selbst hätten überlassen werden können. Dass das viele Medien naturgemäß anders sahen, liegt auf der Hand. Das Fachmagazin journalistin etwa druckte ein doppelseitiges Foto der Binde ab und schlagzeilte dazu: „Dieses Bild zeigt etwas, das die FIFA nicht zeigen möchte“. Jörn Meyn betrieb im Spiegel gar Realitätsumkehrung mit dem Satz „Sportler in eine Situation zu bringen, sich zwischen Haltung und dem sportlichen Erfolg zu entscheiden, für den sie ihr ganzes Leben lang trainiert haben, ist unverantwortlich: Von der FIFA.“ Und Markus Feldenkirchen schlug im selben Medium den ganz großen Bogen: „Es ist weder rassistisch, noch zeugt es von Arroganz, wenn man für Menschenrechte eintritt. Wir sollten nicht darauf verzichten, unsere Werte zu verteidigen. Dann schon eher auf Gas aus Katar und auf Waffenlieferungen an Saudi-Arabien.“


Dass er wie viele andere Politiker und Journalisten damit vorgeblich weltweit gültige „Menschenrechte“ einem Land überstülpen wollte, das durch die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam selbst Standards definierte, merkt er offenbar gar nicht mehr. „Eine Allianz aus Medien, Fußball und Politik äußert die Gewissheit ihrer moralischen Überlegenheit mit einem Furor, der an die Kreuzzüge des Mittelalters gemahnt“, beklagte Meins. „Überschreiten allerdings die muslimischen Bewohner solcher Staaten unsere Grenzen, löst sich schlagartig ihre kulturelle Prägung auf, sie werden unter Artenschutz gestellt und jegliche Kritik an bestimmten Verhaltensweisen als islamophob diffamiert. Aber gedankliche Stringenz ist nun mal keine Stärke der Wokeness.“


Dabei fragt Feldenkirchen zunächst ganz richtig, weil die herrschende Doppelmoral entlarvend: „Aber können wir die FIFA für die Vergabe der Weltmeisterschaft an Katar kritisieren, wenn deutsche Regierungsvertreter selbst in Katar um LNG-Gas betteln? Können wir kritisieren, dass FIFA-Chef Infantino sich bei der Eröffnungsfeier demonstrativ neben dem saudi-arabischen Kronprinzen im Sessel fläzt, der den kritischen Journalisten Jamal Khashoggi allem Anschein nach mit der Knochensäge zerstückeln ließ? Obwohl die Bundesregierung lange Zeit Waffen an das Land lieferte und neue Lieferungen zumindest genehmigt hat?“ Ja, die Bigotterie sei nicht zu leugnen, resümiert er. Aber daraus folge eben nicht, die Augen vor skandalösen Arbeitsbedingungen, vor Diskriminierung, gar Folter zu verschließen. Dabei verschweigt er aber mindestens, dass jene, die den Islam in Katar kritisieren, dieselben sind, die die Islamverbände hierzulande hofieren.


Den Vogel schoss dann Marius Epp im Merkur ab, der die mit dem vollständigen Werteverlust verbundene Pazifizierung und Verqueerung des Landes anhand seines Ärgers über die Schadenfreude vieler ausländischer Kollegen wie des populären saudi-arabischen Journalisten Waleed Saeed, der immerhin über eine Million Twitter-Follower hat, mit diesen Sätzen bewies: „‚Nächstes Mal lieber auf Fußball konzentrieren‘, riet auch er [Saeed] bei Twitter. Ob es letztlich dann nicht doch wichtiger ist, sich für Menschenrechte einzusetzen als ein Fußballspiel zu gewinnen, mag jeder für sich selbst beurteilen.“ Das ist ebenfalls kein Witz; zumal auch andere Medien die Geste verhöhnten. Im Sinne mentaler Vorbereitung wurde das „kleine Einmaleins der Sportpsychologie […] leichtfertig auf dem Haltungsaltar geopfert“, bilanziert Meins. Denn es sei eine gruppendynamisch tendenziell unschöne und unerwünschte Situation entstanden, an deren Ende das Gegenteil von Teambuilding und Kohäsion stehe. Das extremste Statement kam ausgerechnet von Frauen-Welt- und Europameisterin Linda Bresonik mit ihrer hypothetischen Aussage, dass sie als Spielerin selbstverständlich diese WM boykottiert hätte und gaar nicht erst nicht mitgeflogen wäre. Das Kuriose: Bresonik spielte von 2012 bis 2015 bei Paris St. Germain. In den Verein investiert seit 2011 Qatar Sports Investments.


„Gut, dass am deutschen Wesen nicht mehr die Welt genesen muss“, freute sich Sänze und verwies süffisant darauf, dass erst am Wochenende zuvor das Auswärtsspiel von Bayern II bei Türkgücü in der Regionalliga Bayern abgebrochen werden musste, weil ein kurdischer Bayern-Fanklub ein missliebiges Banner entfaltet hatte: Der Stadionsprecher hatte an die Fans appelliert, „dass Politik nichts im Stadion zu suchen“ habe. „Wir sind also wieder bei richtigen und falschen politischen Botschaften und damit bei lupenreiner Ideologie. Aber genau die ist es, die nichts im Stadion zu suchen hat!“ Das sah auch Hans Hofmann-Reinecke auf achgut so: „Wer als Fußballstar das Privileg hat, vor der Kamera einem Milliardenpublikum präsentiert zu werden, der darf diese Situation nicht für ein völlig sachfremdes Anliegen missbrauchen. Wenn jemandem eine Ehre zuteilwird, wenn ihm Privilegien gewährt werden und er zeigt, dass er dieser nicht würdig ist, so bezeichnen wir sein Verhalten als peinlich.“


Hinschauen ist Mit-Hitlern


Peinlich war auch TV-Sportmoderatorin Claudia Neumann, die nicht nur die „Regenbogenbinde“, sondern auch noch ein „Regenbogen“-Shirt on Air präsentierte. Neumann, Neuer, Faeser – „mich machen Deutsche mit einem übersteigerten Faible für Armbinden immer etwas nervös“, bekundet Letsch. „Meist bedeuten diese Stöffchen gleichzeitig ‚ich weiß, was richtig ist‘, ‚leg dich nicht mit mir an‘, ‚ich gehöre dazu‘ und ‚frag mich endlich, was ich dich lehren will‘, ohne dass dem moralischen Anspruch in jüngster Zeit jedoch Nachdruck verliehen wurde – zumindest im Ausland“. Letzteres könne man als Fortschritt werten, auch wenn dieser stracks in Richtung Lächerlichkeit abbiegt. „Das Vorzeigen von derlei Fähnchen ist ja längst nicht mehr der Ruf zur Schlacht, sondern schon der Sieg an sich! Errungen durch Definition und Selbstermächtigung und stets gegen einen stummen oder zur Gegenwehr mindestens nicht aufgelegten Feind.“


Den deutschen Nationalspielern ist damit übrigens die ausgehandelte satte Prämie von bis zu 400.000 Euro pro Spieler entgangen. Den Verband hätte das bei 26 Akteuren addiert 10,4 Millionen Euro gekostet. Im Erfolgsfall wären aber ganz andere Summen in die DFB-Kasse geflossen. Die FIFA schüttet bei dieser WM umgerechnet rund 440 Millionen Euro an Preisgeldern aus. Der Weltmeister erhält 42 Millionen Euro, der unterlegene Finalteilnehmer 30 Millionen Euro. Alleine der knapp verpasste Einzug ins Achtelfinale wäre 13 Millionen Euro wert gewesen. Wo also genau, frage Krischke, „hat der deutsche ‚Protest‘ irgendetwas gebracht, außer den Deutschen irgendwie das zuckerwattige Einhorngefühl, zu den ‚Guten‘ zu gehören?“


Dabei war sowohl der Mannschaft als auch den Medien schon vorher klar, dass sich diese WM zum deutschen Publikumsdesaster entwickeln könnte – zum ersten wegen der Nachwirkungen des völlig missratenen „Die Mannschaft“-Marketingkonzepts sowie der Spiele des Teams an sich. Eine „Entfremdung“ erkannte der kicker, die innerhalb des DFB-Teams zu dem latenten Gefühl geführt habe, dass ein Scheitern in der Heimat fast schon erwünscht sei: „Eine Jetzt-erst-recht-Haltung aber entsprang daraus nicht.“ Zum zweiten wegen der monatelang geschürten Anti-Katar-Kampagne. Dass die öffentlich-rechtlichen Millionen Euro der Gebührenzahler für die Übertragungsrechte eines Spektakels ausgeben, das sie so sehr kritisieren, fällt da nicht ins Gewicht. Zum dritten aber auch wegen der völlig missratenen medialen Präsentation. Denn früher, als die Sportart hierzulande vor allem von deutschstämmigen heterosexuellen Männern gespielt und in erster Linie auch von eben diesen im Stadion oder zuhause im TV angeschaut wurde, galt Fußball als Männersport.


Doch was begab sich in der ARD etwa beim Spiel Belgien gegen Kanada? Im Studio saßen mit der Moderatorin Jessy Wellmer und der Fußball-Expertin Almuth Schult bereits zwei Frauen, die mit Thomas Hitzlsperger und Sami Khedira von zwei Fußballern flankiert wurden, die Homosexuellen- bzw. Migrationshintergrund hatten. In der Pause dann wird zu Schiedsrichterfragen hinzugezogen: Eine weitere Frau, nämlich Bibiana Steinhaus. Der Anteil der eingangs beschriebenen Sportteilnehmer war genau: Null. Das ist regenbogenbuntes deutsches Erziehungs-Fernsehen, das ein getreues Abbild der regenbogenbunten Phantasiegesellschaft dieses Landes darstellt – nicht aber jenes der Durchschnitts- und Mehrheitszuschauer: Deutschlands Spiel gegen Japan sahen weniger als zehn Millionen Menschen. 2018 schalteten beim Auftakt gegen Mexiko noch mehr als 25 Millionen Deutsche ein: Laut Welt ein „Quotenabsturz“. Eifrig wurde daher schon vorher ein Boykott-Narrativ etabliert: Indem man sich als Zuschauer verweigere, unterstütze man die divers-bunte Botschaft an Katar. Der Moderator Micky Beisenherz etwa ließ sich im ZDF gar zu dem Satz „Hinschauen ist Mit-Hitlern“ hinreißen. Das ist auch kein Witz.


Realitätsumkehrend dagegen liest sich die Interpretation des Würzburger Sportsoziologen Harald Lange: Die „vielen Toten auf den Baustellen“, dazu eine „fragwürdige Menschenrechtslage“ und die „Zensur in den Stadien“ sei der Tropfen gewesen, der das Fass „in den Augen vieler Fans überlaufen“ ließ – und die der DFB zuvor ignoriert habe, sagte er dem SWR. Solche Versäumnisse könne man im Laufe des Turniers nicht mehr durch das Kunstprodukt One-Love-Binde kaschieren. Das ist ebenfalls kein Witz. Die Kritik an Katar diene aber „nur unserer eigenen politischen Domestizierung“, trifft der Rechtsphilosoph Klaus Kunze auf seinem Blog dagegen den richtigen Ton. „Ein eingefleischter Fußballfan interessiert sich für so etwas allenfalls beiläufig. Wichtig sind ihm aber die richtigen Zeichen und Symbole. Doch der DFB setzte die falschen Zeichen.“


Die beschriebenen Vorgänge bilden den Höhepunkt einer beispiellosen Entwicklung, an deren Ende die wichtigste Auswahl des Landes als Litfaßsäule für politische Botschaften missbraucht wurde und damit das Eigentor des Jahres schoss: „ein wahrlich deutsches Zeichen der moralischen Angeberei und des Schwanz-Einkneifens zugleich“, befand Thomas Rietzschel auf achgut. Aus Fußballern aber dürfen keine politischen Missionare und aus Zuschauern keine Missionsobjekte werden! Gabor Steingart erkannte im Focus ganz richtig: „Wer den Kern seines Auftrags – im Fußball der Turniersieg, in der Politik die Wohlstandserzeugung – nicht liefern kann, weicht aus in die Haltungsfragen… Statt harter Kennziffern will man nun moralisch überlegen sein. Politik und Fußball sind plötzlich nicht mehr erfolgreich, sondern richtig. Man fliegt raus, aber mit Haltung. Früher war die Bilanz sauber, jetzt das Gewissen.“


Symbolgeschleuder in der Wüste


Einen übergriffigen „politischen Exhibitionismus in einem unpolitischen Spiel“ erkennt Achijah Zorn auf Tichys Einblick, führt sechs Gründe gegen die Politisierung der Nationalmannschaft an und plädiert für ein „Menschenrecht auf politikfreie Räume“. Denn es geht nicht mehr um Fußball, wie es auch bei anderen Dingen nicht mehr um das normale Leben geht. Alles wird vom woken Bessermenschentum mit der Vielfaltsdampfwalze überrollt, bis nichts mehr übrig ist außer einem Trümmerhaufen mit Regenbögen und Kapitänsbinden obendrauf. Wenige – und immer dieselben – Amtsträger in Medien, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung halten unsere einst so stolze und leistungsstarke Gesellschaft in Geiselhaft, die nur noch selbstverliebt, moralbetroffen und -besoffen Klima, Cancel Culture, Diversity, Anti-Kapitalismus und Deutschlandhass eine Bühne gibt; die unsere alten Werte belächeln statt sich auf sie zu besinnen und die echten Probleme in den Fokus zu rücken und anzugehen.


Gar einen „Neo-Kolonialismus im Namen des Guten“, einen „Taumel kollektiver Moralhybris“, ja eine „moralische Herrenreiterpose“ konstatiert Alexander Grau im Cicero. Er werde das Gefühl nicht los, „dass die hiesige Moralavantgarde der humanistisch Erleuchteten nicht eher Ruhe gibt, bis der Großmufti von Saudi-Arabien eine Regenbogen-Armbinde trägt und in Mekka eine CSD-Parade stattfindet.“ Damit geriere sich Deutschland „als moralischer Herrenmensch, der das Recht, ja die Pflicht hat, im Namen eines angeblichen Universalismus mit erhobenem Zeigefinger um die Welt zu fahren und die Völker zu belehren.“ Der offensichtliche Widerspruch zum eigenen moralischen Verhalten und der penetrant propagierten Diversität zeige, worum es eigentlich geht: „Das Ausleben von Ressentiments zur persönlichen Erbauung“. So viel geballtes Überlegenheitsgefühl und offensichtlicher Narzissmus habe man hierzulande seit Jahrzehnten nicht mehr gehabt: „Es ist zum Fremdschämen.“


Zu alldem passt, dass den Deutschen auf Facebook verboten wurde, sich kritisch gegen ihre eigene Mannschaft zu äußern. „Die Deutschen sind im Ausland nichts weiter als eine peinliche Lachnummer“: Diese Aussage verstoße gegen die Gemeinschaftsstandards gegen Hassrede und Herabwürdigung bestimmter Personengruppen, so das Unternehmen zur Begründung, den Beitrag „unsichtbar“ zu schalten. Das Foto, das japanische Fans – nachdem sie übrigens ihre Fanblöcke im Stadion blitzblank geputzt hatten – bei MacDonalds zeigt, die die Mund-zu-Geste der deutschen Nationalmannschaft imitieren, darf dagegen fleißig verbreitet werden. Haben Zuckerbergs bertelsmännische Lösch-Schergen Ironie gelernt oder dürfen nur noch Ausländer Deutsche „herabwürdigen“?


Und die schweigende Mehrheit schaut all diesen Entwicklungen einfach nur zu. Aber spätestens, wenn die Politik Sport, Kultur und Medien „übernimmt“ und deren Ausrichtung ideologisch instrumentalisiert, sollte gerade dem gelernten DDR-Bürger klarwerden, dass wir gemeinsam in ein Regime schlittern, das denselben autoritären Touch hat wie eben diese DDR. Mit Freiheit hat das nichts mehr zu tun. Den autoritären Protagonisten ist das Individuum schlicht zuwider, es ist irrelevant, denn es stört die eigene Ideologie und die Vorstellung, wie eine Gesellschaft nach der ideologischen Befindlichkeit auszusehen hat. Und so kam es zu dem peinlichen „Symbolgeschleuder in der Wüste“, befand Krischke, „weil es da vorrangig eben genau nicht um eine ‚bessere Welt‘ geht, sondern um die ‚bessere Gesinnung‘, die man wie eine Monstranz vor sich herträgt.“ Als Fun Fact muss man Anfang Dezember konstatieren: Die Gruppe E ist die einzige aller acht WM-Gruppen, in der keine der vier Mannschaften über das Achtelfinale hinausgekommen ist. Die deutsche Mannschaft ist also nicht nur nach der Vorrunde, sondern auch noch in der schwächsten aller WM-Gruppen ausgeschieden.


Bereits vor vier Jahren hatte das Festhalten an Mesut Özil und Ilkay Gündogan, die den türkischen Autokraten Erdogan als ihren Präsidenten bezeichnet hatten, so viel Unruhe in die Mannschaft gebracht, dass Deutschland in der Vorrunde ausschied, erinnert sich Berthold. „Die Empörung der Fans und wohl auch einiger Mannschaftskameraden wurde schon 2018 mit Multi-Kulti-Bekenntnissen und Toleranz-Gelaber erstickt. Was folgte, war die fatale ‚Grüppchen-Bildung‘ und die Beschimpfung biodeutscher Spieler als ‚Kartoffeln‘“. Was also sollen die deutschen Fußballer, fragt kicker-Chefreporter Karlheinz Wild. Sollen sie „mit ihren politischen Botschaften und einer tugendreinen Haltung die Welt retten? Oder sollen sie ihr Fußball-Tor verteidigen und den Ball ins gegnerische schießen? Zwischen diesen Polen taumelten die deutschen WM-Delegierten, Spieler, Trainer, Obere. Sie waren Getriebene, weil sie keinen klaren Kurs fanden auf dem tosenden Meer der tobenden Ansprüche.“ Das mit Bierhoff nun der erste „Obere“ nach dem Eingeständnis von Fehlern im Umgang mit der One-Love-Debatte ging, besänftigt da wenig


Menetekel einer zerfallenden Gesellschaft


Aber einerlei, ob das, was in Katar passierte, den wahren Fußball oder nur die Ware Fußball zeigte: Zunehmend mehr Publizisten fällt in der Reflexion des Debakels auf, dass es allegorisch für sehr viel mehr steht als nur eine sportliche Niederlage, sondern dass es „die gesellschaftlich-politische Befindlichkeit dieses Landes widerspiegelt“, wie Rafael Seligmann im Cicero befand. Als Europas führende Wirtschaftsmacht, aus deren Innovationskraft und Fachkräftefleiß die ökonomische und finanzielle Potenz des Landes erwächst, nutzten wir diese Machtposition „seit Jahren kaum zum Ausbau und zur Sicherung unserer Volkswirtschaft sowie zu Fortschritten bei Wissenschaft, Lebensstandard, Technik und Industrie. Der Ehrgeiz der deutschen Gesellschaft und Politik fokussiert sich vielmehr auf die Vorreiterrolle in der Ökologie sowie belehrendes Moralisieren.“


Das mache uns in Europa so beliebt „wie ehedem den deutschen Spieß, der sich zum Oberlehrer emporpaukte. Kontraproduktiv waren und bleiben beide. Früher drängten die Kommissköppe das Land in Kriege, heute zur wirtschaftlich-politischen Selbstfesselung.“ Wenn man eindringlich nachdenke, würde man „das Muster einer wirtschaftlich-politischen Nötigung“ erkennen. Die jahrelange Beschwichtigungshaltung der deutschen Regierungen unter Angela Merkel, die Seligmann als Hauptschuldige ausmacht sowie „der Verzicht auf demokratisches Selbstbewusstsein“ färbe auf Teile der deutschen Gesellschaft ab. „Verbände und Individuen, darunter der DFB und seine Kicker, meinen, am leichtesten mit der Aufgabe der eigenen Werte davonzukommen. Sie irren. Das wird immer mehr Bürgern bewusst.“


Als „Menetekel einer zerfallenden Gesellschaft“ begriff Kunze die Nationalelf: „Ohne Gemeinschaft ist eine Gesellschaft bloß ein besserer Hühnerhaufen. Er kräht ständig nach Fütterung und läuft schnell auseinander, wenn der Habicht kommt.“ Und Steingart metaphorisierte das Ausscheiden als „relativen Abstieg einer Nation, die – nachdem die Kriegstrümmer beiseite geräumt waren – immer wieder als Wohlstands-, Wachstums- und Exportweltmeister gefeiert wurde.“ Dieses „selbstbewusste, aber nicht überhebliche Land“ gebe es so nicht mehr: „Wir sind uns selbst fremd geworden“. Es finde gewissermaßen „eine Visualisierung unseres Betriebssystems“ statt: „In der Art zu spielen findet eine Gesellschaft ihren Ausdruck“, erkannte er in seinem klugen Text.


„Wir sehen Hansi Flick und erkennen schemenhaft den kleinen Bruder von Olaf Scholz. Wir schauen auf die Nationalmannschaft und betrachten uns selbst. Auf dem Platz zeigt sich unser Verhältnis von Risiko zu Sicherheit, unsere Einstellung gegenüber Fairness und Gewalt, aber auch unser Arbeitsethos, der Mutvorrat und die Fähigkeit zur Kreativität werden sichtbar.“ Wir würden aktuell zu teilnehmenden Beobachtern „eines langen Zu-Ende-Gehens, das sich auf unsere bisherige Art zu leben, zu arbeiten und Politik zu machen bezieht.“ Die deutsche Staatlichkeit wirke wie ein großer DFB – erschlafft und oft regelrecht impotent, so Steingart. Ihr fehle nicht nur das Dreckige – Nationalverteidiger Antonio Rüdiger, der bei Real Madrid spielt, hatte genau das moniert und um den Satz „Wir sind eine sehr, sehr liebe Mannschaft“ ergänzt – ihr fehle auch die Lust auf Innovation: „Einen ökonomischen Turniersieg hat diese Volkswirtschaft schon lange nicht mehr zu bieten.“


Die Ähnlichkeiten sind systemischer Natur, schreibt er mit Verweis auf Neuendorfs SPD-Karriere: „Der DFB funktioniert wie der Parteienstaat; nur im Beharrungsvermögen ist man noch Spitze.“ Aber wertegebundener Fußball bedeute die Politisierung und damit De-Fokussierung der Spieler, wertegebundene Wirtschaftspolitik wiederum komme einem „Abonnement zum Armwerden“ gleich. Auch die Großartigkeit einer Wirtschaftsnation ergebe sich nicht aus der Addition ihrer Spielzüge: „So wie auf dem Fußballplatz wird auch hier eine gedankliche Klammer benötigt, eine Spielidee, welche die vielen Ichs zum Wir verbindet. Diese Leitidee fehlt beim DFB und im Bundeskanzleramt.“ Wir sind nicht schlecht, aber die anderen sind besser, resümiert er realitätsbewusst, verweist auf Joshua Kimmichs Satz „Ich habe Angst, in ein Loch zu fallen“, und schließt: „Und genauso geht es vielen Menschen heute auch.“ Präziser kann man die Situation der Republik kaum beschreiben. Und die SPD-geführte Ampel ist noch drei Jahre im Amt…




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Über den Autor: Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in

Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg. Hier können Sie TUMULT abonnieren. Für Einzelbestellungen klicken Sie bitte hier.

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