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Thomas Hartung: WENN TRUMP TRIGGERT

  • 1. Apr.
  • 12 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 28. Apr.

Die Diskussion um Triggerwarnungen ist längst zu einem festen Bestandteil des Kulturkampfs geworden. Donald Trumps Präsidentschaft nährt die Hoffnung auf ein Ende – nicht nur davon.



In seiner Inaugurationsrede als US-Präsident rief Donald Trump nicht weniger als „die Revolution des gesunden Menschenverstandes“ aus. Nicht nur, dass er damit auf den Gründungsslogan der AfD von 2013 zurückgriff, nein, er entließ gleich alle Mitarbeiter von Bundesprogrammen von DEI, wie es in den Staaten heißt – Diversity, Equity and Inclusion, also Vielfalt, Chancengerechtigkeit und Inklusion/Integration. Damit natürlich verbunden ist die dekretierte Abkehr von „Wokeness“, der laut Duden „hohen (gelegentlich engstirnigen oder mit militantem Aktivismus verbundenen) Sensibilität für insbesondere rassistische, sexistische Diskriminierung, soziale Ungleichheit und Ähnlichem“. Trump dagegen erkennt „Verschwendung“ und „Radikalität“ und meinte prompt in seiner Rede zur Lage der Nation vor dem Kongress: „Wokeness ist Ärger, Wokeness ist schlecht“.


Er sprach von der „Tyrannei“ entsprechender Programme und erklärte auch, er habe „das Gift der ‚Critical Race Theory‘“ (CRT) aus den öffentlichen Schulen entfernt. In vielen US-Bundesstaaten ist die Lehre dieser Theorie bereits verboten – mit der Begründung, sie stelle alle Weißen unter den Generalverdacht, Rassisten zu sein. „Dass Rassismus ein ‚strukturelles‘ Problem sei, galt in progressiven Zirkeln bald genauso als unumstößliche Wahrheit wie der Umstand, dass jeder Weiße von Geburt an ‚privilegiert‘ sei“, bilanzierte René Pfister im Spiegel. Wer als aufgeklärter Mann anzeigen wollte, dass sein Geschlecht nicht etwa eine biologische Konstante ist, sondern ein soziales Konstrukt, schrieb seine Pronomen (he/him) in die E-Mail-Signatur. 


Es war eine Bewegung, die an den Universitäten begonnen hatte, aber bald in den Medien- und Kulturbetrieb eindrang, sich in Nichtregierungsorganisationen vorarbeitete und schließlich in den Personalabteilungen der großen Konzerne landete: „Von da an dauerte es nicht mehr lange, bis weiße Mitarbeiter zu ‘Anti-Bias’-Trainings verpflichtet wurden, in denen sie über ihre tief sitzenden Vorurteile meditieren sollten“, so Pfister. Nach Trumps Willen sollen also nicht nur Begriffe wie „transsexuell“ oder „non-binär“, aber auch „Klimakrise“ oder „Rassismus“ aus US-Regierungsdokumenten verschwinden, sondern auch Männer aus dem Frauensport.


Der Basler Sprachwissenschaftler Martin Luginbühl griff im SRF zur ganz großen Keule: „Ich möchte die Trump-Administration nicht mit dem Nationalsozialismus gleichsetzen, aber letzterer ist ein historisches Paradebeispiel für Sprachlenkung. In der NS-Zeit wurden Begriffe wie ‚Rassenschande‘, ‚Volksfremd‘ oder ‚Arbeitsfront‘ propagiert und dann diktatorisch durchgesetzt.“ Das ist kein Witz. Seitdem habe „der Kapitalismus ein gewaltiges Imageproblem: Das freundliche Antlitz mit bunten Regenbogenfarben und grünen Klimazielen droht zu verschwinden“, fabuliert Thomas Giersch in Markt und Mittelstand. Das ist auch kein Witz. Beim Amtsantritt war übrigens zu erleben, wie tief der deutsche Journalismus inzwischen gesunken ist: Trump „will zwei Geschlechter per Gesetz“, hieß es etwa bei BILD. Es „gilt“ aber nicht Mann und Frau, es „gibt“ nur Mann und Frau, und ein paar Mutationen, die sich eindeutiger Zuordnung verweigern. Alles andere ist Ideologie und damit politisch gewollte Verwirrung der Bürger.


Die Leute drehen durch


Dieser Anti-Woke-Furor blieb natürlich nicht ohne Folgen – in zweifacher Hinsicht: ökonomisch-politisch und kulturell-medial. Der Facebook-Mutterkonzern Meta, dessen Chef Mark Zuckerberg sich vom Trump-Kritiker zum Trump-Partner gewandelt hat, fuhr seine Diversitätsprogramme zurück. Mit seinen Forderungen hat er aber auch schon mehrere große US-Unternehmen unter Druck gesetzt, darunter die Fast-Food-Kette McDonald‘s, der Supermarktriese Walmart, der Flugzeugbauer Boeing und der Autohersteller Ford. Zwar ist das Dekret aus Sicht von Juristen an vielen Stellen vage: Obwohl es auf Behörden abzielt, könnte es aber auch Auswirkungen auf private Unternehmen haben. „Die Leute drehen durch“, sagte der Anwalt Jon Solorzano, der Unternehmen berät, gegenüber der NYT. Manche Manager fürchten eine Klagewelle.


Er habe offene Gespräche mit Walmart geführt, so Robby Starbuck, einer der bekanntesten „Anti-Wokeness“-Aktivisten bei X. Er wolle niemandem seine Meinung aufzwingen, aber er sei für Unternehmensneutralität. „Ich bin sehr stolz darauf, dass Walmart nun einige Änderungen beschlossen hat.“ So werde Walmart alle sexuellen oder Transgender-Artikel aus dem Sortiment nehmen, die für Kinder gedacht sind. Auch die finanzielle Unterstützung von Pride- oder LGBTQ-Events will Walmart einschränken, so Starbuck. Ähnliche Erfolge feierte er bei Harley-Davidson, Molson Coors oder Ford.


Wie stark der Kulturwandel in der US-Wirtschaft ist, zeigt sich auch im Bankensektor: In den Wochen nach der Wahl von Trump stiegen praktisch alle wesentlichen US-Geldinstitute aus der „Net Zero Banking Alliance“ (NZBA) aus: JP Morgan, Goldman Sachs, Wells Fargo, Morgan Stanley, die Citigroup und die Bank of America. Die Vereinten Nationen (UN) hatten die Allianz 2021 als Klima-Bündnis ins Leben gerufen. Banken sollten sich damit verpflichten, das UN-Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu unterstützen und die Finanzierung fossiler Energieprojekte zu beschränken. Nachdem mehrere republikanisch regierte Bundesstaaten große US-Vermögensverwalter wie Blackrock und State Street verklagt haben, weil ihnen deren Anlagekriterien für fossile Investments zu streng sind, präsentieren sich die Großbanken nun demonstrativ regierungstreu, um ihre Geschäfte nicht zu gefährden.


Positives Umfeld für alle Mitarbeiter


Und diese Befürchtung trifft auch Deutschland, vor allem jene Konzerne, die eine starke Präsenz in den USA haben. Seit Wochen prüfen die deutschen Unternehmen mögliche rechtliche Konsequenzen und Auswirkungen auf ihr Geschäft. Darüber sprechen sie aber mit dem DLF nur „hinter vorgehaltener Hand“, so der Sender. Bislang geben sie sich standhaft, auch wenn schriftliche Statements gegenüber dem Sender auffällig knapp ausfallen. Mit der neuen US-Regierung wollen die Konzerne nicht auf Konfrontationskurs gehen: Zehn hat der DLF um eine Stellungnahme gebeten. Acht antworteten mit schriftlichen Statements. So schreibt SAP, dass man Inklusion als entscheidend für den Erfolg sehe. Von Adidas heißt es, dass man sich weiterhin für eine integrative Unternehmenskultur einsetze.


Die Lufthansa ist beim Thema Diversität besonders exponiert. Sie schickt seit 2022 einen Airbus A320 auf Reisen, den sie „Lovehansa“ nennt. Die Maschine ist teilweise in Regenbogenfarben lackiert und im Innenraum ausgestattet. Das Flugzeug soll ein starkes Bekenntnis des Konzerns gegenüber der LGBTQ+-Gemeinschaft sein. In den vergangenen Jahren hatte die Lufthansa ihr Streckennetz in Richtung USA massiv ausgebaut. Immerhin: Weil der Regenbogen-Flieger der Lufthansa ein Mittelstreckenmodell ist, wird er absehbar nicht in die USA fliegen. Schriftlich teilt der Lufthansa-Konzern mit: „Lufthansa steht für Weltoffenheit, Toleranz, Vielfalt und die Verbindung von Menschen. Die Haltung vertreten wir auf der ganzen Welt.“ Die Lufthansa fügt noch hinzu, dass man beobachte, ob sich die rechtlichen Rahmenbedingungen in den USA veränderten. „Das ist aktuell nicht der Fall.“


Auffällig: Neben der Airline betonen auch andere deutsche Konzerne in ihren Statements, das man sich an geltenden Gesetzen orientiere und die Lage ständig prüfe. Der Software-Konzern SAP schreibt, man setze alles daran, „die geltenden Gesetze, Vorschriften und Bestimmungen der US-Regierung einzuhalten.“ Und während der Lebensmittelhändler Aldi Süd noch vor wenigen Wochen auf seiner Webseite für die USA, wo er über 2000 Filialen betreibt, „Diversität stärkt uns“, schrieb und sich auf einer Karriereseite ausdrücklich zu „DEI“ bekannte, findet sich auf exakt dieser Webseite heute kein Hinweis mehr darauf. Eine Mail-Anfrage des DLF an Aldi Süd blieb bislang unbeantwortet. Gegenüber dem Spiegel schrieb das Unternehmen, man arbeite weiter daran, „ein positives Umfeld für alle Mitarbeiter zu schaffen.“


Zukunft mit mehr Inklusion


Die Lage ist auch deshalb heikel, weil zum Teil Rechtspflichten bestehen, die zumindest in einem Spannungsverhältnis zu Trumps Anweisungen stehen, schreiben die Unternehmensberater Christoph H. Seibt und Thomas Müller-Bonanni in der FAZ. So seien börsennotierte und der Mitbestimmung unterliegende Unternehmen verpflichtet, Zielquoten für den Frauenanteil in den ersten beiden Führungsebenen unterhalb der Geschäftsleitung festzulegen. Außerdem gilt im Vorstand ein geschlechterbezogenes Mindestbeteiligungsgebot. Zahlreiche Vorstandsvergütungssysteme börsennotierter Unternehmen sehen überdies im Rahmen von ESG-Aspekten – für Umwelt (Environment), Soziales (Social) und Unternehmensführung (Governance) – Ziele vor, die in die Kategorien Diversität/Inklusion im Sinne der Trump-Dekrete fallen. Und: Es drohe noch ein weiterer transatlantischer Normenkonflikt. „Unter anderem aufgrund von EU-Berichtspflichten müssen deutsche Unternehmen Ausführungen zu DEI-Programmen machen, die in den Vereinigten Staaten inhaltlich als Rechtsverletzung gewertet werden könnten“, so die Autoren. Was in der EU Rechtslage ist, gilt jetzt in den USA als Rechtsverletzung – das ist ebenfalls kein Witz.


Auch Disney galt jahrelang als einer der Vorkämpfer für Diversität: Filmheldinnen und -helden waren häufig schwarz, kräftiger gebaut oder queer. Doch das ist vorbei. So wurde in der neuen Serie „Win or Lose“ von Disney+ eine Transgendergeschichte herausgestrichen – womöglich, um Ärger zu vermeiden. Vor allem werden keine antirassistischen „Beipackzettel“ mehr vor dem Zeichentrickklassiker „Dumbo“ (1941) eingeblendet. Auch bei anderen Klassikern wie „Peter Pan“ (1953) oder „Aristocats“ (1970) wurden die Warnungen im Vorspann entfernt. In der Warnung hieß es zuvor auf Deutsch: „Dieses Programm enthält negative Darstellungen und/oder eine nicht korrekte Behandlung von Menschen oder Kulturen. Diese Stereotype waren damals genauso falsch wie heute.“ Anstatt diese Inhalte zu entfernen, wolle man ihre schädlichen Auswirkungen aufzeigen und Gespräche anregen, um eine „Zukunft mit mehr Inklusion und ohne Diskriminierung“ zu fördern.

Wer in Deutschland Disney+ im Abo hat, findet diese Ansage neuerdings nicht mehr vor den Filmen eingeblendet. Als Ersatz gibt es in den Details zum Film nur noch eine kurze Info. Sie lautet: „Dieses Programm wird in seiner ursprünglichen Fassung präsentiert und kann Stereotype oder negative Darstellungen beinhalten.“ Eine offizielle Stellungnahme von Disney zu dieser neuen Vorgehensweise gibt es nicht. Denn ursprünglich aus der Traumatherapie kommend, hatten sich die Warnhinweise für potenziell belastende Inhalte in nahezu allen Bereichen der Medienwelt etabliert. Während sie von Gegnern als Ausdruck eines zunehmenden gesellschaftlichen Bevormundungsdrangs kritisiert werden, sind sie für die Befürworter ein notwendiger Schutz für traumatisierte Personen oder marginalisierte Gruppen.


Grundfalsch, findet der Kölner Psychologe Thomas Weber in der taz: „Wenn vor der Inhaltswarnung der Begriff ‚Trigger‘ steht, bestimme ich, was für Betroffene ein Trigger ist und was nicht. Das ist anmaßend, weil fremdbestimmend. Anstatt die Person zu schützen, löse ich mit dem Begriff der Triggerwarnung eher Ängste aus.“ Vor allem aber kann ein Mensch „per se nicht komplett vor möglichen Triggern geschützt werden, es sei denn, er verlässt das Haus nicht mehr und isoliert sich. Und das ist nicht möglich.“ Tatsächlich zeigt sich in der Entwicklung der letzten Jahre ein bedenklicher Trend zur Reglementierung und Vorzensur von Kunst, Unterhaltung und Wissenschaft. Selbst Universitäten begannen, Literatur und wissenschaftliche Texte mit Warnhinweisen zu versehen, die auf potenziell verstörende Inhalte hinwiesen.


Was 2002 mit den drastischen „Hinweisen“ auf die Gefährlichkeit des Tabakkonsums auf Zigarettenschachteln begann und 2003 mit „Die nachfolgende Sendung ist für Zuschauer unter 16 Jahren nicht geeignet“ fortgesetzt wurde, ist aber längst zu einem paternalistischen System mutiert, einem Amalgam aus Nudging, Entkontextualisierung, Simplifizierung, „Einordnung“, vereinseitigender Erklärung, Rechtfertigung und Übertreibung – der „Königsdisziplin der Opferolympiade“ (Josef Joffe in der FAZ) – bis hin zur Lüge, ja der moralisierenden Tilgung als Cancel Culture.


Geadelt wurde dieses Vorgehen von Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der sich im Juli 2023 in einem SZ-Interview für nachträgliche Warn-Hinweise aussprach: „Ich bin dafür, Probleme auf jeden Fall sichtbar zu machen in Vor- und Nachworten und mit Hinweisen im Text“, sagte er mit Blick auf „populäre Romane, Comics und Kinderbücher“ wie „Tim und Struppi“. Man solle deutlich machen, „was so heute nicht mehr in Ordnung ist“. Gerade bei Bildungs-Material gibt sich der Bundeskanzler kompromisslos: „Wenn es sich um pädagogisches Material für Kinder handelt, sollte es klar unseren heutigen Vorstellungen entsprechen. Da werden wir Wege suchen und auch ein bisschen herumtasten müssen“. Herumtasten? Das ist leider auch kein Witz.


Triggerwarnungen sind in ihrer gegenwärtigen Form nicht nur wissenschaftlich fragwürdig, sondern haben auch einen freiheitseinschränkenden und kulturverändernden Einfluss. Ihre Verbreitung vollzog sich schleichend, bevor sie insbesondere in den USA institutionalisierte Formen annahmen. Schnell breitete sich diese Praxis auf den Mediensektor aus. Der WDR warnte vor Harald Schmidts Satire-Sendung „Schmidteinander“, während Theaterhäuser und Museen im deutschsprachigen Raum zunehmend Inhaltshinweise einführen. Diese Entwicklung hat eine zweifache Wirkung: Einerseits werden Konsumenten darauf vorbereitet, dass sie möglicherweise mit unbequemen oder problematischen Inhalten konfrontiert werden könnten. Andererseits suggeriert die bloße Existenz einer solchen Warnung, dass es sich tatsächlich um problematische Inhalte handelt – eine subtile, aber nicht zu unterschätzende Vorbewertung, die das Denken der Rezipienten beeinflusst.


Umdeutung der Realität


Die Kritik an dieser Praxis kommt aus verschiedenen Richtungen. Wissenschaftlich betrachtet gibt es kaum Belege dafür, dass Triggerwarnungen tatsächlich einen schützenden Effekt haben. Laut einer Untersuchung der Harvard University, von der das Psychotherapeutenjournal 1/2024 berichtet, tragen Triggerwarnungen nicht dazu bei, emotionale Belastungen zu reduzieren. Im Gegenteil: Sie können die Erwartungshaltung der Leser oder Zuschauer so beeinflussen, dass sie sich tatsächlich verletzlicher fühlen. Der Begriff „nocebo-Effekt“ beschreibt dieses Phänomen treffend: Wer mit der Erwartung an einen Schaden an eine Situation herangeht, erlebt diesen Schaden eher, als wenn ihm vorher keine Beeinflussung suggeriert worden wäre.


Aber auch kulturpolitisch sind Triggerwarnungen problematisch, wie Roland Tichy auf den Punkt brachte: „Das Normale wird zum Anormalen erklärt, die Abweichung zur Norm, Gemeinschaft ist verdächtig.“ Diese Entwicklung führe zu einer zunehmenden Moralisierung der Kunst und zur schrittweisen Einschränkung der Meinungsfreiheit. So wurden in Deutschland neben denen Harald Schmidts auch humoristische Sendungen von Otto Waalkes mit Warnhinweisen versehen, während gleichzeitig Sendungen wie Jan Böhmermanns ZDF Magazin Royale, die uneingeschränkt Regierungsnarrative verbreiten, mit ihrem gezielten politischen Aktivismus von solchen Einordnungen verschont bleiben. Dies zeigt deutlich, dass Triggerwarnungen nicht objektiv verteilt werden, sondern ideologisch motiviert sind. Das kann man nur Doppelmoral nennen.

Harald Martenstein beschrieb die Bemühungen um politische Korrektheit als eine „Umdeutung der Realität“. Er sieht darin einen Versuch, Geschichte und Kunst so umzuschreiben, dass sie heutigen moralischen Maßstäben entsprechen. Dies zeigt sich nicht nur an Triggerwarnungen, sondern auch an der Umbenennung von Werken und Institutionen. So wurden in Dresdner Museen zahlreiche Kunstwerke umbenannt, um angeblich rassistische oder diskriminierende Begriffe zu eliminieren. Die „Zigeunermadonna“ wurde zur „Madonna mit stehendem Kind“, „Mohr“ verschwanden aus Titeln, und selbst historische Werktitel wurden mit Asterisken unkenntlich gemacht.


Der jüdische Historiker Michael Wolfssohn kritisierte diesen Trend auf seiner Homepage: „Die Schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA war da in den 1960er-Jahren viel klüger: ‚Schwarz ist schön‘.“ Statt problematische Begriffe zu verbieten, machte man sie sich selbstbewusst zu eigen – ein Konzept, das heutige „sensitive reader“ offenbar nicht mehr verstehen. Ein weiteres großes Problem der Triggerwarnungen ist die damit einhergehende historische Anmaßung. Die Idee, dass heutige Generationen moralisch über die Vergangenheit urteilen und entsprechend korrigierend eingreifen können, ist ein Irrweg. Der US-Historiker James Sweet beschreibt dieses Phänomen als „Presentism“ – eine Betrachtung der Geschichte ausschließlich durch die Linse der Gegenwart. Dies führt dazu, dass kulturelle Errungenschaften vergangener Zeiten, die in ihrem jeweiligen Kontext selbstverständlich waren, mit heutigen Wertmaßstäben gemessen und oft negativ bewertet werden.


Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit


Dies zeigt sich besonders deutlich im Umgang mit literarischen und filmischen Werken. So wurde die ARD-Audioproduktion „Reise um die Erde in 80 Tagen“ mit einer Warnung versehen, weil darin „Diskriminierung“ vorkomme. Dass der Originalroman von Jules Verne ein herausragendes Zeugnis der Abenteuerliteratur des 19. Jahrhunderts ist und damals eine völlig andere Perspektive auf die Welt herrschte, wird dabei ignoriert. Dabei ist wohl kaum ein Roman so von Internationalität geprägt wie die Abenteuer von Phileas Fogg, dessen Reise Fogg zusammen mit seinem französischen Diener Jean Passepartout von London unter anderem nach Paris, Kalkutta, Bombay, Hongkong, Yokohoma und New York führt. Am Ende hat der Brite beinah sein ganzes Vermögen verprasst, aber dafür in der parsischen Witwe Aouda seine große Liebe gefunden: das würde heute gar als „gelebte Multikulti-Vielfalt“ gefeiert werden. Was daran diskriminierend sein soll, weiß außer der Redaktion sicher niemand.


Auch in der Ausstellung „Uderzo – Von Asterix bis Zaubertrank“ im Museum für Kommunikation Berlin findet sich diese Bevormundung: „Einzelne Namen und Darstellungen von Figuren können als Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gelesen werden“, heißt es dort. Gewarnt wird, dass die Comic-Schau, die noch bis Juni läuft, „gezeichnete Gewaltdarstellungen und explizite Sprache“ enthalte. „Wir glauben, es ist hilfreich für unsere Besuchenden, dass wir Ausstellungsinhalte eingangs kommentieren und einordnen“, sagt Dietrich Wolf Fenner vom Berliner Kommunikationsmuseum dpa. „Diversität ist uns wichtig. Auch in unseren Wechselausstellungsthemen.“


Auch viele Theater im deutschsprachigen Raum weisen darauf hin, dass es bei bestimmten Aufführungen rassistische Sprache, Sex- und Gewaltdarstellungen auf der Bühne gebe (vor Lärm und starken Lichteffekten wird sowieso gewarnt). Trotz einer Altersfreigabe ab 18 Jahren und fett gedruckten Warnhinweisen für die freizügige und blutige Oper „Sancta“ von Florentina Holzinger musste sich der Besucherservice in Stuttgart letzten Herbst um insgesamt 18 Menschen kümmern. Sie hätten zum Teil über Übelkeit geklagt, sagte der Sprecher der Staatsoper, Sebastian Ebling, dem Spiegel. In drei Fällen habe ein Arzt dazugeholt werden müssen.


In den letzten Jahren wurden in Deutschland Bücher zu Bestsellern, die die Wokeness nicht nur kritisch, sondern als „Gefahr für die Demokratie betrachten“. Die Ethnologin Susanne Schröter etwa schreibt in ihrem Buch „Der neue Kulturkampf. Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht“ (2023) unter anderem von „Gesinnungsterror“ und dem „schleichenden Aufbau eines neuen Überwachungsstaates“. Auch Ester Bokwyt setzt sich in ihrem Buch „Woke. Psychologie eines Kulturkampfs“ kritisch mit Wokismus und seinen Gegnern auseinander: „Ich glaube schon, dass es eine echte Ablehnungshaltung ist. Natürlich kann man die Kritik daran auch überzeichnen und besonders radikal formulieren und Feindbilder suchen. Aber es ist auch nicht schwer, Feindbilder zu finden, weil es bei vielen Menschen weit über den rechten Rand hinaus Ablehnung erzeugt“, sagte sie auf DW.


Instrument der politischen Beeinflussung


So laut und radikal die Kritik in den USA jetzt auch formuliert worden ist – sie sei aus rationaler, wissenschaftlicher Sicht sogar nachvollziehbar, sagt Bockwyt. Dahinter stecke „ein Stück weit Vernunft, weil unter dem Deckmantel der Wokeness Auswüchse geschehen, die ungesund sind.“ Als Beispiel führt sie die Diskussion um biologische Männer, die sich als Frau sehen, im Frauensport oder in Frauengefängnissen an, die in den USA viel lauter ist als bei uns. „Da stoßen biologische Gegebenheiten auf eine Ideologie, die einfach sagt, das Gefühl steht über allem.“ Die Ablehnung dieses extremen Wokismus – auch aus der Mitte der Gesellschaft – ist nach Bockwyts Ansicht berechtigt. „Es geht also nicht nur darum, dass man wach sein möchte gegenüber Diskriminierung – da würde ja auch fast jeder zustimmen –, sondern es ist wirklich radikaler“, sagte sie. „Und deshalb wird in den USA so ein großes Fass aufgemacht, weil das relevant und spürbar ist und Menschen auch eher auseinander als zusammenbringt.“


Letztlich ist die Einführung von Triggerwarnungen keine neutrale oder „hilfreiche“ Maßnahme, sondern ein Instrument, das politisch genutzt wird. Die Warnungen betreffen überwiegend Inhalte, die als problematisch im Sinne der „woken“ Ideologie gelten. Hingegen werden politisch erwünschte Inhalte nicht nur nicht gewarnt, sondern oft aktiv gefördert. Wenn in Dresden Werke aus „kolonialen Kontexten“ umbenannt wurden, weil sie „empfindliche Gefühle verletzen“ könnten, ist zu fragen, wer eigentlich entscheidet, welche Gefühle schützenswert sind und welche nicht? Warum wird die „Woke“-Ideologie als übergeordnetes Prinzip für den Umgang mit Geschichte und Kultur betrachtet?

Es ist höchste Zeit, sich von Triggerwarnungen zu verabschieden. Die Praxis ist nicht nur wissenschaftlich fragwürdig, sondern auch ein Instrument der politischen Beeinflussung und der kulturellen Bevormundung. Statt in vorauseilendem Gehorsam Inhalte mit Warnungen zu versehen, sollte eine Gesellschaft mündigen Bürgern zutrauen, sich selbst mit Geschichte, Kunst und Kultur auseinanderzusetzen. Ein mündiger Medienkonsument braucht keine Triggerwarnungen, sondern die Freiheit, sich eine eigene Meinung zu bilden. Ein Künstler braucht keine Vorschriften darüber, was er darstellen darf und was nicht. Und eine Gesellschaft, die sich der offenen Diskussion verschreibt, braucht keine Filtermechanismen, die den öffentlichen Diskurs im Voraus regulieren. Die Abkehr von Disney und anderen Unternehmen von ihren übermäßigen DEI-Strategien sind ermutigende Zeichen dafür, dass sich ein Wandel abzeichnet. Denn Triggerwarnungen sind nicht harmlos, sondern „nur der Anfang“, so Franziska Zimmerer in der Welt. „Eine Gesellschaft, in der sich Intendanten vor Ottifanten fürchten, hat bald nichts mehr zu lachen.“

 



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Über den Autor: Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.



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