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Ulrich van der Heyden: MIT FAKE NEWS GEGEN RECHTSPOPULISMUS?

Aktualisiert: 11. Dez. 2018

Undenkbar, den nächtlichen Unfalltod eines alkoholisierten Migranten kurzerhand zur fremdenfeindlichen Eskalation umzudeuten, selbst Leichen also noch vor den eigenen Gesinnungskarren zu spannen? Nicht für zwei rührige Redakteure des MDR, der auch sonst mit Verve daran zu arbeiten scheint, den ostdeutschen Bundesländern nachträglich jene rassistische Kriminalgeschichte unterzuschieben, die autochthone Abwehrkräfte in regionalem Rahmen ebenso schwächen soll wie es postkoloniale Selbstbezichtigungen auf nationaler und europäischer Ebene bereits erfolgreich leisten.

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Kann man mit Fake News den Rechtspopulismus abschwächen? Der MDR versucht dies.

In einer TV-Dokumentation des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) wurde im August 2016 nicht zum ersten Mal ein Film über den Einsatz von Vertragsarbeitern aus Ländern der Dritten Welt in Betrieben und Kombinaten der DDR gezeigt. Eigentlich eine gute Idee, könnte doch so langsam das in Deutschland vorherrschende Bild von den angeblich ausgebeuteten und unterbezahlten Vertragsarbeitern (die oftmals mehr verdienten als Angehörige der Funktionselite im ostdeutschen Staat) vom Kopf auf die Füße gestellt werden. An einigen Aussagen der bisher erschienenen Filme – wie kann es anders sein? – waren vom wissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen Einwände angebracht, vor allem dann, wenn die dafür verantwortlichen Journalisten Recherchen vernachlässigten, wie etwa Aussagen von ehemaligen Vertragsarbeitern oder genügend vorhandene schriftliche Quellen aus Archiven nicht zur Kenntnis genommen haben.

Nunmehr, nach mehr als einem Vierteljahrhundert verflossener Zeit seit dem Ende der DDR konnte man auf eine realitätsnahe, den Fakten verpflichtete Darstellung hoffen. Doch weit gefehlt! Dabei wäre eine realistische Schilderung der zeitweiligen Integration von »ausländischen Werktätigen«, wie die Vertragsarbeiter damals hießen, in Betrieben der DDR-Wirtschaft ein wichtiger Beitrag zur Erklärung von der Existenz von in der ostdeutschen Bevölkerung nicht zu bezweifelnden rassistischen Ressentiments, die schon unmittelbar in einigen Regionen nach der Wende in offenen Rassismus umgeschlagen sind, gewesen. Wie so oft in jener Zeit kamen die Anführer und Ideologen aus dem Westen Deutschlands, die im Osten auf eine Menge unzufriedener, von den realen Bedingungen der staatlichen Vereinigung enttäuschter und orientierungsloser Jugendliche trafen und diese zu mobilisieren versuchten. Es hätte etwa nachgezeichnet werden können, wie die alles in allem guten Beziehungen der DDR-Bevölkerung zu den außereuropäischen Vertragsarbeitern, über rassistisch motivierte Gewalttaten nach der deutschen Vereinigung bis zu den heutigen zu beantwortenden Fragen nach der Akzeptanz von Zuwanderung sich wandelten.

Die Filmemacher und ihre Vorgesetzten hatten sich im Jahre 2016 jedoch allen Ernstes die Aufgabe gestellt, nachweisen zu wollen, dass Rassismus und fremdenfeindliche Gewalt in der DDR »stärker verbreitet gewesen« sein sollen, »als bisher bekannt.«[1] Da drängt sich die Frage auf, was war bzw. ist darüber bislang bekannt? Stichhaltige Belege über Rassismus in der DDR konnten auch in dieser TV-Dokumentation, entstanden 25 Jahre nach der deutschen Vereinigung, zwar nicht erbracht, dafür allerdings umso hemmungsloser behauptet werden.

In bekannter Weise wurde mit Vermutungen und Halbwahrheiten von den beiden Filmemachern Christian Bergmann und Tom Fugmann argumentiert, um dem Titel ihrer Dokumentation Nahrung zu geben. Sie stellten in einer Mischung von bekannten Tatsachen, weil schon mehrfach darüber berichtet wurde, gemischt mit reißerisch aufgemachten Fiktionen vier Fälle von Tötungsdelikten an zu Zehntausenden in der DDR präsenten Vertragsarbeitern dar. Damit sollte vor allem nachgewiesen werden, dass sich die Regierung in Ostberlin angeblich bemüht hatte, diese Tatsachen zu vertuschen, was dann zu der Behauptung »Schuld ohne Sühne« führte. Jedoch Belege, etwa in Form von überprüfbaren Dokumenten, werden den Zuschauern des Films nicht angeboten. Lediglich aus dem Zusammenhang gerissene Ausschnitte aus Schriftstücken werden kurz eingeblendet, die in Archiven nicht nachweisbar sind. Es wird aus Dokumenten zitiert, die in den Archiven nicht auffindbar sind.

Einige der in der Reportage angesprochenen Straftaten, die zum Tode von jungen kubanischen Vertragsarbeitern in der DDR führten, deren Untersuchung sich die Journalisten zur Aufgabe gestellt hatten, werden von der Wissenschaft nicht in Abrede gestellt und jede einzelne ist nicht nur strafrechtlich (was auch geschehen ist!), sondern auch moralisch zu verurteilen. Jedoch sei die Frage erlaubt, wenn es drei oder vier solche Fälle zu Zeiten der DDR gegeben hat, warum werden nicht – weder in dieser noch in kaum einer anderen TV-Sendung – andere Fälle des Umgangs der DDR-Bürger mit Ausländern, von denen viele sich noch heute dankbar daran erinnern, geschildert, etwa solche, in denen Ausländer in deutschen Familien Aufnahme fanden oder in sonstiger Weise Hilfe erhielten? Unter den fast 17 Millionen DDR-Bürgern dürften von Menschen mit dieser Einstellung weitaus mehr zu finden gewesen sein als solche Kriminelle, die Gewalt gegen ausländische Mitbürger anwandten. Und wo der Eindruck zwangsläufig entsteht, dass die Bevölkerungsmajorität dies akzeptiert.

In der Fernsehdokumentation wird nicht oder bestenfalls am Rande auf die Hintergründe, Ursachen und Anlässe solcher Straftaten eingegangen. Eigentlich sollte man solche Hintergrundinformationen erwarten können, denn immerhin wird in der zur Diskussion stehenden Sendung mit dem Begriff Rassismus geradezu inflationär umgegangen. Aber waren es wirklich rassistisch motivierte Angriffe? Haben sich die Täter aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Geburt, ihrer Herkunft den Anderen, Fremden, den Angegriffenen auf den Tanzflächen oder vor den Diskotheken, wo die meisten Schlägereien von der Polizei aufgenommen wurden, aufgrund ihrer »Rasse« überlegen gefühlt? Wollten sie wirklich ihre angebliche Überlegenheit durch Gewalt demonstrieren? Oder war es doch anders? Denn nach dem bekannten Rassismus-Forscher Albert Memmi ist Rassismus »die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen.«[2] Aber war dies der Fall bei Schlägereien auf der Tanzfläche oder nach starkem Alkoholkonsum?

Handelte es sich also in den meisten der heute in der »Aufarbeitungsliteratur« und »-publizistik« oder auch in journalistischen Fernsehdokumentationen herangezogenen Fällen von Gewalt gegenüber Ausländern in der DDR-Gesellschaft nicht vielmehr um »ganz normale« Schlägereien auf Tanzveranstaltungen zumeist in Dörfern und Kleinstädten, wo diese auch ohne Ausländer zwischen männlichen Jugendlichen aus verschiedenen Ortschaften nicht selten vorkamen? Waren die deutschen Jugendlichen die alleinigen Auslöser der Keilereien, bei denen die aus anderen Kulturen kommenden jungen Männer schnell mit dem Messer in der Hand dabei waren? Provozierte das nicht wiederum die andere Seite? Statistische Übersichten der staatlichen Organe der DDR sagen da nämlich im Gegensatz zu den Kommentaren in der TV-Dokumentation etwas ganz anderes aus, etwa dass in den ersten neun Monaten des Jahres 1987 allein von mosambikanischen Vertragsarbeitern 45 vorsätzliche Körperverletzungen, 4 Vergewaltigungen, je 1 Fall von Rowdytum bzw. Raub, 4 Verkehrsunfälle, 10 sonstige Rechtsverletzungen wie Widerstand gegen Polizei, Beleidigung, Diebstahl u. a. ausgingen. Im gleichen Zeitraum ereigneten sich „zum Nachteil mosambikanischer Bürger« 28 vorsätzliche Körperverletzungen, 5 Fälle von Rowdytum, 4 Beleidigungen wegen Zugehörigkeit zu einer anderen Nation oder Rasse, 5 Fälle des Raubes, 3 sonstige Rechtsverletzungen.[3] Wenn auf die Anlässe und Hintergründe von solchen Gewalttaten, wie die in dem Film geschilderten, nicht eingegangen wird, läuft die gesamte Argumentation über angeblich rassistisch motivierte Vorfälle ins Leere.

In der hier zur Diskussion stehenden TV-Dokumentation der relativ jungen Filmemacher wird der Mord an einem mosambikanischen Jugendlichen in Staßfurt reißerisch geschildert, der von einem vorbestraften deutschen Kriminellen verübt worden war. Der Fall war sowohl in der zeitgenössischen regionalen Öffentlichkeit als auch später in der internationalen Fachliteratur durchaus bekannt, dennoch wurde in der TV-Reportage unter anderem die obskure Behauptung aufgestellt, dass der Vorfall in der DDR »offiziell verschwiegen« werden sollte. Geradezu spannend wäre es zu erfahren, ob die »Gewalttaten« auch inoffiziell hätten verschwiegen werden können. Der Vorfall wurde in der betreffenden Region damals sehr wohl ausgewertet und es existieren darüber Dutzende von Akten. Die beiden Filmemacher, die anscheinend nicht viel von Recherche halten, sollten doch einmal erklären, wie ein »Verschweigen« möglich gewesen ist, wenn bereits unmittelbar nach der Tat etwa 650 mosambikanische Lehrlinge aus der »Schule der Freundschaft« über den Tod ihres Kameraden informiert wurden und sodann die in der Region Verantwortung tragenden Funktionsträger, wie Polizisten, Lehrer, kommunale Verwaltungsmitarbeiter, Mitglieder von Parteien und Gewerkschaften, Vertreter von Betrieben, in denen die Mosambikaner ihre Berufsausbildung erhielten, Mitglieder der Jugendklubs und Sportstätten etc.[4] Kann man die Vorhaltungen der Filmemacher nach einem angeblichen Verschweigen der kriminellen Tat noch bei gutem Willen zu entschuldigen versuchen, weil die überregionale Presse hierüber nicht berichtete, so ist es vollkommen unverständlich, wenn dann noch ein dritter Aufguss der Reportage im November 2017 im MDR mit den gleichen Fake News gesendet wurde. Nunmehr wussten die Journalisten sogar, dass damals in der DDR der »Vorfall nur kurz thematisiert« worden sein sollte. Dann jedoch »verordnete man Schweigen«. Das Gegenteil war in der Region indes der Fall. Zudem drängt sich die Frage angesichts dieser Feststellung auf, wer wem Schweigen geboten haben soll. Belege konnten dafür nicht erbracht werden. Wer die DDR-Verhältnisse kennt, und dies sollte man bei Journalisten und Historikern, die sich mit deren Geschichte befassen, voraussetzen, wird nicht überrascht sein, dass über Gewaltverbrechen nichts oder kaum etwas in den überregionalen Zeitungen des ostdeutschen Staates zu lesen war, und können die gekünstelte Empörung hierüber nicht verstehen.

Da der Täter schon bald nach der Tat ausfindig gemacht und verhaftet worden war und dies den in der Region Verantwortung Tragenden sowie den Mitschülern des Getöteten mitgeteilt worden ist, sind deren Empörung und Wut und Rufe nach Rache verständlich. Die Funktionäre in Staßfurt hatten dann auch Mühe, den jungen Mosambikanern zu erklären, dass ein Tötungsdelikt nach DDR-Rechtsordnung nicht nach dem Prinzip »Gleiches mit Gleichem« geahndet werden kann.[5]

Auffallend ist neben dem Verschweigen derjenigen Hintergrundinformationen, die das Verhältnis der DDR-Bevölkerung zu Ausländern realistischer hätten darstellen können und die insbesondere mehr Licht in einen solchen Tatvorgang gebracht hätten, darüber hinaus die Tatsache, dass ganze Themenbereiche ausgeschlossen bleiben. So etwa wenn deutsche Jugendliche bei tätlichen Auseinandersetzungen schwer verletzt oder gar zu Tode gekommen sind. Ein solcher »Abgleich« des historischen Kontextes gehört jedoch zu einer ausgewogenen Berichterstattung vor allem von sensiblen politisch relevanten Themen. Ein Verschweigen von Tatsachen hat sich schon immer bei der Akzeptanz von bildungspolitischen Aufträgen, die ja öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten haben, als kontraproduktiv erwiesen.

Die Auswertung der Akten zu einer schwerwiegenden Auseinandersetzung nach einer Tanzveranstaltung mit einem Toten ergab beispielsweise, dass, wie bei allen ähnlich bekannt gewordenen kriminellen Handlungen, die Polizei sofort ermittelte und den Tathergang rekapitulierte. So stellte die Polizei in einem Fall am 19. Juni 1988 fest, als es zwischen Afrikanern und Einheimischen zu Schlägereien gekommen war, dass diese von zwei jungen deutschen Arbeitern provoziert worden waren, weil sie die ausländischen Jugendlichen beleidigt hatten. Schon »in der Vergangenheit (waren sie, die deutschen Jugendlichen – UvdH) durch rowdyhaftes Verhalten in Erscheinung getreten«, heißt es im Bericht der Stasi. Gegen die Anstifter wurde Anklage erhoben wegen »Rowdytum« und »Beleidigung wegen Zugehörigkeit an einer anderen Rasse oder Nation«[6] und verurteilt. Was ist aber mit dem mosambikanischen Totschläger geworden? Wurde er verurteilt? Musste er in seine Heimat zurückkehren und hat er dort einen Prozess erhalten? Oder kam er in der DDR vor Gericht? Über diese und ähnliche Fakten breiten die Journalisten den Mangel des Schweigens. Für investigative Journalisten sind das doch eigentlich interessante Fragen!

Solche verdrängten und vertuschten Taten haben noch eine andere Dimension, der man nachgehen könnte, statt Rassismus zu wittern, wo es keinen gab. Vor allem der Einsatz von Stichwaffen trug dazu bei, dass sich rassistische Ressentiments verbreiteten oder verfestigten. Denn Stichwaffen kamen traditionell bei Schlägereien auf Tanzböden und vor Gaststätten unter den einheimischen Jugendlichen kaum zur Anwendung.

Selbst in westdeutschen Zeitungen war man damals der Realität näher gekommen als in der MDR-Dokumentation. Denn diese berichteten, dass die Ursache für Prügeleien »oft derselbe Anlass wie Wirtshausprügeleien auf der ganzen Welt … (seien): Streit um Mädchen, zu reichlich genossener Alkohol.«[7] Und ehemalige mosambikanische Vertragsarbeiter selbst, wie Julio Mussane, antwortete auf eine Frage nach erlebter fremdenfeindlicher Gewalt: »Nein, während der DDR-Zeit haben wir nichts von Fremdenhass oder Rassismus gespürt. Wir brauchten keine Angst zu haben. Wir konnten damals auch nachts ohne Angst mit dem Zug in andere Städte reisen und wurden, egal wo wir auch waren, niemals bewusst rassistisch angegangen. Natürlich gab es auch Auseinandersetzungen, insbesondere in Diskos, wo es dann auch zu Schlägereien kam. Da ging es aber um die Mädchen, bei denen wir ganz gut ankamen, was uns die deutschen Jungs aber nicht gönnten[8]

Da solche Meinungen über Selbsterfahrungen von ehemaligen Vertragsarbeitern von Journalisten zumeist nicht zu Kenntnis genommen werden, hier noch ein Zitat eines »Ehemaligen« auf eine Frage nach erlebtem Rassismus: »Wenn ich diese Frage ins Verhältnis zur heutigen Situation stelle, dann muss ich eindeutig sagen, nein – mit Fremdenhass und Rassismus wurden wir nicht konfrontiert. Natürlich gab es hin und wieder Auseinandersetzungen mit deutschen Jugendlichen, da spielten aber meistens der Alkohol und das Werben um die Mädchen eine große Rolle. Ich hatte den Eindruck, dass sich die DDR-Regierung sehr mühte, um solche Konfrontationen zu vermeiden.«[9]

Solche erklärenden Stellungnahmen von denjenigen zeitweilig in der DDR lernenden und arbeitenden Afrikanern passen natürlich nicht in die ideologische Voreingenommenheit der MDR-Journalisten. Man verschwieg lieber durchweg die Meinungen der Betroffenen. Schon die Anmoderation des erwähnten Films des MDR hatte schon die Aussage- und damit die gewünschte Denkrichtung für die Zuschauer festgelegt: Die Ausländer seien von der DDR-Führung angeworben worden, heißt es dort. So etwas hat es jedoch nie gegeben. Die DDR-Regierung kam vielmehr den Bitten der Regierung Mosambiks zur Aufnahme und Ausbildung junger Menschen entgegen. Es kommt in der Anmoderation dann noch dreister: Angeblich hätte es »mehrere tausend Vorfälle« gegeben, die zu »tausenden Verletzten und sogar Todesopfern« geführt hätten. Exakte Belege der Behauptung sowie konkrete Ursachenforschung der belegbaren Fälle sind sowohl bei einem interviewten nicht gerade für seriöse Forschungen bekannten »Fachmann«, als auch bei den Filmemachern, die ihn zum Interview luden, offensichtlich unbekannt.

Schon andere, jedoch weitaus seriösere Untersuchungen sind Angriffen auf oder vereinzelten Tötungsdelikten von Ausländern in der DDR, wie dem erwähnten in Staßfurt, nachgegangen. Eine Bildungsforscherin, die insbesondere in der sachsen-anhaltinischen Kleinstadt recherchiert hatte, kommt nach Befragungen von Absolventen und Pädagogen aus Mosambik, die jahrelang in Staßfurt gelebt haben, zu der Schlussfolgerung, »dass sie sich in der DDR nicht rassistisch abgelehnt oder gar bedroht gefühlt haben«[10]. Das hat Bergmann und Fugmann allerdings nicht interessiert. Im Gegenteil, sowohl die von ihnen vor die Kamera Gestellten als auch ihre Kommentare konnten nicht darlegen, ob die im Film geschilderten Straftaten durch rassistische Überheblichkeit motiviert waren oder als kriminelle Handlungen zu bezeichnen sind. Nicht einmal die Frage wurde aufgeworfen. Wenn es mehr als die im Film geschilderten vier gewaltsamen Todesfälle gegeben hätte, wären sie sicherlich in den Akten des MfS vermerkt worden. Weder dort noch anderswo sind sie jedoch zu finden.

Die im MDR zuerst gezeigte Version der Dokumentation, die in reißerischer Weise Rassismus in der DDR belegen wollte, muss den Programmmachern der ARD so gut gefallen haben, dass dort unter dem Titel Schatten auf der Völkerfreundschaft eine weitere und erweiterte Reportage am 10. April 2017 nachgereicht wurde. Ein äußerst ungewöhnlicher Vorgang! Ansonsten gilt die Devise: »Gesendet ist gesendet!« Was mögen wohl die Beweggründe für die ARD-Verantwortlichen gewesen sein? Jedenfalls wurden mit der Extra-Story des MDR noch ein weiteres Mal Fantasie-Geschichten als Realität ausgegeben und fanden dennoch auch in anderen Fernsehanstalten ein warmes Sendeplätzchen.

Einige Monate nach der ersten MDR-Ausstrahlung leitete übrigens die zuständige Staatsanwaltschaft in Halle (Saale) eine Überprüfung des im Film geschilderten Falles der Tötung eines Vertragsarbeiters ein. Jene kam aber zu einer anderen Schlussfolgerung, als es die Filmemacher gern hätten. Es gibt absolut keinen Grund, warum die ermittelnde Staatsanwaltschaft bei einer Jahrzehnte zurückliegenden Tötungstat etwas verschweigen sollte. Jedoch besteht die sehr wahrscheinliche Vermutung, dass sie gründlicher recherchiert hat als die Journalisten. Diese sprechen in ihrem Film weiterhin dreist von einem Mordverdacht, den sie jedoch nicht belegen können. Neue Ermittlungen lehnt die Staatsanwaltschaft auch selbstverständlich ab: »Das Verfahren ist damals durch die DDR-Behörden eingestellt worden. Wir haben es aus heutiger Sicht erneut geprüft mit dem Ergebnis: Wir sehen keinen Anfangsverdacht auf einen Mord. Mithin habe ich auch keine Veranlassung, hier irgendwelchen Personen hinterherzulaufen«, sagte Staatsanwalt Klaus Wiechmann im Interview für die Dokumentation unter dem Titel Schatten auf der Völkerfreundschaft, den man gern mit allen Mitteln herbeifabulieren möchte.

Am Ende der TV-Dokumentation Schuld ohne Sühne, die sich explizit mit den vier Todesfällen von Vertragsarbeitern (nicht mit jenen etwas einen Dutzend Fällen, die durch Auseinandersetzungen untereinander zu verzeichnen waren oder wo deutsche Jugendliche die Opfer waren) beschäftigt, kommt ein in Stuttgart geborener Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, europäisches Strafrecht und neuere Rechtsgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin ausführlich zu Wort, wenngleich nicht bekannt ist, dass er zur Rechtsgeschichte der DDR jemals gearbeitet oder publiziert hat, sondern vor allem zum Umweltstrafrecht. Er schließt sich der Kritik der Filmemacher über die Entscheidung der Hallenser Staatsanwaltschaft an und verbindet diese mit einem gewaltigen Rundumschlag, wenngleich ihm bekannt sein müsste, dass die wenigsten Mitarbeiter in den ostdeutschen Staatsanwaltschaften aus dem Osten kommen: »Leider hat man in der Tat den Eindruck, dass die Staatsanwaltschaften in den neuen Bundesländern (die vor allem mit westdeutschen Juristen besitzt! – d. V.) hier etwas Manschetten haben, dass sie sehr vorsichtig an die Themen herangehen. Und das ist natürlich sehr schade, zumal es um Ausländerfeindlichkeit geht und gerade Rassismus ja nun in der deutschen Geschichte generell ein Problem ist. Rassistisch motivierte Tötungen … sind ein riesen Problem. Aber umso wichtiger wäre, dass man für alle Phasen der deutschen Geschichte, soweit man noch Anhaltspunkte hat und soweit man noch Personen verfolgen kann, diese auch verfolgt. Das heißt auch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR



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Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist ebenfalls der von Bergmann und Fugmann spektakulär aufgemachte und mit Statisten nachgestellte Todesfall eines Mosambikaners in der Nacht vom 29. zum 30. Juni 1986 während einer Eisenbahnfahrt im Bezirk Halle. Es wird suggeriert, dass Rechtsextremisten daran schuld gewesen wären. Trotz damaliger intensiver polizeilicher Untersuchungen konnte jedoch ein Tötungsdelikt nicht festgestellt werden, ja nicht einmal Rechtsextremisten konnten ausfindig gemacht werden, die damals laut fiktiver Story des MDR im Zug gewesen sein sollen. Einen Mordvorwurf hatte damals niemand erhoben, weder die Kameraden des Getöteten noch Vertreter der mosambikanischen Botschaft oder sonst jemand. Aber nunmehr die beiden genannten Journalisten! Vor einer Kamera des MDR-Fernsehteams nach etwa dreißig Jahren gestellt, wusste ein Mosambikaner, der kein Augenzeuge war, ausführlich Einzelheiten über den tragischen Tod zu berichten. Er sprach davon, dass der später zwischen den Schienen gefundene Leichnam zu einem Mosambikaner gehörte, der an den Beinen an einem Strick hinter dem Zug her zu Tode geschleift worden sei. Nach der Ausstrahlung der Fernsehreportage bei ihm persönlich nachgefragt, konnte er nur zugeben, er habe gehört, dass … Für die Filmemacher war dies indes kein Grund, solche ausgedachten Phantasien zu prüfen und im Zweifelsfall nicht zu senden.

Überhaupt scheint der vor der Kamera interviewte Freund des Getöteten keine klaren Erinnerungen mehr zu besitzen. In einem späteren Interview sagte er nämlich aus, dass er mit seinem Freund Manuel Diogo zuvor in Berlin den Tierpark besucht und ihn dann zum Bahnhof gebracht hätte.[11] Die polizeilichen Ermittlungen haben jedoch ergeben, dass Diogo am 29. Juni in Dessau eine Diskothekveranstaltung in der Gaststätte Stadtgarten besucht hat.[12] Einen Grund hier nachzufragen, sahen die Filmemacher auch jetzt noch nicht.

Wie ungeprüft, weil als Wahrheit aufgefasst, solche fiktiven Geschichten von Journalisten aufgenommen und verbreitet werden, macht ein späterer Artikel in der Leipziger Volkszeitung deutlich, wo beklagt wurde, dass der angebliche Mordfall »in der Öffentlichkeit … nicht erwähnt« worden ist.[13] Wo nichts gewesen ist, kann darüber freilich auch nicht berichtet werden.

Einschlägige Archiv-Recherchen haben jedoch ergeben, dass der Mosambikaner Manuel Diogo vor seinem Tod »umfangreich Alkohol zu sich« genommen hatte, dann – so bestätigten vier andere Mosambikaner – im Zug eingeschlafen sei. Er hätte deshalb den Ausstieg auf dem Bahnhof – nicht zum ersten Mal – verfehlt und sei entweder schon beim Sturz oder dann, als er auf den Schienen zu Fuß gegangen ist, von einem sich schnell nähernden D-Zug erfasst und überrollt und mitgeschleift worden. Außerdem hätten polizeiliche Ermittlungen ergeben, dass sich anscheinend keine deutschen Jugendlichen im Zug aufhielten. So konstatierte das MfS: »Hinweise auf Auseinandersetzungen mit anderen Personen liegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vor.«[14] Warum werden aber dann in der TV-Dokumentation Szenen nachgestellt, die zeigen sollen, dass der Mosambikaner angegriffen und aus dem Zug geworfen worden sein soll? Das Ergebnis der polizeilichen Untersuchung lautete vielmehr: »Hinweise auf (eine) Straftat liegen nicht vor«.[15] Das ist allerdings für die Filmemacher kein Grund, nicht das Gegenteil, ausgeschmückt mit ihren dramatisierten Visionen, zu behaupten.

Die TV-Dokumentation weist auch ansonsten eine Reihe von Manipulationen auf, die den Zuschauer fragen lassen, wofür seine Steuergelder ausgegeben werden. So kommt ausgerechnet der Pressechef der RENAMO, Antonio Muchanga, also ein führendes Mitglied der Partei, die Millionen Menschen in Mosambik grausam ermordet, vertrieben oder mit heute kaum vorstellbaren Grausamkeiten drangsaliert hat und vor der viele der jungen Mosambikaner geflohen sind und in der DDR aufgenommen worden waren, in dem Film zu Wort und fordert »als Landsmann der zu Tode Gekommenen« im Namen der Familien und Hinterbliebenen eine lückenlose Aufklärung der Todesfälle der zwei Mosambikaner in der DDR. Scheinheiliger – und die wirklichen Verbrechen jener Zeit verharmlosender – geht es nicht!

Es sei noch einmal betont, dass jeder Todesfall in der Geschichte, auch nach einem Vierteljahrhundert, journalistisch untersucht werden kann und sollte. Jedoch seriös und nicht manipulativ. Und ein bisschen Verständnis für Geschichte sollte man bei solchen Untersuchungen mitbringen. Was dem Fernsehzuschauer jedoch geboten wurde, war Journaille in Reinkultur. Mit Reisemitteln der öffentlich-rechtlichen Sender ausgestattet, reiste das Team nach Mosambik und erzählte der alten Mutter und der Familie des Getöteten ihre ausgedachte Story. Die Kamera hielt voll drauf: Es sollte wohl das Mindeste sein, dass sich die beiden Fake News verbreitenden Journalisten und der Sender MDR bei der Mutter, der Familie, den mosambikanischen Kameraden, den deutschen Kollegen und den Fernsehzuschauern entschuldigen.

Inzwischen gibt es vonseiten einiger Mosambikaner die Idee, dass der Mutter und der Familie die Wahrheit über die Todesumstände des Sohnes und Bruders mitgeteilt werden sollen. Ein mosambikanischer Filmemacher zeigt sich von ehemaligen Vertragsarbeitern, die eine andere Realität in der DDR erlebt haben als in der MDR-Doku dargestellt, aufgerüttelt und nunmehr daran interessiert, die Überbringung der Nachricht über die wahren Umstände des Todes zu filmen. Ob dieser Film dann auch vom MDR gesendet wird?

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[1] »Vertuscht und verdrängt. Warum starben Vertragsarbeiter in der DDR?«, MDR, 17.08.2016; noch einmal ausgestrahlt als in Schuld ohne Sühne, MDR, 17.11.2017, danach noch einmal in arte.


[2] Memmi, Albert: Rassismus, Frankfurt am Main 1987, S. 164.


[3] BStU: MfS, HA VII, Nr. 2752: Information des Miniteriums: »Vorkommnisse mit Bürgern der Volksrepublik Mocambique, die gemäß Regierungsabkommen in der DDR tätig sind, im Zeitraum vom 1.01. bis 30.09.1987«.


[4] Vgl. BStU: MfS, HA XVIII, Nr. 26643, Bl. 1-8.


[5] Vgl. BStU: MfS, HA VIII, Nr. 26643, Bl. 5.


[6] BStU: MfS, HA II, Nr. 27433: »Information zur Konzentration von Vorkommnissen unter Beteiligung mocambiquanischer Werktätiger in der DDR«, Juni 1988, Bl. 2.


[7] Dose, Dieter: In der »DDR« nimmt der Ausländerhaß zu, in: Die Welt, 26.08.1988.


[8] Mussane, Julio: Es war immer jemand da, der half, Probleme zu lösen, in: van der Heyden, Ulrich/Semmler, Wolfgang/Straßburg, Ralf (Hrsg.): Mosambikanische Vertragsarbeiter in der DDR-Wirtschaft. Hintergründe – Verlauf – Folgen, Berlin/Münster 2014, S. 229.


[9] Reis, José: Keine leichten Lebensumstände in der DDR, in: van der Heyden, Ulrich/Semmler, Wolfgang/Straßburg, Ralf (Hrsg.): Mosambikanische Vertragsarbeiter…, a.a.O., S. 235.


[10] Schuch, Jana: Mosambik im pädagogischen Raum der DDR. Eine bildungsanalytische Studie zur »Schule der Freundschaft« in Staßfurt, Wiesbaden 2013, S. 31.


[11] Kleindienst, Jürgen: Erinnerungslücke – Vor 32 Jahren wurde Antonio Manuel Diogo ermordet, in: Leipziger Volkszeitung, 2.07.2018.


[12] BStU: MfS, BV Halle, KD Roßlau, Nr. 8658, Bl. 5–6.


[13] Kleindienst, Jürgen. Erinnerungslücke…, a.a.O.


[14] BStU: MfS, BV Halle, Abt. XIX, Nr. 1115: »Information über den Tod eines mocambiqueanischen Staatsbürgers«, 3.07.1986, Bl. 52.


[15] Ebenda, Bl. 51.



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Über den Autor:


Ulrich van der Heyden (Jg. 1954) ist Historiker und Politikwissenschaftler in Berlin und Gastprofessor an der University of South Africa in Pretoria. Jüngste Veröffentlichung:

 

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