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Artur Abramovych: MULTIPOLARITÄT ALS ANTIWEISSE FINTE

  • vor 21 Minuten
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Paralipomena zugunsten einer Wiederaufrüstung


„Der Farbige durchschaut den Weißen, wenn er von ‚Menschheit‘ und ewigem Frieden redet. Er wittert die Unfähigkeit und den fehlenden Willen, sich zu verteidigen.“ Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung (1933)

Beate Broßmanns Ausführungen „Warum das Kriegsgeschrei?“ handeln kaum von Russland, sondern beschäftigen sich nahezu ausschließlich mit der europäischen Reaktion auf das Handeln der russischen Regierung (welches hinwiederum bloß als Reaktion auf westliche „Provokationen“ dargestellt wird). Ihren Ausführungen liegt implizit die Anschauung zugrunde, dass von Russland keinerlei tatsächliche Gefahr ausgehe und die Interessen der „gesamten multipolaren Welt“ sich mit denen Europas in größerem Maße überschneiden würden als die amerikanischen, ja mit jenen womöglich gar identisch seien. Warum es sich beim Euphemismus von der ‚Multipolarität‘ um eine sowohl gegen Amerika als auch Europa gerichtete Finte handelt und Russland tatsächlich Gegner Europas ist.



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Wer – geprägt durch die Berichterstattung von RT Deutsch (bis 2022), Compact oder ähnlichen Presseerzeugnissen – Russland für eine Bastion des traditionellen Christentums und einen Bewahrer der abendländischen Lebensart hält, wird zweifelsohne staunen, zu erfahren, dass in der Russischen Föderation die Beleidung des Islam nicht nur eine Straftat darstellt, sondern dass ein dafür zu Freiheitsentzug Verurteilter seine Haftstrafe gar in einer muslimischen Teilrepublik – mithin dort, wo er die Menschen beleidigt hat – absitzen muss. So erging es dem 19-jährigen Nikita Zhuravlev, gebürtig von der Krim, nachdem er einen Koran im russischen Wolgograd verbrannt hatte.


Doch damit nicht genug, misshandelte ihn der Sohn des tschetschenischen Präsidenten Kadyrow vor laufender Kamera physisch, und zwar nicht nur ohne jedwede Konsequenzen gewärtigen zu müssen; im Gegenteil postete der Präsident das fragliche Video auf seinem Telegram-Kanal und betonte, wie stolz er auf seinen Sohn sei. Ein tschetschenischer Abgeordneter der Duma bekundete gar, es spreche für die „Humanität“ von Kadyrows Sohn, dass er den jungen Russen am Leben gelassen habe. Später zwang man den kahlrasierten, verängstigt zu Boden blickenden Zhuravlev, abermals vor laufender Kamera, dazu, ein Bekenntnis zum Islam abzulegen.


Russland ist ein Vielvölkerstaat seit 1552, als Iwan IV. die Tatarenhauptstadt Kasan eroberte. Allerdings ließ er die Moschee im Kasaner Kreml nicht zufällig zerstören, woraufhin daselbst rund 450 Jahre lang kein islamisches Gotteshaus stand, – bis Putin die Kul-Scharif-Moschee 2005 einweihte. Dieser Umstand steht symbolisch für einen Paradigmen- und Elitenwechsel, der sich unter seiner Präsidentschaft vollzogen hat, handelt es sich doch bei der Aufteilung der Sowjetunion, die Jelzin maßgeblich unterstützt hatte (er beendete etwa das Blutvergießen im Baltikum, das der hierzulande unsinnigerweise wertgeschätzte Gorbatschow dort noch im Frühjahr 1991 anrichtete), um die, so Putin 2005: „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“.

 

Am Beispiel der Tschetschenienpolitik lässt sich der fragliche Paradigmenwechsel besonders deutlich veranschaulichen. Während es im Ersten Krieg unter Jelzin als indiskutabel galt, mit Islamisten zu kooperieren, war Putin im Zweiten Krieg gewillt, das Territorium um jeden Preis zu behalten, und daher gar bereit, mit einer Fraktion der Islamisten zu kooperieren, um einen Keil in sie hineinzutreiben; so entstand die Zusammenarbeit mit dem damaligen Mufti von Tschetschenien, dem Vater des heutigen Präsidenten Kadyrow. Inzwischen gilt in Tschetschenien, also auf russländischem Gebiet, die Scharia, unter Duldung der staatlichen Behörden. Wer öffentlich Tschetschenen beleidigt, muss auch in Moskau und St. Petersburg damit rechnen, von ihnen entführt und ermordet zu werden, ohne dass die Behörden eingreifen. Tschetschenen ist im Putinschen Russland praktisch alles erlaubt, zumal seit Beginn des Ukrainekriegs, für den er sie dringend benötigt.

 

Russland war zu Beginn der Neunzigerjahre so ethnisch russisch wie seit Jahrhunderten nicht mehr, und wieder so nahe an einem Nationalstaat wie vermutlich niemals wieder. Was danach unter Putin folgte, war in der russischen Geschichte ganz ähnlich, allerdings weit weniger schleichend, bereits mit der sog. Oktoberrevolution vonstattengegangen: das petrinische, im Verlauf von zweihundert Jahren weitgehend am Westen orientierte, europäische Russland wurde hinweggefegt. Oswald Spengler befand anderthalb Jahrzehnte nach dem damaligen Elitenwechsel: „… nun legte Rußland [1917] die »weiße« Maske ab und wurde wieder asiatisch, aus ganzer Seele und mit brennendem Haß gegen Europa. Es nahm die Erfahrungen von dessen innerer Schwäche mit und baute daraus neue, heimtückische Methoden des Kampfes auf, mit denen es die gesamte farbige Bevölkerung der Erde im Gedanken des gemeinsamen Widerstandes durchdrang. Das ist, neben dem Sieg des Arbeitersozialismus über die Gesellschaft der weißen Völker, die zweite wirkliche Folge des Weltkrieges“.

 

Die antibolschewistische Elite der 90er Jahre bestand aus Männern, die nicht kraft ihrer Verbindungen zu Partei oder Geheimdienst, sondern allein kraft ihres Verstands aufstiegen (und unter den Bedingungen der Sowjetzeit daher, angesichts all ihrer Quotenregelungen, nicht hätten aufsteigen können); sie stammten hauptsächlich aus der weiß-städtischen (und zu einem Gutteil jüdischen) Intelligenzija. Diese sogenannten Oligarchen (im Westen sagt man: „Philanthropen“) waren zwar zweifelsohne in hohem Grade korrupt, allerdings, schlichtweg aus Eigennutz, daran interessiert, staatliche Eingriffe sowohl in die Wirtschaft als auch in die Kulturszene des Landes nach Kräften zu unterbinden. Mag sein, dass sie dazu beitrugen, die Bekämpfung der nicht-politischen Kriminalität zu behindern und die Landbevölkerung sowohl in Kernrussland als auch in den Randgebieten der Föderation weiter verarmen zu lassen, aber ihr kultureller Einfluss (bzw. die damalige Abwesenheit staatlicher Eingriffe in das Kulturleben) trug jedenfalls Früchte.

 

So handelt es sich bei den ausgehenden 80ern, den 90ern und den beginnenden 2000ern nicht zufällig um die cineastisch interessanteste Zeit des Landes (denn das Medium Film ist aufgrund des mit ihm verbundenen finanziellen Aufwands in hohem Grade von der herrschenden politischen Lage abhängig). Da ist etwa Nikita Michalkows formvollendetes Meisterwerk Die Sonne, die uns täuscht (1994) über den Beginn der Stalinschen Repressionen. Bezeichnenderweise hielt es der Regisseur allerdings späterhin für nötig, seine im Vorgängerfilm samt und sonders hingerichteten oder anderweitig zu Tode gekommenen Figuren 2010/11 wiederzubeleben, um zwei sowohl ästhetisch als auch intellektuell völlig indiskutable Fortsetzungen zu drehen, in denen sich nämliche Figuren miteinander versöhnen und vereinen, um die von der Wehrmacht überfallene Sowjetunion zu verteidigen und die Völker Europas vom Joch des Faschismus zu befreien.

 

Diese Fortsetzungen, mit denen er sich künstlerisch keinen Gefallen tat, waren die Folge der inzwischen veränderten Geschichts- und Kulturpolitik. Wer nicht spurte, wurde beseitigt oder zum Schweigen gebracht. Michalkow, ein zweifelsohne großer Künstler, ist zugleich ein Mann mit politischem Gespür, oder anders gesagt: ein Opportunist. Er ahnte die Stalin-Rehabilitation voraus, die sich in den nachfolgenden Jahren, zumal seit 2014, noch verstärken sollte. Inzwischen werden im ganzen Land wieder Statuen des kreml’schen Gebirglers aufgestellt. Neuerdings ist seitens der russischen Machthaber gar gelegentliches Lob für den Hitler-Stalin-Pakt zu vernehmen (also auf ideeller Ebene für Hitlers Verrat am echten Faschismus – bei dem es sich um eine Reaktion auf die sog. Oktoberrevolution und den Siegeszug des Bolschewismus handelte –, und ganz konkret seinen Verrat sowohl an den zwangsumgesiedelten Baltendeutschen als auch an den baltischen Faschisten, die er damit den Fängen Stalins und dem sicheren Tod im GULag überließ). Nämliches Lob entspringt allerdings keineswegs etwaigen Sympathien für Deutschland, sondern ist schlichtweg Folge der grundsätzlichen Rehabilitierung Stalins, die in Russland vonstattengeht. Wer sich als Deutscher davon geschmeichelt fühlt, begreift nicht, dass die Deutschen seitens der russischen Machthaber schlichtweg als der potentiell effektivste Keil betrachtet werden, den man in die weiße Welt hineintreiben kann.


*


Ein ethnischer Russe also, gebürtig von der Krim, wird in Russland, dem Land der Russen, stehend unter der Ägide eines vermeintlich im Sinne des eigenen Volkes handelnden „Patrioten Wladimir Putin“ (so die Aufschrift auf dem von Compact feilgehaltenen „Ehrentaler“ anlässlich seines 75. Geburtstags), eines Präsidenten, der den jungen Russen durch Annexion der Krim gleichsam heim ins Reich holte, – wegen Beleidigung einer ihm völlig fremden Religion verhaftet und anschließend von einem radikalislamischen Gebirgler verschlagen, ohne dass es irgendwelche Konsequenzen nach sich zöge. Daran lässt sich ablesen, aus welchem Personenkreis sich die heutige (Funktions-)Elite Russlands speist.


Dem gemeinen Deutschen scheint es unbegreiflich, dass in Russland die Macht selbst über keinerlei Ideologie verfügt. Teile der Rechten, insbesondere in Mitteldeutschland, sehen in Putin einen selbstlosen Kämpfer gegen den Globalismus, der sich der Befreiung Europas vom diesmal nicht deutschen, sondern amerikanischen, aber jedenfalls faschistischen Joch verschrieben hat (denn als ‚faschistisch‘ gilt in Russland wie schon zu Sowjetzeiten alles, was den russländischen Interessen zuwiderläuft). Indes sieht die (zum Teil erst seit Neuestem) antirussische Linke in ihm einen größenwahnsinnigen Fanatiker, eine Reinkarnation Hitlers.

 

Beides könnte nicht irriger sein. Es handelt sich bei ihm um einen eiskalt berechnenden, völlig amoralischen Pragmatiker, der sich von der Stimmung im Land treiben lässt, der nur so weit geht, wie er glaubt, gehen zu können, – und der vor allem eifrig bestrebt ist, bis an sein Lebensende an der Macht zu bleiben, und sei es um den Preis des eigenen Volkes.

 

Daher sind Trumps Friedensbemühung auch bislang völlig ins Leere gelaufen, obwohl er die Ukrainer als eine seiner ersten Amtshandlungen coram publico erniedrigt und zu Zugeständnissen gezwungen hat. Der Kreml ist derzeit imstande, diesen Krieg gleichsam auf Sparflamme weiterzuführen, d. h. ohne dass die Bevölkerung etwa Moskaus und St. Petersburgs in allzu großem Maße im Alltag eingeschränkt wird. Solange das der Fall ist und solange der Kreml auch nur auf marginale Gebietszugewinne hoffen darf, wird er diesen Krieg nicht beenden. Erst wenn der Preis, den Russland für die Fortführung des Krieges zahlen müsste, seitens des Kremls als allzu hoch eingeschätzt werden wird, wird er zu einem Verhandlungsfrieden bereit sein. Dies ließe sich etwa erreichen durch eine gezielte Zerstörung der Energieversorgung Moskaus und St. Petersburgs, die angesichts der militärtechnologischen Überlegenheit der NATO mit keinen allzu großen Anstrengungen verbunden wäre. Doch das Friedensgeheul in unseren Längengraden – und auch in der antiweißen UN – würde anschwellen; ebendarauf kalkuliert der Kreml. Wenn der Westen so handeln würde, wie es seine Feinde ganz ungeniert tun, könnte er nach wie vor nahezu jeden erdenklichen militärischen Konflikt für sich entscheiden.

 

Angesichts dieser Gemengelage nimmt es nicht wunder, dass russische Ethnonationalisten Putin seit mehr als zwanzig Jahren samt und sonders für einen Volksverräter halten (zumal eingedenk der massenhaften Wirtschaftsmigration islamischer Mittelasiaten, welcher er keinerlei Einhalt gebietet) und nun teilweise gar aufseiten der Ukraine kämpfen. Ebenso wenig nimmt es Wunder, dass die muslimischen Landesteile Russlands inzwischen die größte Unterstützung für die Regierung aufweisen. Bereits in der zweiten Woche der laufenden Invasion, als es den russländischen Streitkräften nicht gelungen war, Kiew wie beabsichtigt in drei Tagen einzunehmen, und die Einstimmung der russländischen Bevölkerung auf einen längeren Krieg zunehmend notwendiger wurde, veröffentlichte der Kreml ein (inzwischen im Netz offenbar nicht mehr verfügbares) Video mit etlichen Laiendarstellern aus den zahlreichen verschiedenen Völkerschaften Russlands, die ihre jeweilige Ethnie in die Kamera sprachen, gefolgt von einem Bekenntnis zu Russland. Es kulminierte in einem harten Schnitt, wonach plötzlich Präsident Putin, an seinem Schreibtisch sitzend und direkt in die Kamera blickend, eindringlich alles zuvor Gesagte wiederholte: „Ich bin Tatare, ich bin Baschkire, ich bin Dagestani, ich bin Tschetschene“ etc. pp. Das Verteidigungsministerium nahm auch in späteren Werbevideos auf Putins Worte Bezug, stellte den Islam gar gleichberechtigt neben das Christentum, indem es im Schützengraben betende Moslems als protypische russländische Soldaten darstellte.


Diese auf Moslems zugeschnittene Kriegspropaganda-Kampagne spiegelt schlichtweg die heutigen Realitäten des Landes wider: Da weit häufiger in den Teilrepubliken als in den großen Städten Westrusslands eingezogen wird, dürfte es sich unter den derzeit kämpfenden russländischen Soldaten einschließlich der Offiziere nur bei wenig mehr als der Hälfte um ethnische Russen handeln, unter den einfachen Soldaten womöglich sogar bei weniger als der Hälfte. Diesbezügliche Zahlen veröffentlicht das russländische Verteidigungsministerium nicht. Jedoch handelt es sich inzwischen nur noch bei knapp über 70% der gesamten russländischen Bevölkerung um ethnische Russen, Tendenz sinkend. Der Bevölkerungsanteil der muslimischen Völkerschaften dürfte bei rund 20% liegen. Die Geburtenrate aller Russländer liegt bei 1,4 Kindern pro Frau und damit nur unwesentlich höher als die deutsche; da diese Zahl allerdings mutmaßlich von den islamischen Völkerschaften in die Höhe getrieben wird (diesbezügliche Zahlen veröffentlicht der Staat wiederum nicht) und der dortige Anteil an Moslems höher liegt als hierzulande, darf man davon ausgehen, dass die ethnische Russin noch weniger Kinder bekommt als die ethnisch deutsche Frau. Die Abtreibungsrate jedenfalls liegt bei 12 auf 1.000 Frauen (zum Vergleich in Deutschland: 4,5), wobei hinwiederum davon ausgegangen werden darf, dass ethnische Russinnen weit häufiger abtreiben als Frauen aus den Minderheiten.

 

Zwar kritisiert die Russische Orthodoxe Kirche diese Entwicklungen, doch genießt sie dabei, wie Umfragen belegen, kaum Rückhalt in der Bevölkerung. Sie ist ohnehin seit der Oktoberrevolution theologisch mindestens ebenso entkernt und genauso sehr zu einem Handlanger der weltlichen Machthaber degradiert worden wie die heutigen protestantischen Landeskirchen in Westeuropa, konnte man doch schon seit einem Jahrhundert kaum mehr Geistlicher werden, ohne als Informant des KGB (bzw. nun des FSB) zu dienen; ihr Haupt, der Patriarch Kirill, war gar KGB-Offizier wie seinerzeit Putin. Die derzeitigen Kampagnen der russländischen Regierung gegen Homosexualität im öffentlichen Raum, die manch einem hiesigen Rechten Sympathie entlocken, sind daher weit eher als Zugeständnis an den wachsenden Einfluss des Islam denn als etwaige Rückbesinnung auf das eigene orthodoxe Erbe zu verstehen.

 

Der Vielvölkerstaat Russland ist auf dem Weg der Islamisierung bereits deutlich weiter fortgeschritten als Westeuropa. Diesen Umstand belegt eindrucksvoll der inzwischen verstorbene revanchistische Politiker Wladimir Schirinowski, von Hause aus Turkologe und spätestens seit 2008 einer der lautstärksten Unterstützer Putins, der bereits 2009 die Parole ausgab: „Russland ist Teil der islamischen Welt“. Der Schriftsteller Sachar Prilepin, einst Oppositioneller, inzwischen eifriger Unterstützer der Kriegsanstrengungen seines Vaterlands, der gar als Freiwilliger gegen die sog. ukrainischen Faschisten kämpfte und entsprechend in der inzwischen völlig gleichgeschalteten russländischen Medienlandschaft nach wie vor auftreten darf, verkündete 2023 vor einem Millionenpublikum: „Die Russen sind bloß versehentlich weiß. In Wirklichkeit sind wir Rote, Gelbe, Schwarze… Die Russen sind Farbige.“ Und erst vergangenen Monat war die Russländische Zentralbank gar gewillt, für den neuen 500-Rubel-Schein das Motiv des orthodoxen Solowezki-Klosters aus dem 15. Jahrhundert durch eine Darstellung von Wolkenkratzern der – mit dem überproportional von ethnischen Russen stammenden Steueraufkommen – prunkvoll wiederaufgebauten tschetschenischen Hauptstadt auszuwechseln.


Während der multinationale Charakter des Staates im Inland bei jeder sich bietenden Gelegenheit betont wird, sucht man danach in der russländischen Auslandspropaganda allerdings weitgehend vergeblich. Noch deutlicher wurde diese Diskrepanz zuzeiten des in einem chinesischen Labor in Wuhan herangezüchteten Covid19-Virus, als die Auslandsprogramme RT hiesige Proteste gegen den Alarmismus der jeweiligen europäischen Regierungen befeuerten, während Rossija Segodnja, das russischsprachige Programm desselben Senders, die drakonischen ‚Coronamaßnahmen‘ der eigenen Regierung vorbehaltlos unterstützte (etwa das Verbot sämtlicher oppositioneller Versammlungen unter dem Vorwand der Pandemie oder die Impfpflicht für sämtliche russländische Staatsbedienstete unter Androhung der Entlassung).

 

Ebenso verhält es sich mit dem ständigen Friedensgeheul (das dieser Tage, beim sog. BRICS-Europa-Symposium, einer für das Ausland bestimmten Inszenierung in Sotschi, gar in ein „Friedensgebet“ mündete). Die russländische Auslandspropaganda wiederholt mantraartig, wie sehr man sich doch nach Frieden sehne, während man in Moskau festgenommen wird, wenn man ein Schild mit einer solchen Aufschrift trägt. Der zuweilen, insonderheit in Mitteldeutschland, beklagten „jahrelangen politisch-medialen Dämonisierung Russlands“ (pars pro toto Beate Broßmann) steht eine weit brachialere und weit länger betriebene Dämonisierung des Westens in den russländischen Medien gegenüber, einschließlich regelmäßiger Drohungen, Atomraketen auf Berlin abzuschießen.

 

Die inzwischen vonstattengegangene Neuausrichtung dieser traditionell auf die europäische Linke zielenden Auslandspropaganda erfolgte erst 2014 mit der Intervention in der Ukraine, als sich die Sozialdemokraten in der EU sukzessive (die Deutschen allerdings, namentlich aufgrund des Einflusses von Gerhard Schröder, mit großer Verspätung) von Russland abwandten und auch die aufkommende woke Bewegung keine allzu großen Sympathien für Russland entwickelte (da die Russen ihnen doch als allzu weiß erschienen, als dass sie als Projektionsfläche ihres Wunsches nach Zerstörung des Westens hätten dienen können; sie verstehen nun einmal nicht, dass das Bewusstsein das Sein bestimmt, und nicht andersherum. Die Rolle der Projektionsfläche übernahmen stattdessen die – immerhin von Russland unterstützten – sog. Palästinenser).

 

Seither entdeckte man im Kreml die europäische Rechte als zukunftsträchtige politische Kraft. Mit einem Interesse am Erhalt der europäischen Zivilisation hat dieser Umstand allerdings nicht das Geringste zu tun, wie etwa die Massen an Afrikanern und anderen Farbigen zeigen, die Putins Vasall Lukaschenko aus der Ferne mit Visa für sein Land ausstattet, um sie anschließend an die weißrussisch-polnische Grenze zu befördern. Lukaschenko und Putin konnten allerdings dessen sicher sein, dass die weißen Selbsthasser in Form der Asylindustrie keineswegs die beiden asiatischen Autokraten, sondern stattdessen Polen für die versuchte Abwehr dieser illegalen Migranten anprangern würden.


Während nichtwestliche Staaten ihre Nachbarn ungestraft infiltrieren oder gar militärisch überfallen können, ohne dass sie sich untereinander abstrafen würden, ist das unter den Weißen undenkbar; ihnen wird gar das Recht abgesprochen, das eigene Territorium zu verteidigen. Russland profitiert enorm von diesem Umstand, haben doch ausschließlich westliche Staaten mit Beginn der Ukraineinvasion Sanktionen verhängt. Russland facht diesen Umstand gar selbst an, indem es etwa die Entscheidung der baltischen Staaten, das Wahlrecht nur an solche Bewohner zu vergeben, die zumindest über basale Kenntnisse der Landessprache verfügen, als menschenrechtswidrig anprangert, während in Weißrussland nahezu eine Million Polen tatsächlich unterdrückt werden, ohne dass es den weißen Staaten einfiele, deshalb eine polnische Invasion des weißrussischen Nordwestens zu unterstützen oder auch nur zu dulden. Dabei wäre eine solche Invasion historisch und moralisch weit gerechtfertigter als die russländische Invasion der Ukraine.

 

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Außerhalb des Westens gelten Pazifisten im besten Fall als lächerliche Narren, im schlimmsten als Staatsfeinde. Wenn ein nichtwestlicher Staat von Menschenrechten spricht, tut er es nicht aus Universalismus, sondern im Gegenteil im eigenen Partikularinteresse. Er führt die weiße Erfindung der Menschenrechte allenfalls gegen die Weißen ins Feld, denn nirgends sonst wird sie ernstgenommen.

 

Zugleich wird den wohlhabenden Ländern des Westens nicht nur von den Selbsthassern in den eigenen Reihen, sondern ebenso von außerhalb ein schlechtes Gewissen wegen ihres Wohlstands eingeredet, um sie finanziell auspressen zu können. Die „Regenbogennation“ Südafrika, in der ein seitens der Machthaber mindestens geduldeter Genozid an Weißen vonstattengeht, klagt in Den Haag (ebenfalls einer weißen Erfindung) gegen Israel wegen seiner militärischen Reaktion auf den 7. Oktober, während ebenjenes Südafrika zugleich Unsummen an weißer Entwicklungshilfe kassiert (bzw., wie wir, in nahezu kommunistischer Diktion, inzwischen sagen sollen: ‚Entwicklungszusammenarbeit‘). Spenglers Prophezeiung scheint sich zu bewahrheiten: „Die weißen Herrenvölker sind von ihrem einstigen Rang herabgestiegen. Sie verhandeln heute, wo sie gestern befahlen, und werden morgen schmeicheln müssen, um verhandeln zu dürfen.“ Das ist die Welt, wie sie sich die farbigen Advokaten der sog. Multipolarität (allem voran revanchistische Russen, die Mullahs, südafrikanische Bantustämme, Festlandchinesen und Mulatten aus Lateinamerika) ausmalen.

 

Auf Unterstützung können sie seitens weißer Nestbeschmutzer zählen, die vorgeben, im Namen der Gerechtigkeit die Verbrechen der eigenen Ethnien aufzuarbeiten. Der Grund, aus dem sich etwa die amerikanische Niederlage in Vietnam derart stark in unser kulturelles Gedächtnis eingeprägt hat (anders als der sowjetische Einmarsch in Afghanistan 1979, der in einem vergleichbaren Fiasko endete und gar eine größere Zahl an toten Zivilisten forderte), besteht in der Selbstkritik, die nicht erst seit der Aufklärung, sondern seit den Anfängen der Ethnographie im antiken Griechenland (denn andere Kulturen interessierten sich nur für sich selbst, nicht aber für ihre Nachbarn) zur kulturellen DNA der Weißen gehört. Oder anders gesagt: „Wenn man sämtliche Schöpfungen des weißen Mannes von diesem Planeten entfernte, besäßen seine Ankläger weder Zeit noch Mittel, ja nicht einmal Begriffe, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen.“ (Michael Klonovsky) Außerhalb des Westens, insonderheit in kommunistischen Diktaturen, handelt es sich bei der Selbstkritik hingegen um eine Herrschaftspraxis, findet sie doch nur unter politischem (und meist auch physischem) Druck seitens echter oder vermeintlicher Dissidenten statt, niemals aber seitens der Machthaber.

 

Die Zahl an aus der angloamerikanischen Sphäre stammenden Liedern, Büchern und Filmen, die die US-amerikanische Intervention in Vietnam anprangern, ist unüberschaubar. Ein genialischer russischer Film hingegen wie Fracht 200 von Aleksej Balabanow, der die Verrohung der spätsowjetischen Gesellschaft während des Afghanistankriegs darstellt, wurde bereits 2008 im russischen Staatsfernsehen an den Pranger gestellt; als Gast geladen war mitunter eine Abgeordnete der kommunistischen Partei, die den Regisseur des Vaterlandsverrats bezichtigte.


Russland ist heute weit entfernt von jenem weltpolitischen Gewicht, das es einstmals innehatte. Es wird noch vor Ablauf dieses Jahrhunderts tatsächlich Teil der islamischen Welt werden, nicht nur geopolitisch, sondern auch demographisch und sozioökonomisch; es wird, um mit Trump zu sprechen: zu einem mehrheitlich islamischen shithole country mit Rohstoffvorräten degradieren. Dass dieser Umstand an der Gemengelage nichts ändert, da die Weltrevolution gegen die Weißen längst dezentralisiert (oder eben „multipolar“) geworden ist, sah abermals Spengler voraus, der bereits 1933 darum wusste, dass Moskau austauschbar sei: „Wie, wenn sich eines Tages Klassenkampf und Rassenkampf zusammenschließen, um mit der weißen Welt ein Ende zu machen? Das liegt in der Natur der Dinge, und keine der beiden Revolutionen wird die Hilfe der andern verschmähen, nur weil sie deren Träger verachtet. Gemeinsamer Haß löscht gegenseitige Verachtung aus. […] Und würden die weißen Führer des Klassenkampfes je verlegen sein, wenn farbige Unruhen ihnen den Weg öffneten? Sie sind in ihren Mitteln nie wählerisch gewesen. Es würde sich nichts ändern, wenn Moskau als Befehlsgeber verstummen sollte. Es hat sein Werk getan. Das Werk setzt sich selbst fort.“


Über den Autor: Artur Abramovych, geb. 1966 in Charkiw (Ukraine), lebt in Berlin. Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie in Freiburg, Paris und Bamberg. Vorsitzender der Vereinigung Juden in der AfD e. V. sowie Mitglied im Kuratorium der Desiderius-Erasmus-Stiftung. Letzte Buchveröffentlichung: Entartete Espritjuden und heroische Zionisten. Jüdischer Nietzscheanismus in der Auseinandersetzung zwischen Theodor Lessing und Thomas Mann. Bad Schussenried 2022.


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Beitragsbild von Kremlin.ru, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons

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