Krisztián Ungváry: NOTWEHR IST KEIN KRIEGSGESCHREI
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Es ist nicht einfach, auf den Artikel von Beate Broßmann zu reagieren, weil ihre Aussagen eher wie ein Glaubensbekenntnis als eine Sachdiskussion erscheinen. Sie ist offensichtlich unzufrieden damit, dass die Ukraine Unterstützung aus der EU bekommt. Sie schreibt von einer „jahrelangen politisch-medialen Dämonisierung Russlands“. Da sie aber nicht klarstellt, was sie damit meint, müssen wir davon ausgehen, dass sie in punkto Rechtsstaatlichkeit Russland prinzipiell nicht von der EU unterscheiden will. Sie verliert ja nicht einen einzigen Satz über ihre Sicht auf Russlands Politik … Was soll man darauf antworten, außer, dass Frau Broßmann ein Jahr oder auch nur einen Monat in Russland verbringen sollte?

Es wäre für die Diskussion nützlich, wenn Frau Broßmann in aller Detailliertheit offenlegen würde, was passierte, wenn die EU nach ihren Prinzipien handelte. Das Resultat ist ziemlich klar: Russland gewinnt den Krieg, mit allen Folgen, nicht nur für die Ukraine, sondern auch für Polen, Finnland, die baltischen Staaten, die Republik Moldau. Und für diese scheint in der klassisch auf Moskau fixierten Denkwelt von Frau Broßmann kein Platz zu sein.
Was die ersten Folgen wären, hat Putin des Öfteren klar formuliert: Die Ukraine wird zu einem russischen Vasallenstaat, die ukrainische Nation als solches wird im kulturellen Sinne ausgelöscht – Putin streitet ja selbst die Existenz einer eigenständigen ukrainischen Nation ab. Das mag Frau Broßmann anscheinend nichts angehen, es wäre aber gut zu erfahren, warum? Weil sie an die russischen Methoden à la Butscha nicht glaubt, oder weil es ihr gleichgültig ist, oder vielleicht, weil doch das Russlandbild aus dem DDR-Bildungssystem bei ihr Früchte trägt?
Man kann die Frage auch anders stellen: Es ist nicht die Dämonisierung, sondern Putins Originalton, dass Russlands historisches Recht darin bestehe, die geopolitischen Zustände in Europa vor 1989 wiederherzustellen. Es ist auch keine Dämonisierung, sondern Putins Originalton, wenn er behauptet, dass der wirklich Schuldige am Zweiten Weltkrieg eigentlich nicht Hitler war, sondern der arrogante Westen und Polen. Nicht von ungefähr gehört seit mehr als zwanzig Jahren (!) zu den populärsten Darstellungen in Russland die Behauptung, dass Hitlers größter Fehler gewesen sei, sich nicht Schulter an Schulter mit Stalin gegen den Westen gewandt zu haben – eine Vorstellung, die übrigens auch bei der links- und rechtsextremen Szene in Deutschland und anderen Staaten Westeuropas mit ihrer notorischen und alles andere überlagernden Feindschaft gegenüber den USA (und Israel) gerade in diesen Jahren wieder viele Anhänger findet.
Putins geopolitische Ziele sind klar historisch motiviert, er bezieht sich ja immer auf die vergangene Größe Russlands in der zaristischen und stalinistischen Zeit. An diesem Punkt geht es aber deshalb nicht mehr „nur“ um die ferne Ukraine, sondern ganz konkret um ganz Mitteleuropa. Dass Broßmann kein Wort über den Charakter eines zukünftigen putinistisch-russischen Imperiums verliert, kann nur daher rühren, dass ihr anscheinend auch gleichgültig ist, dass damit eine neostalinistische Diktatur mit eingebundener zaristischer Folklore legitimiert würde. Moskau als das „Dritte Rom“ gegen den „dekadenten Westen“… Ich weiß wirklich nicht, inwieweit die Leser dieser Zeilen der Aufklärung darüber bedürfen, was Putinismus in der Praxis bedeutet. Kurz zusammengefasst ist aber vielleicht auch der Hinweis genügend, dass Putin den Stalinismus prinzipiell für gut, weil notwendig, hält und seine Neuauflage überall in seinem Interessengebiet auch durchsetzt. Das wäre also das Resultat, wenn dieser Krieg nach Frau Broßmanns Wünschen enden würde.
Als Osteuropäer wundere mich auch über die Ignoranz, mit der Broßmann über einen „Stellvertreterkrieg“ schreiben kann. Sicherlich haben die Großmächte Interessen in diesem Konflikt. Es ist aber geradezu pervers, wenn jemand die Interessen einer Bevölkerung, die größer ist als die drei baltischen Staaten und Rumänien zusammen, einfach als unwesentlich abtut, ja sie sogar mit keinem Wort erwähnt. Als ob es darüber in der Ukraine keine Umfragen gäbe! Der Begriff „Stellvertreterkrieg“ degradiert alle Ukrainer, die in diesem Krieg kämpfen, zu stümperhaften Idioten. Diejenigen, die diesen Begriff in diesem Zusammenhang nutzen, sollten aber auch offen diese Bewertung vertreten. Damit wäre zumindest sichtbar, auf welcher moralischen Basis sie stehen. Ich wünsche mir nur, dass sie sich den Mut nähmen, ihre „aufklärerischen“ Ansichten auch einmal Ukrainern vorzutragen. Für Frau Broßmann finanziere ich sogar die Verdolmetschung, wenn sie bereit ist, diese Gedanken einem ukrainischen Publikum in der Ukraine vorzutragen. Das wäre nämlich politisch möglich, wenn auch wegen den sehr verständlichen Reaktionen der Zuhörer nicht vollkommen ungefährlich. Würde Frau Broßmann jedoch in Russland auch nur versuchen, eine Tafel mit dem Wort „Frieden“ hochzuhalten, würde sie nicht von den Passanten, sondern von der Polizei „behandelt“.
Frau Broßmann vergisst anscheinend auch, wer diesen Konflikt überhaupt begonnen hat. Nicht die EU hat einen anderen Staat angegriffen, sondern Russland, und zwar nicht nur in der Ukraine seit 2014, sondern auch in Georgien 2008. Nicht die EU hat Terroranschläge gegenüber der eigenen Bevölkerung organisiert, um einen Krieg zu legitimieren, sondern Russland bereits im Jahr 1999, als in Moskau in zwei vom russischen Geheimdienst durchgeführten Bombenanschlägen 213 Menschen starben. Nicht die EU finanziert politische Kräfte in Russland, die diesen Staat zersetzen wollen, sondern Russland tut das in der EU mit der Finanzierung aller politischen Strömungen, die das Ziel haben, die EU als Institution zu schwächen. Nicht die EU-Staaten haben politische Morde durch Geheimdienste als Mittel in Russland angewendet, sondern Russland tut das, und zwar nicht nur im eigenen Lande, sondern auch in den Staaten der EU. Diese Aufzählung ließe sich noch lange fortsetzen.
Broßmann empfindet Westeuropa kriegstreiberisch. Auch an diesem Punkt ist es ersichtlich, dass für sie eine längere Reise nach Russland wirklich unbedingt notwendig ist. Hätte sie in Russland vor fünfzehn Jahren nur eine Schule aufgesucht, wäre sie mit einer Kriegspropaganda konfrontiert worden, die in Deutschland zuletzt im Jahr 1944 gang und gäbe war, aber in der EU in keinem Land vorstellbar wäre. In Russland ist es Mode, bereits sechs Jahre alte Kinder in Uniform mit Holzgewehren aufmarschieren zu lassen. Militärische Erziehung beginnt hier bereits in der KITA. Hier muss man auch betonen, dass die russische Kriegsvergötterung keinesfalls als Reaktion auf irgendwelche westlichen Maßnahmen gedeutet werden kann – sie und die damit verbundene Lebenslüge über die „Befreiungsmission“ der Sowjetarmee ist seit 1917 ein ständiges Mittel der Macht, um ihre Untertanen zu beeinflussen. Aber auch in einem Vergleich mit den früheren Zeiten schneidet die Ära Putin durch eine extreme Indoktrination in puncto Kriegspropaganda ab.
Broßmann streitet vehement ab, dass Russland Energiepreise jemals zur politischen Erpressung genutzt hat. Ihr zufolge stellt die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland kein Problem dar. Es ist schwierig, gegenüber jemandem zu argumentieren, der allem Anschein nach in einer Welt der „alternativen Tatsachen“ lebt. Ich versuche es aber trotzdem. Liegt es nicht in der Logik der Marktwirtschaft, wenn ein Anbieter, der mehr oder weniger in einer Monopolsituation ist, versucht, den höchsten Preis für seine Ware zu bekommen?
Broßmann verwickelt sich in einen Widerspruch, wenn sie behauptet, dass die EU und die USA einerseits auf einen Waffenstillstand drängen, andererseits aber „Kriegshetze“ betreiben. Diesen Widerspruch dadurch aufzulösen, dass man behauptet, der Waffenstillstand solle lediglich dazu dienen aufzurüsten, um Russland später angreifen zu können, wirft weitere Fragen auf. Erstens gibt es für solche Kriegspläne keine Belege. Zweitens ist es auch politisch schwer vorstellbar, einen Staat mit elf Zeitgrenzen mit konventionellen militärischen Mitteln zu erobern. Dass Russland als Atommacht nicht angegriffen werden kann, ohne dass damit der Weltuntergang provoziert würde, macht solche Spekulationen wie die von Broßmann vollständig absurd.
Für Broßmann ist alles Geheimdienstpropaganda, was Mainstream-Medien verbreiten. Das ist ein billiges Argument dafür, sich nicht mit den konkreten Inhalten dieser angeblichen Propaganda auseinanderzusetzen – was sich Broßmann auch unredlicher Weise erspart. Es gibt aber auch andere Gründe, warum diese Argumentationslinie moralische Defizite aufweist. In den Staaten der EU ist es ohne weiteres möglich, alle Aussagen in den „Mainstream-Medien“ durch Fakten-Checks zu überprüfen. Versucht man dasselbe in Russland, landet man sofort im Gefängnis. Hier lohnt sich auch eine kleine Rückbesinnung darauf, welcher Geheimdienst ständig folgende Behauptungen in bestimmten, dafür empfänglichen westlichen Medien verbreiten lässt: dass die wirkliche Ursache des Krieges in einer geplanten ukrainischen militärischen Aggression gegen Russland liege, dass dabei in geheimen Laboratorien in der Ostukraine Biowaffen hergestellt würden, dass in Melitopol und an anderen Orten US-Militärberater den ukrainischen Widerstand führten etc. Solche Propaganda war im Jahr 2022 weit verbreitet und fand gerade in der links- und rechtsradikalen Szene in Deutschland, Österreich, Frankreich, Spanien etc. viele Unterstützer. Dahinter stand aber entweder russische hybride Kriegsführung oder der ideologisch motivierte „Hass auf den Westen.“
Broßmanns Argumentation folgt einem klaren verschwörungstheoretischen Muster: Der „Westen“ sei schlecht, die EU und USA werden als homogene, böse, kollektive Aggressoren konstruiert. Differenzierungen zwischen Staaten, Institutionen oder politischen Lagern verschwinden, moralische Verantwortung wird kollektiv zugeschrieben. Realitäten (wie zum Beispiel die, dass kein westliches Land seit 1945 irgendwelche Gebiete gewaltsam annektiert hat), werden einfach ausgeblendet.
Hingegen verkörpert für Broßmann Russland indirekt das Reich des Guten, denn sie interpretiert jegliche russische Aggression als Reaktion auf westliche „Provokationen“. Realität und Putins geopolitische Ziele, einschließlich der Absicht, die Ukraine zu unterwerfen, werden ausgeblendet oder verharmlost. Ostmitteleuropa ist für Broßmann eine Zone minderwertiger Völker. Länder von Finnland über die baltischen Staaten, Polen, Rumänien und Bulgarien und natürlich die Ukraine werden in ihrem Gedankengang komplett ausgeblendet. Die Erfahrungen dieser Völker, historische Traumata und Eigeninteressen werden ignoriert. Dies reproduziert unbewusst historische (preußisch-) deutsch-russische imperialistisch-koloniale Vorstellungen eines „Zwischenreichs“, in dem die Völker angeblich nicht selbst über ihr Schicksal entscheiden können, sondern nur Objekte der quasi naturgemäßen Politik der zivilisatorisch, kulturell und geistig überlegenen Ordnungsmächte Russland und Deutschland sind. Dies ist eine geradezu menschenverachtende, rassistische Sicht auf diese Völker, deren sich Broßmann aber vielleicht gar nicht bewusst ist. Umso mehr sollte man es ihr vielleicht bewusst machen, auf welchem Register sie spielt. Der NATO-Beitritt dieser Länder wird nicht als emanzipatorische Entwicklung anerkannt, denn das würde nicht ins Narrativ passen.
Diese Konstruktion schafft für Broßmann und Gleichgesinnte Orientierung, moralische Gewissheit und emotionale Stabilität – auf Kosten einer realistischen Analyse der geopolitischen Dynamik. Komplexe Zusammenhänge werden vereinfacht, Schuld und Unschuld klar verteilt, Realität durch Projektion ersetzt.
Welche Maßstäbe diese Realitätsverleugnung erreicht, ist am besten an der von Broßmann gepriesenen „Friedenspolitik“ von Viktor Orbán darzustellen. Sie unterstellt Orbán, dass er sich gegen die „Kriegshysterie“ positioniert. Man muss kein Ungarisch können, um zu wissen, dass das Gegenteil der Fall ist. Schließlich sind die diesbezüglichen Fakten auch in deutscher Sprache nachprüfbar. Bereits im Jahr 2020 startete die von der ungarischen Regierung heimlich finanzierte, nach russischem Modell formal unabhängige NGO „Zentrum für Grundrechte” eine groß angelegte Kampagne mit der Devise „Seid bereit!”. Die Plakate der Kampagne waren schwer zu übersehen: Ungarische Soldaten mit Stahlhelmen des Weltkriegs stürmen aus einer Stellung voran. Die Aufschrift auf den Plakaten lautete: „Gerechtigkeit, Kraft, Aufstieg – machen wir gemeinsam das Karpatenbecken wieder groß.” Die Kampagne stützte sich auch auf eine Rede von Viktor Orbán am 6. Juni 2020 in Sátoraljaújhely, wo der ungarische Ministerpräsident anlässlich des „Friedensdiktats” von Trianon über den kontinuierlichen Verrat des Westens und über die Unschuld Ungarns an den Geschehnissen des 20. Jahrhunderts sprach. Seine Rede hatte aber auch eine positive Botschaft: „Unsere politische, geistige, wirtschaftliche und kulturelle Gravitationskraft wächst von Tag zu Tag.”
Man muss zunächst nach Atem ringen, wenn man die martialischen Botschaften dieser Werbekampagne mit der jetzigen „Friedenspolitik” des Fidesz vergleicht. Umso mehr, als keinerlei wirtschaftliche statistische Daten eine solche Interpretation erlauben. Eher das Gegenteil ist der Fall.
Die zentralen Botschaften der Plakatkampagne lauteten offiziell folgendermaßen:
Unser Leidensweg war nicht umsonst, wir konnten mit einer Zielsetzung überleben. Wir müssen verstehen, dass die erwartete legendäre Erlösungsarmee wir selbst sind. Es ist unsere Verantwortung, dass wir im Verbund mit den Völkern, die mit uns zusammenleben, das Karpatenbecken wieder groß machen. Dass wir uns verteidigen und gemeinsam emporsteigen, um die gemeinsame Zukunft und das neue Zeitalter gestalten zu können. Wir stehen am Tor des Sieges, und die neue Generation hat die Aufgabe, die Entscheidungsschlacht auszufechten – damit alle Juwelen von Stephan dem Heiligen wieder glänzen können.
Sicherlich können diese Botschaften unterschiedlich interpretiert werden. Den Interpretationen sind aber bestimmte Grenzen gesetzt. Einmal, dass keiner der Nachbarstaaten jemals auch nur irgendein Zeichen gegeben hat, in einem ähnlichen Sinne mit Ungarn gemeinsam das Karpatenbecken wieder groß machen zu wollen. Zum anderen aber sind diese Botschaften nicht anders zu deuten als die Behauptung eines Anspruchs auf Rückgewinnung von ehemals ungarischen Gebieten. Ferner sollte beachtet werden, dass diese Parolen klare militärische Symbole enthalten: Armee, Schlacht, Sieg, Kampf.
Dass diese politische Stimmungsmache dazu dienen sollte, ungarische Wähler für einen möglichen Anschluss der Karpatoukraine zu sensibilisieren, liegt umso mehr auf der Hand, als auch Russland bereits des Öfteren die Aufteilung der Ukraine in diesem Sinne angesprochen hat. Auch manche westlichen Beobachter haben verstanden, worauf die Kampagne zielte.
Solche Ideen werden von der ungarischen Regierung selbstverständlich energisch dementiert. In der zweiten und dritten Reihe der ungarischen Medien jedoch werden sie als naheliegende Optionen diskutiert. Die Partei „Mi Hazánk” (Unsere Heimat), nebenbei: eine neo-nationalsozialistische Proxy-Konstruktion des Fidesz, betrachtet es sogar als eine Selbstverständlichkeit, soche Fragen ansprechen zu dürfen. László Toroczkai, Vorsitzender der Partei, äußerte sich hierzu öffentlich in aller Klarheit.
Auf der offiziellen Leitungsebene des Fidesz werden zwar solche Vorwürfe als Hirngespinste zurückgewiesen – so wie der Fidesz vor dem 24. Februar 2022 alle Warnungen vor einer russischen Aggression gegen die Ukraine zurückgewiesen hatte. Solche Beteuerungen leiden jedoch darunter, dass in der vom Fidesz gesteuerten Parteipresse die Unterstützung der Ukraine als „Vaterlandsverrat” gebrandmarkt wird. Die in der ukrainischen Armee als Freiwillige kämpfenden ungarischen Staatsbürger werden als psychisch auffällige Menschen dargestellt, die „als Bürger zweiter Klasse stolz darauf seien, zur Schlachtbank marschieren zu dürfen”. Kein Wunder, dass Fidesz-Wähler, wenn sie zu diesem Thema befragt werden, offen bekunden, dass Russland der Angegriffene und die Ukraine der Angreifer sei und die Rückkehr der Karpatoukraine nach Ungarn eine logische Folge des Krieges sein müsse.
Angesichts der Tatsache, dass sich von den ca. 1,2 Millionen Einwohnern der Karpatoukraine nur noch 7 Prozent (derzeit ca. 80.000, 2022 noch rund 130.000 Personen) zur ungarischen Nationalität bekannt haben, entbehrten solche revisionistischen Pläne sicherlich jeder Grundlage, so wie Putins Pläne für die Gleichschaltung der Ukraine jeder Grundlage entbehrten. Trotzdem handelte man nach ihnen.
Auch im ungarischen Fall ist die Neigung zu absolut irrationalen Handlungen erkennbar. Der ungarische Verteidigungsminister und Oligarch Kristóf Szalay-Bobrovniczky hat in einer geheimen Rede im April 2023 vor ausgewählten Zuhörern davon gesprochen, dass man „mit der Friedensmentalität brechen” müsse. Es sei die Aufgabe der ungarischen Armee, „sich in die Nullphase des Weges, der zum Kriege führt, zu begeben”.
Seit diese Aussagen am 8. Mai 2025 bekannt geworden sind, schuldet die ungarische Regierung uns eine Erklärung dafür, in welchen Krieg sie die ungarische Armee führen will und warum sie das tun will.
Nach der Logik der Aussagen Broßmanns müsste man auch Churchill als Kriegstreiber und Hitler als Friedensstifter bezeichnen. Schließlich hat Hitler nach dem 1. September 1939 ständig Friedensangebote unterbreitet. Bisher hatte ich gedacht, dass die deutsche Vergangenheitsaufarbeitung zumindest partiell dazu beitragen konnte, über grundlegende historische Tatsachen aufzuklären. Frau Broßmann hat mich darüber belehrt, dass ich naiv war.
Über den Autor: Krisztián Ungváry, geb. 1969, studierte Geschichte und Germanistik in Bundapest, Jena und Freiburg i.Br. und erhielt mehrere Stipendien (DAAD, Hertie-Stiftung, Marion Gräfin Dönhoff-Stiftung, Wissenschaftskolleg zu Berlin). Seine Spezialgebiete sind Militärgeschichte, Holocaust, Geschichte Ungarns im 19. und 20. Jahrhundert, Geschichte der Ungarndeutschen, Geschichte der kommunistischen Staatssicherheit in Ungarn. Er promovierte im Jahr 2000 über die Schlacht um Budapest (bisher 16 ungarische, deutsche, englische und russische Auflagen). Seit 2013 ist er Mitglied der ungarischen Akademie der Wissenschaften. Er bewirtschaftet ein kleines Weingut in Tokai-Hegyalia und lebt als freischaffender Historiker in Budapest. In deutscher Übersetzung ist erschienen: Die Schlacht um Budapest. München 1999.
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