Marc Pommerening: INSELN GESEHN - EIN GEDICHTBAND VON JÖRG BERNIG
- vor 2 Stunden
- 3 Min. Lesezeit
Gediegen kommt der Gedichtband daher: solides Hardcover, ein Schutzumschlag mit geschmackvollem Aquarell, dezent formuliertes Lob Dresdener Professoren und Zitate großer Kollegen, die wie Cherubine vor dem eigentlichen Text wachen.

„inseln gesehn“ hat Jörg Bernig. Gottfried Benns „Menschen getroffen“ hallt wider im geneigten Leser, der Feinsinniges über Muscheln, Strandgut oder den Gang der Gezeiten erwartet, aber zu seiner Erleichterung nicht bekommt. Denn so weltflüchtig und wehmütig wie es Titel und Aufmachung suggerieren, ist „inseln gesehn“ gerade nicht. Listige Camouflage verdeckt die politische Stoßrichtung von Bernigs Lyrik. Man liest eine Tarnschrift mit bissigen, im Unterholz lauernden, tagespolitischen Anspielungen, die vor dem überzeitlichen Horizont der Dichtung an Brisanz gewinnen.
Maritim ist trotz des Titels wenig. Es geht Bernig um die Wälder seiner sächsischen Heimat. Insular ist deren Bedrohtheit, denn sie sind vom selbstverständlichen Frei- und Spielraum zum „umkämpften gelände“ geworden. Ein „heer von feinden“ ist als „besatzer“ im Land, „ferne schlachten“ werden jetzt „vor der haustür geschlagen.“ Die Natur selbst scheint militarisiert, eine Eule ist auf „patroullienflug“, als „funker verlorener truppen“ gelten Grillen, Flora und Fauna unterliegen einer totalen Mobilmachung.
Mir scheint, dass Ernst Jüngers „Waldgang“ in Bernigs Lesart vom existentialistischen Traktat zur poetischen Programmschrift geworden ist: seine Autonomie zu wahren, zieht sich der frei gebliebene Einzelne in den Schutzraum des Waldes zurück. „Wald“, so Jünger, „ ist im Vaterlande wie auf jedem anderen Boden, auf dem der Widerstand sich führen lässt.“ Die Waldgänger „werden sich rekrutieren aus jenen, die auch in aussichtsloser Lage für die Freiheit zu kämpfen entschlossen sind.“ Bernig kennt „das Waffenversteck unserer Feinde“. Jünger „kennt seine Zwangslager, die Schlupfwinkel der Unterdrückten, die Minderheiten, die ihrer Stunde entgegenharren.“
Die von Großstadtdichtern grausam bespöttelte Naturlyrik rehabilitiert Bernig, weil er sie zeitgenössisch auffasst. „landschaft in brandenburg“ beginnt als Naturgedicht. Bäume stehen wehrhaft „in Bereitschaft“. „atlantische wolken“ rollen heran, denen sich „gepanzerte bauern“ entgegen stellen. Aufgehoben in der tradierten Schilderung eines Sturms wird die Erinnerung an den Aufruhr empörter Bauern gegen die Ampel-Regierung Anfang 2024. Sie blitzt auf wie eine leere Patronenhülse im Gras.
Sicher sind unverbindlichere, überzeitliche Lesarten möglich. Doch dass etwa Badende sich „stillere buchten“ suchen und „das kindergeschrei“ meiden, indes in der Ferne „ein rettungswagen in not“ ruft, lässt ein längst brüchiges Idyll vermuten, auch wenn es im Gedichttitel trotzig behauptet wird.
Ist Bernig, der zivilgesellschaftliche Repression allzu gut kennt, Vertreter einer neuen inneren Emigration? Seine verdeckte Schreibweise braucht Leser, die das Ungesagte zwischen den Zeilen entziffern und den hingetupften Halbsatz wissend ergänzen: “dank sei! Wir leben geführt von den besten/ im besten des besten“ - -
Der Dichter ist Schamane und Partisan. Ein Schamane, der „Wir“ sagt, vor seinen bedrängten Stamm tritt und dessen Lebenswelt beschwört. Ein Partisan, der bodenständig kämpft, weil das heimatlich Vertraute ihm Deckung gewährt, im Dickicht der Sprache und verborgen unterm Blattwerk der Tradition.
Seit die Provinz sich urbanisiert und die Städte verspießern, haben die „Bewisperer von Nüssen und Gräsern“, so Benn, womöglich einen genaueren Blick auf die Wirklichkeit. Inseln anderer Art sind inzwischen die gentrifizierten und geistig sterilen Szeneviertel der Großstädte – grüne Halligen in blauschwarzer See.
Jörg Bernig: inseln gesehn. Gedichte. edition buchhaus loschwitz: Dresden 2025
Über den Autor: Marc Pommerening (*1970) arbeitet als Autor und Regisseur. Herausgeber von Rexroths Der Wermutstrauch und Verfasser der Mikroaggressionen (beide Edition Finsterberg).
Hier können Sie TUMULT abonnieren.
Für Einzelbestellungen klicken Sie bitte hier.
Besuchen Sie das Dresdner TUMULT FORUM - für Termine und Neuigkeiten genügt eine Nachricht mit Ihrem Namen und dem Betreff TERMINE an TUMULTArena@magenta.de


