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Mariam Kühsel-Hussaini: DAS BÖSE

Fangen wir behutsam an.


Vor allem, bleiben wir im Abendland.


Um der Wirklichkeit unserer Vorstellung einen Anhaltspunkt zu geben, nehmen wir zunächst ein wenig Platon zu uns, Altertum, das über den Transfer der Bibliotheken des Morgenlandes wieder seinen Weg zurück nach Europa fand. Lange vor Kant hat Platon die Vernunft als Hilfe gepriesen, sogar den Göttern sei sie Gottheit. Das Schlechte, ein Resultat unseres Ungleichgewichts. Der Seele sei es letztlich nur mithilfe einer ordnenden Ratio möglich, Gegensätze und Widersprüche, Bewegungen von Liebe und Hass, Mut und Furcht, selbst das Wollen in ein Glückliches zu lenken. Das Gegenteil des Rechten wird hingegen eintreffen, wenn Unvernunft sich in die doch eigentlich vollkommen schwingende, wohlmeinend kreisende Weltseele-Atmung einbindet, wenn also das All eine ungeordnete Bahn zieht und unsere Seele verdirbt. Platon meint es gut mit uns, entspannter kann das Motiv nicht sein, doch dann kommen gleich mehrere Gestirne ins Spiel und was will er, wenn er sagt, die Sonne könnten wir sehen, nicht aber ihre Seele? Alles zu abstrakt, kommentiert ein Exeget. Überhaupt könne das Gute als politische Variable kaum aufgehen, der Mensch würde auch das Übel als etwas Gutes verkaufen. Platon also ein Psychedeliker, der uns ein Urwissen einredet, das eigentlich zu keiner Seite steht, weder zum Guten, noch zum Schlechten? Einer, der eine Kulisse aufreißt, uns anfixt, um das kaum Erblickte dann wieder zu verhüllen? Gerade dann, wenn es spannend wird, wenn die ungeordnete Bahn ins Spiel kommt? Platon, ein Realpolitiker, der bekanntlich mit Realität nichts zu tun hat?


Jetzt härter: Nietzsche.


Durch das ganze arrogante Mahagoni seiner Gedankenarchitektur flüstert es, es zischt an seiner Zungenspitze, es ist die ganze Zeit da: die Unvereinbarkeit von Kräften. Ein gebieterisch romantisches, sanft gewittriges Nein gleißt über nahezu allen seinen Texten, selbst, wenn er sich auf Weihnachten freut. Eine persönliche, schöpferische Hirnentzündung war ihm eigen, lange vor tatsächlichem Leidsiechen, ein Kranksein an der Welt. Fühlte die durchsichtige Haut seines Herzens die andere Seite des Menschen in einer nie schlafenden Zweitstimme weit in sich? Es ist, als führe die eine Hand zerbrechlich die Feder und als würde die andere immer wieder – zur eisheißen Faust geballt – auf das Papier einschlagen. Niemand hat die Jetztzeit mehr verachtet als er, weil er wusste, es ist der gefährlichste Zustand in der Geschichte einer Nation und einzig durch die Spule des Vergangenen in die Hoffnung einer Zukunft hinein, kann Gegenwart aus dem Atom der menschlichen Gesellschaft heraus etwas erschaffen.


Mehr denn je herrscht gerade eine solche Jetztzeit, jeden Tag rammt sie ihre Nägel ein bisschen fester in unser Leben – mehr als in jedem Chaos, wie er ausführt, ist im Jetzt das Menschliche in Gefahr, in dem angstvolle Erwartungen und gierige Ausbeutung der Minute alle Feigheiten und selbstsüchtigen Triebe der Seele hervorlocken.


Allzu menschlich warnt er und lassen wir ihn warnen bis in unsere Tage vor, da ein Schatten über uns weilt: Jedes Wort ist ein Vorurteil, Nietzsche weiß, Sprache selbst ist eine Gefahr für die geistige Freiheit. Darum wäre einem Carl von Ossietzky, diesem alles andere als gefälligen Mann, der die Weltbühne in derselben Schärfe ritt wie Goebbels den Angriff, bei einer befürchteten – wie war das nochmal? – Mulattisierung der Zivilisation durch das Wesen der Hure speiübel geworden, Ossietzky, der Deutschland liebte bis zum Landesverrat, er, der mit der Nachfahrin einer indischen Prinzessin verheiratet war, deren Haut die Farbe eines Sommerabends hatte.

 

Zur Beruhigung: Bekanntlich zieht sich eine stattliche Spermaspur quer durch die Eroberungszüge von Alex dem Großen bis tief nach Baktrien rein, dem heutigen Afghanistan, wo besonders in der Region Nuristan smaragdgrüne Augen, blasseste Haut und Haar in der Farbe von Kiefernholz zu finden sind. Selbst in der heillos verquasten, nationalsozialistischen Typenlehre von Deutschen je nach Region, findet sich neben Blondhaar-Blauäugigen das sogenannte Westische im Kanon – Zitat,  sehr dunkel, Haar schwarz, Augen schwarz, Haut hellbraun – ganz zu schweigen von der hinterpommerschen Mutter meines Schwiegervaters, deren Antlitz etwas marokkanisches barg, durchstochen von einem unbeugsamen Ultramarin der Augen. Wenn wir der Schöpfung keine Überraschung und keine Seligkeit mehr unterstellen, sind wir selbst böse. Allein, wo waren westliche Gentlemen, als sich Eva Kaili in belgischer Untersuchungshaft während ihrer Monatsblutung nicht waschen durfte? Verwehrt wurde ihr das nicht von einem Mullah, sondern von einem belgischen Ermittlungsrichter. Unzeitgemäß zeitlos betrachtet Nietzsche den Deutschen sodann als einen unbedrohlichen, goetheschen Menschen, als ein Korrektiv. Den Faust bezeichnet er als das höchste Abbild des Menschen im Sinne Rousseaus, was Sehnsüchte, Heißhunger auf Leben, den Umgang mit Dämonen angeht. Kein Befreier, kein Empörer – so Nietzsche – sei dieser Faust, sondern einer, der seinen Begleiter und dessen skeptisch boshafte Verneinung benutzen und verachte müsste, dies aber gar nicht tut! Denn der goethesche Mensch hasst jedes Gewaltsame, jeden Sprung, die Tat – so wird aus dem Weltbefreier Faust ein Weltreisender. Reiche des Lebens und der Natur, Vergangenheiten, Künste, Mythologien, Wissenschaften schweben in kosmischer Irrfahrt an ihm vorbei, die den mit einer Deutschen verheirateten Kubrick wohl für sein Sternentor in 2001 angesteckt haben dürften.

Kurzum – alles, was Faust zu Beginn in seiner Stube begierig beleckte, jetzt hat er es und durchglüht es in allen brennenden Farben. Mephisto lauert auf genau diesen Moment, der Flug endet, die Schwingen fallen herab, Mephistopheles ist bei der Hand. 



Gustaf Gründgens als Mephistopheles, 1957 Foto: Rosemarie Clausen


Nietzsche offenbart: Wenn der Deutsche aufhört, Faust zu sein, ist keine Gefahr größer als die, dass er ein Philister werde und dem Teufel verfalle. Der Mensch Goethes ist der beschauliche Mensch im hohen Stile, der nur dadurch auf der Erde nicht verschmachtet, dass er alles Große und Denkwürdige, was je da war und noch ist, zu seiner Ernährung zusammenbringt und so lebt, ob es auch nur ein Leben von Begierde zu Begierde ist … also unverhohlen gesprochen, schließt Nietzsche: Es ist nötig, dass wir einmal recht böse werden, damit es besser wird. 


Hatte nicht Gustav Stresemann auf seinen Reisen stets den Faust bei sich, er, selbst gefangen in der Tragödie des Endspiels der Weimarer Jahre, die mit die schönsten, die traurigsten deutscher Geschichte sind? Mephisto hat sich Fausts Seele geholt und das war die abgemachte Belohnung – Faust selbst jedoch blieb Faust. Neugierig, zart, ein wenig verdammt, getrieben, aber redlich.


Himmler war denn auch zur Stelle, als es hieß, einmal recht böse zu werden. 1934 kam er an die Hebel der Macht und hat gemeinsam mit seinem Dioskur Heydrich das Morden zum Staatsprinzip ausgebaut. Von den Anklägern Nürnbergs aber wurde der Holocaust eben nicht im Raume des Verbrechens in der Geschichte eingestuft, sondern bewusst benutzt und sie sind damit selbst als bösartige Qualität zutage getreten, dergestalt, dass fortan aus dem Köcher der hervorgefolterten, deutschen Internierten eine neue Schar zusammengesucht wurde – gegen das eigene Land zu wirken.


Es war Gustaf Gründgens, der 1957 den Faust zu einem ganz neuen Glasstein wandelte, selbst in Gestalt des Mephisto darin auftretend, den er schon in den Dreißigern gab. Nun aber, 1957, wieder eine Jetztzeit, spürte Gründgens, dass etwas anders war, dass die Deutschen aus dem Augenblick erwachen, begreifen, sich selbst erkennen mussten. Seine auf messerscharfe Prägnanz gekürzte Version dieses Wunderstücks lässt staunen, hält den Atem an, beeindruckt tief und reich, in kalter Eleganz. Gründgens bedrängt, schmiegt sich an, leichtfüßlerisch, fast fein taucht er aus dem Nichts auf. Er schaukelt, dient, verlacht! Er dreht und windet sich, er dreht sich in der Luft. Er spuckt und lechzt und flüstert süß. Er verführt und krächzt und schikaniert und portraitiert dabei doch nur den Menschen Faust, hinter seiner weichen und ahnenden und irrenden Haut. Warum machst du Gemeinschaft mit uns, wenn du sie nicht durchführen kannst? – will der in Blutsamt gehüllte Gründgens von Quadflieg wissen. Willst fliegen und bist vorm Schwindel nicht sicher? Drangen wir uns dir auf oder du dich uns?


Etwas Strenges und Klares hatte sich in die Großzügigkeit Goethes geschlichen – eine Zeitnähe. Drei Jahre später gab Gründgens dann auch die Erlaubnis, seine Inszenierung zu verfilmen, von der es berauschende Aufnahmen von Rosemarie Clausen gibt. Gründgens war selbst verblüfft, Teil eines Spiegels geworden zu sein, den Deutschen ihre ureigenen Fragen, ihre ureigenen Antworten zurückzugeben, Gründgens, im Gewand des Teufels, der nicht das Böse darstellt, sondern dem Menschen das Böse erklärt. Nicht der Teufel erzeugt das Böse, sondern weist auf, bietet an und schaut zu, wie die Menschen sich entscheiden, was sie erwählen, wie weit sie gehen werden und dies zurecht zu seinem eigenen, dämonischen Amüsement.


Nein, Faust hat die Menschen nicht verkauft, er hat nur so gern einmal hinter die Wolken, hinter das Flüstern der verborgensten Rätsel blicken wollen – er steht für die prächtige Notwendigkeit, dass wir Einzelne bleiben, die das Recht haben, an ihrer eigenen Neugier zu gedeihen oder zu stürzen, der Einzelne gehört sich selbst und keinem Staat. Denn Staat, das ist Staatskunst, der Staat ist eine jahrhundertealte, sehr europäische, geistig[1]traditionelle Anatomie und Angelegenheit. Bürgerliche Intelligenz ist es, die Einfluss nehmen, ausgleichen und inspirieren soll – nicht das Parteibuch. Wie der Mensch an seiner Hybris, kann auch der Staat an seiner Anmaßung krepieren. Ohne das Vertrauen, die politisch-impulsive Zuwendung der Staatsbürger, kann ein Staat nicht überdauern, ohne den Stolz auf das Eigene keine kosmopolitische Kontrolle entfalten – ist womöglich genau das der Impetus unserer Jetztzeit? Ideologische Sektierer sind nun dort am Ruder, wo eine eigentlich ausgeglichene Herrschaft klassischer Talente die verhängnisvollen Säfte in einem Staat abschmeckt. Angriffe auf gewachsene Strukturen, auf das Wohl der Menschen und auf ihre Psyche, ja Angriffe auf die Schöpfung selbst sind mit keinem anderen Wesenszug als dem des Bösen zu definieren.


Nicht der Islam ist die Gefahr für Deutschland! Deutschland wird seit der internationalen Gründung der Bundesrepublik vom Spiegelblick ins eigene Antlitz abgehalten, ohrfeigt sich seither selbst oder lässt sich ohrfeigen – lässt sich über die moralische Waffe der stattgefundenen Verbrechen des Holocaust destabilisieren, und in der krönenden, politischen Gegenwart, wo selbst deutsche Politiker nur noch über das eigene Land spotten, soll sich also ein krimineller Migrant trefflich benehmen, einer, der schon da, wo er herkommt, sein Unwesen trieb?


Wie lange soll die Empörung darüber, dass es Mord, Raub und Vergewaltigung gibt – was den Menschen hierzulande obendrein täglich drei Mal plakatiert wird – eigentlich noch dauern? Eine harte, weise Modernisierung des Asylrechts ist die Lösung, nicht die stündliche Scharfmacherei. Happy Ramadan? Was kann der friedliche Moslem dafür? Es ist zum Fremdschämen auch für ihn. An die Initiatoren dieses auf Spaltung der Bevölkerung angelegten Aberwitzes: Moslems, die fasten, sind schlecht drauf, in einer kargen, fast harten Stimmung, es ist eine Zeit des Verzichts und der inneren Pause, das Lamm wird erst danach hochgeworfen! Happy Ramadan ist ein Oxymoron. In Pepe Nietnagels Worten – Man fasst es nicht.


Deutschland, ein verlorenes Land, wie Thorsten Hinz in einer Textsammlung zusammenfasst, in gedankenmächtigen Melancholien durch Raum und Zeit einer gehirnerschütterten BRD führt: Zum großen „Befreier“, der zwar erst seit den rechtsfreien Räumen à la Guantanamo, aber immerhin in Folter-Erklärungsnot kam, skizziert er vornehm: Es kann jeden treffen, der den USA ein Dorn im Auge ist. Und: Der demokratisch angelsächsische Phänotyp, in das Nebelreich des Bösen hinabgestiegen, ist dem Sonderweg-Deutschen überlegen. Hinz formuliert wie Onyx, nie verlässt er im Wort die Haltung eines poetisch verfeinerten Geistes-Offiziers, jenseits aller unglücklichen Giftmischer und hysterischen Dutzendschreiber atem-erzählt er aus den schwarzen Löchern der Geschichte dieses Landes und fügt diese gestörte, aber aufgeladene Elektrizität zu einem silbrigzitternden Bildnis sanfter Schocks zusammen, die alles erklären könnten, wenn man nur zuhören würde.


Auch der angesehene, gebildete, geradlinige Michael Lüders, der mit Wer den Wind sät seit Jahren vor einem Grundmuster westlicher Interventionen warnt, von Washington und seinen Verbündeten als Geburtshelfer islamistischen Terrors spricht und festhält – eigene Fehler, Versäumnisse, Lügen und Verbrechen, die in der arabisch-islamischen Welt seit 9/11 Hunderttausende Menschen des Leben gekostet haben, werden großzügig übersehen. Und er fragt, was sich in all den Ländern, die von der Hegemonialmacht USA allein seit 2001 angegriffen wurden – Afghanistan, Irak, Somalia, Jemen, Pakistan, Libyen, Syrien – eigentlich seither verbessert hat? Bessere Lebensbedingungen von der wohlwollenden Großmacht eingeführt? Mitnichten. Sind die Bevölkerungen nicht viel mehr aufgescheucht, desillusioniert zurückgelassen worden, haben sich nicht, wie Lüders schreibt, durch Krieg, Staatszerfall, Stagnation und Gewalt, durch gezieltes Positionieren von Diktatoren, durch Herrschaft von Militärs, Milizen und Warlords, von Clans und Stämmen, von religiös-ethnischen Gruppierungen als Folge Kleinstaaterei, Selbstzerstörung und Barbarei herausgebildet und ist nicht in genau diesem Klima der Dschihadist in all seinen Figurationen und Bärten auf den Plan getreten, dem der Koran als Folie zur Rechtfertigung von Willkür, Eroberung und Terror dient? 


Mein Großvater mütterlicherseits erkannte viele Gesichter Kabuls in ihrem ihm typischen Wesen nicht wieder, die Leute schienen irgendwie wie ausgewechselt, als er 2005 nach vielen Jahren das erste Mal dort war, sie kamen ihm teilweise fremd vor, das Grauen eines gefestigten Nervenzusammenbruchs durchzuckte ihn, er war Sohn eines Generals, an dessen Bügelfalte man sich schneiden konnte, will sagen, er konnte sich beherrschen. Möge man vorsichtiger sein mit Verallgemeinerungen und Brandmalerei! Religionen und Drogen haben etwas gemeinsam, sie machen den Klugen klüger und den Dummen, den machen sie dümmer.


Es gibt kein Zurück, wir sind an einem Punkt, wo wir aus dem Jetzt herausmüssen. Dass Verbrecher, die in Deutschland Bleiberecht beanspruchen, dieses verwirken, ist kristallklar! Pauschalisierungen ganzer Nationalitäten aber, die das Kriminelle importiert hätten, weil ihr Herkommen, ja ihre Kultur selbst kriminell sei, sind brandgefährlich. Mit dem Hammer und der Bitte um Nachsicht ob der Drastik, in Sachen Gruppenvergewaltigung und ihrer behaupteten, kulturellen Provenienz: War es nicht der sich durch eine elegante Noblesse der Empörungsferne auszeichnende Ferdinand von Schirach, der in einer seiner ersten, an seine Kanzleifälle angelehnten Stories, dem Volksfest, die Vergewaltigung einer siebzehnjährigen Kellnerin durch acht betrunkene, geschminkte Mitglieder einer kleinstädtischen Blaskapelle zum Inhalt machte? Handwerker, Versicherungsvertreter, Steuerzahler, normale Männer, so Schirach. Noch ist der Vorhang zu, die hübsche Schülerin bringt ihnen Bier. Hochsommer. Wechselnde, sehr laute Musik draußen. Sie rutscht aus, das T-Shirt durchnässt, ihre Brüste zeichnen sich ab, die Männer starren sie an. Mit einem Mal fallen sie über sie her. Sie wird unter einem Bretterverschlag gefunden, bewusstlos, die Nase, zwei Rippen und der Arm sind gebrochen, sie ist nackt und am ganzen Körper mit Bier und Sperma besudelt, ihre Haut, von den Scherben der Gläser und Bierflaschen an Armen und Rücken aufgeschnitten. Nachdem sie fertig waren, hatten sie sie unter die Bühne geworfen und auf sie uriniert. Polka spielte, als die Polizisten das Mädchen aus dem Matsch zogen. Die Spuren in all ihren Körperöffnungen waren durch den Versuch der Ärzte, sie zu retten, verloren, zum Prozess kam es nicht . . .


Atmen wir.


Es kann nur Verschmelzung das Ziel sein, Verschmelzung der großen Kulturen – das war übrigens immer Kultur – Verschmelzung fern bisheriger Weltmachtoperationen und eine geklärte, gemeinsame Leit-Sittlichkeit unter Abfrage der Loyalität Eingewanderter. Ein Deutschland, das Gutes will, wäre eines, das nach innen aufbegehrt und sich nach außen, wo nicht zuständig, in politischer Enthaltsamkeit übt. Das Gute ist da, wo das Böse endet, wo der Selbst- und Menschenhass, wo die historische, kulturelle und politische Selbstverstümmlung aufhört. Deutschland ist mehr als eine Wirtschafts- und Industrienation. Deutschland hat eine leidenschaftliche, geistige, epische Seite und kann Wogen glätten.


Gesteht´s! Verlangt Goethe in seinem Westöstlichen Divan: Die Dichter des Orient sind größer als wir des Okzidents. Worin wir sie aber völlig erreichen, das ist der Hass auf unsresgleichen.


Selbstermächtigung und Einschüchterung den eigenen Menschen gegenüber ist die Gefahr, die dieses außergewöhnliche Land dem Hohn aussetzt. Was hier um sich greift, weiterreicht, bis weit ins konzertierte Weltgeschehen, ist nicht nur anti-christlich, es ist anti-menschlich. Böse ist, was spürbar böse ist. Böse ist, das Gegenteil anzuordnen. Das Teuflische selbst ist nur das hochbegabte Angebot, das ein Faust zwar für einen Tropfen Allwissensgenuss mit seiner Seele bezahlt, nicht aber an der Schändung der Seele teilnimmt: der Abwesenheit aller Hemmungen. Böse ist der Komplex, der in seiner Unfähigkeit nach Befugnissen krallt und sich alle Pfründe sichert. Böse ist das freche Kopfschütteln auf die Möglichkeit einer Entschärfung. Böse ist die Tollheit auf Eskalation. Böse ist, dass jederzeit jemand mit-weiß, wen wir gerade begehren, wonach wir uns sehnen, wovon wir träumen, wem wir was schreiben. Kommen diese Technologien, die zu Monstren der Ausleuchtung geworden sind, aus dem Islam oder werden sie von Philanthropen einer Heuchelei angeblicher Weltverbesserung gestiftet, die doch nichts ist als die pure Verachtung des Homo Sapiens und all der Geheimnisse, die ihn unberechenbar machen? Sie lieben den Menschen nicht mehr. 


Vielleicht ist diese Gegenwart als Kapsel die modernste aller Vanitassymbolik, die gerade in Form drohenden Unheils nach uns greift und ja, auch unsere persönliche, jedem einzelnen innewohnende Ewigkeit anrührt, diese Welt womöglich nicht mehr in Frieden zu verlassen. Es ist, als käme eine selbsternannte Elite nicht mit der eigenen Sterblichkeit klar – man will den freien Menschen nichts mehr gönnen, solange man selbst durch keinen Posten unsterblich wird. Hoffnung ist da, wenn ein lässig-schneller, frei flottierender, vergeistigter Kopf wie Ulrich Vosgerau offenbart, dass immer weniger Menschen da draußen sich vom grünen Narrativ täuschen lassen.


Die leisen Wächter der letzten Spuren einer großen Bewusstwerdung des Eigenen stehen bereit, im Sinn haben sie Edles, nach außen werden sie verteufelt. Ihre Namen auszusprechen macht uns zu Misfits der Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die sich selbst disqualifiziert, wenn sie unser aller Jetzt nicht für eine Zukunft der Freiheit überwindet.


 *


Über die Autorin: Mariam Kühsel-Hussaini, geb. 1987 in Kabul, aufgewachsen in Deutschland, Sproß einer Kalligraphendynastie in direkter Linie seit dem 7. Jahrhundert, deutsche Schriftstellerin.




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