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Thomas Hartung: FAHNDUNG WEGEN DISSENS

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Digitale Pranger, Fadenkreuze, Angst im akademischen Milieu – die Kampagnen gegen transkritische Ärzte markieren einen Wendepunkt: Aus Meinungsfreiheit wird Gesinnungspflicht.


„Know your enemy“ – unter diesem Slogan veröffentlichen transaktivistische Gruppen wie „Transfeinde stressen“ seit Wochen digital erstellte „Fahndungsbilder“ gegen Ärzte und Wissenschaftler. Zu sehen: verpixelte Gesichter, Klarnamen, Fadenkreuze. Der Stil erinnert an linksextreme Online-Propaganda; das Ziel ist nicht die Debatte, sondern die Vernichtung der Person. Betroffen sind hochrangige Fachleute: Tobias Banaschewski, Klinikdirektor in Mannheim, Florian Zepf, Professor in Jena, die britische Philosophin Kathleen Stock, der Psychologe Kenneth J. Zucker und der amerikanische Therapeut Steven Levine.



Transfeinde stressen? Da geht's lang!
Transfeinde stressen? Da geht's lang!

Ihr Vergehen: Sie nahmen am Berliner Fachkongress „Youth Gender Distress“ teil, einer wissenschaftlichen Tagung über Kinder und Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie. Schon vor der Veranstaltung war eine Welle der moralischen Hysterie losgebrochen – Aktivisten erklärten die Konferenz zur „konkreten Gefahr“ für Trans-Kinder. Die Tagung fand schließlich an einem geheimen Ort statt, weil die Veranstalter Angriffe befürchteten.


Banaschewski spricht aus, was viele nur noch denken: „Es geht nur noch um Meinung, kaum noch um den Austausch von Argumenten.“ Der Satz markiert die neue Grenzlinie zwischen Wissenschaft und Gesinnung. Es ist nicht mehr der Gedanke, der zählt, sondern die Haltung. Kollegen, sagt er, täten „das Gegenteil von dem, wovon sie überzeugt sind“, aus Angst, gesellschaftlich verächtlich gemacht zu werden. Diese Angst ist längst systemisch geworden: Sie prägt Redaktionen, Fakultäten, Fachgesellschaften.


Wo Argumente moralisch aufgeladen werden, wird Denken zu einem Risiko. Wer zögert, gilt als „transfeindlich“. Wer nach wissenschaftlicher Evidenz fragt, gilt als „reaktionär“. Eine Profession, die traditionell auf Zweifel, Abwägung und Erfahrung gegründet ist, wird zum ideologischen Schlachtfeld, auf dem die Furcht vor öffentlicher Ächtung das medizinische Gewissen ersetzt.


Leitlinien als Glaubensbekenntnis


Die in Deutschland verabschiedeten Leitlinien zur Behandlung von Kindern mit Geschlechtsdysphorie sind das sichtbare Produkt dieser neuen Orthodoxie. Sie privilegieren hormonelle und operative Eingriffe – Pubertätsblocker, Testosteron, Mastektomie – und erklären psychotherapeutische Ursachenforschung für „unethisch“. Mitgearbeitet an diesen Leitlinien haben Aktivistenverbände wie der „Bundesverband Trans“ und die „Deutsche Gesellschaft für Trans* und Inter*geschlechtlichkeit“, beide öffentlich gefördert.


International indes wächst die Skepsis: In Großbritannien, Schweden, Norwegen, Finnland und Frankreich wurde der Einsatz von Pubertätsblockern eingeschränkt oder ganz gestoppt, weil die Risiken zu groß und die Erfolge zu gering sind. In Deutschland aber herrscht das medizinische Prinzip Hoffnung – flankiert von politischer Immunisierung. Wer die Leitlinien infrage stellt, gefährdet seine Karriere.


Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz ist diese Entwicklung zur Staatsdoktrin geworden. Was als „Fortschritt in der Freiheit“ verkauft wird, ist in Wahrheit die juristische Unterwerfung der Sprache, der Biologie und der wissenschaftlichen Wahrheit unter das Primat der Identität. Die Geschlechtszugehörigkeit wird zum Verwaltungsakt, die Wirklichkeit zum Verdachtsfall.

Das Gesetz zementiert einen Diskurs, der die Evidenz moralisch diszipliniert: Jede Frage nach biologischer Realität, psychologischer Dynamik oder sozialer Folge kann als „Diskriminierung“ gedeutet werden. In Behörden, Schulen, Universitäten entsteht eine Atmosphäre der Selbstzensur – nicht, weil Zwang herrscht, sondern weil Schuldgefühl regiert. Die Wissenschaft wird so zum Ort der Vorauseinwilligung: Man stimmt zu, bevor man prüft.


Die Kampagnen gegen Ärzte wie Banaschewski und Zepf markieren die Endstufe dieser moralischen Kolonisierung. Sie werden verfolgt, weil sie auf wissenschaftlicher Vorsicht bestehen – auf Zeit, Differenzierung, Ursachenforschung. Ihre Gegner verwechseln Empathie mit Radikalität. Der moralische Furor erhebt sich gegen jene, die die Verletzlichsten schützen wollen: Kinder.


Vom Kind zum Kollektiv


Die Ärztekammern reagieren mit verhaltenem Entsetzen. Der Präsident der Bundesärztekammer nennt die Hetze „inakzeptabel“ und warnt vor einer Bedrohung der wissenschaftlichen Freiheit. Doch selbst diese späte Intervention wirkt hilflos: Sie bestätigt, dass man in Deutschland erst dann über Zensur spricht, wenn sie schon institutionalisiert ist.


Das Schicksal des Einzelnen – des Kindes, das mit seinem Körper ringt – tritt hinter den ideologischen Symbolwert zurück. Die Identität wird politisch verwaltet, der Zweifel pathologisiert. Wer fragt, ob man Minderjährigen durch medizinische Eingriffe Schaden zufügt, wird moralisch exkommuniziert. „Es seien ja nur wenige Kinder betroffen“, zitieren Kritiker lapidar. Was ist das für ein Argument? Es ist das Argument einer Gesellschaft, die ihr Mitgefühl in Formulare verwandelt hat.

Die Gegenwart produziert ihre eigenen Ketzer: Wissenschaftler, die um die Rationalität kämpfen. Ihr Mut ist keine Mode, sondern eine Notwendigkeit. Wenn ein Staat die biologische Wahrheit zum Verwaltungsakt und den Dissens zur Ordnungswidrigkeit erklärt, dann ist der Weg von der Demokratie zur Dogmatik nicht mehr weit.


Der einzige Ausweg ist die Rückkehr zum Argument – als moralischem Grundrecht. Man muss wieder lernen, dass Wahrheit nicht durch Empörung entsteht, sondern durch Prüfung. Dass Wissenschaft nicht Feind des Fortschritts ist, sondern sein Schutzwall. Und dass das Selbstbestimmungsgesetz nur dann diesen Namen verdient, wenn es auch die Freiheit zum Widerspruch schützt. Solange aber Fadenkreuze gegen Forscher kursieren, solange Angst das Denken diktiert, bleibt das Selbstbestimmungsgesetz ein Symbol jener paradoxen Moderne, die alles erlaubt – außer Zweifel.


Über den Autor: Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.


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