top of page

Thomas Hartung: FEIERTAGE ALS FRONT IM KULTURKAMPF

  • vor 4 Tagen
  • 6 Min. Lesezeit

Wegen des Merz’schen Billiardenpakets braucht der Staat Geld – und bringt die Streichung von Feiertagen ins Spiel. Die Republik zwischen Rentenversprechen, Ritualverlust und Regierungsverdruss.


Das Merz’sche Billiardenpaket beschert der Bundesregierung mehr Schulden als sie schultern kann. Und so wird ein überraschender Sündenbock ins Spiel gebracht: der Feiertag – jene kulturelle Schwelle, an der sich Arbeit und Würde, Gemeinschaft und Gedächtnis begegnen. Nicht weil der Mensch entfremdet wäre – sondern weil das Finanzamt es ist. Kirchen schlagen Alarm, Arbeitgeber reiben sich die Hände, und die Bürger? Sie ärgern sich – wie immer. Doch diesmal ist der Ärger nicht bloß diffus, sondern fundamental. Feiertage sind keine bloße Freizeit, keine ökonomische Spielmasse, sondern kulturelle Markierungen, liturgische Knotenpunkte, letzte Bastionen des Eigenen in einem Land, das zwischen Tradition und Selbstaufgabe schwankt. Wer sie streicht, bricht mehr als nur Gewohnheiten. Er zerschlägt die symbolischen Haltegriffe eines Landes im moralischen und ökonomischen Sturzflug. Die Debatte über ihre Streichung ist mehr als ein fiskalisches Manöver – sie ist ein Mikrokosmos unserer Zeit, ein Clash von Werten, Interessen und Ideologien.



Diese Postkarte lügt nicht: Feiertagsfreuden anno 1902
Diese Postkarte lügt nicht: Feiertagsfreuden anno 1902

Für die Kirchen ist ein Feiertag weit mehr als ein freier Tag. Er ist ein „Sakrament der Zeit“, ein Moment, in dem die Gläubigen innehalten, um Gott, Gemeinschaft und vielleicht auch den Sonntagsbraten zu ehren. Maria Himmelfahrt, Fronleichnam, Allerheiligen – diese Tage sind liturgische Anker im säkularisierten Kalender, Symbole der Erinnerung und des Rhythmus. Ihre mögliche Streichung wird von Bischöfen und Pfarrern als Angriff auf die Seele der Nation interpretiert. Dass sie nun zur Disposition stehen, kommentierte der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst ungewöhnlich scharf: „Ein Volk ohne Feiertage ist ein Volk ohne Wurzeln.“ Ein Satz, der bei der AfD Beifall findet. Rüdiger Klos, religionspolitischer Sprecher der AfD-Landtagsfraktion Baden-Württemberg, legt nach: „Feiertage sind Träger von Kultur und Tradition – Dinge, an denen es unserer Gesellschaft sowieso mangelt. Wer sie abschafft, redet einer globalistischen und rationalistischen Wirtschaftsordnung das Wort, die außer Arbeit sonst nichts kennt.“


Doch die Kirchen taumeln in dieser Debatte zwischen Ethik und Eigeninteresse. Einst Bollwerke der Werte, wurden sie 2015 zu Erfüllungsgehilfen staatlicher Narrative. Sie öffneten ihre Pforten für „Schutzsuchende“, predigten Nächstenliebe, organisierten Sprachkurse und kassierten Fördergelder. Zwischen Kirchenasyl und Integrationshilfe stand kaum ein Sonntag ohne moralisches Pathos. Der neue Mensch, so hieß es, komme über das Mittelmeer. Heute stehen wir vor den Trümmern dieser Vision. Nicht sie finanzieren unsere Rente – wir finanzieren ihr Bürgergeld. Die stille Dichotomie ist zur offenen Groteske geworden. Und nun, da Feiertage zur Disposition stehen, entdecken die Kirchen ihr Erbe wieder – wenn auch verspätet. Denn ein Feiertag weniger bedeutet nicht nur weniger Gottesdienste, sondern auch weniger Kollekten, weniger Einfluss, weniger sakrale Präsenz in einem säkularen Staat. Die plötzliche Verteidigung der Tradition mag spät kommen, aber sie ist laut. Bischof Wolfgang Huber, einst Ratsvorsitzender der EKD, formulierte es bereits 2018 treffend: „Feiertage sind nicht nur Pausen, sondern ein Ausdruck unserer kulturellen DNA.“


Von der Flüchtlingsromantik zur Feiertagsoptimierung


Die Geschichte beginnt 2015, als die Bundesregierung, flankiert von der Wirtschaft und Studien wie jener der Bertelsmann-Stiftung, versprach: „Die Massenmigration wird unsere Renten sichern.“ Der BDI rief enthusiastisch: „Wir brauchen ihre Hände!“ Die Bertelsmann-Stiftung sekundierte mit einer vielzitierten Prognose: „Deutschland braucht jährlich 500.000 Zuwanderer.“ Integration war das Dogma, der neue Mensch sollte über das Mittelmeer kommen. Zehn Jahre später stehen wir vor den Trümmern dieser Vision. Ausbildungsbetriebe klagen über Sprachbarrieren, fehlende Qualifikationen und Integrationsfrust. Laut IAB lag die Erwerbstätigenquote unter Geflüchteten Ende 2023 bei unter 50 %, Tendenz stagnierend. Volkswirt Bernd Raffelhüschen legt den Finger in die Wunde: „Die Zuwanderung der letzten Jahre hat unsere Sozialsysteme belastet, nicht entlastet.“ Ein Satz, der weh tut – vor allem den Architekten der offenen Grenzen –; der den alten Konsens erschüttert und das schlechte Gewissen wachruft. Nicht die Flüchtlinge zahlen unsere Renten – wir zahlen das Bürgergeld der Flüchtlinge.


Aber anstatt Fehler zu korrigieren, wird weiter rationalisiert. Feiertage sollen fallen, damit die Illusion stabil bleibt. Arbeitgeberverbände wie Gesamtmetall sprechen von „wirtschaftlicher Notwendigkeit“, Südwestmetall von „Produktivitätsreserven“ – als seien kulturelle Pausen Defizite im Betriebsablauf. Das ist nicht nur zynisch, sondern kurzsichtig: Der Mensch ist keine Maschine – und ein Feiertag kein Stillstand, sondern ein Innehalten, das zivilisatorische Tiefe schafft. Und so stellt Rüdiger Klos die Gretchenfrage: Lohnt sich das wirklich – oder opfern wir bleibende Kultur auf dem Altar kurzfristiger Bilanzkosmetik? Denn „ob eine solche Maßnahme in dem gewünschten Ausmaß und vor allem nachhaltig zur Stabilisierung der Staatsfinanzen beiträgt, darf bezweifelt werden – der religiöse und kulturelle Verlust wäre aber dauerhaft.“


Studien wie jene der Boris-Nemtsov-Stiftung zu den Russlanddeutschen zeigen: Integration ist ein Marathon, kein Sprint. Geduld jedoch ist nicht die Stärke deutscher Arbeitgeber. Feiertage zu streichen scheint einfacher, als Verantwortung zu übernehmen. Die Produktivität bleibt aus, aber man glaubt, durch Mehrarbeit die Defizite ausgleichen zu können – auf dem Rücken derer, die ohnehin schon schuften. In einem Land, das nicht mehr weiß, woran es glauben darf, wird selbst der freie Tag zum Politikum. Wo früher die Glocken die Ruhe verkündeten, klirren heute die ideologischen Klingen, wenn die Ruhe zum fiskalischen Ärgernis wird.


Und die CDU, einst Partei des „christlichen Abendlandes“? Sie mutiert zunehmend zum Sprachrohr neoliberaler Fantasien. Generalsekretär Carsten Linnemann erklärt unverblümt: „Viele Rentner wollen doch arbeiten!“ Übersetzung: Sie „sollen“. Was klingt wie Fürsorge, ist in Wahrheit Entsorgung. Die Alten sollen schuften – um die Lücken zu füllen, die eine ideologisch aufgeladene Migrationspolitik gerissen hat. Integration? Verschoben. Beschäftigung? Fehlanzeige. Und so wird der Rentner zum Dienstleister eines Systems, das ihn moralisch längst verabschiedet hat. Die AfD protestiert: „Wer dieses Land aufgebaut hat, verdient Respekt – nicht Schichten im Supermarkt.“ Das Problem, so die Fraktion, liege nicht bei den Rentnern, sondern bei einer Migrations- und Arbeitsmarktpolitik, die ihre eigenen Versprechen nicht einlösen konnte.


CDU-Fraktionsgeschäftsführer Torsten Frei geht noch weiter: „Jeder, der Vollzeit arbeitet, hat so viel Geld, dass er davon leben kann.“ Punkt. Basta. Das ist nicht nur empirisch falsch (vgl. Statistisches Bundesamt: 14,2 % der Vollzeitbeschäftigten gelten 2024 als „working poor“), sondern zynisch. Frei fabuliert weiter, viele Zweitjobber täten dies nur, „um sich ein größeres Auto oder mehr Urlaub zu leisten“. Das ist keine soziale Blindheit – das ist politisch induzierte Weltfremdheit. Willkommen in einer Parallelwelt, in der Existenzangst zur Lifestyle-Frage verklärt wird; willkommen im postfaktischen Leistungsstaat. Arbeit wird moralisch überhöht, Armut individualisiert – es sei denn, man lebt vom Bürgergeld. Kritik daran? Prompt heißt es: „menschenfeindlich“.


Keine „kommerzialisierte Saufkultur“


Während die Wirtschaft Feiertage als Produktivitätsbremse betrachtet, wird an anderer Stelle kulturell dekonstruiert. Der Vatertag, für viele Männer mehr als eine Bollerwagentour, sondern ein Ritual, ein Brauchtum, ein Ausbruch aus der feminisierten Dauererziehung des Alltags, steht zunehmend zur Disposition. In linken Feuilletons wird er als „toxisches Relikt“ oder „kommerzialisierte Saufkultur“ diffamiert. Die Grünen äußerten bereits 2023 die „Notwendigkeit, den Vatertag zu entmystifizieren“ – man könne schließlich auch „in der Care-Arbeit an Papas Beitrag erinnern“. Was als Witz beginnt, endet im Löschantrag. Die AfD hält dagegen: Väter verdienen Anerkennung, keine Demontage. Wer Väter ehrt, stärkt die Familie. Wer Tradition verteidigen will,  darf sich vom Zeitgeist nicht gängeln lassen. Er muss Rituale schützen – nicht opfern.


Und der Bürger? Er steht verloren zwischen Empörung und Erschöpfung. 2015 jubelte man: „Integration ist Zukunft.“ 2025 steht er vor der Supermarktkasse – mit Inflation, Zusatzjob und der Aussicht, bald auf Fronleichnam oder den Vatertag zu verzichten. Laut einer INSA-Umfrage vom März 2025 lehnen 65 % der Befragten die Streichung christlicher Feiertage ab; nur 12 % sehen darin eine „sinnvolle Maßnahme“. Denn ein Feiertag ist kein Privileg, sondern ein Versprechen: Zeit für Ruhe, für Ritual, für Rückbindung. Und dennoch debattiert man – über neue Effizienzmodelle, Arbeitszeitdehnung, Feiertagsverschiebung. Kultur wird betriebswirtschaftlich bilanziert, nicht geistig verteidigt. Während integrationsferne Gruppen durch die Sozialsysteme gleiten, droht dem werktätigen Rentner die Frühschicht im Einzelhandel. Der Steuerzahler finanziert einen Sozialstaat, dessen Gerechtigkeit zunehmend als Farce erscheint.


Die Feiertagsstreichung ist kein Verwaltungsakt – sie ist ein Symptom. Ein Spiegel einer Gesellschaft, die nicht mehr weiß, was sie schützen soll: ihre Werte oder ihre Bilanz. Feiertage sind mehr als freie Tage. Sie sind kulturelle Gedächtnisspeicher, spirituelle Orientierungspunkte, Markierungen des Eigenen ebenso wie soziale Pausenräume für die Seele einer Gesellschaft. Sie sind Symbole der Nicht-Verwertbarkeit – und gerade darin politisch. Wer sie streicht, opfert nicht nur Tradition, sondern unterwirft sich dem Zynismus einer Politik, die nur noch an ideologische Ziele glaubt.


Wer sie streicht, will nicht nur sparen. Er will den Menschen neu definieren, denn er glaubt nicht an das Volk, sondern an dessen Umformbarkeit. Ein Land, das so denkt, hat den Bezug zur Wirklichkeit verloren. Ein Land, das so handelt, hat die Pflicht zur Opposition verdient. Die AfD verteidigt Feiertage, weil sie mehr sind als freie Tage. Sie sind Freiheitstage – gegen den Zugriff einer Politik, die das Eigene verachtet und das Fremde verklärt. Und wer heute den Feiertag verteidigt, verteidigt morgen das Land.




   *



Über den Autor: Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.



                                                Hier können Sie TUMULT abonnieren.                                    

                                            Für Einzelbestellungen klicken Sie bitte hier.

bottom of page