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Thomas Hartung: "ICH NEHME DIE WAHL AN" — über Barbara Borchardt und Jörg Bernig

Während in Schwerin eine Linksextreme Verfassungsrichterin wird, soll ein „neurechter“ Autor als Kulturamtsleiter in Sachsen „rückgewählt“ werden. DDR und BRD werden zunehmend eins.



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Die Sächsischen Gemeindeordnung, Paragraf 52, Absatz 2 regelt, dass der Bürgermeister Beschlüssen des Gemeinderats widersprechen muss, „wenn er der Auffassung ist, dass sie rechtswidrig sind; er kann ihnen widersprechen, wenn er der Auffassung ist, dass sie für die Gemeinde nachteilig sind.“ Der Oberbürgermeister von Radebeul, Bernd Wendsche (parteilos) hat jetzt mit dieser Begründung gegen die Wahl seines neuen Kulturamtsleiters Jörg Bernig sein Veto eingelegt. Das Gremium soll noch einmal über die Besetzung des Amtes entscheiden, so Wendsche: „Die durch den Beschluss bereits jetzt schon deutlich spürbare Polarisierung wirkt sich aus meiner Sicht negativ und nachteilig für die Stadt aus. Die Verantwortung liegt nun wieder dort, wo sie hingehört, beim Stadtrat.“ Der Grund für die Polarisierung: der preisgekrönte Autor Bernig gilt dem politischen und medialen Mainstream als „neurechts“.


Dabei war allein die Personalfindung eine zähe Angelegenheit. Erst beim zweiten Anlauf der Ausschreibung für das einzige Kulturamt einer Kommune im Kreis Meißen blieben zunächst sieben, dann zwei Bewerber übrig. Wendsche war sich relativ sicher, dass der Vorschlag der Stadtverwaltung durchkommen würde: Eine Frau aus dem Erzgebirge mit Verwaltungs-, Führungs- und Kulturmanagementerfahrung. Doch Demokratie ist eben nicht planbar: In einem ersten Wahlgang bekam weder sie noch ihr Konkurrent die absolute Mehrheit. Im zweiten Wahlgang reicht die einfache, die relative Mehrheit. Und hier wurde Konkurrent Bernig gewählt: 17 zu 15, bei zwei Enthaltungen. Im Stadtrat sind 35 Räte, 34 waren anwesend. Die CDU hat neun Stimmen. Die AfD sechs. Wie die Sächsische Zeitung erfuhr, haben nicht alle aus der CDU für Bernig gestimmt. Vor allem reichen deren Stimmen nicht allein. Es müssen auch andere zugestimmt haben. Keiner weiß es hundertprozentig, es war eine geheime Wahl.


Eigentlich dürfte aus dem nichtöffentlichen Teil der Ratssitzung nichts nach außen dringen. Erst zur nächsten Sitzung im Juni wäre verkündet worden, was da beschlossen wurde. Das sagen die Festlegungen. Doch einer, diesmal mehrere, plauderten, weil die Empörung groß ist. Das Politik- und Presseecho auf Bernigs Wahl las sich deutschlandweit fast wortgleich. Süddeutsche Zeitung: „CDU und AfD wählen neurechten Denker zum Kulturchef“. Sächsische Zeitung: „Neurechter Kulturchef für Radebeul“. Leipziger Volkszeitung: „Der Schriftsteller vertrete neurechtes Gedankengut und für ihn haben vor allem CDU- und AfD-Fraktion gestimmt, kritisieren Räte von Linke und Bürgerforum/Grüne. Die Entscheidung macht sie fassungslos.“ Die Einordnung des DLF liest sich gar wie ein Verfassungsschutz-Dossier: „Bernig hatte wiederholt rechte Positionen vertreten und gilt durch seine Veröffentlichungen in Medien der Neuen Rechten als ein Denker der Szene.“



Promoviert zur Schlacht um Stalingrad


„Osten, Sachsen, Nazis. Dem ist nichts hinzuzufügen“, ist nur eine der Reaktionen, die im Netz auf den Artikel der Süddeutschen Zeitung kursieren. Andere drücken sich weniger drastisch, aber inhaltlich ähnlich aus. Mit „Entsetzen und Unverständnis“ reagierten auch Radebeuler Kunst- und Kulturschaffende auf die Wahl. In einem vom Radebeuler Kulturverein initiierten Offenen Brief, der am Montag darauf veröffentlicht wurde, warnen die Unterzeichner vor „fatalen Folgen für die Stadt, deren Bewohner und die einzigartige Kulturlandschaft“. Denn Bernig sei „ein Mann, der in den vergangenen Jahren vor allem mit politischen Äußerungen auf sich aufmerksam machte, der die deutsche Kultur - als gäbe es eine Definition für eine solche - vor schädlichen Einflüssen von außen bewahren möchte, dessen islamkritische Äußerungen Menschen pauschal verurteilen und der Wut und Hass in der Bevölkerung schürt.“


Unter den Unterzeichnern sind Helmut Raeder, künstlerischer Leiter der Radebeuler Kulturfeste, zu denen die Karl-May-Festspiele gehören. Auch der Veranstalter Björn Reimener, Schlagzeuger Günter „Baby“ Sommer sowie der ehemalige Direktor des Dresdner Theaterkahns, Friedrich-Wilhelm Junge, gehören zu den Kritikern. Im Brief heißt es, Bernig sei jemand, der „im Widerspruch zu all dem steht, was die Radebeuler Kulturlandschaft seit Jahrzehnten prägt und einzigartig macht“. Darüber hinaus fehle ihm „jede fachliche Eignung als Kulturamtsleiter“. Unter den gegebenen Umständen sehe man sich „daher nicht in der Lage, unsere Ziele und Ideale als Kulturschaffende mit der Tätigkeit Dr. Bernigs als Kulturamtsleiter in Einklang zu bringen“. Raeder, Sommer und Junge sowie vier weitere Künstler wollen darüber hinaus den „Radebeuler Kunstpreis“ zurückgeben, der ihnen zwischen 2003 und 2011 verliehen worden war.


Stadtrat Martin Oehmichen (Grüne) kritisiert unter anderem, dass Wendsche trotz Kenntnis von der „Brisanz“ der Texte Bernigs sein Einvernehmen mit der Wahl erklärt habe. Qua Amt steht Wendsche im Auswahlprozess ein Veto-Recht zu - von dem er bereits in vorigen Schritten der Bewerber-Auswahl Gebrauch gemacht hatte, darunter einer Frau der Fraktion Bürgerforum Grüne/SPD. Wendsche kontert das zunächst in einer Pressemitteilung und im Gespräch mit der LVZ: „Die hauptamtliche Verwaltung nimmt diese Entscheidung des Stadtrates mit Respekt zur Kenntnis“, lässt er seine Pressestelle verbreiten. Und der Zeitung sagte er: „Es geht aber bei einer demokratischen Wahl nicht darum, ob ich den Kandidaten gut oder schlecht finde.“ Das sah die potentielle Grüne Meißner Landratskandidatin Elke Siebert ganz anders: sie forderte Wendsche über Facebook auf, die Personalie zu kippen und die Position neu auszuschreiben. Ein Schelm, der jetzt an Angela Merkel und die Rückgängigmachung des Erfurter Wahlergebnisses denkt. Genau das ist nun passiert.


Bei diesen Reaktionen, die sich unter normalen Umständen auf eine Pressenotiz und ein freundliches Interview in der Lokalzeitung reduziert hätten, muss man die Wahl eines Mannes annehmen, der „allermindestens Mitglied in drei Neonazi-Organisationen, aggressiver Dauerdemonstrant und Reichsbürger mit Waffenarsenal“ sein müsse, wie sich Bettina Gruber in der Tagesstimme ergötzt. Das Gegenteil ist richtig. Geboren 1964 in Wurzen, lernte Bernig Bergmann mit Abitur und studierte in Leipzig 1985 bis 1990 Germanistik und Anglistik. Promoviert hat er zum Thema „Schlacht um Stalingrad im deutschsprachigen Roman nach 1945“. Er arbeitete als Lehrer in Schottland, Lektor in Wales, Redakteur bei der Dresdner Literaturzeitschrift Ostragehege und als Lehrbeauftragter an der TU Dresden, wo er auch an kulturwissenschaftlichen Forschungsprojekten mitwirkte. Seit 1995 lebt er als freier Autor in Radebeul und ist seit 2016 auch als Lehrer für Deutsch als Zweitsprache an einer Coswiger Oberschule beschäftigt, wo er vor allem Schüler aus Nordafrika unterrichtet.

Ab dem Jahr 2000 wurde er vielfach ausgezeichnet, wobei der Kunstpreis der Stadt Radebeul noch die geringste Ehrung ist. So ist Bernig zunächst einmal Mitglied dreier Akademien: der Sächsischen Akademie der Wissenschaften und Künste (seit 2017 als Stellvertretender Sekretär der Klasse Literatur- und Sprachpflege), der Bayerischen Akademie der Schönen Künste sowie der Sudetendeutschen Akademie der Künste und Wissenschaften. Zudem ist er seit 2005 Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland. „Mitgliedschaften dieser Art stellen traditionellerweise einen Ritterschlag für den Geehrten dar“, befindet Gruber. Seine literarische Arbeit wurde unter anderem mit Stipendien der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und des Deutschen Literaturfonds sowie mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Homburg, dem Kamenzer Lessing-Förderpreis und dem Eichendorff-Literaturpreis ausgezeichnet.



„Zorn allenthalben“


Er hat zahlreiche Romane, Gedichte und Essays veröffentlicht, die übrigens nicht auf die eine deutsche Nationalkultur, sondern ganz auf das Thema Mitteleuropa ausgerichtet sind: „die Vorfahren des Dichters stammen aus Böhmen, er berichtet fasziniert und kenntnisreich aus Tschechien, Polen und vom Balkan“, weiß Gruber und erkennt trocken „Was Jörg Bernig zur Last gelegt wird, ist wieder einmal nur Eines: die Courage, vom Mainstream abgewichen zu sein.“ Denn seit 2015 äußert sich Bernig wiederholt kritisch zur Einwanderungspolitik der Bundesregierung. In der Sächsischen Zeitung, die teils zu Gruner + Jahr, teils zur SPD-eigenen DDVG gehört, schrieb er erstmals öffentlich im Gastbeitrag „Zorn allenthalben“ seine Kritik an der Grenzöffnung nieder, die er auch als „nach Deutschland gelenkte Massenmigration“ und „massenhaftes Hereinwinken“ bezeichnet. Damit sei beabsichtigt, zunächst „die Generation der hier ansässigen 20- bis 30-Jährigen grundlegend zu verändern“, mit den entsprechenden Folgen für die deutsche Kultur.


Er wagte auch anzumerken, dass mit den Neuankömmlingen auch die Konflikte fremder Kulturen und inkompatible Frauenbilder importiert würden. Während bei den Lesern der Text auf überwiegende Zustimmung stieß, urteilte der Spiegel 2016, Bernig „fremdelt mit seinem Land, den Politikern, den Medien und dem Kulturbetrieb“. Den Autor störe wohl „eine vermeintliche Political Correctness“. In einem Streitgespräch in der Dresdner Kreuzkirche forderte der Radebeuler zu mehr Respekt auf und sagte: Nicht jeder Asylkritiker sei ein Rassist, nicht jeder Journalist ein Lügner.


2016 hielt er die Kamenzer Lessing-Rede. Darin lobte Jörg Bernig das Engagement vieler Flüchtlingshelfer und wandte sich zugleich gegen „die Systemverantwortlichen in Deutschland und ihr ignorantes und herablassendes Agieren dem Volk gegenüber“. Dies kulminiere in der „Selbstherrlichkeit einer Bundeskanzlerin, die gleich einem Feudalherrscher agiert und regiert“ und aus dem gleichen „Brunnen des Bösen“ schöpfe wie die totalitären Denkformen des 20. Jahrhunderts. „Das politische Milieu und das die veröffentlichte Meinung hervorbringende und – wie es in der Migrationskrise nur zu deutlich zutage tritt – steuernde journalistische Milieu“, so Bernig in seiner Rede, „sind in einer ideologischen Kernschmelze eine Verbindung eingegangen“. Dieses „konzertierte Agieren“ zeitige die Folge, „dass diese Akteure ein Klima geschaffen haben, in dem die Demokratie selbst angegriffen wird“ mit dem Ziel der „Regulierung der Bevölkerung“.

Denn laut Bernig geht es „um totalen Umbau, um totale Umgestaltung. Womit ließe sich das wirkungsvoller erreichen als in der Umgestaltung dessen, was sich in einem historischen Überlieferungsfeld und Sinnzusammenhang als Volk bezeichnet?“ „Das Aussprechen dieser einfachen und offenkundigen Wahrheit reichte für sich genommen schon, um den Sächsischen Kulturbetrieb in ein zornig summendes Wespennest zu verwandeln und eine bislang hoch geachtete Persönlichkeit unter Generalverdacht zu stellen“, bilanziert Gruber, die keine realitätsbezogene Auseinandersetzung mit den Problemen eines Landes mehr erkennt, das immer mehr durch den Begriff der „Fassadendemokratie“ gekennzeichnet werden kann. Der MDR sendete zwar Bernigs Rede – so wie die Reden seiner Schriftstellerkollegen in der Veranstaltungsserie vor ihm. Die ARD-Anstalt verschob die Ausstrahlung am 7. Dezember 2016 allerdings ins Nachprogramm um 22.20 Uhr und versah sie mit dem distanzierenden Hinweis, sie gebe „ausschließlich die persönliche Meinung“ des Autors wieder.



politisch brisante Person


Entsprechend gab es neben dem Aufruhr der Kulturschaffenden auch eine politische Debatte um das Wahlergebnis. Dass es Aufregung um die Wahl gibt, könne er nachvollziehen, sagt Ulrich Reusch, Vorsitzender der CDU-Fraktion. Denn Bernig sei als Essayist ein streitbarer Geist, der sehr zugespitzt und pointiert formuliere. Für ihn sprächen seine persönliche Verbundenheit mit der Stadt, ebenso wie sein gesellschaftliches, kulturelles und literarisches Schaffen. „Ich habe keine Zweifel, dass er geeignet ist, diesen Kulturbetrieb administrativ zu führen“, so Reusch.


Die Radebeuler Opposition spricht dagegen von einer „unrühmlichen Zusammenarbeit von CDU und AfD“. Ihre Argumentation: Mit den neun Stimmen, die die CDU-Fraktion im Rat hat und den sechs Stimmen, über die die AfD im Radebeuler Stadtrat verfügt, sei schon der Löwenanteil der nötigen Stimmen für Bernigs Wahl zusammengekommen. Auch der Präsident der Sächsischen Akademie der Künste, Holk Freytag, sah Bernigs Wahl kritisch. Er sagte im Gespräch mit dem MDR, das Zustandekommen seiner Wahl zum Radebeuler Kulturamtsleiter sei „ein skandalöser Vorgang“. „Es ist mir völlig unverständlich, dass demokratische Parteien Bündnisse mit der AfD schließen.“


Zu behaupten, dass die AfD komplett für Bernig gestimmt habe, sei eine steile These, erklärt indessen deren Fraktionsvorsitzender René Hein. Er könne sich sogar vorstellen, dass es auch aus Reihen des Bürgerforums/Grüne Stimmen für Bernig gab, um Bürgermeister Bert Wendsche, der die andere Kandidatin favorisierte, eins auszuwischen. „Die Welle, welche die Wahl jetzt schlägt, finde ich widerlich. Das stellt das demokratische System infrage“, so Hein. Auch der Meißner Lokalchef der Sächsischen Zeitung, Peter Anderson, argumentierte so: „Bernig war bekanntermaßen nicht Wendsches Favorit. Weshalb sollten die Christdemokraten ihren OB und Reusch derart abwatschen? Woher wissen wir, ob nicht Stadträte aus anderen Fraktionen ein wie auch immer geartetes Interesse an der Wahl Bernigs hatten und haben?“


Der SPD-Ortsverein erklärt: „Wir wollen die Kulturschaffenden unserer Stadt nicht von jemandem vertreten sehen, der völkischem, nationalistischem und identitärem Gedankengut anhängt und es verbreitet.“ Ähnlich sieht es Linkenfraktionschef Daniel Borowitzki in der Sächsischen Zeitung: „Ich befürchte, dass mit dieser Entscheidung die Kulturlandschaft Radebeuls langfristig beschädigt ist. Die KünstlerInnen der Stadt werden nur schwer in der Lage sein, mit einer politisch so brisanten Person zusammenzuarbeiten.“ In ihrem Online-Artikel verlinkte die Süddeutsche Zeitung direkt auf Borowitzkis Webseite, die diesen nur leicht verklausulierten Boykottaufruf enthält. Die Statements ähneln fatal den Ergebenheitsadressen von DDR-Künstlern, die das Neue Deutschland aus Anlass des IX. SED-Parteitags am 22. November 1976 abdruckte. Unter der Überschrift „Überwältigende Zustimmung der Kulturschaffenden der DDR zur Politik von Partei und Regierung“ fanden sich Statements von Anna Seghers, Ludwig Renn oder Helmut Sakowski.


Inzwischen hat auch der Schriftstellerverband PEN den 56-Jährigen aufgefordert, „seine Position zu überdenken“. Das deutsche PEN-Zentrum wende sich „mit aller Schärfe gegen nationalistische Bewegungen, insbesondere gegen Positionen, wie sie AfD, Pegida und ähnliche Gruppierungen vertreten“, erklärte Präsidentin Regula Venske. Die Charta des Verbandes verpflichte jedes Mitglied, für das Ideal einer einigen Welt einzutreten. Rund 120 Menschen unterzeichneten einen offenen Protest-Brief gegen Bernigs Wahl. Anderson hält dagegen: „Warum soll sich eine sächsische Kleinstadt nicht einen Kulturamtsleiter leisten können, der mitunter quer denkt, während im Kabinett des Freistaates die Bündnisgrüne-Justizministerin Katja Meier sitzen darf, welche in ihrer Jugend zu Liedzeilen wie ‚Advent, Advent – ein Bulle brennt‘ munter den Bass zupfte?“


Auch der kulturpolitische Sprecher der Stuttgarter AfD-Landtagsfraktion, Dr. Rainer Balzer, hält Wendsches Vorgehen für politisch nicht tragbar. „Die Berufungsvoraussetzungen von Bernig sind erfüllt. Niemand kann ihm vorhalten, er biete nicht die Gewähr für das Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Das Grundgesetz gibt jedem Deutschen das Recht auf Zugang zu öffentlichen Ämtern. Ein gesundes demokratisches Staatswesen baut darauf, dass die öffentliche Verwaltung nicht als politischer Erbhof behandelt und im Sinne der politischen Korrektheit Stellen besetzt werden, sondern allein nach objektiven Kriterien nach dem Leistungsprinzip.“


Zugleich stören sich linke Politiker an Bernigs Veröffentlichungen im 'contrarian quarterly' (New York Times) „Tumult. Magazin für Konsensstörung“. Borowitzki hält Bernig auch vor, zu den Erstunterzeichnern der „Gemeinsamen Erklärung 2018“ zu gehören, die die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung in der Migration fordert. Sie sei, so Borowitzki, „verfasst von neurechten Szenegrößen wie Eva Herman, Thilo Sarrazin, Max Otte und Götz Kubitschek“. Bei dieser Behauptung „handelt es sich um frei erfundenen Nonsens, der offenbar dazu dienen soll, Bernig mit Kubitschek in einen Topf zu rühren“, erklärt Dirk Schwarzenberg auf Tichys Einblick trocken.


Außerdem, empört sich Borowitzki, habe Bernig einmal einen Gastbeitrag für das Magazin „Sezession“ geschrieben. Dieses Magazins werde geleitet von Götz Kubitschek, und dessen „Institut für Staatspolitik“ wiederum werde „seit kurzem vom Verfassungsschutz beobachtet“. Das ist unkorrekt; der Verfassungsschutz führt das Institut als Verdachts- und nicht als Beobachtungsfall. Und anders als die frisch gewählte Schweriner Verfassungsrichterin Borchardt gehört Bernig dadurch keiner extremistischen Plattform an, noch nicht einmal einer radikalen. Auch in seinen Texten findet sich nichts Extremistisches.



„keine hinreichenden Mehrheiten mehr“


Denn genau diese zweite Personalie lässt die Debatte um Bernig so unfassbar falsch, heuchlerisch, ja absurd erscheinen: In Mecklenburg-Vorpommern wurde Tage zuvor die Linkspartei-Politikerin Barbara Borchardt trotz ihrer Mitgliedschaft in der als extremistisch eingestuften Parteiplattform „Antikapitalistische Linke“ und ihrer langen SED-Karriere zur Richterin am Landesverfassungsgericht gewählt – mit Stimmen der CDU. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte ntv, die Wahl von Borchardt schade dem Ansehen des Verfassungsgerichts. Der Fall müsse intern in den Landesverbänden der beiden Regierungsparteien aufgearbeitet werden. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor führte den Vorgang auf politische Polarisierung zurück. Die Wahl sei „das bittere Resultat des Umstands, dass es im Landtag keine hinreichenden Mehrheiten mehr jenseits der extremen linken und rechten Vereinfacher gibt“, sagte Amthor, der sich um den CDU-Landesvorsitz in Mecklenburg-Vorpommern bewirbt.


Auch der Generalsekretär der CSU, Markus Blume, kritisierte die Wahl Borchardts. Er schrieb bei Twitter: „Wer Verfassungsfeind ist, kann kein Hüter der Verfassung sein - das ist schizophren. Der aus Mecklenburg-Vorpommern stammende CDU-Bundestagsabgeordnete Eckhardt Rehberg sagte hingegen: „Die Besetzung des Landesverfassungsgerichts ist als Gesamtpaket zu sehen. Dazu war eine Zweidrittelmehrheit im Landtag aus SPD, CDU und Linken nötig.“ FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg bezeichnete es als fatales Signal, dass Borchardt „statt juristischer Kompetenz und Erfahrung eine Kader-Karriere in der SED“ mitbringe. „Mit Frau Borchardt wird zum ersten Mal eine Kandidatin zur Verfassungsrichterin, die sich in einer als verfassungsfeindlich angesehenen Bewegung engagiert“, sagte sie der Welt.


Die AfD benannte das Vorgehen der Christdemokraten als das, was es war: Scheinheilig. „Die Wahl Borchardts mit den Stimmen der CDU war ein Tabubruch und ein Tiefpunkt in der Geschichte des Landes“, sagte Landeschef Leif-Erik Holm. Der Jenaer Verfassungsrechtler Michael Brenner reagierte ebenfalls empört. „Wenn jemand Verfassungsrichter ist, muss man erwarten, dass er fest auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Wenn jemand einen Systemwechsel will, ist das nicht gegeben“, sagte er dpa. „Artikel 14 des Grundgesetzes sichert das Privateigentum“, betonte Brenner. Es sei die Grundlage der sozialen Marktwirtschaft. Wenn Borchardt das ablehne, stelle sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung infrage und sei als Verfassungsrichterin untragbar.


Viele Medien berichteten nur zögerlich und gaben Borchardt selbst und ihren Verteidigern bei der SPD viel Raum. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Philipp da Cunha (SPD), sagte der Zeit, er habe keine Zweifel an der persönlichen Eignung Borchardts für dieses Amt. Dass sie Mitglied der „antikapitalistischen Linken“ sei, habe er nicht gewusst. Er kenne Borchardt seit 2008, sagt da Cunha. „Als jemand, der das System stürzen will, ist sie mir nicht aufgefallen.“ „Mit der Wahl Bernigs, der die Demokratie nicht zugunsten einer sozialistischen Diktatur beseitigen will, aber eben die Migrationspolitik der Regierung Merkel und die etablierten Medien kritisiert, wollen sich die linken Parteien in Sachsen offenbar nicht abfinden“, empört sich Schwarzenberg.


Jürgen Mladek kommentierte im Nordkurier mit Blick auf die CDU bissig, dass es bei der Auswahl von Verfassungsrichtern schon lange nicht mehr um die Auswahl der klügsten und geeignetsten Köpfe geht. Immerhin wurde Parteifreund Stephan Harbarth zum neuen Vorsitzenden des Bundesverfassungsgerichts gemachte, der als Ex-Bundestagsabgeordneter darüber entscheiden darf, ob Gesetze, die er selbst mit bestimmte, verfassungsgemäß sind. „Aber dann sollte man den Zeigefinger Richtung Ungarn und Polen vielleicht nicht ganz so hoch erheben“, denn gegenüber diesen Ländern werde regelmäßig der Vorwurf erhoben, dass die Regierungsparteien maßgeblichen Einfluss auf die Besetzung der höchsten Gerichte nähmen.


Haften bleibt, dass einerseits linke Parteien mit der CDU eine Extremistin als Verfassungsrichterin durchwinkten, was kaum ernsthafte Reaktionen nach sich zog. Die auf CDU-Initiative erfolgte Wahl eines nichtlinken Schriftstellers zum Kulturamtschef in Sachsen wird andererseits zum Skandal hochgeschrieben von einem Polit- und Medienorchester, das nicht ansatzweise über den intellektuellen Horizont von Jörg Bernig verfügt, und soll nun gar rückabgewickelt werden. Bernig selbst hatte auf Nachfrage der Sächsischen Zeitung übrigens geantwortet: „Ja, ich nehme die Wahl an und freue mich darauf.“ Zwei Tage später war die Annahme Makulatur. Für die erneute Wahl des Kulturamtsleiters wird es eine Sondersitzung geben, teilte die Stadtverwaltung unterdessen mit. Die Wahl soll dann einziger Tagesordnungspunkt sein. Ein Termin für die wiederum nichtöffentliche Sitzung steht den Angaben zufolge noch nicht fest. Wie die Neuabstimmung ausgeht, darauf will sich in Radebeul niemand festlegen.



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Über den Autor:

Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.



 

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