Thomas Hartung: TRIUMPH DER PRESSEFREIHEIT
- 25. Juni
- 6 Min. Lesezeit
Das Bundesverwaltungsgericht hat Nancy Faesers Compact-Verbot kassiert. Das ist ein gutes Zeichen. Ein schlechtes aber ist zugleich, dass es überhaupt so weit kommen konnte.
Die moderne Demokratie ist ein gefährdetes Gebilde – nicht durch Umsturz, sondern durch Verrechtlichung. Was sich als Verteidigung gegen „Extremismus“ ausgibt, dient allzu oft der Verengung des legitimen Meinungsraums. Der Umgang des Staates mit oppositionellen Medien wie dem Compact-Magazin zeigt, wie leicht sich der demokratische Rechtsstaat in einen legalistischen Meinungshüter verwandelt. Dass das Bundesverwaltungsgericht diesem Kurs nun eine Grenze gezogen hat, ist mehr als ein juristischer Vorgang: Es ist ein symbolischer Einspruch gegen die Politisierung der Rechtsordnung im Namen der „wehrhaften Demokratie“.
Was hier verteidigt wurde, ist nicht ein Magazin, sondern die Idee, dass Dissens – auch schroffer, polemischer, missliebiger Dissens – nicht durch administrative Kniffe neutralisiert werden darf. Das Urteil vom 24. Juni 2025 ist ein Lehrstück über staatliche Mäßigung, eine späte, aber entschiedene Rückbesinnung auf das Primat der Freiheit gegenüber der Komfortzone politischer Mehrheiten. Es markiert einen Wendepunkt in der neueren Geschichte der deutschen Öffentlichkeit: nämlich einen Sieg für die Rechtsstaatlichkeit, der nicht nur die Redaktion um Jürgen Elsässer, sondern die Idee freier Meinungsäußerung überhaupt schützt – gerade auch dort, wo sie missfällt.

In einer Zeit, in der politische Machtapparate dazu tendieren, Kritik durch administrative Sanktion zu bändigen, erhebt sich dieses Urteil wie ein Fanal gegen die schleichende Erosion demokratischer Prinzipien. Der Vorsitzende Richter Ingo Kraft formulierte es mit beinahe klassischer Liberalität: „Das Grundgesetz garantiert selbst den Feinden der Freiheit die Meinungs- und Pressefreiheit.“ Die Richter stellten fest, dass die polemischen und zugespitzten Äußerungen des Magazins zwar an der Grenze des Erträglichen operieren, diese Grenze jedoch nicht überschreiten. Ein Verbot wäre nur gerechtfertigt, wenn verfassungsfeindliche Inhalte das Gesamtangebot des Magazins prägen würden – eine Schwelle, die laut Gericht „noch“ nicht erreicht sei. Diese Argumentation ist ein juristisches Meisterwerk, das die Prinzipien einer wehrhaften Demokratie mit der unerschütterlichen Verteidigung der Meinungsfreiheit versöhnt.
Das von Innenministerin Nancy Faeser im Juli 2024 erlassene Verbot – für den Oldenburger Staatsrechtler Volker Boehme-Neßler im Cicero eine „Nacht- und Nebelaktion” – hatte signalhaften Charakter. Es zielte weniger auf eine konkrete Gefährdungslage als auf die Markierung politischer Dissidenz als staatsfeindlich. Die Begründung – das Magazin verbreite „antisemitische, rassistische, minderheitenfeindliche, geschichtsrevisionistische und verschwörungstheoretische Inhalte“ – war ein Katalog ideologischer Zuschreibungen, die mehr über die Weltsicht des Apparats als über das Verhalten des Objekts aussagen. Die Verknüpfung kritischer Begriffe wie „Remigration“ mit einem repressiven Maßnahmenkatalog war Ausdruck einer Strategie: die Verschmelzung von inhaltlicher Abweichung mit institutionellem Delikt. Diese Begründung offenbarte eine gefährliche Neigung, politische Kritik mit Verfassungsfeindlichkeit gleichzusetzen.
Zwischen Medienkritik und Machtwahrung
Die Entscheidung des Gerichts machte deutlich, dass die Grenze zwischen legitimer Provokation und verfassungswidriger Agitation nicht nach politischem Geschmack, sondern nur nach objektiver Maßgabe gezogen werden kann. „Verboten werden darf nicht, was missfällt, sondern nur, was das Ganze gefährdet“, kommentierte Boehme-Neßler im DLF. Und der frühere BGH-Richter Thomas Fischer wies im selben Sender darauf hin, dass „der Maßstab nicht das Empörungspotenzial in Redaktionen, sondern allein die Rechtsordnung“ sein dürfe.
Juristen wie Benjamin Lück von der Gesellschaft für Freiheitsrechte unterstreichen auf LTO: „Freie geistige Auseinandersetzungen sind die wirksamste Waffe gegen totalitäre Ideologien.“ Ebenso betonte Boehme-Neßler im RBB: „Ohne Pressefreiheit gibt es keine Demokratie.“ Diese klaren Aussagen untermauern die Überzeugung, dass die Meinungsfreiheit nicht selektiv gewährt werden darf, selbst wenn die Inhalte „unerträglich, hetzerisch und dumm“ erscheinen mögen. Das Verbot war ein Akt politischer Hybris, der die Grenzen staatlicher Macht überschritt. Interessanterweise kamen warnende Stimmen nicht nur von konservativer Seite. Der Deutsche Journalistenverband nannte das Verbot einen „politischen Schnellschuss“, die Medienrechtlerin Tanja Gönner sprach im DLF von einem „gefährlichen Präzedenzfall“, und selbst der linksliberale Kommentator Jochen Bittner warnte in der Zeit vor einem „Verlust an liberaler Selbstbeherrschung“.
Die Compact-Entscheidung lässt sich auch als ein Lehrstück über das Verhältnis zwischen Medien und Macht lesen. Der Versuch, ein missliebiges Organ durch das Vereinsrecht zu liquidieren, war ein Musterfall institutioneller Repression unter semantischer Tarnung. In diesem Kontext sei an die Rolle etablierter Journalisten erinnert, die weniger als Analysten denn als ideologische Zensoren auftreten. Alan Posener forderte bereits 2023 in der Welt ein „Verbot von Plattformen der Desinformation“, während Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung noch differenziert warnte: „Die Demokratie ist wehrhaft – sie darf aber nicht rachsüchtig sein.“ Diese Differenz droht verloren zu gehen.
„Die Pressefreiheit gilt nicht nur für Zeitungen, die Noch-Innenministerin Faeser geschmackvoll findet“, betonte einst Martin Vincentz von der AfD-Fraktion NRW. Diese Aussage trifft den Kern: Die selektive Anwendung von Grundrechten droht, die Demokratie in eine gelenkte Einheitspresse zu verwandeln, in der nur die genehme Meinung geduldet wird. Dass mit Ulrich Vosgerau ein Verfassungsrechtler die Verteidigung von Compact übernahm, der auch als juristischer Berater der AfD auftritt, illustriert die Verwischung der Trennlinien zwischen juristischer Rationalität und politischer Kontamination: Nicht die Argumente zählen, sondern die Assoziationen. Und doch machte Vosgerau zu Recht geltend, dass selbst der Ruf nach einer „Revolution“ – so unsinnig er sein mag – vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit gedeckt ist.
Die semantischen Operationen des Innenministeriums legen offen, wie sich der politische Diskurs in eine Zone des Verdachts verlagert hat. Begriffe wie „völkisch“ oder „identitär“ werden nicht mehr analytisch, sondern apotropäisch gebraucht – als Bannworte, die nicht klären, sondern verdammen sollen. Der Staat agiert in diesem Kontext nicht mehr als neutraler Garant der Ordnung, sondern als kulturkämpferischer Akteur. Aber ein „Denken in Verboten ist dem Grundgesetz fremd”, bilanzierte Boehme-Neßler im Cicero.
Die Verrechtlichung der Dissidenz
Das Urteil hat Implikationen weit über den konkreten Fall hinaus. Es stellt einen juristischen Schutzwall gegen die zunehmende Tendenz dar, politische Abweichung mit rechtlicher Illegalität zu verwechseln. Die wiederholte Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“, ihre mediale Delegitimierung, der Ruf nach Parteiverboten – all das ist Teil eines Mechanismus, der die Bandbreite des politischen Sagbaren immer weiter verengt.
Die Compact-Entscheidung macht deutlich, dass die Gerichte nicht bereit sind, sich diesem Trend kritiklos zu beugen. Sie erinnern den Staat daran, dass die Grundlagen des Gemeinwesens nicht durch moralische Mobilisierung, sondern durch rechtliche Maßstäbe zu verteidigen sind. Der Medienjournalist Stefan Niggemeier sprach im Spiegel von einem „Störgefühl“ angesichts des staatlichen Vorgehens – ein Ausdruck jener Unruhe, die in einer offenen Gesellschaft der Normalzustand sein sollte, nicht das Ziel staatlicher Eindämmung. Roland Tichy erkennt „ein Lehrstück darüber, wie Meinungsfreiheit auch dann gilt, wenn der Ton scharf, die Haltung unbequem oder die Aussage provokant ist”.
Die eigentliche Bedeutung des Urteils liegt in seinem affirmativen Bekenntnis zur Idee der Öffentlichkeit als Raum des Streits, nicht der Homogenität. Die Vorstellung, die Demokratie müsse sich durch Verbote gegen ihre Kritiker verteidigen, ist nicht neu – doch sie ist ein Irrtum. Der Philosoph Odo Marquard sprach einst von der „Unabschließbarkeit des Dissenses“ als Wesensmerkmal moderner Gesellschaften. Diese Unabschließbarkeit ist in Gefahr, wenn Regierungen glauben, durch administrative Mittel den Diskurs in geschlossene Bahnen lenken zu können. „Wer den Staat in die Rolle des Meinungswächters drängt, verlässt den Boden des Grundgesetzes”, meint Tichy: „Meinungsfreiheit ist kein Privileg für Wohlverhalten, sondern ein Abwehrrecht gegen staatliche Übergriffe. Es schützt nicht nur die bequeme, sondern vor allem die unbequeme Rede.”
Prüfstein für das demokratische Ethos
Da mutet es makaber an, dass der ach so konservative Freistaat Bayern just am Tag der Urteilsverkündung die AfD in sein Extremismus-Verzeichnis aufnahm. Die Liste umfasst mittlerweile 200 Organisationen, darunter Reichsbürger, Neonazis und Antifa-Gruppen – aber auch Terrorgruppen wie die Hisbollah oder Al-Qaida. Ein Blick auf die vom Generalbundesanwalt 2024 neu eingeleiteten Verfahren zeigt das Missverhältnis: 125 mit Bezug zu islamistischem Terror, 121 zum auslandsbezogenen Extremismus, acht zum Linksextremismus – und fünf zum Rechtsextremismus. Nur als Fakt: Die AfD kommt in Bayern laut Umfragen derzeit auf über 20 Prozent. „Kurz bevor die Sonne aufgeht, ist die Nacht am dunkelsten“, wusste Selma Lagerlöf. Wie wahr.
Für all jene, die an das Ideal des offenen Wortes glauben – gleich welcher politischen Richtung –, ist das Urteil ein Hoffnungsschimmer. Es zeigt, dass auch in Zeiten ideologischer Erregung die Institutionen des Rechtsstaats fähig sind, Maß und Mitte zu bewahren. Es ist ein Triumph nicht nur für ein Magazin, sondern für eine republikanische Kultur der Meinungsfreiheit, die mehr will als bloße Toleranz: nämlich den Ernstfall des Dissenses. In Zeiten, in denen das bloße Abweichen vom Konsens als Provokation gilt, ist es die Pflicht des Rechtsstaats, nicht Partei zu ergreifen – weder für das Sagbare noch gegen das Unerwünschte, sondern allein für das Recht, zu sagen.
Der Fall Compact ist mehr als ein juristischer Vorgang; er ist ein Prüfstein für das demokratische Ethos. Wer Freiheit nur dort duldet, wo sie sich gefällig macht, hat ihren Sinn bereits verraten. Dieses Urteil ist ein Rettungsanker für jene Reste republikanischen Denkens, die dem Verdacht widerstehen, Wahrheit sei eine Funktion politischer Hygiene. Es erinnert daran, dass der demokratische Streit nicht im Schutz vor Zumutungen besteht, sondern im Zumuten selbst. Die offene Gesellschaft verteidigt sich nicht durch Ausgrenzung, sondern durch Argument – oder sie verteidigt sich gar nicht.
*
Über den Autor: Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.
Hier können Sie TUMULT abonnieren.
Für Einzelbestellungen klicken Sie bitte hier.


