Thomas Hartung: VOM STAATSDIENER ZUM VERDACHTSFALL
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Mit Gesinnungsprüfungen, Chatkontrolle und AfD-Ausschluss säubert Rheinland-Pfalz politisch den öffentlichen Dienst. Es drohen Gesinnungsdisziplinarrecht und Berufsverbot. Und Sachsen zieht mit.
Der deutsche Beamte, dieser vielbeschworene „Diener des Staates“, erlebt in Rheinland-Pfalz gerade die Verwandlung seines Dienstherrn in einen misstrauischen Aufseher über seine innersten Haltungen. Was das Schreiben des Präsidenten des Pfälzischen Oberlandesgerichts und der Generalstaatsanwaltschaft Zweibrücken – überschrieben mit dem bezeichnenden Titel „Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst – Verhalten in sozialen Medien und Messenger-Chatgruppen“ – entfaltet, ist weniger eine schlichte Belehrung als eine Programmschrift für ein deutsches Gesinnungsdisziplinarrecht des 21. Jahrhunderts.

Beamte und Angestellte sollen nicht nur an ihre Treuepflicht erinnert werden; ihnen wird eröffnet, dass bereits das „passive Hinnehmen“ vermeintlich „menschenfeindlicher“ oder „rassistischer“ Inhalte in Chatgruppen Zweifel an der Verfassungstreue begründen und den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen könne. Das ist nichts weniger als der Versuch, im Schatten des Beamtenrechts eine allgemeine Distanzierungspflicht zu etablieren – und zwar nicht gegenüber klar definierten Straftaten, sondern gegenüber höchst vagen politischen Etiketten.
Juristisch betrachtet ist bereits die Begriffswahl ein Fanal. „Menschenfeindlich“, „rassistisch“, „den Nationalsozialismus verherrlichend“ oder „sonst mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht in Einklang stehend“ – das sind keine legaldefinierten Tatbestandsmerkmale, sondern Gummiwörter, die im politischen Tageskampf mit beliebigen Bedeutungen gefüllt werden können. Es gehört zu den zivilisatorischen Kernleistungen des Rechtsstaats, dass Menschen wissen können, wann eine Norm greift: Bestimmtheitsgebot, Rechtsklarheit, Vorhersehbarkeit.
Der Beamte, dem nun mit disziplinarrechtlichen Maßnahmen gedroht wird, weil er möglicherweise „menschenfeindliche Inhalte passiv hinnimmt“, hat keine Chance, im Vorfeld zu erkennen, was genau ihm zur Last gelegt werden könnte. Er soll sich in einer Art Dauer-Selbstzensur einrichten, weil alles, was auch nur entfernt in die Nähe des politisch Stigmatisierten gerückt werden kann, als Risiko für seine berufliche Existenz erscheint.
Formelhafte Joker
Das Schreiben macht deutlich, dass nicht nur aktives Versenden oder positives Kommentieren solcher Inhalte als Verletzung der Treuepflicht angesehen wird, sondern ausdrücklich auch das schlichte Dabeisein: das bloße Verbleiben in einer Chatgruppe, in der etwas geschrieben wird, das eine politische Instanz später als „menschenfeindlich“ etikettiert. Hier wird das klassische Prinzip individueller Verantwortlichkeit in sein Gegenteil verkehrt. Nicht mehr das eigene Tun ist maßgeblich, sondern der Umstand, dass man nicht demonstrativ aufsteht, nicht austritt, nicht anzeigt, nicht den moralischen Blockwart gibt. Die Logik der Kontaktschuld wird so ins beamtenrechtliche Pflichtenheft eingeschrieben.
Unter dem Deckmantel der „Pflicht zur Verfassungstreue“ etabliert sich ein System der Gesinnungsüberwachung, das sich gerade dadurch auszeichnet, dass es nicht mehr an klar justiziable Grenzen gebunden ist. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung, ursprünglich eine Schutzkategorie gegen die Wiederkehr totalitärer Herrschaft, wird zum formelhaften Joker, mit dem jede Abweichung vom politisch Gewünschten sanktionierbar gemacht werden kann.
Wer definiert, was „menschenfeindlich“ ist? Wer entscheidet, ob eine scharfe Kritik an Masseneinwanderung, Genderpolitik oder der Rolle des Islam in Deutschland noch als zulässige politische Meinung und damit von der Meinungsfreiheit geschützt ist – oder bereits als „menschenfeindlich“ im Sinne der neuen Lehrschreiben? Man braucht nicht viel Phantasie, um zu ahnen, dass es dieselben Akteure sind, die eine bestimmte Oppositionspartei zum „gesicherten Extremismus“ erklären und deren bloße Mitgliedschaft zur beruflichen Hypothek machen.
Private Kommunikation unter Generalverdacht
Die Konstruktion des „passiven Hinnehmens“ als beamtenrechtliches Problem bedeutet, dass der Staat einen Anspruch auf demonstrative innere Distanz formuliert: Schweigen ist Verdachtsmoment, Neutralität wird zum Makel. Der Beamte soll nicht etwa in seiner Freizeit ein Staatsbürger mit Grundrechten sein, der sich in privaten Kommunikationsräumen bewegt – er soll ein rund um die Uhr zu erziehendes Subjekt sein, das seine Loyalität permanent performativ unter Beweis stellt.
Wer schweigt, macht sich verdächtig. Wer nur liest, statt zu widersprechen, riskiert seine Karriere.
Das ist, juristisch betrachtet, ein fundamentaler Angriff auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit und die Sphäre privater Kommunikation, die gerade im digitalen Zeitalter zusätzliche Schutzbedürftigkeit hat. Die Freiheit umfasst nicht nur das laute Wort, sondern auch das Recht, sich zu informieren, Dinge zu lesen, sich eine Meinung zu bilden – und zwar ohne staatlichen Beobachtungsschatten.
Es ist kein Zufall, dass das Schreiben ausgerechnet den Bereich sozialer Medien und Messenger-Dienste adressiert. Hier verschwimmen dienstliche und private Sphären; hier entsteht das, was die politisch-administrative Klasse seit Jahren als „Problemraum“ ausgemacht hat: halbprivate Räume, in denen sich Unmut, Ironie, Wut, berechtigte Kritik und auch Grenzüberschreitungen mischen.
Statt diese Sphäre so weit wie möglich durch klare, enge strafrechtliche Grenzen zu definieren – etwa dort, wo Volksverhetzung, Bedrohung oder Beleidigung im strafrechtlichen Sinn vorliegen –, versucht man nun, einen überweiten disziplinarischen Aufsichtsbereich zu eröffnen. Das Disziplinarrecht, das als dienendes Rechtsgebiet an die Verfassung gebunden ist, droht so zum Experimentierfeld einer neuen Moralordnung zu werden.
Gesteigerte Pflicht zur Verfassungstreue
Hinzu kommt, dass die Drohung nicht im luftleeren Raum steht. Rheinland-Pfalz hatte bereits versucht, einen Einstellungsstopp für Beamte mit bestimmtem Parteibuch durchzusetzen, nachdem der betreffende Bundesverband vom Inlandsgeheimdienst hochgestuft worden war. Nach massiver Kritik von Staatsrechtlern und Medien musste das Innenministerium inzwischen zwar öffentlich zurückrudern und betonen, AfD-Mitglieder würden nicht pauschal vom Staatsdienst ausgeschlossen, sondern im Einzelfall geprüft. Am politischen Signalcharakter der Maßnahme ändert das wenig: Wer sich mit dem falschen Parteibuch bewirbt, weiß, dass er unter Generalverdacht steht.
Umgesetzt wurde der ursprüngliche Plan eines offenen Berufsverbots nicht; stattdessen wurde eine „Demokratie-Erklärung“ eingeführt, nach der Bewerber versichern müssen, keiner „extremistischen Organisation“ anzugehören oder in den letzten fünf Jahren angehört zu haben – eine Konstruktion, die in der Praxis offenkundig gegen oppositionelle Bewerber gerichtet ist und auf einer vom Verfassungsschutz geführten Liste basiert, in der die AfD explizit aufgeführt wird.
Wie brisant dieses Instrument ist, zeigte jüngst der Fall der Verbandsgemeinde Nieder-Olm. Dort sollten Bewerber für die Bürgermeisterwahl eine „Belehrung über die gesteigerte Pflicht zur Verfassungstreue“ unterschreiben, die faktisch verlangte, kein Mitglied einer in der Verfassungsschutzliste geführten „extremistischen Organisation“ – also auch nicht der AfD – zu sein. Nach Berichterstattung und öffentlicher Kritik musste die Gemeinde die entsprechende Zeile aus ihrer Bewerber-Checkliste löschen; der Passus verschwand von der offiziellen Übersicht für Wahlbewerber. Die Belehrung selbst, einschließlich Liste mit der AfD, blieb jedoch auf der eigens für die Wahl eingerichteten Unterseite verborgen abrufbar.
Damit ist der Versuch, AfD-Kandidaten bereits vor der Wahl auszusieben, nicht verschwunden, sondern nur eine Stufe tiefer gelegt – weg aus der sichtbaren Checkliste, hinein in eine ministerielle Verwaltungsvorschrift, die später beim Amtsantritt als beamtenrechtliche Hürde eingesetzt werden kann. Die Botschaft an den Wähler lautet: Ihr dürft zwar wählen, aber wir behalten uns vor, dem Gewählten den Zugang zum Amt durch Belehrungs- und Gesinnungsformulare zu verwehren.
Die Konstruktion wird mittlerweile gar genutzt, um diese Bewerber von Bürgermeisterwahlen oder kommunalen Spitzenämtern fernzuhalten. In Ludwigshafen wurde der AfD-Kandidat Joachim Paul unter Berufung auf Zweifel an seiner Verfassungstreue von der Oberbürgermeisterwahl ausgeschlossen; der Verfassungsgerichtshof ließ den Ausschluss bestehen. Das neue Schreiben zu „menschenfeindlichen Inhalten“ ist deshalb nicht bloß eine theoretische Belehrung, sondern fügt sich in ein kohärentes Muster: Der öffentliche Dienst wird als Filter- und Druckinstrument genutzt, um unerwünschte politische Strömungen nicht nur argumentativ, sondern sozial und beruflich zu isolieren.
Vom Distanzierungszwang zum offenen Berufsverbot
Noch deutlicher tritt diese Entwicklung im Fall Sachsens zutage. Dort will die CDU(!)-Justizministerin Constanze Geiert die Rechtslage so verändern lassen, dass Bewerber mit angeblich „extremistischem Hintergrund“ künftig grundsätzlich vom juristischen Staatsdienst ausgeschlossen werden können. Anlass ist ein Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Bautzen, das den Freistaat verpflichtete, einen rechten Aktivisten zum Rechtsreferendariat zuzulassen. Der Mann war zuvor unter anderem in einer Jungen-Alternative-Gliederung und in einer patriotischen Bürgerinitiative engagiert, ohne dass ihm strafbares Verhalten vorgeworfen werden könnte.
Nach der bisherigen Linie des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs reicht bloße, wenn auch zugespitzte Systemkritik nicht aus, um den Zugang zum Referendariat zu sperren; erforderlich wäre die strafbare Bekämpfung der freiheitlichen Ordnung. Genau das passt der Ministerin nicht: Sie kündigt eine abstrakte Normenkontrolle in Karlsruhe an und preist die strengere Thüringer Linie als Vorbild, nach der „Extremisten“ schon aufgrund ihrer vermeintlichen politischen Gefährlichkeit vom Vorbereitungsdienst ferngehalten werden können.
Damit wird offen vollzogen, was in Rheinland-Pfalz noch als Disziplinardrohung im Halbdunkel der Chatgruppen daherkommt: die Wiederkehr des Berufsverbots im Namen einer politisch definierten „Eignung“. Aus der verfassungsrechtlichen Dreifaltigkeit von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung wird ein politischer Läuterungsnachweis, den sich vor allem „Rechte“ gefallen lassen sollen.
Kritiker wie der rechtspolitische Sprecher der sächsischen AfD-Fraktion, Dr. Volker Dringenberg MdL, sprechen zu Recht von einem Angriff auf Grundrechte und einem Berufsverbot auf Basis von Gesinnungsprüfungen – und erinnern daran, dass die juristische Ausbildung nicht nur Richter und Staatsanwälte, sondern auch Rechtsanwälte betrifft, mithin also den Zugang zu ganzen Berufsfeldern. Wenn parallel in der Innenpolitik ein „Gesinnungs-TÜV“ für Polizisten und Warnungen vor künftig betroffenen Lehrern und Ärzten die Runde machen, zeigt sich nur, wie konsequent der Staat beginnt, ganze Professionen moralisch zu säubern, statt sie rechtlich zu binden.
Der Beamte als Sicherheitsrisiko
Rechtsintellektuell betrachtet verschiebt sich hier der Charakter des Beamtenverhältnisses. Die Treuepflicht des Beamten war nie als Blankoscheck für die Gesinnungspolizei gedacht. Sie zielte auf die Loyalität zur Verfassung, nicht auf Unterwerfung unter die jeweils aktuelle Regierungsdoktrin. Die Pflicht, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu achten, bedeutet gerade nicht, sich jede exekutive Deutung dieser Grundordnung zu eigen zu machen.
In dem Moment, in dem Innenbehörden, Verfassungsschutzämter und dienstliche Spitzenbeamte definieren, was „extremistisch“, „menschenfeindlich“ oder „verfassungsfeindlich“ zu sein habe, und diese Definitionen dann beamten- und berufsrechtlich abgesichert werden, verwandelt sich die verfassungsrechtlich garantierte Ordnung in ein politisches Herrschaftsinstrument. Der Beamte wird nicht mehr an einen abstrakten Verfassungstext gebunden, sondern an die jeweils konkrete Lesart einer bestimmten politischen Klasse.
Das rheinland-pfälzische Schreiben sagt diese Verschiebung im Grunde offen: Es warnt, dass sogar ein Verhalten, das „noch keinen Verstoß gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ darstellt, gleichwohl beamten- oder arbeitsrechtliche Folgen haben könne. Damit ist das Bekenntnis zum Präventivdisziplinarrecht ausgesprochen. Nicht mehr das konkrete, justiziable Fehlverhalten soll sanktioniert werden, sondern das Risiko, das in einer bestimmten Haltung oder einem bestimmten Kommunikationsumfeld vermutet (!) wird. Orwells „Gedankenverbrechen“ werden real.
Der Beamte wird zum Sicherheitsproblem, nicht wegen dem, was er tut, sondern wegen dem, was aus dem werden könnte (!), was er liest, duldet, hinnimmt. Ein solches Denken bewegt sich gefährlich nah an jener Feindstrafrechtslogik, die einige Strafrechtler als theoretischen Grenzbegriff eingeführt haben: die Unterscheidung zwischen Bürger und Feind, der nicht wegen konkreter Taten, sondern wegen seiner ihm zugeschriebenen (!) Gefährlichkeit behandelt wird.
Dem Verfasser als lediglich Laienjurist stellt sich die Frage, wie solche Maßnahmen vor einem ernstzunehmenden Gericht Bestand haben sollen. Die Anforderungen der Verhältnismäßigkeit, die Schutzdimension der Grundrechte, das Verbot objektiver Berufszugangsbarrieren – all dies wird ausgehöhlt, wenn schon der Verdacht einer Gesinnungsabweichung ausreicht, um Berufskarrieren im öffentlichen Dienst zu zerstören.
Man stelle sich die Verhandlung vor: Ein Beamter sitzt vor einer Disziplinarkammer, weil er in einer Chatgruppe war, in der jemand einen überspitzten Kommentar zur Migrationspolitik geschrieben hat. Er hat nicht reagiert, nicht gelöscht, nicht angezeigt. Nun muss er darlegen, warum seine unterlassene Distanzierung kein Indiz für mangelnde Verfassungstreue sei. Die Beweislast hat sich faktisch umgekehrt: Nicht der Dienstherr muss zeigen, dass der Beamte das Recht bricht; der Beamte muss demonstrieren, dass er innerlich auf Linie ist. Das ist eine Revolution.
Wehrhafte Demokratie oder neuer Standesstaat?
Besonders perfide ist, dass der Staat sich damit selbst aus seiner Neutralitätspflicht hinauskatapultiert. Die Verfassung garantiert den gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Wenn aber politische Gesinnungsprüfungen und Distanzierungsaufforderungen zum heimlichen vierten Kriterium erhoben werden, ist diese Neutralitätsverpflichtung verletzt: Der öffentliche Dienst wird zum belohnten Binnenraum der erwünschten politischen Haltung.
Der Rest – also all jene, die sich eine abweichende Meinung zu Migrationspolitik, Klimadogmatik, Gender-Ideologie oder Staatskonstruktion erlauben – wird an den Rand gedrängt oder präventiv ausgesiebt. Es entsteht eine neue Form des Standesstaats: nicht mehr der Adel, sondern das politisch-moralische Milieu entscheidet über Karrieren. Damit wäre eine linksgrüne Selbstreferenzialität eröffnet, die jeden neuen „Marsch durch die Institutionen“ von vornherein unterbindet.
Die politische Rhetorik beschönigt das mit der Vokabel „Demokratie“. Man verlange ja nichts anderes, als dass Beamte und angehende Juristen für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einträten. In Wahrheit aber wird die Demokratie hier gegen sich selbst gewendet. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung lebt nicht von der Homogenität der Überzeugungen, sondern von der garantierten Möglichkeit der Opposition, der radikalen Kritik, der scharfen, auch verletzenden Rede.
Ein Staat, der seine Beamten und Nachwuchsjuristen zu moralischen Mitläufern umerzieht, weil er Angst vor der eigenen Bevölkerung hat, verrät die Substanz dieser Ordnung. Er behandelt die freie Rede als Kontaminationsgefahr, die in geschlossenen Räumen – Chatgruppen, sozialen Netzwerken, Seminaren – besonders sorgfältig überwacht werden muss.
Rechtsintellektuelle Empörung ist hier nicht bloß ein Gefühl, sondern eine Pflicht der Vernunft. Wenn sich die Exekutive anmaßt, private Kommunikationsräume der Bürger in Dienstverhältnisse hineinzuziehen, Distanzierungsrituale zu erzwingen und zugleich den Zugang zu ganzen Professionen politisch umzudefinieren, ist das die Stunde der juristischen Kritik.
Man muss die Begriffe wieder scharf stellen: Verfassungstreue bedeutet Loyalität zu einem Text und seinen Institutionen, nicht zu einer parteipolitischen Auslegung; Meinungsfreiheit umfasst auch drastische, einseitige, ungerechte, ja törichte Positionen, solange sie die strafrechtlichen Grenzen nicht überschreiten; Beamten- und Berufspflichten dienen der Funktionsfähigkeit des Staates, nicht der ideologischen Gleichschaltung seiner Bediensteten. Es wäre Aufgabe der Gerichte, diesem schleichenden Gesinnungsregime klare Grenzen zu setzen.
Bis dahin aber bleibt der Beamte in Rheinland-Pfalz, der Referendar in Sachsen, der Lehrer, Polizist oder Arzt in ganz Deutschland mit der unerträglichen Zumutung zurück, in jeder Chatgruppe, in jedem Kommentarstrang, in jeder Bewerbungssituation nicht nur als Bürger zu sprechen, sondern als potenzieller Disziplinarfall zu schweigen oder zu widersprechen. Der Staat, der seine Bediensteten in solche Loyalitätsfallen treibt und ihnen die politische Eignung nur noch unter Vorbehalt zugesteht, zeigt vor allem eins: sein tiefes Misstrauen gegenüber der Freiheit, die er zu verteidigen vorgibt.
Über den Autor: Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.
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Beitragsbild von CDU, CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons


