Thomas Hartung: WIR IST DAS VOLK – WER SIND DAS VOLK?
- vor 10 Minuten
- 20 Min. Lesezeit
Vor allem am ethnischen Volksbegriff hat sich das westelbische Demokratieprekariat in seinem 1100seitigen AfD-Schlechtachten abgearbeitet. Das ist ahistorisch, pseudojuristisch und postsozial.

Michael Andrick beschreibt in der BZ ein „aktuelles deutsches Regime der selbsternannten ‚Parteien der demokratischen Mitte‘„, das – im Sinne der tatsächlichen Machtverhältnisse und Einflusspraktiken – auf vier Machtsäulen fußt: politische Willkür in der Justiz, Postenhoheit über Macht- und Einflusszentren (sprich die systematischen Besetzung aller wichtigen Behördenleitungen durch Loyalisten des Parteienkartells), Kontrolle des politischen Leitdiskurses (etwa über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk) und eine systematisch angstverbreitende Ideologie mit aktuell drei unrealistischen Dogmen. Diese Dogmen verbinden sich „zum Panorama eines permanenten Ausnahmezustands angeblich existenzieller Bedrohungen“ im Sinne unbestreitbarer Wahrheiten, die jeder „Demokrat“ anerkennen müsse: dass die Demokratie existenziell durch rechte Extremisten im Innern, das Land existenziell durch russische Expansionspläne im Äußeren und die Welt des Menschen im Ganzen durch eine selbstgemachte Klimakatastrophe bedroht sei.
Und die erste dieser „existenziellen Bedrohungen“ befeuerte nun das Bundesamt für Verfassungsschutz VS in einer „einem Staatsstreich gleichkommenden Schmierenkomödie“ (Lothar Krimmel), als es am 2. Mai nach mehrjähriger Prüfung bekanntgab, die AfD fortan als gesichert rechtsextremistische Bestrebung zu führen. Da das als Gutachten deklarierte Schlechtachten dazu nur an Spiegel und Bild durchgestochen und sowohl der Partei als auch erst recht den Bürgern vorenthalten wurde, schlugen die Wellen natürlich hoch. Einen „Skandal“ erkennt der Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler im Cicero: „Ein Geheimdienst mischt sich in den politischen Wettbewerb der Parteien ein, indem er eine Partei stigmatisiert. Wie er zu diesem Urteil kommt, belegt er nicht. Wie es sich für einen Geheimdienst gehört, hält er seine Unterlagen geheim. Von den Bürgern wird erwartet, dass sie dem Geheimdienst vertrauensvoll glauben. Das kennt man aus Diktaturen.“
„Weil sie sich selbst nicht mehr glauben, wollen sie verbieten, was sie im politischen Wettbewerb nicht bezwingen können“, meint Moritz Eichhorn in der BZ mit Blick auf die „Etablierten, allen voran die SPD“, der ja die weisungsbefugte Ex-Innenministerin Nancy Faeser angehört. Sie glauben nicht mehr, „dass sich die Rechten politisch schlagen lassen“. Man mag „unschöne Sprachschöpfungen wie die vom Verfassungsschutz aufgeführten ‚Messermigranten‘ aus Gründen der Diskussionskultur und des politischen Geschmacks scharf zurückweisen“, meint Andreas Rosenfelder in der WELT. „Aber sie als verfassungsfeindlich zu werten und damit aus dem Feld der Meinungsfreiheit zu verbannen, wirkt wie ein sprachpolitischer Versuch, das in den Nachrichten omnipräsente Phänomen migrantischer Messerattentäter ins Unsagbare zu verschieben.“
Auch für den parteilosen Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer sind Begriffe wie „Messermänner“ politische Zuspitzungen, aber kein Beleg für Rassismus: „Der Verfassungsschutz sitzt dem verbreiteten Irrtum auf, dass alles Rassismus sei, was Unterschiede im Verhalten mit der Herkunft in Verbindung bringt. Ist es nicht, diese Unterschiede gibt es“, schrieb er bei Facebook. In der Verfassung stehe außerdem eindeutig, wer sich alles nicht auf Asyl in Deutschland berufen kann: „Das war vor dem Ukrainekrieg die überwältigende Mehrheit der Asylbewerber. Wenn die Praxis so weit von der Verfassung abweicht, ist es nicht ganz so leicht, als verfassungsfeindlich einzustufen, das zurückzudrehen.“
Level eines taz-Volontärs
Für Rocco Burggraf ist das Bild der Demokratie gerade für Ostdeutsche so schlüssig wie erschreckend. „Wie in der Spätphase der DDR üblich“, schreibt er auf Facebook, hat sie sich nicht nur „eines Geflechts aus ideologisch besetzten, gleichgeschalteten Behörden, Medien, einer instrumentalisierten Justiz und eines Heeres staatstragender ‚zivilgesellschaftlicher‘ Organisationen“ bemächtigt, sondern auch „sämtliche dieser Apparate bis hin zur AfD inzwischen ganz offensichtlich mit tausenden Geheimdienstmitarbeitern bestückt, die nun in Personalunion nicht dem Allgemeinwohl oder dem Grundgesetz verpflichtet sind, sondern mit zweifelhaften, völlig intransparenten nachrichtendienstlichen Praktiken den politischen Machtapparat absichern und jegliche oppositionelle Tendenzen im Keim ersticken sollen. Ein einziger Albtraum für alle, die unter einem solchen System jahrelang gelitten haben.“
Der Cicero, der neben anderen Medien das geleakte Gutachten dann veröffentlichte, erklärte: „Wir glauben daran, dass Demokratie nicht ohne Transparenz und kritische Öffentlichkeit funktionieren kann. Und wir sprechen jedem Bürger das Recht zu, sich seine eigene Meinung zu bilden“. Laut dem Magazin gibt es keine relevanten geheimdienstlichen Quellen, die es durch eine Nichtveröffentlichung des Gutachtens zu schützen gelte. Der Verfassungsschutz verfüge in Sachen AfD im Grunde über keinerlei geheimdienstlich relevante Erkenntnisse. Er stütze sich fast ausschließlich auf öffentlich zugängliche Quellen. Die Gutachter hätten „ihr intellektuelles Basislager ungefähr auf dem Level eines taz- oder Zeit-Volontärs aufgeschlagen“, erregt sich Michael Klonovsky. Das Gutachten wirkt konfus, bizarr, unfreiwillig komisch, meint Alexander Wendt in der Weltwoche. „Eine Behörde, die so etwas fabriziert, hat ihre Daseinsberechtigung verspielt.“
Julian Reichelt bilanziert schließlich auf Nius, nachdem er alle öffentlich bekannten Äußerungen gelesen hat, die in dem geheimen Dossier über die AfD stehen: „Vieles davon ist böse überspitzt, manches ist geschmacklos, manches aggressiv, manches ist vollkommen zutreffend und harmlos, manches ist in anderer Wortwahl (‚Remigration‘) die erklärte Politik der alten und der neuen Bundesregierung (‚Abschiebung im großen Stil‘, ‚jede Woche Flieger‘).“ Nichts davon bewege „sich auch nur ansatzweise im Bereich der (gewaltbereiten) Verfassungsfeindlichkeit, vieles ist frustriertes Umgangsdeutsch, wie es von Millionen Menschen formuliert wird. Alles, was öffentlich bekannt ist, ist vollkommen eindeutig von der Meinungsfreiheit gedeckt.“ Auch Alexander Grau erkennt in der Weltwoche weder in den Programmen noch der Satzung der AfD etwas Rechtsextremes; das sei „verleumderisch“, ja „ein Anschlag auf die Demokratie.“
Drei Tage später klagte die AfD gegen die Hochstufung. Es sei nicht im Ansatz nachvollziehbar, heißt es in der 195 Seiten umfassenden Klageschrift, dass die AfD insgesamt eine „gesicherte rechtsextreme Bestrebung“ sein soll. Sowohl die Hochstufung vom Verdachtsfall, als auch die Bekanntgabe gegenüber der Öffentlichkeit seien daher „offensichtlich rechtswidrig“. Wegen der ausstehenden Gerichtsentscheidung bezeichnet das Bundesamt die AfD ab 8. Mai nicht mehr öffentlich als gesichert rechtsextremistische Bestrebung und beobachtet sie auch nicht dementsprechend. Der Inlandsnachrichtendienst gab im Rechtsstreit mit der AfD eine sogenannte Stillhaltezusage ab. Aber in diesen sechs Tagen kam natürlich eine Rufmordkampagne in Gang, die stark an die Hysterie nach den, wie man inzwischen gerichtsfest sagen darf, „dreckigen Lügen“ von Correctiv über das angebliche Potsdamer Geheimtreffen erinnerte: Wiederaufleben der Verbotsdiskussion, Normalisierungsstopp in den Parlamenten, und die Unsicherheit für Beamte, die einen Eid auf das Grundgesetz ablegen, oder andere öffentlich Bedienstete: beide kann die Mitgliedschaft in einer gesichert rechtsextremen Vereinigung unter bestimmten Umständen den Job kosten oder zumindest empfindliche Einschränkungen und Probleme bringen.
Die Fronten verhärten sich
Der Schritt habe nur den „Zweck, AfD-Wähler und Mitglieder einzuschüchtern. Angst wird geschürt – nicht von schicken Gangstern, sondern von unseren Politikern in stillosen Klamotten und mit miesen Manieren“, befindet der Epidemiologe Friedrich Pürner MdEP (BSW) auf X. „Dieses Gutachten ist der letzte verzweifelte Versuch, die AfD zu stoppen und eigene Macht und Prozente zu sichern. … AfD-Wähler und Mitglieder sollen geächtet werden, bis sich keiner mehr traut, offen für die Partei einzustehen. Das wahre Ziel dieser ach so tugendhaften Parteien ist klar: die totale gesellschaftliche Ausgrenzung der AfD und all ihrer Anhänger. Mit Demokratie hat das alles nichts mehr zu tun. … Und das Ergebnis? Die Gesellschaft wird endgültig in Stücke gerissen. Die Fronten verhärten sich. Die Unzufriedenheit und Wut auf Staat und Ausgrenzer werden drastisch steigen.“
In diesem Gutachten lassen sich sechs Themenkomplexe identifizieren, die anhand der Äußerung von rund 370 AfD-Politikern den gesicherten Rechtsextremismus beweisen sollen: Fremden- und Islamfeindlichkeit, demokratiefeindliche Bestrebungen, Relativierung des Nationalsozialismus, Radikalisierung der Parteispitze, antisemitische Chiffren und vor allem: ein ethnisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis. Da wandelt Harald Martenstein ja wohl auch nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes, wenn er in der Welt über die Wähler der Partei schreibt: „Diese Wähler wollen nichts anderes als das, was jedem Indianerstamm am Amazonas zugebilligt wird: Sie möchten ihre Identität behalten. Ihre Welt soll nicht untergehen, sondern für ihre Enkel bewahrt werden. Sie möchten sich nicht in einem globalistischen Einheitsbrei auflösen wie ein Stück Zucker im Kaffee. Franzosen wollen Franzosen bleiben, Italiener wollen Italiener bleiben und Polen Polen.“
Das Dossier sei allerdings zu mindestens 20 Prozent abgeschrieben worden: „Seitenweise wurden Gerichtsurteile paraphrasiert, immer nur eines nach dem anderen“, beklagt der österreichische Plagiatsjäger Stefan Weber auf seiner Webseite. Einen besonders heiklen Fall hat der Experte auf der Seite 803 des Gutachtens entdeckt. Dort schreibt der Inlandsgeheimdienst über Organisationen innerhalb der Partei. Der Absatz ohne Anführungszeichen ist jedoch keine Eigenleistung, sondern findet sich so fast wörtlich in einem Gerichtsurteil über – die Linke. Allerdings erwähnt dies der VS an der Stelle nicht. Weber bemängelt auch, dass eine „Definition von Begriffen, eigentlich Basis jedes Gutachtens“ überhaupt nicht stattfinde: „Die Leitvokabel ‚(gesichert) rechtsextrem(istisch)‘ wird einfach vorausgesetzt.“ Stattdessen handele es sich bei dem AfD-Gutachten um eine „große Copy und Paste-Abschreibübung“. Alles sei im Internet nachzulesen: „Die Wiedergabe in einem als ‚geheim‘ eingestuften Dokument ist eigentlich ein Witz.“
Der VS sucht als „Magd der Kartellparteien“ (Klonovsky) den Menschenwürde-Passus aus Artikel 1 GG als Hebel zu verwenden, um diejenigen zu Verfassungsfeinden zu erklären, die sich dagegen sträuben, dass Deutschland praktisch aller Welt als Siedlungsgebiet geöffnet bleibt, weil andernfalls die Menschenwürde sämtlicher Ankömmlinge verletzt werde, was besagter Artikel 1 verbiete. „Wer also Unterschiede zwischen Abstammungs-Deutschen und Neudeutschen, zwischen Bio-Deutschen und Beute-Deutschen, ja überhaupt zwischen Menschen deutscher Abstammung und anderen Menschen macht, aus dem wollen die Schlapphüte einen Verfassungsfeind kneten.“ Wenn man die Begründung des VS konsequent zu Ende denkt, müsste der Reichstag längst eingerüstet sein, um seine weltweit bekannte Inschrift zu entfernen.
„Man muss kein Einstein sein, um zu bemerken, dass ‚Volk‘ im Deutschen eine zweifache Bedeutung hat“, bringt Felix Perrefort den Trugschluss bei Nius auf den Punkt, „die von Staatsvolk (demos) und Volk (ethnos) im Sinne einer historisch-kulturellen Abstammungsgemeinschaft.“ Weil Sprache nicht so beschränkt sei wie diejenigen, die in ihr wie auf einem Schlachtfeld wüten, lässt das Deutsche beide Bedeutungen nebeneinander zu, was jahrzehntelang niemandem als „verfassungsrelevantes“ Problem aufkam. Es ergibt sich nämlich in der Regel aus dem Kontext, welcher der beiden Volksbegriffe gerade gemeint ist. Auf keinen Fall lässt sich aus der verwendeten Bedeutung schließen, dass der Sprecher die jeweils andere ablehne. Wer sagt, „die Deutschen könnten zur Minderheit im eigenen Land werden“ (ethnos), beabsichtigt deswegen nicht, „die Rechtsgleichheit der Deutschen (demos) entlang ethnischer Kriterien aufzuheben, wie es das Schlapphutkonvolut absurderweise und böswillig unterstellt. Dass man so etwas überhaupt erklären muss, zeigt, wie viel Terrain die Dummheit bereits erobert hat.“ Das muss uns nochmal interessieren.
Robust formulierte Meinungsäußerung
Mathias Brodkorb verweist im Cicero auf die im Gutachten zitierte Aussage, dass eine verfehlte Migrationspolitik „zum 100.000-fachen Import von Menschen aus zutiefst rückständigen und frauenfeindlichen Kulturen geführt“ habe – der objektiv kein Verstoß gegen die Verfassung zu entnehmen sei, weil es sich um eine robust formulierte Meinungsäußerung handele: „Der Verfassungsschutz greift daher zu einem hermeneutischen Trick: Wenn man ohnehin davon ausgeht, dass die AfD einem verfassungswidrigen ethnischen Volksbegriff anhängt, können verfassungsrechtlich harmlose Aussagen als Zeigerpflanzen für das angeblich zugrundeliegende Weltbild gedeutet werden. Der Verfassungsschutz setzt das, was er beweisen müsste, einfach voraus.“
„Die AfD gehe davon aus, dass Deutsche mehr verbindet als nur der Pass, nämlich Abstammung und Kultur“, befindet der Ex-Offizier Key Pousttchi auf X. Wer das aber für richtig halte, analysiert er dann die Argumentationskette, halte automatisch Deutsche, die keine deutschen Vorfahren haben, für Deutsche zweiter Klasse und das verstoße gegen die Menschenwürde, sei also mithin verfassungswidrig und rechtsextrem. Doch wenn es nach diesem Kriterium ginge, „dürften vermutlich 80% der deutschen Bevölkerung gesichert rechtsextrem sein“. Demnach würde es ausreichen, wenn sich jemand beispielsweise als Ur-Bayer oder als gebürtiger Rheinländer bezeichnet. Insofern eignen der politischen Volks-Diskussion drei Dimensionen: eine juristische, eine historisch-kulturelle und eine soziale.
Vom Souverän zum verwalteten Bestand, lässt sich die juristische zusammenfassen. Wo einst der Souverän sprach – „Das deutsche Volk hat sich dieses Grundgesetz gegeben“ –, schweigt heute das Volk und spricht der Staat über es. Der Bürger, den man einst als legitimen Träger der Staatsgewalt betrachtete, wird zur demographischen Masse herabgestuft, deren Zusammensetzung jederzeit von oben neu definiert werden kann. Roland Baader hat das präzise diagnostiziert: „Noch ‚erfolgreicher‘ als der Marsch durch die Institutionen war der Marsch durch die Definitionen.“ Heute sind es keine Armeen, die Völker unterwerfen, sondern Begriffsakrobaten in Behörden und Redaktionsstuben, die den Volkssouverän in eine bloße „Bevölkerung“ umetikettieren. Die Zeit etwa entblödete sich Mitte Mai nicht der Schlagzeile: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Aber was, wenn das Volk glaubt, die Gewalt an sich reißen zu dürfen?“ Das ist kein Witz.
Der ehemalige Verfassungsrichter Hans Hugo Klein erläuterte in der FAZ, dass das „Volk“ im Sinne des Grundgesetzes in Art. 116 eindeutig als Gemeinschaft der deutschen Staatsbürger und der Vertriebenen „deutscher Volkszugehörigkeit“ beschrieben ist. Dieses Recht auf nationale Zugehörigkeit über Abstammung ist kein „rechtes Konstrukt“, sondern Grundlage der verfassungsgemäßen Ordnung. Auch in vielen anderen Gesetzen (Heimkehrergesetz, Lastenausgleichgesetz u.a.) war dieser Volksbegriff verankert. Bis zur Reform unter Schröder/Fischer im Jahr 2000 galt ausschließlich das ius sanguinis, das Abstammungsprinzip. Die spätere Ergänzung durch das ius soli, das Geburtsortprinzip, mag verwaltungspraktisch begründbar sein, ändert aber nichts daran, dass das Abstammungsprinzip völkerrechtlich und historisch die Regel bleibt. Eben auch deshalb war es möglich, die Russlanddeutschen nach dem Untergang der Sowjetunion wieder einzubürgern.
Recht als Mittel des Identitätsentzugs
Der Leipziger Staats- und Verfassungsrechtler Hubertus Gersdorf hat in der BZ klargestellt, dass das Festhalten am „ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff“ grundsätzlich nicht verfassungswidrig sein kann. „Für einen Verstoß gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, konkret gegen die Menschenwürde-Garantie, genügt der Vorwurf des ‚ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriffs‘ nicht“, sagte er. Verfassungsrechtlich sei es zulässig, Staatsangehörigkeit an die Abstammung zu knüpfen. Dieses Abstammungsprinzip sei „ein weltweit anerkanntes, zulässiges Kriterium für das Staatsangehörigkeitsrecht“. Das Staatsangehörigkeitsrecht neu auszurichten sei eine „verfassungsrechtlich zulässige Forderung“. Aussagen wie etwa „Es gehört mehr dazu, Deutscher zu sein, als einfach nur ’ne Staatsbürgerurkunde in der Hand zu haben“ seien verfassungsrechtlich unproblematisch, da sie die Forderung nach einem „zurück zum alten Staatsbürgerschaftsrecht beinhalten“. Zu einem ähnlichen Urteil war der Staatsrechtler Dietrich Murswiek auch in einer ersten Einschätzung des Gutachtens gekommen.
Wer einen italienischen Pass erhält, ist noch lange kein Italiener, meint Ralf Schuler auf Nius. Im Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993 (2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92) wird das deutsche Volk definiert als „ein relativ homogenes Staatsvolk, das in geistiger, sozialer und politischer Hinsicht verbunden ist“. Klein zitiert in diesem Zusammenhang den Rechtsphilosophen und Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde, dass „politische Demokratie, um als solche bestehen zu können, notwendig ein gewisses Maß an gemeinsamen Grundauffassungen der Bürger über die Art und Ordnung ihres Zusammenlebens“ voraussetzt. Diese relative Homogenität könne verschiedener Art sein, also zum Beispiel ethnisch-kulturell sein oder auf einem mental verfestigten kulturellen Erbe, auf gemeinsam durchlebter politischer Geschichte, auf gemeinsamer Religion, einem gemeinsamen nationalen Bekenntnis oder einer gemeinsamen Sprache beruhen.
Die Präambel des Grundgesetzes selbst spricht vom „deutschen Volk“, das sich diese Verfassung gegeben habe. Das steht auch im Einklang mit jahrzehntelanger Politik – von Brandt bis Kohl. Es ist kein Zufall, dass die Verfassungswirklichkeit von Karlsruhe bis Berlin gegen die eigene Präambel anrennt. Denn das „deutsche Volk“ ist rechtlich definiert – nicht als beliebige Wohnbevölkerung, sondern als gewachsene Abstammungs-, Kultur- und Schicksalsgemeinschaft. Art. 116 GG präzisiert dies mit Bezug auf Volkszugehörigkeit und Abstammung. Das 1989 gegründete „Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa“ konnte es ohne einen ethnischen Volksbegriff gar nicht geben. Kulturstaatsministerin Claudia Roth taufte das Institut im September 2023 eilig in „Bundesinstitut für Kultur und Geschichte des östlichen Europa“ um. Bis in die Neunzigerjahre hinein sprach auch das Ausländerrecht selbstverständlich von „deutschen Volkszugehörigen“ – ein Begriff, der heute dem Verfassungsschutz als „völkisch“ gilt.
Hier liegt das eigentliche Staatsversagen: Nicht die AfD, sondern das Establishment verlässt den Boden der Verfassung, wenn es den ethnisch-kulturellen Volksbegriff als „verfassungsfeindlich“ diffamiert. Wer den Souverän neu definieren will, stellt den Gesellschaftsvertrag selbst in Frage. So wird das Recht zum Mittel des Identitätsentzugs und der Volkssouverän zum Legitimationslieferanten eines Bevölkerungsaustauschs, den niemand je demokratisch beschlossen hat. Dann dürfen wir gespannt sein, wann das „Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache“ (DWDS) vom Netz genommen werden muss. Die Beschreibung der Bedeutung des Wortes „Nation“ als: „1) historisch gewachsene, ideelle und staatsrechtliche Gemeinschaft der Staatsbürger eines Landes, 2) geeintes, souveränes, selbständiges Staatswesen als Institution einer Nation und 3) Großgruppe von Menschen gleicher Abstammung, Sprache und Kultur, die sich als historisch gewachsene Gemeinschaft empfinden“, dürfte nach der Auslegung des Verfassungsschutzes ausreichen, die Seite als „gesichert rechtsextrem“ einzustufen.
Christian Rath verwies im Anwaltsblatt noch auf die geltende Rechtslage, die bei eingebürgerten Deutschen zehn Jahre lang die Rücknahme der Einbürgerung erlaubt, wenn bei der Einbürgerung etwa über die Verfassungstreue „getäuscht“ wurde. Da diese faktische Sanktion bei Geburts-Deutschen nicht zur Verfügung steht, werden eingebürgerte Deutsche hier als Bürger zweiter Klasse behandelt. Ist der Staat jetzt rechts- oder linksextrem? Lothar Fritze befand schon vor Jahren: „Die Repräsentanten des demokratischen Rechtsstaates sind nicht befugt, im Resultat einer spontanen Gefühlsaufwallung oder in kalkulierter Verwirklichung einer politischer Utopie die gesamte Menschheit als potenzielle Mitbürger zu behandeln und von ihrem Volk die dazu nötigen Solidaritätsleistungen zu erzwingen. Denn die ‚Rettung der Welt‘ ist kein Verfassungsziel.“
Macht ersetzt den Gebrauch des Verstands
Von der Kulturnation zur Beliebigkeitsgesellschaft lässt sich die historisch-kulturelle Dimension zusammenfassen. Jede Identität ist historisch gewachsen. Kein Volk ist am Reißbrett entworfen worden, so lehrt es uns die Geschichtswissenschaft. Wenn sie von Begriffen spricht wie Assyrern, Sumerern, Skythen, erst recht Kelten, Goten oder Germanen, dann spricht sie von „ethnischen Völkern“, denn Staaten gab es da noch nicht. Ob Juden, Iren oder Ungarn – sie alle wären ohne ihren ethnisch begründeten Zusammenhalt längst als Völker verschwunden, denn sie verdanken ihr Überleben dem Bewusstsein gemeinsamer Abstammung, Sprache und Kultur. Kein ernstzunehmender Historiker käme auf die Idee, dieses anthropologische Grundmuster zu leugnen.
Und auch die Türken folgen diesem Prinzip, wenn sie in dritter und vierter Generation in Deutschland ihren Kindern ausnahmslos herkunftstypische Vornamen geben, ethnisch-kulturelle Kolonien bilden und Erdogan beim Wahlkampf auf deutschem Boden mit der roten Halbmondfahne der Türkei begrüßen. Nur im Deutschland von 2025 steht man mit einem Bein im Extremismusverdacht, wenn man das Offensichtliche ausspricht, seinen Kindern typisch deutsche Namen gibt oder sich auf das eigene Volk als gewachsene Schicksalsgemeinschaft beruft. Klein stellt die Frage, ob „das für den Erhalt der Demokratie erforderliche Mindestmaß an relativer sozialer Homogenität in Deutschland noch besteht. Weil es diese Homogenität ist, die den unerlässlichen gesellschaftlichen Zusammenhalt ermöglicht und verbürgt, verlangt sie ein Höchstmaß an öffentlicher Aufmerksamkeit. Sie mit einem Tabu zu belegen, wie es weithin geschieht, ist gemeinschädlich.“ Was für eine Regierungsklatsche!
Es gibt Parallelen zwischen dem „neuen“ Volks- und dem Geschlechterbegriff, erkennt prompt Alexander Wendt auf Tichys Einblick: In beiden Fällen würden wissenschaftliche Tatsachen, die nicht zur Ideologie passen, überhaupt das Unterscheiden und differenziert denken als „extremistisch“ umdefiniert. Im Genderismus solle man nicht mehr wahrnehmen dürfen, ob das Gegenüber Männlein oder Weiblein ist – obwohl es in den meisten Fällen allein durch bloßen Augenschein offensichtlich ist. Beim ethnisch-kulturellen Volksbegriff sei es so ähnlich: „Die staatlich-geheimdienstliche Gehirnwäsche arbeitet darauf hin, den gesunden Menschenverstand und die Wahrnehmungskompetenz der Menschen zu untergraben.“
Im Geschlechterkampf soll man nicht mehr unterscheiden dürfen, ob das Gegenüber Mann oder Frau ist – im Völkerkampf soll man nicht mehr unterscheiden dürfen, ob jemand zum eigenen Volk gehört oder nicht: „Der neue Volksbegriff soll alle Unterschiede nivellieren und jede Wahrnehmung von Identität zum Extremismusvorwurf erklären.“ Es ist der staatliche Griff nach der Vernunft, die einkassiert werden soll. Schon Michael Esfeld befand treffend: „In unseren real existierenden postmodernen Gesellschaften hat die Macht den Gebrauch des Verstands ersetzt.“ So wird aus Wissenschaft Ideologie, aus Wahrnehmung Repression, aus Geschichte Gesinnungsjustiz.
Die kulturelle Zerstörung unseres Volkes geschieht dabei unter der Flagge von „Diversität“ und „Buntheit“ – die Vorstellung eines zusammengehörenden deutschen Volkes behindert natürlich die globalistische Auflösungspolitik. Doch Diversität hat sich längst als Gesellschaftsvernichtungswaffe entpuppt. Wie der Blogger Hadmut Danisch messerscharf beobachtet: „Das Experiment war nicht, ob Diversität funktioniert, sondern ob man eine weiße Gesellschaft ausrotten kann... und wir jubeln noch darüber.“ Genau das ist der verdeckte Kulturbruch, den kein Verantwortlicher wagt, offen zu benennen. Im Gegenteil: Der Berliner AfD-Bildungspolitiker Thorsten Weiß MdA twitterte Mitte Mai: „Die CDU in Berlin hat sich mit der Massenmigration abgefunden. Im Innenausschuss sagte der Abgeordnete Lenz heute, dass sich an der Bevölkerungszusammensetzung ja nichts mehr ändern lasse und es nur noch um die Frage geht, wie man mit ihr umgeht.“
Diversität als Gesellschaftsvernichtungswaffe
Hier ist ein kurzer Schwenk zur dritten Machtsäule, der Kontrolle des politischen Leitdiskurses, nötig. Dass unter der neuen „Bevölkerung“ überproportional viele nichtdeutsche Gewalttäter vertreten sind, ist zwar der Polizeilichen Kriminalstatistik PKS zu entnehmen – nicht aber unseren Medien, zumal den öffentlich-rechtlichen. Jüngstes Beispiel: Als am 18. Mai vor einer Bielefelder Bar ein Syrer gezielt auf fünf Menschen einstach, der in seinem Rucksack weitere Stichwaffen und Benzin versteckt hatte, nahmen weder Bild noch FAZ den Anschlag auf die Titelseite. In der Tagesschau wird die Tat nicht erwähnt. Auf Nachfrage von Nius erklärt der Sender: „Die Tagesschau ist eine Nachrichtensendung, die ihren Schwerpunkt auf Politik und Wirtschaft legt. Über Kriminalfälle wird deshalb grundsätzlich nur selten berichtet und völlig unabhängig davon, welcher Herkunft das Opfer oder der mutmaßliche Täter oder die Täterin war.“ Berichtet werde nur, wenn es einen „gesellschaftspolitischen Hintergrund“ gebe.
Am Tag darauf berichtet die Tagesschau zwar über die laufende Fahndung, zeigt aber nicht das Fahndungsbild. Diesmal heißt es dazu vom Sender: „Die Tagesschau ist eine Nachrichtensendung, die ihren Schwerpunkt auf Politik und Wirtschaft legt. Auf Fahndungsaufrufe wird in der Regel verzichtet.“ Fast 48 Stunden ist der hochgefährliche Täter auf freiem Fuß, während der politisch-mediale Komplex eine Realität inszeniert, in der der Anschlag nicht stattgefunden und keine gesellschaftspolitische Bedeutung hat, ärgert sich Pauline Voss auf Nius: „Obwohl das Tatmuster eindeutig islamistisch ist, einigt man sich ohne Absprache, aber in bemerkenswerter Synchronität darauf, die Motivlage als ‘unklar’ zu bezeichnen. Es scheint, als kehre das Land in die migrationspolitische Vollnarkose der Merkel-Ära zurück.“
Die PKS hat übrigens 2024 erstmals Daten zur Entwicklung der Tatverdächtigenbelastungszahlen TVBZ von Deutschen und Nichtdeutschen unter Berücksichtigung der Bevölkerungsentwicklung erhoben. Der Antwort auf eine AfD-Anfrage zufolge beläuft sich diese TVBZ zum PKS-Komplex „Gewaltkriminalität“ bei deutscher Staatsangehörigkeit auf insgesamt 163, während sie bei syrischer Staatsangehörigkeit bei insgesamt 1.740 liegt, bei afghanischer bei insgesamt 1.722, bei irakischer bei insgesamt 1.606 – und bei marokkanischer von insgesamt 1.885. Mit den tagtäglichen, migrantischen Messerangriffen auf unseren Straßen wird das jahrtausendealte Fundament der abendländischen Zivilisation sehr viel nachhaltiger zerstört als manche vielleicht ahnen mögen, erschrickt Benjamin Kaiser und verweist darauf, dass unsere europäische Streitkultur aus dem Rittertum hervorgegangen ist und selbst die gewaltsame Streitschlichtung etwa im Beleidigungsfalle im 19. Jahrhundert strengen Regeln zu folgen hatte: Ritterlichkeit und Anstand nennt man das bis heute. Indem nun aber einfach ohne Vorwarnung zugestochen wird, werde unser jahrhundertealter Zivilisationsprozess „wieder durch archaische Heimtücke ersetzt.“
Aber SPD-Kanzler Helmut Schmidt sagte bereits 1981: „Es war ein Fehler, so viele Ausländer ins Land zu holen… Wir können nicht noch mehr Ausländer verdauen, das gibt Mord und Totschlag“. Heute würde der wohl beste SPD-Politiker von seiner Parteikollegin Faeser als gesichert rechtsextrem eingestuft, wie der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau bei Youtube feststellte. „Deutschland ist kein Einwanderungsland“, so hatte es 1983 die Union im Koalitionsvertrag mit der FDP festgeschrieben. „Wir sind kein Einwanderungsland“, sagte Außenminister Hans-Dietrich Genscher prompt am 5. Oktober 1984 vor dem Deutschen Bundestag zur „Fortentwicklung des Ausländerrechts“. „Wir können es nach unserer Größe und wir können es wegen unserer dichten Besiedlung nicht sein. Deshalb geht es darum, ohne Eingriffe in die Rechte des Einzelnen und der Familie, ohne Verletzung der Grundsätze der Toleranz zu einer Verminderung der Ausländerzahlen zu kommen“. Doch schon 1970 ließ er seinen Parlamentarischen Staatssekretär Wolfram Dorn vor der „Ansiedlung ausländischer Großfamilien und Sippenverbände“, vor „Belastungen und Schwierigkeiten auf sozialem, wirtschaftlichem und ordnungsrechtlichem Gebiet“ warnen: „Eine solche Einwanderung wäre mit den Gegebenheiten der Bundesrepublik, die ihrer ganzen Struktur nach kein Einwanderungsland ist, unvereinbar.“
Zur Erinnerung: „Es ist ein historisch einzigartiges Experiment, eine Demokratie zu nehmen, die diese monoethnische Vorstellung von sich selber hatte, und sie in eine multiethnische Gesellschaft umzuwandeln“, erklärte der deutsch-amerikanische Publizist Yascha Mounk 30 Jahre später. „In Westeuropa läuft ein Experiment, das in der Geschichte der Migration einzigartig ist: Länder, die sich als monoethnische, monokulturelle und monoreligiöse Nationen definiert haben, müssen ihre Identität wandeln. Wir wissen nicht, ob es funktioniert, wir wissen nur, dass es funktionieren muss.“ Dass es „Teile der Gesellschaft“ gebe, „denen das Ängste bereitet und die sich dann dagegen aufbäumen“, ist da offenbar ein Kollateralschaden. Für Trumps Vize Jack Vance bringt sich Deutschland aber „selbst um, wenn es nochmals ein paar Millionen Migranten ins Land lässt, die kulturell inkompatibel sind“.
Postmigrantische Gesellschaft
Vom Volksganzen zur atomisierten Verfügungsmasse, muss man die soziale Dimension paraphrasieren. Jede Nation lebt vom sozialen Zusammenhalt, von einem Minimum an Homogenität, das Vertrauen, Loyalität und Verantwortung ermöglicht. Ohne ein gemeinsames „Wir“ wird aus dem Volk eine bloße Ansammlung von Einzelinteressen – eine Arena für Lobbygruppen und Ideologen. Doch genau das ist das Ziel der neuen Volkserklärer: Sie wollen aus der historischen Solidargemeinschaft eine administrierte Vielfalt machen, deren einziger gemeinsamer Nenner der Steuerzahlerstatus ist. Das soziale Band wird ersetzt durch das bürokratische Label „Bevölkerung“, die Heimat wird ersetzt durch das „globale Quartier“.
Auf dem Landesparteitag der CDU Mecklenburg-Vorpommern im Februar 2017 etwa sagte Angela Merkel den Schlüsselsatz: „Das Volk ist jeder, der in diesem Lande lebt.“ Wer dagegen auf die gewachsenen Bindungen verweist, auf Sprache, Kultur, Herkunft und Geschichte, wird zum „Demokratiefeind“ erklärt. Die AfD-Fraktion Sachsen-Anhalt ging im Mai zum Angriff über und beantragte, den aktuellen Landesslogan „#moderndenken“ durch „#deutschdenken“ zu ersetzen. Zusätzlich soll ein sogenannter „Stolz-Pass“ als eine Art Stempelkarte eingeführt werden. Für Besuche ausgewählter historischer Stätten soll es dann Stempel geben. Je mehr Stempel man sammelt, desto günstiger könne der Eintritt bei weiteren Besuchen werden.
Dass der Besitz der Staatsbürgerschaft für Zuwanderer kulturelle Bindung bedeuten kann, aber eben nicht muss, zeigte das Beispiel einer eingebürgerten türkischen Frau, die Bundeskanzler Olaf Scholz im Wahlkampf besuchte: Sie sprach und verstand trotz jahrzehntelangem Aufenthalt in Almanya praktisch kein Wort Deutsch. Genau dieser Problemstellung widmete sich 2021 das Buch „Der Verfassungsschutz und die nationale Identität der Deutschen“ des Politikwissenschaftlers Martin Wagener. In seinem Werk befasst er sich mit der Frage, auf welche Weise sich das Land verändert, wenn durch eine forcierte Einwanderung vor allem aus islamischen Ländern immer mehr Menschen in der Bundesrepublik leben, die ihre Identität aus anderen Quellen als aus einer persönlichen Bindung an deutsche Kultur und Geschichte beziehen? Er entwickelt einen kulturellen Volksbegriff und er befasst sich mit der Veränderung des Landes durch Migration. Nach Ansicht des VS erfüllt der Professor schon damit die Kriterien des Extremismus. Das ist kein Witz.
Exakt das, was Wagener in seinem angeblich verfassungsfeindlichen Werk skizziert, beschreibt aber auch die Integrationsforscherin Naika Foroutan mit Lehrstuhl an der Humboldt-Universität durch ihren Begriff von der „postmigrantischen Gesellschaft“. Der bedeutet nicht etwa, dass die Migration nach Deutschland endet, sondern den Übergang in eine neotribale Gesellschaft, in der die Deutschen mit deutschen Vorfahren nur noch eine Gruppe unter vielen anderen bilden. In einem Interview mit dem Stern über ihr Buch „Es wäre einmal deutsch“ erklärte Foroutan zwei Jahre nach Wagener: „In einer Gesellschaft, in der jede dritte Familie Migrationsbezüge aufweist und jedes vierte Kind einen Migrationshintergrund hat, wird deutsche Ahnenschaft als Bezugskategorie immer schwammiger … Wir brauchen hier ein postmigrantisches Narrativ, das die binäre Festschreibung in Migranten und Einheimische aufbricht und dahinter das gemeinsame, vielfältige Ganze beschreibt, das in Teilen bereits da ist und sich weiterentwickelt. Ganz abgesehen davon, dass bis 2036 möglicherweise schon fast die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland selbst migrantische Biografien haben wird – zumindest bei den jungen Menschen. Die deutsche Kerngesellschaft verändert sich also.“
In ihre Rede flicht Foroutan auch noch die Formel von der „white fragility“ ein, ärgert sich Wendt, „die Abwertungsformel für alle, die Veränderungen dieser Art womöglich nicht rückhaltlos begrüßen.“ Inhaltlich deckt sich das weitgehend mit der Analyse Wageners. Beide Bücher unterscheiden sich im Wesentlichen dadurch, dass Wagener diese Vorgänge nicht für unausweichlich hält, und in ihrem unveränderten Fortgang auch keine gesellschaftliche Verbesserung erkennt. Für die Migrationswissenschaftlerin, die genauso wie er zwischen der „deutschen Kerngesellschaft“ und den anderen unterscheidet, erfüllt sich dagegen in der von ihr befürworteten Transformation des alten Deutschlands in einen neuen Staat ein historischer Determinismus. Das heißt: Es kommt also für das Verdikt der Verfassungsfeindlichkeit gar nicht auf den Inhalt an, den ein Wissenschaftler vertritt – sondern einzig und allein auf das jeweilige Vorzeichen. Eine „faktenfreie Begründungsakrobatik“ erkennt Lothar Krimmel auf Tichys Einblick. Wer wie Foroutan die Umformung der Gesellschaft begrüßt, erhält Einladungen zu Podiumsdiskussionen, und für seine Projekte Fördergelder des Bundesforschungsministeriums. Wer das Gleiche skeptisch beurteilt, muss um seine Professur fürchten.
Rückkehr zur Klarheit
Hier lohnt ein Blick, womit sich der Kreis zu Perrefort schließt, auf Dietrich Bonhoeffers Analyse der Dummheit. Sie ist nicht ein intellektueller Mangel, sondern ein „menschlicher Defekt“, der durch äußere Mächte aktiv erzeugt wird. Sie ist kein intellektuelles Defizit, sondern eine Folge von Politik – von entfesselter Macht, befindet Perrefort. Der Dumme fühlt sich überlegen, er ist nicht belehrbar, sondern selbstzufrieden und aggressiv gegenüber jedem, der ihn zu wecken versucht. Genau diese Herrschaft der Dummheit ist es, die unser Land zersetzt. Wer glaubt, man könne unendlich viele Menschen mit völlig fremden Prägungen in eine Gesellschaft kippen, ohne soziale Verwerfungen zu erzeugen, leidet an jener Dummheit, vor der Bonhoeffer warnte. Und diese Dummheit wird heute von den Eliten kultiviert, verteidigt und per Verfassungsschutz abgesichert. „Nicht ein Akt der Belehrung, sondern allein ein Akt der Befreiung kann die Dummheit überwinden“, schrieb Bonhoeffer. Solange die Bürger nicht von der Herrschaft der Dummen befreit sind, bleibt jede Argumentation zwecklos.
Mit dem Rücktritt der Brandenburger SPD-Innenministerin Katrin Lange, die sich weigerte, der Extremismusrhetorik ihres Landesverfassungsschutzes zu folgen, fand die Causa ihr erstes Mainstream-Opfer: „Grüne und Linke machen mit haltlosen Unterstellungen Stimmung gegen mich. Ausgerechnet die Partei, die den Verfassungsschutz abschaffen will, schwärmt jetzt plötzlich von der Behörde, ‘die unsere Verfassung und damit die Demokratie schützen soll’. Das nenne ich verlogen. Und die CDU Brandenburg macht dabei mit“, empörte sich Lange im Tagesspiegel. US-Außenminister Marc Rubio hat Deutschland inzwischen aufgefordert, die Einstufung zurück zu nehmen: „Der wahre Extremismus liegt nicht in der AfD, sondern in der tödlichen Einwanderungspolitik des Establishments“. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und CSU-Chef Markus Söder haben ihre Parteien inzwischen aufgefordert, mit der Diskussion um das AfD-Verbot aufzuhören.
Fazit: Die Strategie „erst veröffentlicht der Verfassungsschutz die Hochstufung, dann organisieren die NGOs Massendemos und letztlich beantragt der Bundestag das AfD-Verbot“ ist zunächst gescheitert. Die warnenden Stimmen – bis hin zum ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, und Ex-Innenminister Horst Seehofer (CDU) –, sich auf diese Weise der zweitstärksten Partei zu entledigen oder sie „auszuschalten“, wie der sächsische Ex-CDU-MdB Marco Wanderwitz martialisch textete, werden angesichts des dünnen Inhalts und der fehlenden Belege immer lauter. Letztlich zeigte sich auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) nicht nur genervt, sondern fast schon empört über die ständigen Verbotsforderungen: „Das riecht mir zu sehr nach politischer Konkurrentenbeseitigung.“ Der neue Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) gab gar zu: Das AfD-Gutachten reicht nicht für ein Verbotsverfahren.
Deutschland braucht keine neuen Definitionen von „Volk“, sondern die Rückkehr zur Begriffsklarheit. Ein ethnisch-kultureller Volksbegriff negiert nicht automatisch die Rechtsgleichheit. Punkt. Die ethnische, kulturelle und soziale Dimension sind kein Widerspruch zur Demokratie, sondern ihre Voraussetzung. Wer das leugnet, legt die Axt an das Fundament des Gemeinwesens. Kein ernsthafter Verfassungskommentar leugnete bis in die 2000er Jahre, dass der Volksbegriff eine ethnisch-kulturelle Dimension besitzt. Selbst Carlo Schmid, Mitautor des Grundgesetzes, sprach in seiner „Rede zum Grundgesetz“ im Parlamentarischen Rat vom „ethnischen Volksbegriff“. Wer das heute als „verfassungsfeindlich“ deklariert, betreibt Geschichtsfälschung. Es bleibt an denen, die noch den Mut zur Wahrheit haben, diese Fälschung anzuprangern, wieder und wieder – gegen die sprachpolitischen Abrissbirnen der Zeit.
*
Über den Autor: Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.
Hier können Sie TUMULT abonnieren.
Für Einzelbestellungen klicken Sie bitte hier.