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Till Kinzel: ERINNERUNG AN WYNDHAM LEWIS AUS ANLASS SEINES 140. GEBURTSTAGES AM 18. NOVEMBER 1882

Die künstlerische Avantgarde ist ein ausgesprochen vielschichtiges, vor allem aber transnationales Phänomen in den Jahren um den Ersten Weltkrieg. Am Beispiel eines einzigen Autors kann es aber gelingen, zentrale Dimensionen der Selbstreflexion der künstlerischen Avantgarde im Medium der Literatur darzustellen. Ein so vielschichtiger wie schillernder, ein so faszinierender wie irritierender Künstler wie Percy Wyndham Lewis (1882–1957) gehört zu den paradigmatischen Gestalten des 20. Jahrhunderts. Er ist, wie T.S. Eliot einmal sagte, „a magician who compels our interest in himself (...) the most fascinating personality of our time“. [1]



Wyndham Lewis, 1917


Wyndham Lewis ist als Künstler selbst kaum ohne weiteres auf den Begriff zu bringen, weil er sowohl Maler wie Schriftsteller, Literaturkritiker wie Kulturdiagnostiker und auch Sozialphilosoph bzw. Gesellschaftstheoretiker war. In allen diesen Bereichen hat Lewis Bedeutsames geleistet, so daß es nicht leicht fällt, aus der Fülle seiner Werke etwas herauszugreifen, das sein spezifisch avantgardistische Denken und Schreiben charakterisiert. Nicht zu vergessen ist dabei, daß man Lewis schon früh „the most brilliantly unsystematic writer of our time“ genannt hat.[2]


Man könnte den Weg zu Lewis über die ausgesprochen erratischen Briefwechsel wählen, vor allem mit Ezra Pound, aber auch, wenn auch erst in späteren Jahren, mit dem idiosynkratischen Medientheoretiker Marshall McLuhan, der in den Medien nicht ohne Grund eine Form von Massage sah. Man könnte den Zugang über seine Gemälde, etwa aus dem Krieg, oder seine Portraitkunst wählen, man könnte seine voluminösen Abhandlungen wie The Art of Being Ruled (1926), oder die autobiographischen Schriften heranziehen, um sich ein Bild von der Haltung zu machen, die Lewis gegenüber der Welt einnahm, die ihn umgab und gegen die er seine Kunstauffassung durchzusetzen suchte.


Der wohl am meisten einschlägige literarische Text von Lewis zum Problem der Avantgarde ist indes der Roman Tarr, welcher vor dem Ersten Weltkrieg begonnen wurde und erst 1918 erscheinen konnte, bevor er dann noch einmal zehn Jahre später in einer neuen Fassung autoritativ publiziert wurde. Es handelt sich bei Tarr um den Typus des Künstlerromans, was den Text schon rein thematisch für das Avantgarde-Thema relevant macht. Lewis gehörte als Schriftsteller und Maler selbst zu den wichtigsten Vertretern der künstlerischen Avantgarde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Russell Kirk charakterisierte ihn in bezeichnender Weise als genuinen Bohemien unter Pseudo-Bohemiens. Lewis' Produktivität war erstaunlich: Er verfaßte zahlreiche Romane und theoretische sowie programmatische Schriften von teilweise erheblichem Umfang, machte sich indes auch durch seine Umgangsformen auf allen Seiten Feinde, so daß er letztlich eine Existenz an den Rändern des Literatur- und Kulturbetriebs führen mußte. Das Erlebnis des Ersten Weltkrieges, an dem Lewis als Artillerist in Flandern teilnahm, war für seine Weltsicht prägend und trug entscheidend zu seiner kulturkritischen Neigung zur Satire bei, aber auch zu seiner entschiedenen Ablehnung des Krieges.


Im Jahre 1931 publizierte er auf der Basis von Reportagen, die während eines Deutschlandaufenthaltes entstanden, ein erstes Buch über Hitler, in dem er diesen u.a. als „Mann des Friedens“ vorstellte, was Lewis' Reputation später dauerhaften Schaden zufügen sollte. Mit seinem Buch The Hitler Cult von 1939 und anderen Schriften revidierte er indes seine früheren Fehleinschätzungen und nahm deutlich gegen den grassierenden Antisemitismus Stellung. All das gehört zur geistigen Signatur eines Mannes, der selbst an mancherlei kurzlebigen Moden Anteil hatte.


Als Protagonist des Vortizismus war er ebenso bedeutsam wie als Kulturkritiker der modernen Massengesellschaft, der sich mit der Rolle des Helden in Shakespeares Dramen befaßte und dazu intensiv das politische Denken Machiavellis studierte. Lewis' unorthodoxe Weltanschauung war einerseits stark misanthropisch sowie misogyn, also von einer gehörigen Portion Skepsis gegenüber dem Menschen in seinen beiden Geschlechtern geprägt, andererseits auch entschieden untraditionell, etwa in seiner Ablehnung des Christentums. Dadurch bewahrte er sich einen durch keine Denkverbote eingeschränkten Geist, was ihn zu ständig neuen Versuchen der Konsensstörung prädestinierte.


Wyndham Lewis knöpfte sich als begnadeter Satiriker in seinen Romanen (z. B. The Revenge for Love [1937]; dt. Rache für Liebe) die intellektuellen Moden der Zeit vor. Er wurde deshalb von seinem Freund, dem nicht weniger heftig umstrittenen Roy Campbell, mit Swift, Cervantes und Rabelais auf eine Stufe gestellt – ein Hinweis, dem nachzugehen wäre. So kritisierte er in The Apes of God (1930) den Geist von Bloomsbury, den auch sein Freund Roy Campbell in dem Gedicht The Georgiad (1931) fast gleichzeitig zum Ziel seiner eigenen Attacken machen sollte. Allerdings hatte Campbells Satire den negativen Effekt seiner faktischen Marginalisierung im links dominierten Kulturleben Englands. Campbells im Stile Alexander Popes geschriebene Satire selbst gehört seither, wenig überraschend, nicht zu den kanonischen Texten des 20. Jahrhunderts, obwohl seine Kritik des Geistes von Bloomsbury gute Gründe für sich hat.[3] Trotz seiner scharfen Kritik an den Bloomsbury-Leuten teilte er mit diesen doch das Gefühl, einer neuen Zeit anzugehören, wie er in seiner zweiten Autobiographie, Rude Assignment, im Rückblick schrieb:


„It was, after all, a new civilisation that I – and a few other people – was making the blueprints for: these things never being more than that. A rough design for a way of seeing for men who as yet were not there. […] It was more than just picture-making: one was manufacturing fresh eyes for the people, and fresh souls to go with these eyes. That was the feeling. A necessary part of this work was of course propaganda: without that the public would merely conclude that a few young artists had gone mad, and take no further notice of what they did.“[4]

In diese Zeit fällt auch die „Erstellung“ der höchst merkwürdigen Zeitschrift mit dem Titel Blast, die Lewis „that hugest and pinkest of all magazines“ nannte, „whose portentous dimensions, and violent tint did more than would a score of exhibitions to make the public feel that something was happening.“ Diese Phase seiner Existenz als Schriftsteller und Künstler aber endete abrupt: „Then the war came....“.[5]


Lewis' Roman Tarr verkörpert paradigmatisch die Methode der visuell kodierten Darstellung, denn in diesem Roman ist, wie schon Hugh Gordon Porteus in dem ersten Buch über Lewis überhaupt bemerkte: „There is literally nothing that is not translated into hard, external, visible images“.[6] Diese Visualität soll daher hier besonders hervorgehoben werden, kann doch Lewis' Roman als bedeutender Künstlerroman der literarischen Moderne angesehen werden, also als literarische Meditation über den Typus des Künstlers in den Jahren unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Dieses Epochen-Ereignis, bekanntermaßen die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, spielte auch für Wyndham Lewis' kulturkritische sowie autobiographische Reflexionen eine große Rolle.


Diese große Bedeutung der Visualität für Wyndham Lewis erkennt Porteus auch in einem Satz des gewaltigen Romans The Apes of God, der als Satire der Zwanziger Jahre noch nicht genügend gewürdigt wurde. Lewis spricht hier von der Gewalt eines Eindrucks, der gerade nicht durch sorgfältig geordnete Sätze und klar erkennbare Botschaften erzeugt werde, sondern durch ein Bild: „You see? To speak of the 'meaning' of that would be beside the mark – it either gets you in the guts like a bomb or it doesn't.“[7]


In seinem Buch Die Kunst regiert zu werden (1926) entfaltet Lewis ein umfassendes Arsenal von Gedanken, die sich mit dem in der politischen Theorie weithin vernachlässigten Problem befassen, wie man sich als regierter Mensch in einer modernen Massengesellschaft zu verhalten hat bzw. überhaupt verhalten kann. Nicht die arcana imperii, das Geheimwissen der Herrschenden, sind das Thema von Lewis, sondern die Mechanismen des Regiertwerdens und des Regiertwerdenkönnens. Regiert zu werden – und das oftmals auch noch schlecht – ist aber mehr denn je das Signum unserer Zeit, unser offenbar unentrinnbares Schicksal. Deshalb stellt das Regiertwerden eine Schlüsselqualifikation im eigentlichen Sinne dar, wie Lewis schon frühzeitig erkannte. Lewis betont, daß in der Moderne Verantwortungslosigkeit und Freiheit zu Synonymen geworden seien; die meisten Menschen wollten sich der Verantwortung entziehen und statt dessen Ruhe und Luxus genießen.


Der Mensch an sich ist nach Lewis kein politisches Lebewesen; dies treffe nur auf eine Minderheit von Führern zu. Von größter Aktualität sind zudem Lewis' Bemerkungen über den demokratischen „pädagogischen Staat“, der mit seiner „Doktrin dessen, was die breite Öffentlichkeit will“, der Bevölkerung auf die Nerven gehe. Die „demokratische“ Regierungsform sei viel effektiver als die Anwendung physischer Gewalt, weil es den wenigsten Menschen gelinge, sich dem ideologischen Apparat zu entwinden, der durch Erziehung und Suggestion über die Medien wirke. Einsichten wie diese machen sein Buch, trotz mancher Zeitbedingtheiten und Verschrobenheiten, zu einer auch im 21. Jahrhundert noch außerordentlich erhellenden Lektüre. Auch als Analytiker der Dekadenz fand Lewis im übrigen zu scharfsinnigen Einschätzungen: Wenn wie in der Gegenwart das Leben seine äußere Schönheit verliere und die ganzen Rituale der Größe verschwunden seien, verfielen Geist und Charakter allerorten.


In Time and Western Man (1927) findet man u.a. eine Auseinandersetzung mit Oswald Spengler, der damals in aller Munde war und die Frage aufwarf, welche Entscheidungen angesichts des unausweichlichen Verfalls zu treffen seien; in seinem Buch America and Cosmic Man (1948), das von keinem Geringeren als dem amerikanischen Romancier Saul Bellow geschätzt wurde, betrachtete er Amerika als das Labor, in dem der neue Mensch ohne Geschichte geschaffen würde. In späteren Jahren war Lewis neben dem amerikanischen Paläokonservativen Russell Kirk auch mit dem genialischen Medientheoretiker Marshall McLuhan befreundet, der Lewis’ Bedeutung schon in den 1950er Jahren treffend kennzeichnete: „Seit dreißig und mehr Jahren ist Wyndham Lewis ein Armeekorps aus einem Mann, das gegen jene Kräfte Widerstand leistet, welche Kunst, Wissenschaft und Philosophie dazu verwenden wollen, unsere Welt wieder zu dem nachtdunklen Schoß werden zu lassen, aus dem sie nach Auffassung jener Kräfte hervorgegangen sind.“ Ezra Pound zufolge ist Lewis der einzige englische Schriftsteller, der mit Dostojewski verglichen werden kann. Seine Werke sind dennoch bisher nur sehr spärlich ins Deutsche übersetzt worden. Caspar von Schrenck-Notzing, mit dem ich mich einst durch München spazierend über ihn unterhielt, gehörte zu den wenigen, die im deutschen Sprachraum emphatisch auf Lewis hingewiesen haben.


Das Kriegserlebnis von Wyndham Lewis ist für sein Schaffen von kaum zu überschätzender Bedeutung. Paul Edwards, der die maßgebliche Studie zu Lewis als Maler und Schriftsteller vorgelegt hat, stellt die Wirkung des Krieges auf diesen Schriftsteller deutlich heraus:


„The First World War was the decisive event that shaped the remainder of Wyndham Lewis’s life and art, just as it was decisive in shaping the development of Modernism. It is only a slight exaggeration to say that the whole of Lewis’s work after 1918 was an attempt to provide a cultural response to the war that would leave it understood and impossible of repetition.“[8]

Die Bedeutung des Krieges kann demnach für Lewis kaum übertrieben werden, und so wird man es auch nicht als zufällig ansehen dürfen, daß Lewis selbst es nicht bei einer einzigen Autobiographie beließ, von anderen Texten ganz zu schweigen.[9] Neben Blasting and Bombardiering,[10] das von der Kritik als „highly enjoyable piece of autobiography“ gelobt wird,[11] ist weiterhin Rude Assignment zu nennen. Dieses Buch von 1950 stellte Lewis als intellektuelle Autobiographie dem früheren Buch aus den dreißiger Jahren zur Seite. Dies ist um so bemerkenswerter, als Lewis in seinem philosophisch-kulturkritischen Buch Time and Western Man von 1927 eine scharfe Kritik des Zeit-Denkens vorgelegt hatte, das auch dem autobiographischen Schreiben zugrunde liegt.[12]


Lewis ist ein ausnehmend reflektierter Autobiograph, darin seinem Zeitgenossen Robert Graves ähnlich, der seinen berühmten Bericht Goodbye to All That damit beginnt, daß er sich ganz im Gegensatz zu Lewis scheinbar affirmativ auf die Erfordernisse des Genres der Autobiographie bezieht und sogleich mit seinen beiden frühesten Erinnerungen einsetzt: „As a proof of my readiness to accept autobiographical convention, let me at once record my two earliest memories.“[13] Auch Lewis selbst reflektiert ausdrücklich darauf, was er in seiner Autobiographie macht und hebt seinen Text von ähnlichen anderen ausdrücklich ab: „This book is about myself. It’s the first autobiography to take only a section of a life and leave the rest.“ Lewis geht in seiner Autobiographie so vor, daß er selbstbewußt behauptet, vor ihm habe niemand eine Autobiographie geschrieben, die nur einen Ausschnitt aus einem Leben präsentiere und den Rest außen vor lasse. Er behandele lediglich eine Zeit von ca. zehn Jahren und lasse alle Kindheitsgeschichten weg, was er zugleich mit einer Genrereflexion verbindet: „How many novels are intolerable that begin with the hero in his cradle? And a good biography is of course a sort of novel.“[14] Indem Lewis die Biographie – und zugleich damit auch die Autobiographie, die er hier meint – dem Roman („a sort of novel“) angleicht, verwischt er die Genregrenzen und weckt im Leser die Erwartung, im Folgenden etwas Romanhaftes zu lesen zu bekommen. Darin kommt wohl auch die Einsicht zum Ausdruck, daß sich auch der Roman aus dem individuellen Erleben speisen kann, um glaubwürdig zu sein.


Jedenfalls trifft dies auf die Kriegsliteratur zu, deren Material sich kaum anders als durch persönliche Erlebnisse erwerben ließ, wie Lewis am Beispiel von Richard Aldingtons Death of a Hero erläutert, das er „one of the best war books“ nennt, „the material for which was obtained – and only could be obtained – on active service.“[15] Aldingtons Kriegsbuch[16] ist indes von einem anders gelagerten moralischen Impuls als dem Wyndham Lewis’ geprägt, wie die Ausführungen der Erzählstimme am Schluß des Morte d'un Heroe überschriebenen Prologs des Romans zeigen, die das Kriegsgeschehen stark unter der Perspektive von Schuld und Sühne deuten und unter Berufung auf die antike Tragödie die Gegenwart als fluchbeladen darstellen:


„The whole world is blood-guilty, cursed like Orestes, and mad, and destroying itself, as if pursued by an infinite legion of Eumenides. Somehow we must atone, somehow we must free ourselves from the curse – the blood-guiltiness. We must find – where? how? – the greater Pallas who will absolve us on some Acropolis of Justice. But meanwhile the dead poison us and those who come after us.“[17]

Die Darstellung in Blasting and Bombardiering konzentriert sich auf das, was Lewis im Großen Krieg selbst widerfuhr – sowie im Anschluß daran im großen Frieden, verbunden mit Vignetten über seine Begegnungen mit berühmten Zeitgenossen wie Ezra Pound, James Joyce und T. S. Eliot, aber auch mit Roy Campbell oder den Sitwells.[18] Die Bedeutung des Krieges als Wegzeichen im frühen 20. Jh. ist auch für Lewis Ausgangspunkt seiner Erinnerungen: „The War is such a tremendous landmark that locally it imposes itself upon our computations of time like the birth of Christ.“[19]


Lewis' autobiographische Reflexion des Krieges ist aber nie nur Reflexion über die Zeit bzw. den Zeitumbruch selbst, sondern auch intertextuelle Metareflexion, da sein Erinnerungsbuch sich schon auf heute als klassisch geltende andere Kriegsbücher beziehen konnte. So schreibt Lewis über seine Erinnerungen: „So this is a 'good-bye to all that' sort of book, in a manner of speaking: though its purpose is quite different from Mr. Graves' masterly winding-up of a bankrupt emotional concern.“ [20] Lewis hebt sein eigenes Erinnern ab von dem Vorläufer Robert Ranke-Graves, indem er eine quasi-klinische Perspektive einnimmt, die sich von der eigenen emotionalen Verstrickung in die Vergangenheit und in die Aufarbeitung der Vergangenheit distanziert. Denn in seiner Form der Erinnerung, so Lewis, gehe es nicht um irgendetwas Emotionales; vielmehr handele es sich bei dem Blick zurück in die Vergangenheit um eine Art nötige Aufräumarbeit, wie er mit ironischem Understatement anmerkt: „[...] it is a trip to a stricken area. A spot of tidying-up had to be effected. It was an area of my past which requires a little retrospective attention.“[21]


Anders als Cummings steht für Lewis der Krieg selbst als Kampfgeschehen stärker im Zentrum seiner Aufmerksamkeit. Denn er war nicht wie Cummings lediglich bei den Sanitätern, sondern gehörte selbst als Kanonier der kämpfenden Truppe an, wenn er auch ausführlich darlegt, wie sehr sich dieser Dienst von dem der Infanteriesoldaten unterschieden habe. Der Beginn der schriftstellerischen Auseinandersetzung mit dem Krieg geht bei Wyndham Lewis, ähnlich wie bei Ernst Jünger, auf das unmittelbare Kriegserlebnis zurück, das er sofort zu Papier brachte. Die Idee eines Buches über den Krieg drehte sich lange in seinem Kopf. Lewis erinnert an die Lage im Schützengraben als Anlaß für das Schreiben:


„My line to the Battery had been cut by shell-fire, and after a time, as there was nothing to do, I went down into the dug-out and took a note-book I always carried with me and described what I had just seen.“[22]

Dies entspricht auch seinem unmittelbaren Erleben des Frontgeschehens, wie der Briefwechsel mit Ezra Pound zeigt, dem Lewis regelmäßig schrieb. Pounds Biograph A. David Moody bemerkt, daß Lewis nicht nur den Krieg selbst direkt und hautnah erfahren wollte, sondern zugleich auch in der Lage war, daraus eine Reihe klarer und objektiver Bilder wie in einem Filme zu machen [„to edit his impressions into a sequence of clear and objective pictures, as if he were making a film.“]. Die analytische Distanzierung vom Selbsterlebten ist demnach keineswegs erst eine spätere Konstruktion des Autobiographen, sondern Teil seiner bereits im Krieg selbst gepflegten Haltung der vollkommenen Distanz, des „perfect detachment“.[23]


Teil 2 folgt in Kürze.

*




Über den Autor: Till Kinzel ist habilitierter Literatur- und Kulturwissenschaftler. Er hat u.a. Bücher zu Allan Bloom, Nicolás Gómez Dávila, Philip Roth und Michael Oakeshott und Johann Georg Hamann publiziert. In TUMULT hat er über Panajotis Kondylis geschrieben (und im Blog über Ricarda Huch und George Orwell).




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[1] Nach Hugh Gordon Porteus, Wyndham Lewis, 1932, S. 297. [2] So Michael Roberts nach Porteus, Wyndham Lewis, 1932, S. 280. [3] Vgl. zu Campbell auch Roger Scruton, „A Dark Horse“, in: The American Spectator, October

2009, http://spectator.org/archives/2009/10/12/a-dark-horse [04-11-2012] [4] Wyndham Lewis, Rude Assignment, Santa Barbara: Black Sparrow, 1984, S. 135. [5] Lewis, Rude Assignment, S. 136. [6] Porteus, Lewis, 1932, S. 124. [7] Hier zit. n. Porteus, Lewis, S. 119. [8] Paul Edwards, Wyndham Lewis. Painter and Writer, New Haven: Yale University Press, 2000,

S. 199. [9] Siehe umfassend Christine Hardegen, Wyndham Lewis und der Erste Weltkrieg. Das Erste-

Weltkriegs-Erlebnis des britischen Schriftstellers und Künstlers – Auswirkungen auf das

schriftstellerische und künstlerische Werk, Diss. Heidelberg 1993. [10] Das Originalcover mit Lewis’ eigener Grafik ist abgebildet in: Bibliography of the Writings of

Wyndham Lewis, hg. von Bradford Morrow und Bernard Lafourcade, Santa Barbara: Black

Sparrow, 1978, S. 160. [11] D. G. Bridson, The Filibuster. A Study of the Political Ideas of Wyndham Lewis, London:

Cassell, 1972, S. 189. [12] Dies kann hier nicht weiter verfolgt werden; siehe dazu einschlägig Max Saunders, Self-

Impression: Life-Writing, Autobiografiction, and the Forms of Modern Literature, Oxford:

Oxford University Press, 2010, S. 420–437, besonders S. 421–426. [13] Robert Graves, Goodbye to All That, London: Penguin, 2000, S. 9. [14] Wyndham Lewis, Blasting and Bombardiering, London: Calder and Boyars, 1967, S. 1. [15] Wyndham Lewis, Rude Assignment, Santa Barbara: Black Sparrow, 1984, S. 148. [16] Zu Aldingtons Kriegsbuch im Kontext der kulturellen Erinnerung an den Ersten Weltkrieg siehe

Erll, Gedächtnisromane, S. 254–277. [17] Richard Aldington, Death of a Hero, London: Hogarth Press, 1984, S. 35–36. [18] Edith Sitwell, Taken Care of. An Autobiography, London: Hutchinson, 1965, S. 99 weist auf

folgenden Umstand hin: „Lewis enjoyed lying, not only as a defence behind which he could

hide, but as an idol. It may be said that what he himself called Cato’s truth, or the expedient lie,

was his god.“ [19] Lewis, Blasting, S. 1. [20] Lewis, Blasting, S. 5–6. [21] Lewis, Blasting, S. 6. [22] Lewis, Blasting, S. 7 [23] A. David Moody, Ezra Pound: Poet. A Portrait of the Man and his Work I: The Young Genius,

1885–1920, Oxford: Oxford University Press, 2007, S. 326–327.

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