Hans Günter Holl: DAS SCHEITERN DER GROSSEN WANDLUNG
- 27. Sept.
- 4 Min. Lesezeit
Zum Volkstrauertag des Jahres 2019 war es einer genialen Floristin gelungen, im Auftrag der SPD Mülheim an der Ruhr die ganze Verlogenheit unserer linksgewendeten Republik mittels einer Trauerkranzschärpe zu entlarven. Aufgrund eines Missverständnisses, das bis zur Endfertigung hielt, prangte auf der roten Binde in goldenen Lettern die Widmung:
DEN OPFERN VON KRIEG UND VERSCHISSMUS
Diese höhnische Entstellung war damit einer Linken ins Stammbuch geschrieben, die selbst militant gegen alle Andersdenkenden vorging und jeden, der auch nur im Verdacht stand, mit konservativen oder „rechten“ Ideen zu sympathisieren, als Faschisten, wenn nicht gar als Nazi verunglimpfte!
Gewiss nimmt es angesichts solchen Starrsinns nicht wunder, dass sich die meisten ihrer Vorfeldorganisationen mit dem Gütesiegel „antifaschistisch“ schmückten und legitimierten. Man mag dabei an die berühmte Warnung eines Ignatio Silone denken. Doch letztlich ging es unter der Hand um eine Projektion, die vertuschen sollte, dass erneut ein sozialistisches Zwangsregime angestrebt war, diesmal nicht als nationales Kaderprojekt, sondern gleich im internationalen Maßstab von One World.

Offenbar stehen viele der dafür erforderlichen Druckmittel längst zur Verfügung, sowohl im rechtlich-institutionellen als auch im politischen Umfeld. Größere Probleme bereiten vorerst nur noch widerspenstige Blogs, Online-Magazine und Influencer, die sich – nicht nur, aber hauptsächlich – über das Internet Gehör verschaffen. Ihre Unerwünschtheit als Störfaktoren und Hemmnisse für die totale Transformation zeigte sich exemplarisch in den ruchlosen Reaktionen auf das Attentat von Utah.
Beim Nachdenken über die widerwärtigen Kommentare zum Mord an Charlie Kirk fiel mir ein Bild aus Egon Friedells Buch über die Französische Revolution ein, in dem er schrieb, mit der Herrschaft des Wohlfahrtsausschusses habe sich „die Gosse geöffnet“. Das Bild passte offenbar sehr gut, denn um die Schandmäuler in Schutz zu nehmen, erklärte Marietta Slomka zugleich, die empörte Kritik an ihnen beruhe auf einer „orchestrierten Kampagne der digitalen Kloaken“, bei denen es genüge, „jemanden zu markieren“, um ihn in Verruf zu bringen. So etwas wagte sie zu äußern, obwohl kurz zuvor die mutige Moderatorin der ZDF-Sendung „Klar“, Julia Ruhs, aus den medialen Kloaken nicht bloß markiert, sondern gleich zum Abschuss freigegeben worden war. (Ihre Migrationsreportage, ein übler „Nazi-Shit“ auf „Goebbels-Stürmer-Niveau“, so die entrüstete Linke, müsse wegen „Rassismus“ sofort abgesetzt und aus der Mediathek entfernt werden.)
Als Alice Weidel später im Bundestag die infamen Attacken der berüchtigten öffentlich-rechtlichen Berufshetzer beklagte und erklärte, „niemand sollte gezwungen werden, für menschenverachtende Häme und Gewaltverherrlichung zu bezahlen“, da wurden „aus den anderen Fraktionen Nazi-Rufe laut“. Schließlich fasste ein STERN-Autor das ganze Elend der Ablehnung von „Ausreißern“ im Rundfunk entblößend ehrlich zusammen, als er schrieb, ihn beschleiche „das ungute Gefühl, dass die Entscheidungsträger langsam versuchen, schon mal ihre Karriere abzusichern für den Fall, dass die AfD an die Macht kommen sollte. So haben Weidel und Höcke dann weniger Arbeit beim Gleichschalten“.
Eingangs hatte ich eine Projektion vermutet. Kann man wirklich einen hoch anständigen Christen und Pazifisten verteufeln, ohne zumindest zu erahnen, dass daran etwas nicht stimmt? Kann man seine politischen Gegner durchweg ebenso brutal entmenschlichen, wie es in jüngerer Zeit nur die Wortführer totalitärer Regimes beider Couleurs taten, und dennoch ernsthaft glauben, dass man die gute Sache vertritt? Wenn dem so wäre, hätte der Begriff des Guten jeden normativen Sinn verloren und würde sich, wie für die Umma des Islam, in einem nebulös abgesegneten Machtanspruch erschöpfen.
Da wir aber, vielleicht abgesehen von Nietzsche, in einer ganz anderen Tradition stehen, fällt es sehr schwer anzunehmen, dass die Verrohung wirklich als Mittel zum Zweck des Guten gelten dürfte. Näher läge der Gedanke, und daraus würde die Kraft der Projektion folgen, dass das (neuerliche) Scheitern der großen Wandlung im Grunde gar nicht mehr aufrichtig bezweifelt wird. So offenkundig sich deren Apologeten bei allen Kernfragen in lebensfremde Fiktionen verrannt haben, so klar liegt auch auf der Hand, dass sie recht genau über ihre Inkompetenz und Ratlosigkeit Bescheid wissen, sich diese jedoch nicht eingestehen können, weil ihre Fehler zu enorm, deren Kosten ruinös und die Folgen unumkehrbar sind. Immerhin bietet sich dem trüben Bewusstsein, sowieso „verschissen“ zu haben, noch die Lust, ohne Rücksicht auf das Ansehen niedere Triebe ausleben zu können.
Letztlich resultierte der Sieg des „Verschissmus" daraus, dass das ethische Prinzip des Staates schon seit langer Zeit nicht mehr respektiert wird. Dieses Prinzip besagt: Sobald der Staat à la Lenin zur Durchsetzung partikularer Interessen missbraucht wird, ist man auf dem Weg in die Tyrannei. Nachdem mit Helmut Schmidt die letzte, dem Gesinnungseifer abholde, ganz der Verantwortungsethik verpflichtete Persönlichkeit in der deutschen Politik abserviert war, kam ein bräsiger Rabauke ins Amt, dessen „geistig-moralische Wende“ das Signal auf Korruption und Autokratie stellte. Durch ihn wurde die Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien salonfähig, und ergriff der Prole-Drift endgültig Besitz vom Regierungsviertel. Die Folgen sind bekannt und täglich zu beobachten.
Über den Autor: Hans Günter Holl, geb. 1949, ehemals Übersetzer (Whitehead, Bateson), heute Essayist und Rechtsanwalt.
Beitragsbild von Nationales Digitales Archiv, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
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