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Hans Günter Holl: SUIZIDALE PRÄVENTION

  • 17. Juli
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 27. Aug.

Wer das erste Knopfloch verfehlt, kommt mit dem Zuknöpfen nicht zu Rande. (Goethe)

Einmal dem Fehlläuten der Nachtglocke gefolgt, es ist nicht wieder gutzumachen. (Kafka)


Was der späte Hölderlin als „der Menschen wohnend Leben“ belächelte, war von je her vielfältigen Gefahren ausgesetzt: hausgemachten und elementaren, wobei die Grenzen zwischen den beiden heute als fließend gelten. Die immer und überall akute Bedrohung für Wohnstätten fand ihr symbolisches Pendant im grellen Bild des „roten Hahnes“, und seit dem frühen 18. Jahrhundert setzten sich Feuerwände durch. Sie standen gleichsam archetypisch für Gefahrenabwehr schlechthin, was der datentechnische Gebrauch des Begriffs „firewall“ als Sperre gegen moderne Schädlinge aller Art bestätigt.


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Eine defensive Blockade hatte die CDU bereits 2018 gefordert, und 2021 erklärte F. Merz programmatisch, er werde eine „Brandmauer“ zur AfD durchsetzen als Grenzwall gegen „rechtsextremes Gedankengut, Antisemitismus und Rassismus“. Also eine Wand gegen Ideen! Dabei gehe es ums Prinzip, und man müsse „im Verhältnis zur AfD von Anfang an sehr konsequent sein“. Wie Franz Josef Strauß einmal zu Recht betont habe: Eine Jacke, die man unten falsch knöpfe, werde oben nie richtig passen.


Das von Goethe stammende Gleichnis des Bayern passt bestens. Es umschreibt die heutige Lage in fast maßgeschneiderter Perfektion: Wenn eine Partei als die Inkarnation des Falschen identifiziert wäre, würde ihre entschlossene Ausgrenzung quasi von selbst für die Realisierung des Richtigen bürgen. Allerdings hat die Sache einen Haken, an dem man die Jacke aufhängen könnte, um zu veranschaulichen, dass die Fehlknöpfung keine politische, sondern eine tiefenpsychologische Metapher ist, und dass sie genau aus den Korrektiven resultiert, die einer Deformation vorbeugen sollen.


Das Geheimnis der XYZ-Partei


Zunächst einmal ist die AfD keine Nachfolgeorganisation der NSdAP, und leben wir nicht in den Anfängen der 1930er Jahre, sodass ihre Vernichtung eine grauenhafte historische Entwicklung verhindern könnte. Vielmehr wurde sie gegründet und ist erstarkt, weil sich ihre Mutterpartei durch Korruption, Willkür und Öffnung für sozialistisch-globalistische, primitiv-ökologische, verquast identitäre Ideologien selbst zur Beliebigkeit verurteilt hat. Merz wusste das im Grunde, und plauderte es in einer ungefragt aufgetischten Negation aus: „Wir sind nicht die XYZ-Partei, die mit jedem kann.“ Die Realität bewies auch exakt das Gegenteil.


Der völlig irrationale, nur durch verdrängte Schuldgefühle und Projektion des Bösen auf kritische Analytiker erklärbare Starrsinn prägt freilich nicht nur den Umgang mit der AfD, sondern trat auch im Verlauf der islamischen Invasion, bei der „Klimakrise“ und bei der Corona-Krise deutlich zutage. Das Grundmuster ist immer das gleiche:


  1. Die Politik ist alternativlos

  2. Das Hauptproblem bilden die Quertreiber

  3. Der Schlüssel zur Lösung liegt also in der Ausgrenzung


Dabei spielt der Schuldkomplex eine vertrackte Rolle. Im Fall von Klima und Landnahme erscheint klar, dass die Dissidenten aus moralischen Gründen kein Recht haben dürfen, gegen den Regimekurs anzukämpfen, weil „Wir“ in beiderlei Hinsicht bereit sein sollten, unsere schweren historischen Sünden zu erkennen und Buße zu tun. Bezüglich Corona lassen die krassen Zwangsmaßnahmen des Regimes vermuten, dass von Anfang an der Laborursprung des Virus als sicher galt – was sowohl die Beurteilung der Gefährlichkeit als auch die der Schuldfrage determinierte: Angesichts einer mörderischen feindlichen Attacke durfte man es nicht erlauben, dass irgendwelche Chaoten den entschlossenen Abwehrkampf des Staates boykottierten.


In diesem heroischen Gestus war es sogar möglich, weiter mit Masken, Impfdruck und Isolation zu experimentieren, als die Institute sich abschwächende Folgen der Zoonose meldeten und Proteste gegen Grundrechtsverletzungen zunahmen. Doch gegen solche Vorwürfe half die Praxis, durch Projektionen von der eigenen Verantwortung abzulenken. Wie Kritiker des arbiträren Globalismus als „Nazis“, Kritiker des grünen Ökoludditismus als „Klimaleugner“, Kritiker des fortgesetzten Landesverrats als „Xenophobe“, so sahen sich nun Kritiker kollektiver Zwangsexperimente kurz als „Impfgegner“ angeprangert. Mit dieser Routine der Ausgrenzung  gelang es den Kriminellen immer wieder, sich selbst als diejenigen mit der korrekt geknöpften weißen Weste darzustellen.


Alternativlos die Leiche fleddern


Dies alles ist nur deshalb möglich, weil hinter dem Schutz der Brandmauer ein auch von den geneigten Medien begrüßter Zustand herrscht, in dem mangels einer Kräftebalance keine Notwendigkeit mehr besteht, sich den Geboten streng rechtsstaatlicher Regeln zu unterwerfen. Deren Verfechter gelten sogar als der ausgemachte Feind, der das Recht in erster Linie als Schikane zu missbrauchen trachtet. Und da er, wie oben gezeigt, ohnehin als die Inkarnation des Bösen definiert ist, können alle politischen Bestrebungen fernab seiner Grundsätze eo ipso nur gut sein. Darin liegt letzten Endes die Legitimation für den Freibrief, den man sich gibt, Gesinnung über Verantwortung zu stellen.


Der unter solchen Bedingungen unvermeidliche Verfall ist heute – nach jahrzehntelanger unkontrollierter Autokratie – in allen wesentlichen Belangen so weit fortgeschritten, dass man von keinem Regierungswechsel mehr Auswege erwarten könnte, sondern allenfalls Leichenfledderei. Man fühlt sich an den Aphorismus von Karl Kraus über Sozialpolitik als Hühneraugenoperation an einem Krebskranken erinnert, allerdings in dem Wissen, dass die Einschränkung „Sozial“ historisch überholt ist.


Wenn es aber stimmt, dass die Hoffnung zuletzt stirbt, wenn Ernst Bloch recht hatte mit seiner Vision, dass „reale Demokratie“ die säkulare „Heimat“ zu begründen vermöchte, dann könnte vielleicht ein Rückblick auf die griechische Mythologie weiterhelfen. Darin symbolisieren die Augiasställe einen durch jahrelange Vernachlässigung verkommenen Zustand, wie er DE und mit ihm die EU kennzeichnet. Doch müsste man hier nicht kleine Flüsse, sondern ganze Ströme umleiten, um wieder für Ordnung zu sorgen. Denn in dem  Filz brennt es allerorten auch lichterloh, weil man uns im Schatten der Brandmauer den roten Hahn aufs Dach gepflanzt hat. Solange diese besteht, wird Schlimmes und immer Schlimmeres in der Alten Welt geschehen.


Blochs Vision einer realen sozialen Heimat kann das Herz erwärmen. Wahrscheinlicher ist jedoch die Hölderlins:


Die Mauern stehn

Sprachlos und kalt, im Winde

Klirren die Fahnen.


  *

 


Über den Autor: Hans Günter Holl, geb. 1949, ehemals Übersetzer (Whitehead, Bateson), heute Essayist und Rechtsanwalt.


Beitragsbild von George Cruikshank: The Drunkard's Children, 1848 (Ausschnitt)


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