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Peter J. Brenner: WIR SCHAFFEN DAS. ZEHN JAHRE DANACH

  • vor 8 Minuten
  • 8 Min. Lesezeit


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog des Instituts für Medienevaluation, Schulentwicklung und Wissenschaftsberatung (IMWS).


Am 31. August 2015 sprach die damalige Bundeskanzlerin auf einer Presse­konferenz mit fester Stimme jenen Satz, mit dem sie eine neue Epoche in der Geschichte der Bundesrepublik und auch der Europäischen Union einleitete: „Wir schaffen das“.  Gemeint war die Aufnahme einer unbekannten Zahl von Flüchtlingen aus dem Globalen Süden, die von der deutschen Bevölkerung mit einer ebenso beispiellosen wie unerklärlichen Euphorie aufgenommen wurde.



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„Deutschland ist nicht mehr Hauptziel für Asylsuchende“ lautete zehn Jahre später die etwas verdruckste Schlagzeile eines vormals migrationseuphorischen Hamburger Wochenblattes, das sich nicht entscheiden kann, ob das nun eine gute oder eine schlechte Nachricht ist. Im Juni 2025 wurde es offiziell: Die Zahl der Asylbewerber in der EU sei zurückgegangen, die meisten gebe es inzwischen in Frankreich, nicht mehr in Deutschland. Das ist richtig und doch gelogen.


Tatsächlich besagen die Zahlen der Asylagentur der Europäischen Union (EUAA), dass im ersten Halbjahr 2025 die meisten Asylerstanträge in Frankreich gestellt wurden, gefolgt von Spanien und Deutschland.  Allerdings: Bei diesen Zahlen handelt es sich um eine der branchenüblichen Fälschungen, wie sie seit zehn Jahren zum Handwerkszeug der Asylstatistik gehören. Die meisten Antragsteller in Frankreich stammten aus der Ukraine. In Deutschland stellen Ukrainer jedoch keine Asylanträge, weil sie ohne Antrag niederlassungs‑ und bürgergeldberechtig sind und eine gute Bleibeperspektive haben. Im ersten Halbjahr kamen 21 000 Ukrainer nach Deutschland; in der Summe sind es inzwischen 1,25 Millionen. Nicht enthalten sind in der deutschen Asylstatistik des ersten Halbjahres 2025 die 54 600 mit regulären Visen im Zuge des Familiennachzugs nach Deutschland geholten Personen; nicht enthalten sind weiterhin jene 2 500 aus Afghanistan im Zuge des Baerbock-Programms eingeflogenen Ortskräfte, deren Summe sich inzwischen auf rund 36 000 beläuft – anfangs war von 800 Personen die Rede. Aus den 70 300 offiziellen Asylantragsstellern ergibt sich somit eine reale Flüchtlingszuwanderung von 147 000 Personen allein im ersten Halbjahr 2025. Überhaupt keine statistischen Erhebungen gibt es zu den Zuwanderern der EU-Binnenmigration aus Südosteuropa, für die das deutsche Sozial- und Gesundheitssystem attraktiver ist als das einheimische. Und so geht es schon seit zehn Jahren: Die deutsche Öffentlichkeit wird systematisch hinters Licht geführt, um das wahre Ausmaß der Migration zu verschleiern; das Verfälschen von Statistiken gehört zur Königsdisziplin jener Behörden, die mit dem Migrationsgeschehen befasst sind.


Mit dem im deutschen Grundgesetz verankerten Recht auf politisches Asyl hat das alles nichts zu tun.  Dieses deutsche Asylrecht – es ist einzigartig auf der Welt – genießt in der deutschen Bevölkerung aus guten historischen Gründen ein hohes Ansehen. Aber nach Art. 16a GG werden pro Jahr etwa 0,7 Prozent der Antragsteller anerkannt. Die restlichen Fälle werden nach einem undurchdringlichen Geflecht von EU-Vorgaben, Genfer Flüchtlingskonvention, subsidiärem Schutz, Abschiebeverbot, Duldung entschieden, wobei es kaum ein Rolle spielt, ob die Entscheide positiv oder negativ ausfallen – bleiben kann fest jeder, der nun einmal da ist. Das ist bekannt.


Ebenso bekannt ist, dass Menschen bei ihren Auskünften gegenüber deutschen Behörden ihre Staatsangehörigkeit, ihre Vermögensverhältnisse, ihren Familienstatus und ihr Geburtsdatum frei wählen können – und zwar so wählen können, dass sie die größtmöglichen Ansprüche gegenüber dem deutschen Staat erheben können. Dagegen stehen die Bundesbürger, die sich nur einmal im Jahr ihr Geschlecht aussuchen dürfen, eher schlecht da. Nach offiziellen Angaben des BamF hatten im Jahre 2024 rund 60 Prozent der Antragssteller keine Identitätspapiere bei sich, was eine Rückführung praktisch unmöglich macht. Dem abgrundtiefen Misstrauen, das der deutsche Staat seinen einheimischen Bürgern gegenüber hegt, steht das grenzenlose Vertrauen gegenüber, das er den Selbstauskünften der Flüchtlinge entgegenbringt. Diese Missstände sind bekannt, und ein System, das hohe Prämien für erfolgreiches Lügen aussetzt, darf nichts anderes erwarten. Sie untergraben das über Jahrhunderte hinweg aufgebaute Vertrauen in die staatliche Verwaltung und in das Rechtssystem – zwei Säulen der modernen Gesellschaft.


Zerstörerischer noch als diese Befunde selbst ist die Art und Weise, wie der Staat damit umgeht: Er ignoriert sie, er duldet sie und er belohnt sie durch die Aushändigung von Sozialleistungen, Wohnungen, Bleiberechten und am Ende auch durch die Aushändigung der deutschen Staatsangehörigkeit. 2024 haben 291 955  Ausländer, darunter 83 150 Syrer, die deutsche Staatsbürgerschaft erworben – wobei man das „erworben“ in einer unbekannten Zahl von Fällen wörtlich nehmen kann.


Alles hat seinen Preis


Eine Kernaussage der euphoriegeschwängerten Migrationsdiskussion nach 2015 lautete: „Deutschland ist ein reiches Land“. Man werde sich ja wohl noch die humanitäre Geste leisten dürfen, ein paar Migranten aus benachteiligten Weltgegenden, ob sie nun Asylanspruch hätten oder nicht, ein menschenwürdiges Leben bieten zu können, das nach damaligem und heutigem, höchstrichterlich abgesichertem Verständnis offensichtlich nur in Deutschland möglich ist. Außerdem würden sie es den Deutschen danken, da es sich um Fachkräfte handele, die später „unsere Renten“ zahlen, die Alten pflegen, die medizinische Versorgung gewährleisten und überhaupt den Industriestandort Deutschland sichern.


Ganz so ist es nicht gekommen. Das Beschäftigungswunder per Migration hatte eine klares Ergebnis: „Höchster Wert seit 2015: Zahl der Arbeitslosen in Deutschland auf über 3 Millionen gestiegen“, lauteten die Schlagzeilen vom 1. September 2025. Eine „Rekordmarke“ sei „geknackt“ worden, jubelten die Medien, als handele es sich hier um einen Leistungsnachweis des „Einwanderungslandes Deutschland“. Früher wusste man in den Gewerkschaften und bei den Sozialdemokraten noch, was Massenimmigration von gering oder ganz und gar nicht qualifizierten Arbeitskräften bedeutete: Lohndumping im Niedriglohnsektor und Konkurrenz um Wohnraum und Sozialleistungen. Marx hätte von einer „industriellen Reservearmee“ gesprochen. Aber Marx konnte noch nicht wissen, dass der moderne Wohlfahrtsstaat auch ohne Lohnarbeit ein gutes Leben von der Einwanderung bis zur Rente gewährleisten muss.­ So will es die höchstrichterliche Rechtsprechung.


Inzwischen gilt es als eine Erfolgsmeldung, wenn die Bundesagentur für Arbeit melden kann, dass rund 60 Prozent der vor zehn Jahren gekommenen Asylanten einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Und auch das ist völlig unglaubwürdig, Denn diese Angaben beruhen nicht etwa, wie der mediengläubige Zahlenkonsument anzunehmen verleitet werden soll, auf harten Daten der Bundesagentur für Arbeit, des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge oder der Sozialversicherungsträger – sie beruhen auf der stichprobenartigen Befragung mit Selbstauskünften von Migranten.


Bezahlbar ist das alles nicht mehr. Ein Drittel des Staatshaushaltes 2026 beruht auf neuer Schuldenaufnahme. Der Großzügigkeit gegenüber den Migranten tut das keinen Abbruch. „Es ist ja nur Geld“, pflegt man in der deutschen Regierung zu sagen, und Geld kann man den einen nehmen – Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Reichensteuer –, um es den anderen zu geben. Das geht so lange, bis nichts mehr zum Nehmen da ist.


Für 2025 sind rund 24 Milliarden Euro im Bundeshaushalt für die Migranten eingeplant. Dazu kommen die Kosten für Unterbringung, Versorgung und Integration von Asylsuchenden, die von den Bundesländern getragen werden. Aus dem Bundeshaushalt kommen die Refinanzierungskosten für die Landkreise und Kommunen. Die aber klagen, dass damit nicht einmal die direkten Kosten vollständig abgedeckt werden. Und die indirekten Kosten werden gar nicht erfasst: Enorme Aufwendungen für Kitas, Kindergärten, Schulen, Sozialhilfe- und Betreuungs­einrichtungen für die besonders kostenaufwendigen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, für Sicherheitsdienste, Polizei, für Gefängnisse. Nach aktuellen Angaben beträgt der Ausländeranteil in deutschen Justizvollzugsanstalten rund 45 Prozent. Das kann man wahlweise als Ausdruck einer rassistischen Justiz oder als überproportional hohe Straffälligkeit von Ausländern deuten.


Topographie der Gewalt


In der deutschen Migrationsgesellschaft bekommen geographische Namen eine neue Bedeutung. Auf der einen Seite werden Straßen umbenannt, um auch nur jede denkbare Spur kolonialer Erbschaft oder rassistischer Gewalt zu löschen. Auf der anderen Seite bekommen harmlose Ortsnamen, verbunden mit einem Datum,  einen böse Klang: Mit der „Kölner Domplatte“ in der Silvesternacht 2015 fing es dann. Es folgten Berlin, Breitscheidplatz (23. Dezember 2016), Würzburg (25. Juni 2021), Illerkirchberg (5. Dezember 2022), Brokstedt (25. Januar 2023), Mannheim (31. Mai 2024), Solingen (23. August 2024), Magdeburg (20. Dezember 2024), Aschaffenburg (22. Januar 2025), München (13. 2. 2025). Jeder dieser Ortsnamen steht für einen Ausbruch migrantischer Gewalt, an deren Opfer keine Straßennamen erinnern.


Das ist der Preis für die Politik der offenen Grenzen. Hierfür gibt es eine kaltschnäuzige politisch-mediale Sprachregelung: „Alles nur Einzelfälle“. Jeder dieser Einzelfälle bedeutet ein zerstörtes Leben.


Die migrantische Devianz reicht weit über diese spektakulären Mordfälle hinaus tief in die deutsche Lebenswirklichkeit hinein. Seit 2015 gibt es das alljährlich vom Bundeskriminalamt erstellte „Bundeslagebild zu Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“. Jahr für Jahr werden die Zahlen mitgeteilt, die von der Zunahme von „Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“ zeugen, von Gewaltkriminalität, Messerangriffen, Sexualverbrechen. Den Bürgerkrieg hat man sich inzwischen ebenfalls ins Land geholt: Türken gegen Kurden, Eritreer gegen Eritreer, Palästinenser gegen Juden, Araber gegen Afrikaner, Muslime gegen Christen und in den multikulturellen Asylbewerberheimen alle gegen alle.


Wegen „geringen Verschuldens“ und „mangelnden öffentlichen Interesses“ wird das inzwischen auch gerne bandenmäßig verübte Massendelikt Ladendiebstahl von den Staatsanwaltschaften faktisch nicht mehr verfolgt. Gar nicht erst in die Statistiken aufgenommen werden Verstöße gegen das Ausländer‑ und Asylrecht. Warum eigentlich nicht? Recht ist Recht, sollte man meinen, aber inzwischen wird man sich wohl damit abfinden müssen, dass es zweierlei Recht gibt in Deutschland.


Die Fremden


Der US-amerikanische Soziologie Richard Sennett hat es als ein wesentliches Merkmal von „Zivilisation“ definiert, dass man Fremden im öffentlichen Raum begegnen könne, ohne sich fürchten zu müssen. Das ist vorbei.  Gewiss ist in vielen Fällen die Integration gut gelungen. In einem Bericht des Zweiten Deutschen Fernsehens erklärte ein syrischer Flüchtling in Salzgitter – Ausländeranteil 35 Prozent –, dass er sich in seiner neuen Heimat wohl fühle: „Es ist wie eine arabische Stadt hier.“

Wo die einen sich wohl fühlen, wird es den anderen unbehaglich. Zu den klassischen No-Go-Areas kommen immer mehr  Vermeidungsräume hinzu; Räume, die man umgeht, Räume die Unbehagen hervorrufen, ohne dass sie direkt Anlass für Angst bieten und die man vermeidet, wenn es irgend möglich ist. Öffentliche Verkehrsmittel gehören dazu, Bahnhöfe, Hotspots auch in Kleinstädten, Freibäder, Volksfeste.


Die Vorstellung, man könne durch eine „Migrationswende“  das Rad wieder zurückdrehen und stabile Zustände schaffen, ist eine fromme Illusion. Sie wäre es auch dann, wenn ein wirklicher politischer Wille dafür zu erkennen wäre. Die kulturellen Bindekräfte der Gesellschaft sind unwiederbringlich zerrüttet. Jeder moderne westliche Staat  ist angewiesen auf soziale und kulturelle  Ressourcen, auf fraglose Selbstverständlichkeiten des Zusammenlebens, die nicht jeden Tag „neu ausgehandelt“ werden müssen.  Dass man staatliche Solidarleistungen nicht durch Betrug erschleicht, dass man Konflikte nicht mit dem Messer austrägt, dass Frauen nicht vergewaltigt werden dürfen, sind Errungenschaften eines Zivilisationsprozesses, auf denen moderne Gesellschaften aufbauen. Sie sind nicht darauf eingerichtet, dass die Gesetzestreue einer großen und wachsenden Gruppe in der Bevölkerung aufgekündigt wird, so dass der Staat nicht nur ausnahmsweise, sondern permanent eingreifen, regeln und steuern, überwachen und strafen muss.

 

Wie konnte das geschehen?


Eine ungelöste, aber auch kaum gestellte Frage ist die, wie es dazu kommen konnte. Wie war es möglich, dass sich die westeuropäischen Länder unter dem Jubel ihrer Bevölkerungsmehrheiten und ohne jede Not dazu entschlossen haben, ihre Grenzen nicht nur zu öffnen, sondern Migranten aus aller Welt offensiv anzulocken und sie auf die Segnungen der hiesigen Sozialsysteme hinzuweisen?

Der damalige Außenminister Siegmar Gabriel fand als erster die Faustformel für die Willkommenseuphorie: „Wir schaffen das!“ postulierte er am 22. August 2015 in einem Video-Podcast, rund zwei Wochen, bevor die Bundeskanzlerin diese Formel ihrem Vizekanzler aus der Hand nahm, um selbst daraus politisches Kapital zu schlagen. Gabriel erklärte nicht, wie „wir“ es schaffen können, aber er erklärte, warum „wir“ es schaffen müssen: „Frieden, Menschlichkeit, Solidarität, Gerechtigkeit: Das zählt zu den europäischen Werten. Jetzt müssen wir sie unter Beweis stellen.“ Das sind in der Tat die „westlichen Werte“, die sich in einer jahrhundertelangen europäischen Tradition herausgebildet haben wurden.


Aber das Menschheitspathos dieser Werte hat eine Kehrseite. In der Lebens­wirklichkeit können sie nur Fuß fassen, wenn  ihnen stabile Institutionen Halt geben. Auch diese Institutionen haben sich über Jahrhunderte hinweg seit der Frühen Neuzeit in Westeuropa herausgebildet: Leistungsfähige Verwaltungssysteme, christliche Kirchen, funktionierende Bildungseinrichtungen, ein verlässlicher Polizeiapparat, eine glaubwürdige Justiz, sichere Grenzen, eine florierende Wirtschaft, die sich auf die Leistungsbereitschaft ihrer Akteure verlassen kann, eine Solidargemeinschaft auf Gegenseitigkeit. Wer das alles hat, kann sich auch „westliche Werte“ leisten; und wer es nicht hat, es sogar mutwillig preisgibt, verspielt in wenigen Jahren die  Errungenschaften des Zivilisationsprozesses, die über Jahrhunderte aufgebaut wurden. Jetzt fängt alles wieder von vorne an.



Über den Autor: Prof. Dr. Peter J. Brenner ist Gründer und Leiter des IMSW. In  seiner jahrzehntelangen wissenschaftlichen Tätigkeit an verschiedenen Universitäten, zuletzt an der Technischen Universität München, hat er umfassende Kenntnisse des deutschen Bildungswesens erworben. In der bildungspolitischen Diskussion bekannt geworden ist er durch zahlreiche wissenschaftliche Publikationen und kritische Stellungnahmen zu Entwicklungen und Fehlentwicklungen des deutschen Bildungswesens.



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