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Ralf Rosmiarek: DAS BÖSE – EINE TEUFLISCHE KARRIERE (II)

  • 8Std.
  • 5 Min. Lesezeit

Allenthalben Hoffnungslosigkeit, zermürbende Trostlosigkeit. Glanz, Trost und Seligkeit wollen nicht so recht in die geschundenen Seelen. Seltsam ahnendes Wissen metaphysischer Wirklichkeit in Sage und Märchen, in Kunst und Dichtung.



Machtkampf mit Werkzeug, 1884
Machtkampf mit Werkzeug, 1884

Bei den alten Griechen sogleich auch der Griff zum Bilde, um das Unaussprechliche auszudrücken. Tantalus, erst der Frevelnde, dann der Gequälte, steht da im Fluß, es dürstet ihn, doch bückt er sich, um zu trinken, zieht sich das Wasser unerreichbar zurück. Die süßen Früchte des Baumes sind ihm ebenfalls unerreichbar, die Äste weichen hinfort, sobald er nach ihnen greift. Hunger und Durst auf ewig quälend. Sisyphus. Auch seine Bestrafung ewiglich, Tag und Nacht muß er einen Felsblock den Berg hinaufrollen, der doch stetig wieder hinunterrollt. Ein Adler zerpflückt mit scharfem Schnabel dem Prometheus, der den Göttern das Feuer stahl, die Leber im Leib. Höllenqualen! Unendlich die Strafe des Frevlers. Hölle als finale existenzielle Katastrophe. Urzustände, Urerfahrungen aus den Tagen der menschlichen Morgenstunde brechen sich Bahn in der Metapher.

 

Wundert es also – und frei mit Goethe ließe sich schließlich feststellen: „Denn eben wo Begriffe fehlen“ – und wo fehlten sie angesichts des Ungeheuerlichen und Unbegreiflichen nicht?! – „da stellt ein Bild zu rechten Zeit sich ein“ –, daß dem Florentiner Dante Alighieri (1265-1321) das Höllentor vor das Auge tritt und er über dem Tore lesen kann: „Laßt, die ihr hier eintretet, alle Hoffnung fahren“? Zerberus jault zustimmend. Denn teuflischer wurde es mit dem Christentum. Allenthalben zwar viel Erlösungsgetöse, denn Jesus, der gute Hirte, das Lamm Gottes, das vermeintlich hinweg nimmt die Sünde der Welt, verkündete: „Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen“ (Mk. 1,15). Freilich mit dem Anbruch des Gottesreiches steht auch der „Feuerofen“ bereit, denn die „Engel werden ausgehen und die Bösen von den Gerechten scheiden“, „werden sammeln […] die Ärgernis geben und die da Unrecht tun, und werden sie in den Feuerofen werfen“ (Matth. 13, 41f.; 49f.). Und überhaupt: „da wird Heulen und Zähneknirschen“ sein.

 

Bruder Jesus, der Erlöser, der Menschenfreund, der nach dem Johannesevangelium präexistente Gottessohn, verweist unentwegt auf die Hölle: „Geht von mir, Verfluchte, in das ewige Feuer“ (Matth. 25,41). So spricht der Tröster: „Wenn aber deine Hand oder dein Fuß dich ärgert, so haue ihn ab und wirf ihn von dir. Es ist dir besser, lahm oder als Krüppel in das Leben einzugehen, als mit zwei Händen oder mit zwei Füßen in das ewige Feuer geworfen zu werden“ (Matth. 18,8). Der Philosoph Paul Thiry d‘Holbach fragt, ob ein solcher Gott nicht der „schwärzesten Bosheit“ anzuklagen sei, schließlich schickte der Gott eines Mose nur den irdischen Tod, niemals aber die Hölle: „Die vergänglichen Strafen des irdischen Lebens sind die einzigen, von denen der hebräische Gesetzgeber spricht; der Christ sieht seinen barbarischen Gott voller Wut und ohne Maß sich rächen in alle Ewigkeit.“.

 

Wieviel Teufel steckt in Gott und in seinem eingeborenen Sohn? Selbst Martin Luther verschreckte der Gedanke, wie der Theologe Hans-Martin Barth in seiner Dogmatik hervorhob: „Der Teufel ist Gottes Teufel! Luther geht noch einen Schritt weiter: Ich muss dem Teufel ein Stündlein die Gottheit gönnen, und unserm Gott die Teufelheit zuschreiben lassen.


Das Rätsel Mensch

 

Freilich, dem Teufel wird das Lachen dereinst vergehen, verwarf doch auch Johann Wolfgang von Goethe seine ursprüngliche Idee, im Faust II Mephistopheles zu erlösen. „Das ewige Feuer“ ist schlußendlich ebenfalls „für den Teufel und seine Engel bestimmt“, machte Liebesbotschafter Jesus klar. Das Jenseitige wird somit selbst für den Teufel zum Kind der Enttäuschung. Das Böse jedoch zeigt sich unbeeindruckt ob des teuflischen Niedergangs, es hat seine metaphysische Dimension längst preisgegeben.


Inzwischen hat sich eine Vielzahl säkularer Religionen installiert, hat sich der Mensch zum allmächtigen Gott stilisiert. Der Staat bildet die neue Kirche und wird die Verkündigung übernehmen. In seinem 1995 vorgelegten Buch „Politische Religionen“, faßt Hans Maier zusammen: „Am Ende des Jahrhunderts der totalitären Systeme ein verblüffender Blick auf eine gefährliche Verbindung von Religion und Politik mit spannenden Ergebnissen: Im russischen Kommunismus genauso wie im deutschen Nationalsozialismus, im italienischem Faschismus wie im kommunistischem China gibt es ‚heilige Bücher‘ und ‚reine Lehren‘, es gibt militante Heidenmissionen und Kreuzzüge, Ketzer und Ketzergerichte, strafbewehrte Sorge für ‚Glaube‘ und ‚Sitte‘, Häresie und Inquisition, Dissidenten und Renegaten, Apostaten und Proselyten – dazu ein umfangreiches quasiliturgisches Feier-Ritual, sogar den Entwurf neuer Kalender und Zeitrechnungen. Zwar waren weder Lenin noch Hitler, weder Mao noch Mussolini Religionsstifter. Aber sie haben religiöse Gefühle ihrer Anhänger benutzt, ausgebeutet und missbraucht. Und viele Anhänger moderner Diktaturen verstanden ihren politischen Auftrag nicht als Antireligion, sondern als neue Religion.“ Illusionen blasen sich zur Größe. Die alten Perversionen werden ungezügelt fortgesetzt, vergessen hat der Mensch, daß er bloßes Tier ist, hat sich selbst abgetrennt von der ursprünglichen Moralität, dem Gesetz des spezifisch Richtigen wie des spezifisch Falschen für jedes Lebewesen.


Herrschaft und Erniedrigung


Unser frühster Vorfahr noch – wohl kaum als Denker von Format vorstellbar – war imstande, zu essen und sich zu reproduzieren, er vermochte die jeweils richtige Nahrung zu wählen, die falsche zu ignorieren. Das erste lebende Etwas, das die Natur hervorbrachte, enthielt die Information, die Leben ermöglichte. Doch wer eben träumt, er werde nach seinem Tod ewig leben, der kann keine Grenze anerkennen. Er schafft sich somit seine Traumländer, läßt sie unbarmherzige Realität werden, schafft sie sich mittels seiner permanent steigernden Aggressivität … der Mensch, krank, geistlos, letztlich eine tollwütige Bestie, nach allem heischend, was Größe suggeriert. Carl Gustav Jung hob heraus: „Alle Menschen leben von einem Mythos“. Der abweichende Mythos aber ist der Falsche, gefährlich und somit böse.


Die Geschichte des Menschen konstituiert sich durch die Jahrtausende aus Herrschaft und Erniedrigung. „‚Geschichte wiederholt sich nicht’; das wiederholt sich dauernd […] so gesehen ‚passiert’ grundsätzlich überhaupt nichts Neues, denn es bleibt sich qualitativ gleich, ob man Macht mit Pfeil und Bogen, mit Vorderladern, Maschinengewehren oder atomar ausübt. Geschichte ist ein Schauspiel aus ungezählten Akten – vor allem der Gewalt; ein steter Fortschritt auch vom Kopfjäger etwa zum Gehirnwäscher, vom Blasrohr zur Rakete, vom Faustrecht zum Recht, von Friedensschluß zu Friedensschluß, von Metastase auch zu Metastase, von Fall zu Fall“ (Karlheinz Deschner). Noch immer lacht der Teufel, fortan ein bißchen leiser, als wüßte er mehr.


Lesen Sie hier den ersten Teil über das Böse und seine teuflische Karriere.


Über den Autor: Ralf Rosmiarek, geb. 1962, Studium der Theologie, seit 1989 als Angestellter in Erfurt tätig. Mitbegründer und -organisator des Klassik-, Kunst- und Literaturfestes „Sommerklang“ (Oberbösa), Beiträge u. a. in Aufklärung & Kritik, Nietzsche-Studien, Humanistischer Pressedienst,  Makroskop, TUMULT und manova News (vormals Rubikon).



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