top of page

Thomas Hartung: NACHTRÄGLICHE ZWANGSPOLITISIERUNG

Einem bedeutenden Expressionisten wird Sexismus und Rassismus unterstellt. Das Kölner Ludwig-Museum ergänzt sein Bild um einen Jahrzehnte jüngeren Film. Thomas Hartung über die alle Lebensbereiche erfassende Zwangspolitisierung.



*



Anfang November startete das Kölner Ludwig-Museum ein eigenwilliges „Experiment“: im 3. Obergeschoss wird – exakt gegenüber einem 1926/27 entstandenen Gemälde – ein Dokumentarfilm von 1970 gezeigt. „In der Gegenüberstellung von Bild und Film soll erprobt werden, wie der Blick auf Kunst um historische, soziale und politische Aspekte erweitert werden kann“, so die offizielle Begründung. Inoffiziell deutet das Antje Stahl in der NZZ als Versuch, einen Weg zu finden, wie ein Museum in Zukunft mit Kunstwerken umgehen kann, „die Menschen auf die eine oder andere Art und Weise diskriminieren“. Das Kunstwerk ist Otto Muellers „Zwei Zigeunerinnen mit Katze“.


Vier Jahre ist es nicht ausgestellt worden, wie Kuratorin Julia Friedrich im DLF erklärt. Denn die Museumsleute empfanden es als problematisch, das Bild zu zeigen, ohne den Kontext zu erläutern. Das Bild zeigt zwei junge Frauen mit dunklen Haaren, dunkler Haut und entblößten Brüsten, die in einem Haus an einem Tisch mit einer roten Tischdecke stehen/sitzen, hinter dem eine dunkelgraue Katze in einem Fenster mit gelben Übergardinen hockt. Jeder „halbwegs gebildete Betrachter“ sollte erkennen, „dass hier vermeintlich wilde Mädchen aus der Fremde inszeniert und auf sehr expressionistische Art und Weise domestiziert werden“, erklärt Stahl. Friedrich interpretiert in die Figuren gar sexistische Klischees: „verführerisch, erotisch, gefährlich schön und wild.“


Allerdings hält sie wegen des „lange verdrängten deutschen Völkermords an den Sinti und Roma in der Zeit des Nationalsozialismus“ das rassistische Element für noch problematischer. Die Vorurteile gegenüber Sinti und Roma seien in der deutschen Gesellschaft weiterhin vorhanden – umso wichtiger, dem Klischee entgegenzuwirken. Nicht nur Romnja (Plural von Roma), die das Museum besuchten, könnten sich bereits durch den Titel des Bildes „Zwei Zigeunerinnen mit Katze“ angegriffen fühlen. Vor diesem Hintergrund betonte die Kuratorin die Notwendigkeit, die Werke einer Sammlung immer wieder neu anzuschauen und auf aktuelle Bezüge zu überprüfen.


Einen „aktuellen Bezug“ soll nun also der Film „Zigeuner sein“ von Peter und Zsóka Nestler herstellen, der 1970 (!) in Schwarz/Weiß einen Blick auf die damalige Situation der Sinti und Roma in Deutschland wirft. Die Autoren suchten Randgebiete deutscher Städte auf und interviewten Männer und Frauen, die in Ghettos, Arbeits- und Konzentrationslagern wie Theresienstadt, Lackenbach oder Auschwitz waren. 47 Minuten lang gaben sie den Überlebenden aus den Sinti- und Roma-Gemeinschaften eine Stimme - über 40 Jahre nach (!) dem Entstehen des Bildes. Das ist kein Witz. „Wo liegen eigentlich die zeitlichen und inhaltlichen Grenzen der moralischen Waschmaschine“, ärgert sich ein Kommentator auf dem Facebook-Auftritt des Museums.



„Genealogie des Rassismus“


Zigeuner ziehen sich als Bildmotiv durch die Jahrhunderte; Caravaggio, Burgos, Manet und viele andere inszenierten sie als fahrendes Volk, Wahrsager und Diebe sowie verführerische Frauen, die Männern von Stand und Adel den Kopf verdrehen. Selbst Lange muss zugeben, dass sie dieses Zusammenspiel aus „Bild und Gegenbild“, so der Titel der Neupräsentation, als „bedrückend“ empfindet: „ein ausdrucksstarkes Gemälde von zwei jungen Frauen zu bewundern, während im Rücken über den Genozid an den europäischen Roma und die damit verbundenen Folgen wie Armut, Obdachlosigkeit und gesundheitliche Schäden gesprochen wird, fühlt sich mehr als widersprüchlich an: Schlummert in Muellers Ästhetik etwa auch die Genealogie des Rassismus?“


Die erste Zumutung dieser „Neupräsentation“ heißt Entwertung der Person. Zwar ist der 1874 geborene Offizierssohn Mueller, der sich der ersten und ältesten Malergruppe des deutschen Expressionismus, der Dresdner „Brücke“ mit Kirchner, Pechstein und Nolde anschloss, kein Mörder wie etwa Caravaggio, der am 29. Mai 1606 wegen einer verlorenen Wette in einer wilden Rauferei mit einem gewissen Ranuccio Tommasoni seinen Kontrahenten erstach. Doch wird mit dieser Gegenüberstellung suggeriert, dass Mueller allein durch Namen und Motiv irgendwie „schuldig“ sein müsse. Das Unerträgliche daran: Muellers Mutter ist selbst eine Zigeunerin, die als Kind von einer schlesischen Gutsbesitzerin, einer Tante Gerhart Hauptmanns, adoptiert worden war. In Hauptmanns Epos „Till Eulenspiegel“ ist er als „Halbzigeuner“ porträtiert, der „Große Brockhaus“ bezeichnet ihn in den sechziger Jahren ebenso. Fast bei allen Kritikern, die ihn nennen, wird seine Begabung als Folge der Polarität seines Elternhauses erklärt.


Mueller hatte blauschwarzes Haar und eine gelbe Hautfarbe und reiste Jahr um Jahr zu Zigeunervölkern auf den Balkan, um mit ihnen durchs Land zu ziehen. Und so malte er Zigeunerkinder, Zigeunermädchen, Zigeunerfrauen, Zigeunerpaare, Zigeunerwagen, eine Zigeuner-Madonna und Adam und Eva als Zigeuner. Seine „Zigeunermappe“, ein in geringer Auflage verbreiteter Zyklus von neun Farbgraphiken, wurde 1956 für 17.600 Mark, vier Jahre später schon für 40.000 Mark auf deutschen Auktionen zugeschlagen. Wird ihm jetzt zum Vorwurf gemacht, dass er Menschen malte, die Jahre nach seinem Tod 1930 verfolgt wurden? Das nächste Unerträgliche dabei: Mueller wurde von den Nationalsozialisten diffamiert, viele seiner Arbeiten als „entartet“ beschlagnahmt. So wird aus rinks lechts, würde Ernst Jandl sagen.



politische Reinigungsrituale


Die zweite, wirkmächtigere Zumutung aber ist die nachträgliche Zwangspolitisierung, mit der aktuelle Mainstream-Moralvorstellungen denen der Vergangenheit übergestülpt und natürlich als diesen überlegen zelebriert werden. Man kann Menschen aber nicht für etwas verurteilen, was diese weder realiter noch begrifflich geschweige denn von der interpretativen Ausdeutung her kannten. Eine normative Rückbewertung von Geschichte - moralisierend, überheblich und gnadenlos - kannten bis dato aber nur die beiden Tiefpunkte der politischen Kultur in Deutschland, die NS- und die DDR-Zeit. Offenbar gilt die Regel, dass ein Staat umso mehr die Geschichte für sich instrumentalisieren, umdeuten muss, je weniger zukunftsfähig er ist. Muss man jetzt Künstlern, Politikern, ja allen Menschen raten, jedes Werk, jedes Wort, jeden Schritt darauf zu prüfen, ob sie nicht gegen mögliche Sittenregeln verstoßen, die erst in 100 Jahren formuliert werden? Sind die Bilderstürmer wieder da, denen erst die Bücherverbrenner und dann die Menschheitsvernichter folgen?

Der noch bis 1. März in Köln zu besichtigende Vorgang erhellt sowohl die ideologisch abstruse Entwertung tradierter Ästhetik als auch die machtpolitisch instrumentalisierte Interpretation von Kunstgeschichte. Er gleicht politischen Reinigungsritualen wie den Umbenennungsorgien deutscher Straßennamen, mit denen man die Zukunft von den Anmaßungen der Vergangenheit säubern möchte. 10.000 Jahre lang war etwa der weibliche Akt Thema der Kunst, obwohl im Alltag die unverhüllte Frau einem kaum über den Weg läuft. Irgendein Gender-Experte kann dann auch die Venus von Milo zum sexistischen Machwerk erklären.


Stahl windet sich einzuräumen, dass der Eindruck eines „Tugendterrors“ entstehen könnte, der vielleicht Minderheiten beschütze, aber eben vor allem der Kunst schade. Doch gibt sie sich am Ende voll pathetischer Zuversicht: „Die Gegenüberstellung von Gemälde und Film wird die Besucher dieses Hauses vor den Kopf stoßen, weil sie die verehrte Ästhetik der Avantgarde in jenes dialektische Licht stellt, das in den größten Errungenschaften der Menschheit auch immer nach den Ursprüngen ihrer Verbrechen fahndet“. Kunstmuseen waren und sind aber weder Detekteien noch Tempel sich zwangsdialektisch gerierender Gesinnungsethik. Das sollte auch so bleiben.




*


Über den Autor:


Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Als Presse- und PR-Chef verantwortete er alle Publikate von der Pressemitteilung bis zum Fernsehspot und damit auch maßgeblich den Landtags- und vor allem den Bundestagseinzug des Landesverbands als stärkste Kraft vor der CDU. 



 

Hier können Sie TUMULT abonnieren.

Für Einzelbestellungen klicken Sie bitte hier.


bottom of page