Thomas Hartung: FASCHISMUS ALS POPFANTASIE
- 1. Mai
- 21 Min. Lesezeit
Während linke Musiker mehr „Musik gegen rechts“ fordern, werden Pop- und Techstars der USA ebenso des Faschismus geziehen wie hierzulande die AfD. Anmerkungen zu einer kulturpolitischen Begriffsverwahrlosung mit besonderem Blick auf Baden-Württemberg.

Wenn Ex-Punkerin Gwen Stefani in die „kulturelle Kampfzone“ hochgejazzt und Kim Kardashian als „Einfallstor des Faschismus“ in der Popkultur denunziert wird – wie jüngst von Ferdinand Meyen im BR-Zündfunk – dann ist der Kulturkampf endgültig in die Stratosphäre des Absurden vorgedrungen. Die politische Lage der Popkultur gleicht heute einem Punksong, der auf halber Geschwindigkeit rückwärts abgespielt wird. Alles, was einst als Ausdruck des Widerstands, der Freiheit und des Außenseitertums galt, wird heute in ein Korsett moralischer Vorschriften und Verdachtsmomente gezwängt. Und wer dieses Korsett in Frage stellt, riskiert, selbst zum Fall für den Verfassungsschutz zu werden. Dabei ist die Szene selbst keineswegs homogen. Während linke Musiker wie Wolfgang Niedecken jüngst im WDR „mehr Rock gegen Rechts“ im öffentlich-rechtlichen Rundfunk forderten – ein Aufruf, der in seinem Geist an das Staatskünstlerwesen der DDR erinnert –, genügen heute schon ein adaptierter Sketch, ein falscher Tweet oder ein zu offenes Bekenntnis zur Meinungsfreiheit, um als Sympathisant finsterer Kräfte gebrandmarkt zu werden.
Die Faschismus-Keule wird geschwungen wie weiland das Feuerzeug beim Balladenfinale. Es ist ein eigentümliches „Verdienst“ unserer Gegenwart, dass sie den Faschismusbegriff so weit aufgeweicht hat, dass er kaum noch etwas mit dem historischen Phänomen gemein hat – dafür aber umso flexibler einsetzbar ist. Faschismus, das war einst eine klar definierte Ideologie mit Parteistrukturen, Führerprinzip, Gewaltmonopol. Sehr vergröbert kann man darunter subsumieren: politisch eher linken Totalitarismus plus mit Ultranationalismus gepaartes militärisches Expansionsstreben über die nationalen Grenzen hinaus mit Waffengewalt plus ideologische Menschenverachtung, die in (Massen)Mord gipfelte; alle 3 Elemente waren obligat.
Heute dagegen reicht es, einen Bart wie Charles Lindbergh zu tragen oder in den falschen Tonarten zu schrammeln, um in den Verdacht zu geraten, ein Faschist zu sein. Bereits 1944 hat George Orwell in seinem Essay „Was ist Faschismus?“ festgestellt, dass „Faschist“ im Alltag vor allem als Schimpfwort diente, das in Großbritannien schon alles und jeden traf: „Konservative, Sozialisten, Kommunisten, Trotzkisten, Katholiken, Kriegsgegner, Kriegsbefürworter, Nationalisten“. Seine Schlussfolgerung galt damals wie heute: „Das Wort Faschismus ist fast komplett bedeutungslos.“ Denn wer alles Faschismus nennt, kennt keinen mehr. In den 1980er Jahren war „Rock gegen Rechts“ eine Reaktion auf Neonazis – die werden von links neuerdings zu gern mit „Faschisten“ synonymiert und vice versa, wie dieser Text auch zeigen wird. Heute wird der Rock reanimiert, um AfD-Wähler zu belehren, Rentner zu diskreditieren und kritische Künstler mundtot zu machen. Der Begriff „Faschismus“ wird dabei nicht analysiert, sondern instrumentalisiert. Wer dagegen mit Musik kämpft, betreibt letztlich Vergangenheitsfolklore.
Formale Gleichheit von Menschen abschaffen
Der Konformitätsdruck, sich klar zur „richtigen Seite“ zu bekennen, ist inzwischen so stark geworden, dass selbst der Akt des Nicht-Kommentierens als politisches Statement gedeutet wird.Diese Entwicklung lässt sich auch in der öffentlichen Wahrnehmung prominenter Pop-Ikonen ablesen. Udo Lindenberg etwa darf als unangefochtener Bundespräsident der Anti-Rechts-Bewegung das Haltungs-Verdienstkreuz entgegen nehmen: zuletzt warnte er „80 Jahre nach Auschwitz“ vor „Mehrheiten mit gesichert rechtsextremen Gestalten“, ja „braunem Feuer“ – gemeint war der Unionsantrag zur Migration im Bundestag. Bei Gwen Stefani oder Kim Kardashian dagegen reicht bereits ein modischer Fauxpas – etwa die Aneignung fremder Kulturmuster oder eine angeblich militaristisch konnotierte Ästhetik –, um ihnen unter dem Titel „Pop und Faschismus“ eine Nähe zu „faschistischen Codes“ zu unterstellen. Dabei kommt beider Denunzierung nicht von ungefähr: spätestens seit der Inauguration von Donald Trump wird nicht nur im deutschen Medienmainstream gar von „Techno-Faschismus“ geschwafelt. Das Phänomen der Begriffsverwahrlosung muss also mindestens aus zweifacher, nämlich politischer und musikalischer, oder verallgemeinernd popkultureller Perspektive verhandelt werden.
„Im Silicon Valley ist der amerikanische Techno-Faschismus keine philosophische Gedankenübung mehr, mit der zwischen Intervall-Fasten und therapeutischen Ketamin-Dosen gespielt wird“, dekretiert Kyle Chayka im New Yorker. „Es ist ein politisches Programm geworden, dessen Grenzen derzeit von DOGE getestet werden.“ Das von Trump am ersten Amtstag gegründete Departement of Government Efficiency DOGE, von Elon Musk geleitet, ist eine Organisation der US-Administration, die die Regierungseffizienz und -produktivität erhöhen und die IT-Systeme modernisieren soll. Politisch gehe es zunächst also darum, dass Musk (Tesla), aber auch andere Silicon-Valley-Oligarchen wie Peter Thiel (Palantir), David Sachs (Paypal) – beide interessanterweise wie Musk mit Apartheid-Erfahrungen in Südafrika aufgewachsen – oder Marc Andreessen (Netscape) die „liberale Demokratie abschaffen und durch eine Autokratie ersetzen“ wollen, behauptet der Osnabrücker Ethiker Rainer Mühlhoff auf dem Verfassungsblog.
Prompt nannte Berlins Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) Musks Tesla kürzlich in einem Post auf X „Nazi-Auto“. Diese obszöne Tesla-Nazi-Gleichsetzung, ja systematische Dämonisierung und historisch perverse Nazifizierung amerikanischer Unternehmer entlarvt den toxischen Kern rot-grüner Wirtschaftsfeindlichkeit. Brandenburgs CDU-Fraktionschef Jan Redmann forderte den Rücktritt Kiziltepes: „Wer als Arbeitssenatorin persönlich über 10.000 Arbeitsplätze in Gefahr bringt, hat den Job verfehlt. Wer Tesla als Nazi-Konzern bezeichnet, verharmlost das Menschheitsverbrechen der Nazi-Diktatur. Und wer als Regierungsmitglied auf diese Art und Weise die Beziehungen zwischen Berlin und Brandenburg belastet, gehört gefeuert.“ Kritik kam selbst von Brandenburgs Ministerpräsidenten, Kiziltepes Parteifreund Dietmar Woidke.
„Wenn man als Kern von Faschismen“ (!), so Medienphilosoph Christian Bettges auf seinem Blog, „die gleichzeitige Aufhebung der Gewaltenteilung wie auch eine Gleichschaltung in lebensweltlichen, sozialen Prozessen durch deren Biologisierung (nur 2 Geschlechter, nur Heterosexualität erlaubt, Frauen sind zum Gebären da), zugleich die Installation naturalisierter Ungleichwertgkeitstheoreme (BPoC sind naturverfallen, gewalttätig usw.) begreift, welche die formale Gleichheit von Menschen abschaffen – dann kann man das alles mit guten Gründen Faschismus nennen, was in den USA passiert“. Diese „Rabulisdeologie“, anders kann man das nicht nennen, wird aber von Mühlhoff noch übertroffen, der darunter heute die mit multipler Gewaltbereitschaft verbundene Zerstörung des Rechtsstaats unter Nutzung neuester Technologien verstehen will.
Epistemologisch tief verankerte Dehumanisierung
Zunächst handele es sich um ein politisches Wirken, das auf die Zerstörung der parlamentarischen und demokratischen Ordnung und damit auch der administrativen Abläufe abziele. „Faschismus agiert nicht agonistisch, sondern antagonistisch, und in der bei Trump ausgeprägten Form dabei zynisch und destruktiv“. Insbesondere vertrete faschistische Politik „nicht einfach eine weitere Position im Spektrum politischer Positionen (z.B. rechtsaußen), sondern sie verkörpert eine destruktive Haltung zur parlamentarischen Demokratie und zum Rechtsstaatsprinzip, die das System der widerstreitenden politischen Positionen überhaupt überwinden möchte“. Aha. Wo Trump Senat, Repräsentantenhaus etc. abschaffen will, erklärt der Autor nicht. In der zynischen Variante diene der „destruktive Impuls der hemmungslosen (wirtschaftlichen) Selbstbereicherung der faschistischen Akteure und ihrer mitunter rein kapitalistisch motivierten Loyalisten“. Das liest sich zunächst wie eine marxistisch verbrämte Begründung der hiesigen „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ und zeigt, welche Haken der linksautoritäre Hase vergleichsweise schlagen soll.
Faschistisches Wirken, meint Mühlhoff weiter, sei gekennzeichnet durch „eine persönliche Gewaltbereitschaft und Bereitschaft zur Gehässigkeit der Akteure, sei es sprachlich, medial, physisch oder politisch“. Das muss man sich mit Blick auf Corona zwischen den bundesdeutschen Ohren zergehen lassen. Das Statement „Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich um gesellschaftliche Nachteile für all‘ jene ersuchen, die freiwillig auf eine Impfung verzichten. Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen“, von Nikolaus Blome im Spiegel (7.12.2020) kann dann als ebenso faschistisch gelten wie die Aussage der Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD) vom 18.12.2021, dass Ungeimpfte nicht Weihnachten feiern sollen. Denn: diese und andere, wie hier vielfach dokumentierte Aussagen bewegen sich im Denken auf dem Niveau der biologistischen Ausgrenzung aus dem „gesunden Volkskörper“, der keine 80 Jahre zurückliegt. Staat und Regierung sind aber nicht die Hüter körperlicher Unversehrtheit, der Körper ist kein Volkseigentum. Solche Aussagen wurden von Jan Fleischhauer im Focus so bilanziert: „Der Ton ist so unbarmherzig, wie man ihn ansonsten nur aus Diktaturen kennt“. Um „welchen“ Faschismus ging es doch gleich?
Dieses Gewaltpotenzial basiere auf einem hierarchischen Menschenbild und „epistemologisch tief verankerter Dehumanisierung“; dazu gehörten auch Rassismus, Antifeminismus und Sexismus, so Mühlhoff weiter. Das Leben „empfinden Faschisten als einen permanenten sozialen Kampf, in dem es gilt, sich antagonistisch (also nicht mit Argumenten, sondern durch Stärke) zu behaupten und andere Menschen unterzuordnen, auszubeuten und ihnen ihr Existenzrecht abzusprechen“. Und als ob es mit dieser Fundamentaldarwinisierung der Erfolgreichen noch nicht genug sei, bemüht Mühlhoff auch noch eine „psychologische und charakterliche Disposition der Akteure, die lange geführten Kämpfe um Anerkennung, Integration und Gleichberechtigung von Minderheiten zugunsten eines Rechts des Stärkeren in den Wind zu schlagen“. Das kann man nur als Diskreditierung jeglicher Natur respektive ihrer Totalverweigerung übersetzen: „Kann die Realität rassistisch sein“, fragte der hanseatische Linksirokese Sascha Lobo schon 2016 im Spiegel. Das war ernst gemeint.
Und natürlich darf auch die „Täuschung breiter Massen durch zynische Narrative, die Anstachelung von Ressentiments und die Provokation von gesellschaftlicher Spaltung“ nicht fehlen, wobei diese Gewalt heute in der Online-Welt und nicht mehr in Straßenkämpfen stattfinde. Die „gewiefte Indienstnahme von neuester Technologie als Machtinstrument“ ist da nur noch eine Zugabe wie auch die „kalte Bereitschaft, die destruktiven politischen Ziele und die dafür nötige Macht und Gewalt mit technologischen und logistischen Mitteln zu erreichen“. Mühlhoff erkennt einen „als Solutionismus bezeichneten Glauben an die Überlegenheit von Technologie als Lösung gesellschaftlicher Probleme, der eine Bereitschaft zur Unterordnung von Mensch, Kultur und Gesellschaft unter eine technologisch realisierte Logik von Effizienz, Profit und Überlegenheit impliziert“. Das muss man erstmal sacken lassen.
Ich bin doch nur ein ganz normaler Mensch
Hier geht es um nicht mehr und nicht weniger als die Dominanz linksinternationalistischer Narrative mittels eines dampfhammergleichen Arsenals tradierter Phrasen, deren Kontextualisierung und Interpretation allein die selbsternannten Demokraten für sich reklamieren. Ob Trump, Milei, Weidel oder wer auch immer: Wenn Stimmenzuwächse, ja Wahlerfolge mit einer nichtlinken Ideologie gepaart sind, können sie nur faschistisch sein – in Südhessen häufen sich inzwischen Anti-AfD-Ortsschildzusätze wie „Vorsicht: 30 % AfD! NAZI-WÄHLER!“ [sic!] etwa in Höchst-Hassenroth. Minderheiten sind per se gut und förderwürdig, Mehrheiten dagegen falsch: die unhinterfragbare Weisheit der Wenigen muss die Macht der Vielen einhegen. Wenn das auch hierzulande in die Köpfe sickert, wird nicht nur Erfolglosigkeit, sondern gar Destruktivität als erstrebenswert angesehen, solange man auf der richtigen Seite der Geschichte steht: die Kamikaze-Energiewende mag zwar zur Deindustrialisierung führen, ist aber in der ideologischen Logik des Negativwachstums, der vulgärstatistischen des Klimamärchens und der pseudochemischen des CO2-Schreckgespenstes richtig.
Wie weit dieser moralische Totalitarismus bereits Alltag ist, zeigte Ende Januar eine öffentliche Bundestags-Wahlkampfveranstaltung mit AfD-Bundes- und Landessprechern im baden-württembergischen Leonberg. Vor der Halle: 800 Interessenten, von denen knapp die Hälfte wegen Überfüllung weggeschickt werden musste. Auf der Straße: 800 Gegendemonstranten, animiert vom DGB und der Initiative „Leonberg bleibt bunt“; viele davon, vor allem augenscheinlich Schulpflichtige, mit Regenbogenflaggen, Pappschildern und dem Ruf: „Nazis raus“. In der begleitenden Berichterstattung fehlte jeder Anflug journalistischer Distanz. Niemand fragte, auf welcher faktischen Grundlage 800 Menschen in einem Landkreis mit einem parteilosen Landrat glauben, gegen „Nazis“ kämpfen zu müssen, ja angeblich „gegen den Faschismus“ demonstrierten – nicht etwa gegen eine demokratisch gewählte Oppositionspartei.
Kein Wort zu juristischen Bewertungen, kein Hinweis darauf, dass solche Rufe ihrerseits ein Klima der Einschüchterung und Ausgrenzung schaffen, das mit demokratischer Kultur nichts zu tun hat. Wer die Reden der Veranstaltung und erst recht die Volksmusik der drei begleitenden Allgäuer „Holzschuamusikanten“ auf YouTube nachhört, findet keine Hetze, keine Parolen, sondern Politiker, die sich über die deutsche Bildungs-, Energie- und Sicherheitspolitik empören – in dem Ton, in dem eben auch jede andere Partei Opposition betreibt. „Ich bin doch nur ein ganz normaler Mensch“, gibt selbst die Leonberger Kreiszeitung einem interessierten Bürger Raum, der nicht verstehen kann, warum man ihn „Faschist“ betitelt und damit für einen gefährlichen Radikalen hält.
Von der Gitarre zur Gesinnung
Schlimmer noch geriet der Aufstand selbsternannter Faschismusdefinierer auf der bundesweit größten Bildungsmesse „Didacta“ Mitte Februar in Stuttgart, wo der AfD-Landesverband einen Stand gebucht hatte, um dem Fachpublikum und der Schülerschaft die pädagogischen Ansichten der Partei zu strittigen Themen wie Ganztagsschule, Inklusion oder Demokratiebildung vorzustellen. Begleitet von einem medialen Trommelfeuer, seit die AfD im Ausstellerverzeichnis auftauchte, formierte sich nicht nur gewerkschaftlicher Protest seitens des VBE und Verdi. Forderungen, den Stand abzusagen, wurden gar mit Claqueuren aus der Schülerschaft flankiert, die sich täglich von 12.00 bis 12.30 Uhr vor dem blauen Messestand aufbauten und – sangen. Adaptiert wurde der Jahrhunderte alte, ursprünglich englische Erntekanon „Hejo, spann den Wagen an,/ denn der Wind treibt Regen übers Land./ Hol die goldenen Garben,/ hol die goldenen Garben“, den unter anderem Heino und Nena im Programm hatten. Als umgedichteter „Brokdorf-Kanon“ feierte er bereits 1976 seine Protest-Premiere. Heute nun wurde daraus „Steht auf, leistet Widerstand,/ gegen den Faschismus hier im Land./ Haltet fest zusammen,/ haltet fest zusammen.“ Das ist kein Witz.
Die Situation konnte surrealer nicht sein: Aufgepeitscht von jugendlichen Lehrerfunktionärchen, sangen rund 250 Schüler, sichelförmig den Messestand umzingelnd, eine halbe Stunde lang ununterbrochen dieses Lied, während sich zugleich andere Schüler und Lehrer am Stand der „Faschisten“ bei teilweise promovierten AfD-Pädagogen informierten und von der Gesangskulisse selbst derart markiert und vereinnahmt wurden. Als die Partei bei der Messeleitung intervenierte und die daraufhin das Gespräch mit der Gewerkschaft suchte, bekam auch sie prompt ihr Fett weg: Verdi forderte die zuständige Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) auf, die Messe „zur Ordnung“ zu rufen. Denn die „Demokratinnen und Demokraten“, die „kreativ für Toleranz, Weltoffenheit und Vielfalt“ demonstrierten, haben das doch gefälligst ungestört tun zu dürfen gegen die „Feinde der demokratischen Bildungsarbeit“.
Gesungene Faschismusbeschimpfung ist in Stuttgart 2025 also kreativer Protest. Mit den Worten „Für viele ist der Begriff des Faschismus durch seine polemische Übernutzung diffus und ausgeleiert“, kommentierte Sven Reichardt jüngst in der FAZ die Begründung „Trump ist ein Faschist, seine Bewegung ist faschistisch“, mit der der Philosoph Jason Stanley seinen Wechsel von der Eliteuniversität Yale in Richtung Toronto erklärte. Der Historiker Enzo Traverso, selbst kein Konservativer, diagnostizierte schon im Januar auf einer Tagung in Rom, dass die Inflationierung des Faschismusbegriffs nicht zur Aufklärung, sondern zur Entleerung führt. Und genau diese Entleerung erleben wir heute in der Popkultur – als Phänomen des Verdachts, das sich über die Inhalte legt wie der Staub auf einem schlecht geputzten Plattenspieler.
In der südwestdeutschen Szene – besonders in Städten wie Stuttgart, Mannheim oder Tübingen – ist das Phänomen nicht nur politisch, sondern auch popkulturell besonders ausgeprägt, womit wir endgültig bei der musikalischen Dimension des Problems wären. Hier wirken Strukturen wie das „Popbüro Region Stuttgart“ oder das „PopNetz Baden-Württemberg“, die selbstredend von öffentlichen Fördermitteln abhängig sind und also die ideologische Erwartungshaltung der Geldgeber bedienen müssen. Die grün-schwarze Landesregierung bezuschusst über den „Innovationsfonds Kunst“ fast ausschließlich Projekte mit Haltung – und zwar linker. Ob queere Filmnächte oder rassismuskritische Performances: Wer fördert, fördert Haltung. Die Musik wird zur Nebenwirkung der Mission. In der neuen Theaterlandschaft Baden-Württembergs werden zunehmend Stücke gespielt, die gendergerecht, dekolonial oder antifaschistisch aufgeladen sind – etwa Florentina Holzingers blasphemische Performance „Sancta“. Künstler mit abweichenden Ansichten? Fehlanzeige. Ihre Werke gelten als gefährlich, ihre Präsenz als Bedrohung, ihre Förderung als Provokation.
Subvention ersetzt den Subtext
„Woke ist das neue Punk“, hieß es kürzlich bei einer Podiumsdiskussion im Stuttgarter Theater Rampe – unfreiwillig komisch, bedenkt man, dass das Wort „Punk“ ursprünglich von Linken, Ausgegrenzten, Deklassierten geprägt wurde, nicht von Programmbeiräten und Diversity-Koordinatoren. In diesen Kreisen ist der Musiker längst kein ästhetisches Subjekt mehr, sondern ein moralischer Staatsbürger mit Anmeldepflicht beim demokratiepädagogischen Amt. Er muss Haltung zeigen, Haltung besitzen, Haltung demonstrieren – und dies nicht mit der Gitarre, sondern mit Statements, die exakt in die politische Mitte des Zeitgeistes treffen. Alles andere ist „schwierig“ – das neue Unwort für alles, was nicht linksgrünliberalkonform ist.
Wenn es um Musik geht, ist heute fast alles Haltung. Die Gitarre ist politisch, das Schlagzeug kämpferisch, der Text ein Manifest – oder wenigstens ein Bekenntnis. Musikförderung folgt diesem neuen Puritanismus mit peinlicher Verlässlichkeit. Wer Geld vom Staat will, ob auf Bundesebene oder über die Landesanstalten wie die Popakademie Baden-Württemberg, muss sich nicht nur künstlerisch, sondern auch ideologisch einwandfrei verorten: bunt, divers, demokratisch – wobei „demokratisch“ freilich nie mit Meinungspluralismus verwechselt werden darf. Wer kritisch gegen EU, Migration oder Gender spricht, wird schnell zum Feind erklärt – und findet sich außerhalb jeder staatlichen Kulturförderung wieder.
Bernd Stegemann machte Mitte April im Cicero öffentlich, dass in Arbeitsverträgen in der Kulturszene ein Paragraph eingefügt ist, der einer verdrehten subjektiven Beweislogik entspricht. Wenn eine Person sich von einer anderen Person etwa rassistisch beleidigt fühlt, kann sie vom Arbeitgeber verlangen, dass der Verursacher bestraft wird. Die Bestrafung bestehe meistens in der Verpflichtung, einen „Anti-Rassismus-Workshop“ zu besuchen. In schlimmeren Fällen kann auch eine Geldstrafe oder sogar die Kündigung drohen. „Eine Verteidigung gegen den Vorwurf der ‚rassistischen‘ Rede ist kaum möglich, da allein das Empfinden des sich beleidigt Fühlenden relevant ist“, ärgert sich Stegemann. Wie die Aussage gemeint war oder ob jemand anderes sie ebenso bewerten würde, ist nebensächlich. Es zählt allein die Empfindung desjenigen, der etwas als „rassistisch“ erlebt. Stegemann erkennt hier eine „Methode der absichtlichen Ungewissheit als Herrschaftsmittel“: Niemand kann sich mehr sicher sein, ob seine Aussagen als diskriminierend empfunden werden.
Kunst ist Vielfalt, Faschismus ist Einfalt
Wer sich zur Vielfalt bekennt, kriegt den Zuschlag. So entstehen kulturpolitische Filterblasen, in denen alle dasselbe denken und fühlen müssen – auf welcher faktischen oder gar wissenschaftlichen Grundlage, sei dahingestellt. Im kulturpolitischen Alltag Baden-Württembergs entscheidet nicht das Publikum über das, was gehört wird – sondern die Gremien. Gefördert wird, was sich im Windkanal rot-grüner Ideologie stromlinienförmig verhält. Der Popmusikbetrieb, der sich lange als unabhängig, gar „rebellisch“ gab, ist inzwischen in Fördertöpfen fest eingespannt: Bundesmittel, Länderprogramme wie „Popförderung BW“, dazu Initiativen wie „Kultur trotz Corona“ oder das ambitionierte „K³-Büro für Kultur- und Kreativwirtschaft“ in Karlsruhe – alles staatlich gesteuert, ideologisch kontaminiert.
Die Mittel fließen vor allem zu jenen, die sich bekennen. Die „Initiative Musik“, Hauptförderinstrument des Bundes für Popkultur, schreibt in ihren Programmen: „Musikalische Projekte müssen sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen.“ Das klingt harmlos. Doch was damit gemeint ist, zeigen Auswahlentscheidungen: Wer sich politisch „gegen rechts“ profiliert, etwa durch Anti-AfD-Songs oder Soli-Auftritte für „Sea-Watch“, erhöht seine Chancen. Dass dabei nicht selten dieselben Musiker von einer moralisch verklärten Kühnheit durchdrungen sind, deren Musik künstlerisch höchstens noch auf der Stelle tritt, stört niemanden.
Die neue Popkultur ist keine Opposition mehr, sondern Instrument der Macht. Festivals wie das „Rock gegen Rechts“ in Stuttgart setzen auf „Diversität“ und „Awareness-Konzepte“. Letzteres meint: Security-Teams mit Antidiskriminierungsauftrag, also Betreuer gegen Meinungen. Die Musik dient mehr der Erziehung denn dem Ausdruck. Von den insgesamt 127 von Claudia Roth (Grüne) geförderten Festivals entfallen 12 auf Baden-Württemberg, darunter die inklusive „Mus5kmaile Backnang“ mit der „Inklusionskultband The Cool Blue Chickpeas“: von den 15 Musikern haben 10 eine Behinderung. Oder „Allgäus Finest“ in Wangen, auf dem dieses Jahr Filow auftritt. In seinem Song „Rasenschach“, den er während der Fußball-EM 2024 in Deutschland produzierte, rappt er mit stark übertriebenem Berliner Dialekt linksextreme Slogans („Wir töten alle Nazis und ihr Hakenkreuz“) und parodiert Patriotismus. Oder das „Umsonst & Draußen Festival“ Mössingen, auf dem dieses Jahr die Leoniden oder Damona spielen. Der Schlagzeuger der ersteren, Felix Eicke, war von der SPD-Landtagsfraktion Kiel als Delegierter zur 17. Bundesversammlung entsandt worden und wählte 2022 den Bundespräsidenten mit. Die zweite wird gepriesen als „Rebellin, die sich mit Leidenschaft für Gleichberechtigung, Diversität und Pride-Rechte einsetzt“; das soll zunächst genügen.
Die Musikhochschule Stuttgart – auch ein Brennglas der Förderrationalität – setzt auf Diversität, Gendergerechtigkeit, Dekolonisierung und fiel in den letzten Wochen als politisierter Raum auf: durch wechselnde Transparente gegen „Faschismus“ – nur durch eine Straße getrennt, befinden sich ihr gegenüber die Büros der AfD-Landtagsfraktion. So lautete Mitte Februar ein trivialer Slogan „Kunst ist Vielfalt, Faschismus ist Einfalt.“ Ein Crossover-Künstler, der sich zur bürgerlichen Mitte bekennt, ist hier kaum vorstellbar. Die Subvention ersetzt den Subtext. In einem Land, in dem Rockmusik einst aus Verachtung gegenüber Staatskultur entstand, ist das ein Treppenwitz der Kulturgeschichte. Von einer Ausdrucksform rebellischer Freiheit und produktiver Störung der bürgerlichen Ordnung hin zur moralinsauren Begleitmusik des linksliberalen Zeitgeistes. Die Rebellion richtet sich nicht mehr gegen die Macht, sondern dient ihr.
Indiz für die Worthülsendemokratie
Die medienpädagogische Umwidmung von Populärkultur zu einem Vehikel der Umerziehung ist dabei keine Randerscheinung mehr, sondern zunehmend institutionelle Realität. Beispielhaft dafür steht der Fall der Mediothek Schönaich, die sich in einem Instagram-Post vom 21. März nicht des Satzes entblödete: „Der Faschismus macht sich in den USA, aber auch hierzulande mit der in Teilen rechtsextremen AfD breit“ – womit die Mühlhoffsche Gedankenführung tatsächlich als bereits problemlos adaptiert gelten kann. Hinter der bieder-demokratischen Fassade wird eine tendenziöse Botschaft versteckt. Man stelle sich das moralische Getöse vor, wäre eine Bibliothek auf die Idee gekommen, Fridays for Future und die Klimabewegung im selben Atemzug mit totalitären Ideen zu nennen. Doch in dieser Umkehrung der Verhältnisse sind die linken Feindbilder längst sakrosankt.
Der AfD-Kreisverband Böblingen, dem das von einer SPD-Bürgermeisterin geführte Schönaich zugehört, erkannte „ein weiteres Indiz für die Worthülsendemokratie, in der inzwischen jeder ungebildete Dummkopf ungestraft jeden rhetorischen Kampfbegriff, der das Böse und Gegnerschaft assoziieren soll, zur pauschalen Verunglimpfung dessen gebrauchen darf, was ihm nicht passt.“ Hier haben sich fünf bildungsschwache, aber haltungsstarke Mediothekarinnen den Begriff so zurechtgelogen, dass er in ihr wokes Weltbild passt. Denn konkret beschreibt „Faschist“ zunächst ja nur die Anhänger einer mediterranen Mussolini-Erfindung: klerikal, international, elitär, ästhetizistisch und tatsächlich rechtsextrem. Zudem ist die Unterstellung auch darum verleumderisch, da sie an den vermeintlichen Korporatismus und Etatismus erinnert, wie Mussolini formulierte: „Alles im Staat, nichts gegen den Staat, nichts außerhalb des Staates.“
Prompt stellte der Verband, der von einer Bürgerin mit italienischem Namen auf den Post aufmerksam gemacht worden war, Strafanzeige mit einem Rückgriff auf die Paradoxien linker Moralphilosophie, der der Faschismusbegriff inzwischen nur noch als Waffe dient: „Wenn alles Faschismus ist, ist nichts mehr Faschismus“. Es ist nichts als eine Negativdefinition ohne eigenen Inhalt und banalisiert den Begriff, so der Verband in einer Mitteilung. „Die USA unter Trump bleiben ein Land, in dem die Opposition frei tätig bleibt, die Gewaltenteilung funktioniert, Justiz und Medien unabhängig arbeiten und wo man den Präsidenten ungestraft einen Verbrecher nennen darf. Eine Faschismusauffassung ohne Praxis faschistischer Machtausübung degradiert Faschismus von Herrschaft zu Performance, vom Terror zum Habitus und läuft Gefahr, wahre Faschisten zu verkennen. Analytisch taugt er nicht und offenbart nichts außer den Bildungsdefiziten jener, die sich mit ihm schmücken.“ Das Feuilleton reagierte nicht, nur eine Tageszeitung – denn der politische Mainstream darf diffamieren. Wo Kunst einmal Dissonanz wagte, herrscht heute kulturindustrielle Konformität.
Besonders perfide: in diesem Post nahm die Mediothek auch Bezug auf Danuta Danielson, eine Frau, die vor 40 Jahren (!) im schwedischen Växjö Seppo Seluska, ein Mitglied der Nordiska Rikspartiet, mit ihrer Handtasche schlug – für europäische Linke inzwischen ein ikonisches Bild, für die Mediothek eine „wilde Geschichte“. Diesen Akt stuften als Gewaltverherrlichung selbst die örtlichen konservativen und grünen Stadträte aus Schweden ein: „Aber man muss Andersdenkenden mit Worten begegnen, nicht mit Gewalt“, wird ein Beteiligter auf Wikipedia zitiert. Dass Seluska Jahre später (!) für den Mord an einem jüdischen Homosexuellen verurteilt wurde, hat mit der Handtaschenattacke selbst nichts zu tun. In Verbindung mit der positivierenden Wortwahl ergibt sich zwingend die Interpretation, dass die Frau für das Mediotheksteam richtig gehandelt habe, sie war eine „Gute“, die wenig zimperlich das „Böse“ bekämpfte. Romantisiertes oder infantiles Gewaltverständnis?
Ergo: kollektiv imaginierte Selbstermächtigung zur Gewalt gegen selbsternannte Faschofeinde ist richtig, wünschenswert und „gute Gewalt”. Das ist auch kein Witz. Die Potenzierung dieses Gedankenguts war gerade beim Dresdner Hammerbanden-Prozess gegen Lina E. zu erleben – als „Faschojägerin“ begrüßte sie der MDR, „Mit Schlägertrupps gegen den Faschismus“ textete der Spiegel - und der unerträglichen Geschichte ihrer Komplizin Hanna S., eine Münchner Kunststudentin (!), die, des versuchten Mordes mitangeklagt, tatsächlich einen Bundeskunstpreis nebst Stipendium in mittlerer fünfstelliger Höhe bekommen sollte. Das Bundesbildungsministerium hat diese Farce erst Mitte April gestoppt.
Der Faschismusbegriff als Modeaccessoire
Die Begriffsverwahrlosung im politischen Sprachgebrauch hat mit dem „Faschismus“-Label einen neuen Tiefpunkt erreicht. Selbst auf den Oberhausener Kurzfilmtagen wurde jetzt eine Diskussionsrunde „Was treibt Menschen in den Faschismus?“ anberaumt. Bereits vor zwei Jahren plädierte Bertold Franke in den Blättern für deutsche und internationale Politik für einen „neuen Faschismusbegriff“. Die Intention ist klar: Der Begriff „Faschismus“ hat seinen historischen Bezug längst verloren – er dient nur noch der semantischen Ausweitung der Kampfzone als ultimative Keule gegen Dissens. Wie hier bereits analysiert, soll der neue Antifaschismus „eine artifizielle Immunisierungsrhetorik gegen alles, was nicht im links-ökologischen Narrativ mitspielt“, sein. Stefani wird als „kulturell unsensibel“ kritisiert, Kardashian gleich als „faschistisch angehaucht“, weil sie Blondinenästhetik mit Selbstlegitimation verbindet.
Damit begründet dann Meyen seine These, dass Popkultur insgesamt nach rechts rücke – wegen ihrer Schönheit, ihrer Ordnung, ihrer Lust auf Körperlichkeit. Auch das ist kein Witz. Mit dem gleichen Argument wurde einst Leni Riefenstahl verteufelt. Heute reichen ein Tanz, ein Symbol, ein Look – und man steht im Verdacht, „rechte Ästhetik“ zu reproduzieren. Stars wie Kardashian, aber auch Kanye West betrieben eine „Re-Ästhetisierung“ des Faschismus – weil sie ästhetische Disziplin, Individualismus und Erfolg propagierten. Man kann es gar nicht laut genug skandalisieren: Erfolg gilt nun als faschistoid. Nicht Inhalte, sondern Stilmerkmale werden kriminalisiert. Und so wird jeder verdächtig, der auf Ordnung statt Chaos, Form statt Dekonstruktion, Schönheit statt Zerstörung setzt.
Der eigentliche Skandal aber ist nicht nur das Versagen der Journalisten, sondern ihre schleichende Verwandlung in Tugendwächter. Die medienkritische These, dass Kulturkritik längst zur Erziehungspädagogik mutiert ist, trifft den Kern. Künstler werden nicht mehr nach Können oder Relevanz beurteilt, sondern danach, ob sie den Kanon der richtigen Haltung bedienen. So hieß es in der Ausgabe 17/2025 der Zeit in einer Anzeige (!) für den Zeit-Kunstshop: „Mitmenschlichkeit und Empathie ziehen sich durch das gesamte Lebenswerk von Günther Uecker, und insbesondere in einer Zeit, in der der Antisemitismus wieder zu einer realen Bedrohung für Menschen wird, sieht sich der Künstler in der Pflicht, dem eine politische Handlung entgegenzusetzen.“ Der geneigte Käufer sollte für zwei so beworbene unpolitische Prägedrucke 14.000 Euro berappen. Wo und von wem Antisemitismus ausgeht, wird selbstredend verschwiegen. Ebenso, dass die Werke eines Künstlers eigentlich durch ästhetische Innovationen, spezifische Perspektiven oder individuelle Gestaltungstechniken geprägt sein sollten.
Wer sich nicht unterordnet, wird markiert. In der Popkultur bedeutet das: Du bist nicht nur Künstler – du bist ein Statement. Und wehe, das Statement weicht ab vom Kodex der moralischen Reinheit. Der Künstler wird dann nicht mehr als freier Geist wahrgenommen, sondern als Verdächtiger. So publizierte der Spiegel Anfang April eine ausführliche Liste von mutmaßlich rechten „Bühnenkünstlern, die diskriminierende Sprache benutzen“. Indikatoren waren Social-Media-Shitstorms oder Kritiken viertklassiger Kollegen. Ganz vorn dabei: Didi Hallervorden, der bei der Wiederaufführung seines legendären Sketchs „Palim palim“ in der Samstagabendgala „75 Jahre ARD – Die große Jubiläumsshow“ in Sträflingskleidung auf einer Pritsche klagt, Opfer der Meinungspolizei zu sein. Er habe doch nur früher gebräuchliche Bezeichnungen wie Negerkuss und Zigeunerschnitzel benutzt, und „Indianer und Cowboy kann man auch nicht mehr spielen…“
Die geballte Empörung der Mainstreammedien folgte prompt: Für Joachim Huber hat im Tagesspiegel „gewonnen, was nie gewinnen darf: der Rassismus“, Mareike Fangmann forderte im Stern für den 89jährigen Hallervorden gar ein Anti-Rassismus-Training. Das ist erst recht kein Witz. Dass ausgerechnet Musiker wie Wolfgang Niedecken verlangen, der Staat solle „mehr Rock gegen rechts“ ins Radio bringen, fügt diesem Realsatirestück eine besonders bittere Pointe hinzu. Denn: Wer entscheidet, was „gegen rechts“ ist? Und ab wann ein Song nicht mehr gespielt werden darf, weil er „falsche Signale“ sendet? Die Quotenregelung müsse verändert werden, sagte Niedecken, um mehr gesellschaftspolitisch engagierte Musik ins Programm zu bekommen. Dass er damit das Grundprinzip von Kunstfreiheit und Marktorientierung aushebelte, war ihm egal. Haltung ersetzt inzwischen jedes Talent: Lena Meyer-Landruts Anti-AfD- und Anti-Rechts-Statements im Spiegel quittiert das Publikum mit Fernbleiben.
Popmusik als Korrektiv oder als Dogmenkanon?
Das gegenwärtige Kulturklima ist von einer Mischung aus Verlogenheit, Hysterie und Machtbewusstsein geprägt. Der inflationäre Gebrauch des Faschismusvorwurfs ersetzt Analyse durch Alarmismus. Er dient der Grenzziehung, der Exkommunikation, dem Rufmord. Schon 2018 meinte Alexander Grau in Cicero, dass der Begriff nicht für die politische Debatte taugt und zu einem beliebigen Schimpfwort verkommen sei: als Bezeichnung für jeden, der „kein Linksextremist ist“. „Man muss wirklich kein Faschist sein, um Berlin-Neukölln nicht für das wünschenswerte deutsche Zukunftsmodell zu halten“, plädiert Harald Martenstein Ende April in der Welt für ein umgehendes Ende des Rufmords. „Wenn Linke ihre Macht bedroht sehen, erklären sie ihr Gegenüber immer zum Nazi. Es ist der stets gleiche, zu 100 Prozent vorhersehbare Mechanismus. Es ist aber ziemlich gefährlich, den zehn Millionen AfD-Wählern den Bären aufzubinden, sie seien Nazis.“
Popmusik hat sich – wider ihre Herkunft – zur Komplizin dieser Entwicklung gemacht. Ein neuer Kulturkonservatismus, wie ihn glücklicherweise auch der Tumult-Blog exemplarisch vertritt, ist deshalb keine nostalgische Verklärung vergangener Stile, sondern ein Aufruf zur geistigen Ehrlichkeit. Die ließ bspw. der einst gefeierte und eher linke ostdeutsche Liedermacher Hans-Eckard Wenzel („Stirb mit mir ein Stück“, „Letztes aus der Da Da eR“) aufblitzen, als er Ende April dem Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen, Axel Drecoll, in einem Offenen Brief, den die Berliner Zeitung druckte, vorwarf, Geschichte umzuschreiben. Hintergrund: Drecoll drohte den russischen und belorussischen Vertretern, sie zum 80. Jahrestag der Befreiung mit Sicherheitskräften vom Gelände entfernen zu lassen, sollten sie zu den Feierlichkeiten am 4. Mai nach Sachsenhausen kommen. Das war bitterernst gemeint!
„Die allgemeine Ideologie einer wertebasierten Außenpolitik treibt wahrhaft kriegstüchtige Blüten“, empört sich Wenzel. „Wollen Sie Geschichte umschreiben und sich selbst zu den Befreiern umdeuten?“, fragt er den offenbar strammlinken Westhistoriker, der vorher auf dem Salzkammergut wirkte. „Wollen Sie Grundlagen des Humanismus politischen Winkelzügen und Selbstermächtigungen opfern?“ Im Internet entspann sich prompt eine polarisierende Diskussion. „Man lädt keine Faschisten zu einem Gedenken für die Opfer des Nationalsozialismus ein“, kommentierte etwa der Regensburger Rechtsanwalt Christian Stahl auf Facebook. Moment: Die Befreier vom Faschismus sind Jahrzehnte später selbst Faschisten? Mehr historische Schizophrenie in Deutschland war nie.
Kunst muss nicht unpolitisch sein, aber sie muss frei bleiben. Frei von Parteibuchästhetik, von Förderzwang, von ideologischer Erpressung. Und Popmusik muss sich entscheiden: Will sie wieder rebellisch sein – oder weiterhin bloß gefallen? Exemplarisch für die neue Rolle des Musikers als moralischer Wächter ist Danger Dan, dessen Lied „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ einen Rechtsaußen imaginiert, den er gemeinsam mit seiner „Antilopengang“ besingen darf – weil die Kunstfreiheit ihn schützt. Doch der Song transportiert keine Freiheit, sondern ein Antifa-Statement in Harmonielehre. Die Botschaft: Wir dürfen euch hassen – und das mit Chiffren, die nach Freiheit klingen. Die ästhetische Form dient nicht mehr der künstlerischen Ambivalenz, sondern der moralischen Eindeutigkeit. Den „Mittelfinger gegen die Faschisten von AfD bis Hamas“ erhob die Band prompt bei ihrem Stuttgart-Konzert Mitte Februar.
Lade nach, zünde an
Es gehört zur Tragik der Popmusik, dass sie einst als Korrektiv zur herrschenden Ordnung begann – rebellisch, subversiv, widerständig. Heute hat sie sich dieser Ordnung unterworfen. Vom Jugendhaus über die Kulturämter bis zum Förderantrag für das nächste Singer-Songwriter-Projekt: Ohne für oder gegen bestimmte Zauberwörter geht gar nichts mehr. Fördergeld fließt nicht für musikalische Qualität oder Innovation, sondern für die moralische Brauchbarkeit. Wer für Heimat, Familie oder Leistung wirbt, bekommt nichts – außer den Stempel „reaktionär“. Der soziokulturelle Schaden dieser Entwicklung ist enorm. Denn eine Popkultur, die nur noch affirmativ und didaktisch funktioniert, verliert ihre Relevanz: das muss man ästhetische Selbstkastration nennen.
Es ist eine Farce, wenn Festivalveranstalter sich brüsten, nur „saubere Künstler“ auftreten zu lassen, während gleichzeitig in den Charts misogyn-sexistische Raptexte dominieren – solange sie von Künstlern mit dem richtigen Migrationshintergrund stammen: „ziehe durch, lade nach, gebe Gas, zünde an“, rappt die Deutschtürkin Aylo. Doch sexistische Begriffe können nicht nur beleidigen, sondern auch „empowern“, behauptet Linn Bertelsmeier in der SüZ prompt mit Verweis auf Badmomzjay (Deutsch-Polin), Shirin David (Irano-Litauerin) oder Nura /SXTN (Deutsch-Eritreerin). „Steh auf blaue Flecken, außer auf der Wahlkarte“, singt die blonde weiße Rapperin Ikkimel, die im Sommer beim „Happiness Festival“ in Straubenhardt bei Pforzheim performen wird. Dass dieses natürlich auch zu den 12 vom Bund geförderten im Ländle gehört, versteht sich von selbst.
Der US-Rapper Macklemore gar, der gleich mehrere Songs (etwa „Hind’s Hall“) veröffentlichte, in denen er einseitig Israel angreift, Verständnis für Hamas-Mörder zeigt und bereits 2014 im Judenkostüm samt riesiger Hakennase aufgetreten war, soll am 17. Juli beim Deichbrand-Festival in Cuxhaven gastieren. Auf BILD-Anfrage verkünden die Macher des Deichbrand-Festivals per Pressestelle: „Diskriminierung, darunter Antisemitismus, Rassismus, Sexismus (...) tolerieren wir nicht.“ Nur Konsequenzen habe das noch nicht, weil „das Spannungsverhältnis zwischen Kunstfreiheit und den eigenen Werten schmerzhaft sein kann und immer wieder Anlass für kontroverse Diskussionen biete.“ Kunstfreiheit? Auch das ist kein Witz. Für den Antisemitismusbeauftragten Felix Klein, der im Redaktionsnetzwerk Deutschland RND von „menschenverachtender Hetze“ sprach, ist der Auftritt „unerträglich“.
Die Rockmusik war einmal ein Ort der Widersprüchlichkeit, der Mehrdeutigkeit, des Unsagbaren. Heute ist sie ein Schulsprecherprojekt für Diversität und Haltung. Es braucht eine Re-Politisierung der Popkultur – aber nicht durch Moralkontrolle, sondern durch Freiheit. Medien müssen wieder aushalten, dass ihre Rezipienten verschieden sind. Künstler müssen wieder sagen dürfen, was sie denken – ohne Existenzangst. Die öffentliche Hand muss sich aus der Haltungskultur zurückziehen. Wenn Musik überhaupt noch ein rebellisches Potential entfalten will, dann gegen das neue Establishment – das grün-genderideologische Bündnis aus Staatskultur und Szenemoral.
Die Popkultur ist nicht tot – aber sie steht unter Kuratel, lautet das Fazit in Moll. Ihre angeblich widerständige Kraft wird kanalisiert in politisch genehme Bahnen. Sie darf provozieren, solange sie die Richtigen provoziert. Die Anmaßung, Kunst an Gesinnung zu binden, ist das eigentliche Erbe totalitärer Systeme. Und ausgerechnet jene, die heute mit dem „Nie wieder“-Pathos hantieren, betreiben damit eine subtile Rückkehr zur autoritären Kunstpolitik. Merke Ignazio Silone (1978): „Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus“. Das ist die wahre Gefahr.
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Über den Autor: Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.
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