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Thomas Hartung: MANNHEIM IST ÜBERALL

Weil nicht „kultursensibel“, sollten deutsche Rentnerinnen auf der Buga nicht als Cleopatras tanzen. Eine Netflix-Doku dagegen zeigt die Pharaonin als Negerin. Weltgeschichtlich „Benachteiligte“ sichern sich nachträglich Vorteile – unter tätiger Mithilfe des linkswoken Milieus, das damit Realität fälscht.



Dass Schweigen manchmal beredter ist als Sprechen, bewiesen kurz vor dem Start der Mannheimer Bundesgartenschau Buga Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sowie Oberbürgermeister Peter Kurz (beide SPD). Von Medien befragt, wie sie sich zur vorgeblichen Sensibilitätsdebatte anlässlich des Auftritts des AWO-Seniorenballetts Rheinau positionieren, antworteten sie – nichts. Auslöser der Debatte war die in buchstäblich letzter Minute erfolgte Beanstandung von sechs der insgesamt 14 mit viel Herzblut selbstgeschneiderten Kostümen der Damen wegen „zu klischeehafter und stereotyper Darstellung“ von Ausländern: Gewandet in Ponchos und Sombreros (Mexiko) oder Sonnenschirm tragend und gekleidet in Kimonos (Japan) sollten auf der Show mit passender Musik und Tanzeinlagen verschiedene Länder symbolisiert werden. Motto: „Weltreise in einem Traumschiff“.

Das findet die Buga in Bezug auf diese und vier andere Kostümierungen unpassend, sagte die 75-jährige Ballett-Chefin Erika Schmaltz dem MaMo. Diese Kostüme würden die „interkulturelle Sensibilität“ verletzen. Sprecherin Corinna Brod begründete die Entscheidung ebenfalls im MaMo: „Mexikaner als Menschen mit Sombrerohut oder klischeebesetzter asiatischer Kostümierung – das sind Bilder, die wir nicht auf der Mannheimer Buga sehen.“ Die 17 Seniorinnen im Alter zwischen 60 und 86 Jahren treten mit dem Programm übrigens regelmäßig bei Vereinsfesten und Seniorennachmittagen auf. „Unsere Show hat doch nichts mit Rassismus zu tun!“, empört sich Schmalz. „In unserer Gruppe sind seit Jahren Frauen aus Russland und der Ukraine. Wir wollten mit den Kostümen keinen diskriminieren oder verletzten, sondern Freude schenken. Doch die wurde uns jetzt genommen.“


Geplant war ein 25-minütiges Programm mit Stepp- und Formationstanz und kleinen Showeinlagen zu alten Schlagern. Jede Sekunde im Ablauf muss sitzen, denn die Damen ziehen sich während der knappen halben Stunde 14-mal um. Und nun sollten nicht nur Sombrero und Kimono gestrichen werden, sondern auch die spanischen Flamenco-Kostüme, der orientalische Bauchtanz, der indische mit Saris und – eben der ägyptische, in dem die Seniorinnen als Pharaoninnen verkleidet sind. „Das wurde nicht erklärt“, sagt Schmaltz. Erst auf Nachfragen stellte sich heraus, was dahintersteckt: Die erst am Ostersonntag auf Bitten der Veranstalter offenbar für Werbezwecke erbetenen Fotos von früheren Auftritten der betagten Damen ließen wohl bei den Verantwortlichen die Alarmglocken klingeln und „Bedenken aufkommen, ob die Wirkung dieser Kostüme im Rahmen der Diskussion um kulturelle oder religiöse Codierungen angemessen sei“, mäandert Ulrike Bäuerlein im Südkurier. Offenbar scheut sie sich, von „vorauseilendem Gehorsam“ zu schreiben.


Absurd und lebensfremd


„Das versteht kein Mensch und wir können das auch nicht einfach weglassen, das ist doch alles eingeübt“, sagt Schmaltz, deren Telefon seitdem vorgeblich dauerklingelt. „Hunderte wildfremde Menschen schreiben uns, unterstützen uns, alle schimpfen sie über die Buga oder drohen, sie zu boykottieren“. Und in dieser Situation haben weder der höchste Repräsentant der Republik noch der der Stadt, die beide der deutschen Kanzlerpartei angehören, eine Meinung dazu? Mit dieser feigen Haltung waren sie mindestens allein, wenn nicht gar isoliert. Für den kulturpolitischen AfD-Fraktionssprecher Baden-Württemberg Dr. Rainer Balzer MdL entlarvt sich das zuständige Buga-Team „im Sinne Heinrich Heines als ‚Tugendpöbel‘, der seine ideologische Befindlichkeit über die Belange weltoffener Unterhaltung stellt. Mir scheint fast, als wollten die linksgrünen Moralritter im eigenen nationalen Saft schmoren und uns damit noch rechts überholen. Es ist schlichtweg beunruhigend, wie eine dauerbetroffene Minderheit sich zum Hüter der Korrektheit aufschwingt“.

Kultur ist ein Prozess, der vom Austausch lebt, befindet Balzer. „Kulturtransfer gehört zum Menschsein, in allen Kontexten und auf allen Seiten. Das nennt man Inspiration und nicht Aneignung. Die Diskussion entwertet zudem die harte Arbeit der – überwiegend – Seniorinnen, die sich monatelang auf diese Auftritte vorbereitet haben.“ Der Stuttgarter Ex-Justizminister Guido Wolf (CDU) zeigte sich in einem offenen Brief an die Buga-Geschäftsführung „fassungslos“, wie „diese Tanzgruppe zuerst ganz, dann zumindest hinsichtlich ihrer Kostüme ausgebremst“ worden war. Der empörte Wolf befand gar, eine „Meinungsdiktatur“ beginne sich einzuschleichen – eines Ex-Justizministers „unwürdig“ und „reinster AfD-Sprech“, monierte Rainer Ruf in der Stuttgarter Zeitung und kritisierte Wolfs Interpretation, unser Reden und Denken werde „totalitär“ überformt, als „hysterisch“.


Aber auch Wolfs Parteifreundin, die Bundestags-Fraktionskultursprecherin Christiane Schenderlein (MdB) erklärte: „Den engagierten Seniorinnen kulturelle Aneignung zu unterstellen ist völlig absurd und lebensfremd.“ „Fiesta Mexicana“-Songtexter Michael Holm befand: „Kultur beeinflusst sich gegenseitig, das hat nichts mit Aneignung zu tun!“ Die mexikanische Botschaft betont, dass man den Auftritt der AWO-Rentnerinnen begrüße: „Wir sind den Menschen und Institutionen dankbar, die daran mitwirken, die echte Vielfalt unserer Kultur in Deutschland zu verbreiten.“ Selbst Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte auf BILD-Anfrage, er teile die Sorge vor dem Auftritt mit Sombrero-Hüten nicht. Und Ikke Hüftgold, Urheber des als sexistisch verunglimpften Sommerkrachers „Layla“, hat seinen aktuellen Partyhit „Ich schwanke noch“ adaptiert und singt in seiner „Hymne“ auf die Buga: „Kimono-Verbot, ihr seid doch so beknackt. Hey Ladies, geht zur Gartenschau und tanzt doch einfach nackt“. Oder auch: „Wir gehen lieber als Buddhisten, die denken sonst, wir wären Faschisten, denn mit Hut sind wir Rassisten.“


Vor Corona waren es etwa 30 bis 40 Auftritte pro Jahr, selbstredend ehrenamtlich, berichtet Schmaltz: „Immer haben sich alle gefreut“. Beschwerden gab es nie, und mit der Bedeutung des Begriffs „kulturelle Aneignung“ waren die Damen noch nie konfrontiert. Der Europapark Rust, der sich 2022 wegen einer „Dschungel-Floßfahrt“ selbst mit Rassismus-Vorwürfen auseinandersetzen musste und Teile der Ausstattung änderte, hat sie prompt eingeladen, vor der Buga-Schau in den ursprünglichen Kostümen aufzutreten. Die Buga wand sich. Das AWO-Ballett habe sich für das Kulturprogramm beworben, die Jury fand das Programm gut, aber die Kostüme seien zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen, meinte Brod. „Wir haben uns so lange darauf vorbereitet“, erklärt Schmaltz. „Wir wollen ja nur tanzen. Jetzt sind wir so alt und müssen uns noch mit so was herumärgern.“ Fabian Burstein, Leiter des Buga-Kulturprogramms, teilte mit: „Wir bedauern sehr, dass Irritationen entstanden sind. Umso wichtiger ist es, dass wir darüber eine offene und auf wechselseitigem Verständnis ausgerichtete Diskussion mit Mitgliedern des AWO-Balletts führen.“


Fast feinstofflich kultursensibel


So schlossen Buga und AWO nach intensiven Gesprächen einen Kompromiss: Bei den Mexikanern reicht der Poncho, die Asiatinnen werden moderner, hieß es. Ihre „Mädels“ sollen gut aussehen, zeigt sich Schmaltz im Stern unzufrieden: „Den Sombrero, den können sie uns nehmen. Der ist mühsam zu transportieren. Aber die schwarzen Perücken bei den Japanerinnen? Wir haben graue Haare, das sieht doch mies aus!“ Prompt entblödet sich Stern-Autorin Johanna Wagner nicht des Satzes „Man kann Schmaltz mangelnde Sensibilität für rassistische Strukturen und Ungleichheit vorwerfen.“ Das ist kein Witz. Vor allem aber werden aus den Cleopatras nun, ungegendert, ägyptische Arbeiter (!). Auch das ist kein Witz. „Zwar muss man schon fast feinstofflich kultursensibel sein, um sich Sorgen zu machen, dass sich längst verstorbene Angehörige längst untergegangener Herrscherdynastien aus dem längst vergangenen alten Ägypten wegen der Pharaonen-Verkleidungen beleidigt fühlen könnten, aber die Bundesgartenschau bietet dieses Maß an Empathiefähigkeit auf, was für sie spricht“, belustigt sich Gideon Böss im Cicero. Der Ersatz habe sich geradezu aufgedrängt, auch „wenn nicht klar ist, ob es sich um altägyptische Arbeiter handeln soll oder moderne Arbeiter im Ägypten unserer Zeit. Ist aber eigentlich egal, denn beides passt ganz wunderbar.“


Aber genau das ist das Problem: „Diese Einigung ist im Grunde nichts anders als das Ergebnis einer politischen Erpressung. Das wird beschönigend gerne ‚Cancel Culture‘ genannt: Entweder ihr tanzt nach der Pfeife einer sich moralisch überlegen fühlenden Minderheit – oder gar nicht“, entsetzt sich Hugo Müller-Vogg im Focus. „Was mich erschreckt, ist, dass das Ganze nicht mit einer Entschuldigung der Buga-Geschäftsführung aus der Welt geschafft wurde“, empört sich Leser Rudolf Götz im MaMo. „Nein, im Gegenteil, es wird ein Diskussionsforum eingerichtet, um über die Gestaltung der Kostüme der Senioren-Tanzgruppe zu richten. Der Migrationsbeirat, der sich als ‚Mannheimer Sittenpolizei‘ aufspielt, sollte darüber nachdenken, ob nicht gerade eine friedliche Reise um die Welt im besten Sinne landestypische Merkmale der Bewohner benutzt, um die Vielfalt der Welt zu beleuchten.“


Dieselbe Sittenpolizei bekam übrigens schon der Leipziger Zoo 2022 zu spüren: Er musste Abendveranstaltungen wie „Hakuna Matata“ oder „El Dorado“ durch Formate ersetzen, die keine „Stereotypen und Klischees über Afrika und Südamerika“ verbreiten. Das hatte der Stadtrat beschlossen – auf Antrag des Migrantenbeirats. Das Gremium hatte zwei Jahre lang moniert, dass die Shows „strukturellen Rassismus“ stärkten und indirekt Rassismus-Betroffenen schadeten, da die Abende auf „kolonial-rassistischen Erzählweisen“ aufgebaut seien. Durch Rhetorik, Bildsprache und Darstellung würden Klischees über Afrika, Asien sowie Süd- und Mittelamerika wiederholt, hieß es. Axel Meyer konstatiert im Cicero trocken: „Jetzt wird im Namen von imaginärer Empfindlichkeit, Diversität und Inklusivität die Meinungsvielfalt bekämpft“. Der Gedanke, dass sich Mexikaner, Japaner oder Ägypter in ihrer Kultur eventuell rassistisch beleidigt fühlen könnten, sagt mehr über die Befindlichkeit der linksgrünen Zensuristas aus als über diese Volksgruppen selbst. Gibt es schon ein Gesetz in Deutschland, das verbietet, Kostüme aus anderen Ländern zu tragen?


Wenn Oma das sagt, muss es stimmen


Doch dies ist nur eine, die nationale Seite des Problems, die im Ausland kaum und höchstens belustigend wahrgenommen wurde. Die andere, internationale, wiegt schwerer, weil sich hier – just ebenfalls beim Gegenstand „Cleopatra“ – Wissenschaft, Medien, Kultur und Politik treffen. Die Wissenschaft ist in diesem Fall die Geschichte des Altertums, genauer die Ägyptologie, die wieder Konjunktur hat, seit Netflix vor Wochen den Trailer zu seiner vierteiligen Dokuserie „Queen Cleopatra“ veröffentlichte. Produziert und gesprochen von Jada Pinkett Smith, der Frau des ohrfeigenden US-Stars Will Smith, wird Cleopatra VII. Philopator von Adele James gespielt, einer dunkelhäutigen Britin mit einer weißen englischen Mutter – eine schwarze Cleopatra also. Die Besetzung brachte Netflix so viel Empörung ein, dass der Konzern schon vor der Ausstrahlung die Kommentare abstellen musste; zur Berichterstattung verfuhren manche deutschen Medien, etwa die HNA, ebenso.


Cleopatra, beschwerten sich viele, sei griechischer Abstammung gewesen, eine Nachfahrin der Ptolemäer; eine griechisch-makedonische Dynastie, die unter Alexander dem Großen den halben Mittelmeerraum erobert hatte. Ob ihre Mutter ebenfalls Griechin war oder Ägypterin, ist umstritten, und auch, welche Hautfarbe ihre Mutter hatte. Dank dieser „Lücke in ihrem sonst gut dokumentierten, makedonisch-griechischen Stammbaum war sie sozusagen in ideeller Weise schwarz“, versucht Harald Peters im Stern eine Erklärung. Aber auf Münzen und Statuen aus dieser Zeit, darunter der Büste im Alten Museum Berlin, sieht Cleopatra sehr hellhäutig aus, trug stets griechische Kleidung und wies in keiner Form afrikanische Merkmale auf. Zumal hatten Caesar – mit Caesarion – und Mark Anton – mit Alexander Helios sowie Cleopatra Selene – Kinder mit ihr. Sollten diese farbig gewesen sein, wäre dies von Historikern vermerkt worden.


Obwohl Ägypten zwischendurch einen Teil von Nubien besetzt hielt, ist die indigene ägyptische Bevölkerung am ehesten mit den Berbern verwandt und nicht schwarz. Noch 2006 zitierte Berthold Seewald in der Welt unter der Schlagzeile „So sah Cleopatra wirklich aus“ die Argumente des emeritierten Chef des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom, Bernard Andreae, wonach die 155 Zentimeter hohe Statue aus Marmor, deren Teile 1874 auf dem Esquilin in Rom ans Licht kamen, das Abbild Cleopatras war. Hinzu kommt, dass historisch dokumentiert und durch DNA-Analysen bewiesen ist, dass nicht nur die Ägyptischen Herrscher-Dynastien sich innerhalb der Familie inzestuös verbanden, um zu verhindern, dass „unreines“ Blut die Dynastie verwässert.


Der Ärger in Amerika, wo durch die „Black Live Matters“-Bewegung längst ein „blackwashing“ bekannter historischer Personen – zuletzt Ludwig van Beethoven – akzeptiert scheint, steht aber in keinem Vergleich zum Ärger in Ägypten. Der ehemalige Minister für Altertümer, der Ägyptologe Zahi Hawass, erklärte in der ägyptischen Zeitung Al-Masry al-Youm die Darstellung der Netflix-Serie als „Fake“ und wies darauf hin, dass Cleopatra griechisch war und deswegen eine hellere Haut gehabt haben müsse. Netflix zeige damit außerdem falsche und irreführende Informationen darüber, wie die ägyptische Zivilisation ausgesehen habe. Er beklagte eine „Denkstörung“ einiger Afroamerikaner in Bezug auf das antike Ägypten. Die einzigen ägyptischen Herrscher, von denen man wisse, dass sie schwarz waren, seien die Kuschiten der 25. Dynastie gewesen (747 bis 655 v. Chr.). Mustafa Waziri, Generalsekretär des Obersten Rates für Archäologie der ägyptischen Regierung, bezeichnet die Dokumentation als „eklatanten historischen Irrtum“ und eine „Fälschung der ägyptischen Geschichte“. Netflix habe die Pflicht, auf historische und wissenschaftliche Fakten zu verweisen, um eine Fälschung der Zivilisation der Völker zu verhindern.


Der Anwalt Mahmoud al-Semary hat gar Klage gegen Netflix erhoben: Der Konzern versuche, „das afrozentrische Denken zu fördern” und „die ägyptische Identität zu entstellen und auszulöschen“, heißt es in seiner Klageschrift, mit der er – wenn schon nicht in Amerika – so doch die Ausstrahlung am Nil zu verhindern sucht. Er wird, sagt er im Cicero, von ägyptischen Archäologen und Historikern unterstützt. Aber auch griechische Zeitungen beschweren sich über die falsche Darstellung der Königin: Selbst der Name „Cleopatra“, meinte Alexander Gale in Greek Reporter, sei griechisch. Die Serienmacher hatten den Ärger wiederum antizipiert und im Trailer die amerikanische Altertumsforscherin Shelley Haley als Kronzeugin platziert: „Ich erinnere mich, wie meine Großmutter zu mir sagte: Es ist mir egal, was sie dir in der Schule beibringen, aber Cleopatra war schwarz“, wird sie im Stern zitiert. Wenn Oma das sagt, muss es wohl stimmen: Das ist auch kein Witz.


Das Irrationale triumphiert


Insofern haben wir es mit einem Musterbeispiel von Kulturkolonialismus zu tun. „Rassistische Untertöne“ in „diversen Krawallmedien“ erkennt dagegen Noemi Ehrat in der Zeit und erfreut sich daran, „die Lücken der Wissenschaft mit eigener Vorstellungskraft zu füllen“ – denn „Queen Cleopatra“ verdeutliche „souverän, dass Geschichtsschreibung immer subjektiv ist“. Filmcasting und Filmproduktion sind Geschichtsschreibung? Auch das ist kein Witz. Die Regisseurin der Dokumentation, die iranischstämmige Amerikanerin Tina Gharavi, kann die Vorwürfe ebenfalls nicht nachvollziehen. Sie habe ihre ägyptischen Kritiker aufgefordert, sich selber als Afrikaner zu sehen, schrieb sie im Fachblatt Variety. Daraufhin sei sie Ziel einer „Online-Hasskampagne“ geworden und beschuldigt worden, ägyptische Geschichte zu „stehlen“.


Gharavi allerdings findet in der Glamour, dass die heutigen Araber dazu nichts zu sagen hätten, denn die arabische Invasion Ägyptens habe lange nach Cleopatras Zeit stattgefunden. Niemand wisse wirklich, welche Ethnizität Cleopatra gehabt habe, betont sie, aber so weiß wie Elizabeth Taylor - die die Königin 1963 gespielt hatte - sei sie bestimmt nicht gewesen. Dass der Fokus jetzt auf der schwarzen Hautfarbe der fiktiven Königin liege, sei rassistisch, so Gharavi. Mit der schwarzen Cleopatra wolle sie ein Zeichen setzen und Hollywoods Darstellung einer „weißen Überlegenheit“ in Frage stellen. Wichtiger aber sei ohnehin: Eine schwarze Besetzung sei ein „politischer Akt“, und es gebe eine direkte Linie von Cleopatra bis zum arabischen Frühling und den aktuellen Frauenaufständen im Iran.


Rollenbesetzung als politischer Akt – und ihn ungeniert zugeben: Das ist tatsächlich der Punkt, der inzwischen erreicht ist. Damit trägt zunächst Amerika seine landesinternen Rassenprobleme in die Welt hinaus. Schwarz sei noch im 19. Jahrhundert in Amerika gewesen, wer auch nur einen Tropfen „schwarzen Blutes“ hatte, was sich in den Köpfen vieler Amerikaner bis heute festgesetzt habe, so Eva Schweitzer im Cicero. Dieses neue „Blackfacing“ werde aber heute positiv gesehen, als „Empowerment für Unterprivilegierte“, was es zu einem Trend in der US-Unterhaltungsindustrie mache, der auch einen schwarzen Alexander Hamilton am Broadway und eine schwarze Anna Boleyn in Hollywood hervorgebracht hat, auch einen schwarzen Zeus und einen schwarzen Thor: „Im Kern geht es darum, dass Afro-Amerikaner, der Sklaverei wegen ihrer eigenen Geschichte beraubt, sich einen Platz in der Weltgeschichte erobern wollen.“ Diese monokausale Raub- und Beute-Perspektive ist ebenfalls kein Witz.


Weltgeschichtlich „Benachteiligte“ sichern sich also nachträglich Vorteile, wodurch Geschichte umgeschrieben und verfälscht wird – auch das ist leider kein Witz. Haben es Schwarze wirklich nötig, weiße herausragende oder spannende Persönlichkeiten zu mimen? Gibt es zu wenig eigene historische oder aktuelle Beispiele? Niemand macht das umgekehrt, weshalb die Causa anmutet wie das versteckte Armutszeugnis, das es auch ist. Denn Europas Völker und Kulturen haben in den letzten 1.000 Jahren die Welt erforscht, unzählige Erfindungen und Entdeckungen gemacht; die Welt kennt Columbus und Marco Polo ebenso wie Beethoven und Rembrandt, Daimler und Pasteur, Galileo und Einstein oder Puschkin und die Brüder Grimm. Wir kennen sogar aus dem fernen Osten die Lehren Buddhas und die Weisheiten des Konfuzius. Aber womit exakt hat die schwarzafrikanische Kultur Europa, ja die Welt in genau diesen 1.000 Jahren bereichert? Mit Buschtrommeln als Kommunikationsinstrumenten? Leopardenfellen als Bekleidung? Zebras als Nahrungsmittel? Spammails als Innovation der Internetökonomie? Oder gar einem „Fernseher, der Energie erzeugt“, wie uns die Tagesschau jüngst einen unrecherchierten Scherz ans Bein binden wollte? „Wenn die Zulus einen Tolstoi haben, werden wir ihn lesen!“, erklärte einst Saul Bellow.


Da diese Tatsachen – allen voran die, dass es bis heute keinen schwarzen Naturwissenschaftler gab, der den Nobelpreis bekommen hat – in den Augen der „alle Völker waren schon immer gleich“ – Verfechter ein großes Dilemma darstellen, ersetzen diese Verfechter in Kunst und Geschichte nun Weiße durch Schwarze, um vorzugaukeln, dass jene, die aktuell massiv in unsere Gesellschaften eindringen, schon immer Teil unserer Geschichte waren. Exotisch-historische, heute vergessene Ausnahmen wie in Deutschland der erste schwarze Philosophieprofessor Anton Wilhelm Amo, der Äthiopist Abba Gregorius, der Militärmusiker Gustav Sabac el Cher, der erste afrodeutsche Sozialdemokrat Martin Dibobe oder der Schauspieler Ludwig M'bebe Mpessa (Louis Brody) werden dann eben flugs zur regelhaften Selbstverständlichkeit erklärt; massiv unterstützt durch die Allgegenwart dunkler Menschen in der Werbung bei gleichzeitiger Tilgung etwa des Sarotti-Mohrs: Stichwort „Fälschung der Zivilisation der Völker“. Das „Hautfarben-Drama“ sei nur „die neueste Episode in dem Bemühen, auf allen erdenklichen Ebenen möglichst viel Diversität abzubilden“, verniedlicht Peters noch einen rein formalen Aspekt. Doch Anne-Catherine Simon erkennt in der Wiener Presse völlig richtig einen Trend: „Das politische Narrativ verschlingt die Historie, das Irrationale triumphiert. Es erinnert an nationalistische Bewegungen des 19. Jahrhunderts“. Sicher ein Grund dafür, dass die Serie auf Rotten Tomatoes die schlechteste Bewertung aller Zeiten erhielt. Auch bei IMDb hat die Serie Stand Mitte Mai eine Bewertung von gerade 1,0 von 10, basierend auf fast 60.000 Bewertungen.


Schrecklich weiß


Nebenbei: Ein Film-Projekt rund um die ägyptische Herrscherin war schon seit 2019 in Planung. Sony-Pictures plante einen Spielfilm mit Angelina Jolie oder Lady Gaga in der Hauptrolle. Aus Zeitgründen wurde daraus nichts, deswegen hat sich im Jahr 2021 Paramount das Projekt geschnappt und prompt „Wonder Woman“-Star Gal Gadot als Cleopatra ausgewählt. Die Wahl der israelischen Schauspielerin sorgte jedoch ebenfalls schon für Kritik – der Begriff „White Washing“ wurde etwa vom britischen Guardian ins Spiel gebracht. Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Pinkett Smith mit ihrer Dokumentations-Reihe African Queens, in der die Cleopatra-Serie nur ein Bestandteil ist. „Wir hören oder sehen nicht oft Geschichten von schwarzen Königinnen”, sagt sie über ihre Reihe. „Es war wichtig für mich – und auch für meine Tochter und meine Community –, auf sie aufmerksam zu machen, denn es gibt jede Menge davon.“


Aber: Schon bei ihrem Porträt der Königinnen Nzinga von Ndongo und Matamba, die im heutigen Angola herrschte, stimmten, wie Kritiker aus Afrika (!) bemerkten, weder die Hautfarben noch die Dialekte oder die Aussprache der Namen. „Und die nicht ganz unwichtige Information, dass Nzinga ihre Macht durch Sklavenhandel sicherte, wurde gleich komplett unterschlagen“, gibt sich Peters sarkastisch. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Und nochmals aber: Bei einem fiktionalen Format könnte man die Hautfarbe gerade noch mit Kunstfreiheit entschuldigen, so in der Netflix-Serie Bridgerton, die von der Londoner High Society während der Ballsaison 1813 erzählt und in der ein Teil des Hochadels unkommentiert von schwarzen Schauspielern verkörpert wurde. Bei einer Dokumentation jedoch ist es willentliche Geschichtsverfälschung.


„Irgendwann fängt man dann an, die Welt nur noch als einen mehr oder weniger gelungenen Ausdruck von Diversität zu betrachten“, beklagt Peters und verweist darauf, dass durch mehr schwarze Repräsentanz wie in Bridgerton gleichzeitig auch die britische Kolonialgeschichte verharmlost werde. Die Ägyptologin Diana Fragata, die in der WELT auch damit zitiert wird, dass sie das schwarze Casting für Bridgerton „erfrischend“ findet, hat 2013 in einem sehr ausführlichen Beitrag zu Cleopatra im DLF über die Hautfarbe der Königin nicht ein Wort verloren, dafür aber zu ihrer Darstellung durch Liz Taylor gesagt, der Film zeige nicht das schlechteste Portrait Cleopatras, weil „Liz Taylors Cleopatra mit Abstand die politischste ist, die königlichste, die am meisten Würde ausstrahlt.“ Soso. Diese Cleopatra-Version wurde übrigens zu einem absoluten Kassenknüller und räumte vier Oscars ab.


Als die britische Schauspielerin Adjoa Andoh, die in Bridgerton die Rolle der Lady Agatha Danbury spielt, für die BBC die Krönung von King Charles kommentierte, erklärte sie beim Anblick der Königsfamilie, sie sei „schrecklich weiß“. Sie hatte wohl „vergessen, dass das britische Königshaus nicht von einer Castingagentur besetzt wird“, ergötzt sich Peters. Denn würden die Windsors Gegenstand eines Films werden, hätte der gemäß den neuen, ab 2025 geltenden Oscar-Regeln in der Kategorie „Bester Film“ keine Chance: Nicht divers genug. Für den diesjährigen Gewinner „Everything Everywhere All at Once" hätten sie kein Problem dargestellt, während der deutsche Beitrag „Im Westen nichts Neues” niemals nominiert worden wäre: „keine Frauen, keine ethnischen Minderheiten, zu wenig sichtbare Leute aus dem Bereich LGBTQ+“, zählt Peters auf. Den neuen Regeln zufolge müssen sich 30 Prozent des Ensembles aus zwei der erwähnten Gruppen zusammensetzen und einer der Hauptakteure einer Minderheit angehören, wobei nicht nur Peters unklar ist, „ob LGBTQ+-Menschen auch LGBTQ+-Figuren spielen müssen oder ob es reicht, wenn sie ihre sexuellen Vorlieben der Jury offenlegen.“


Sie werden gesehen


Adele James nun erhielt zahlreiche Blackwashing-Vorwürfe, weil sie als schwarze Schauspielerin eine Rolle spielt, die eigentlich weiß sein sollte. Sie äußerte daraufhin auf Twitter: „Nur zur Info, diese Art von Verhalten wird auf meinem Konto nicht geduldet. Ihr werdet ohne zu zögern gesperrt! […] Wenn du die Besetzung nicht magst, schau dir die Serie nicht an. Oder tue es und diskutiere mit einer (Expert:innenen-)Meinung, die anders ist als deine.“ Das liest sich wie hierzulande die linke Kommunikationsverweigerung gegenüber faktenfesten Kritikern. Der Glamour diktierte sie: „Ich denke, ich habe jedes Recht, diese unglaubliche Frau zu vermenschlichen”. Sie engagierte gar Angestellte, die ihren Social-Media-Account überwachen – sie habe täglich Hass, Trolls und Todesdrohungen bekommen. Ihre Message für alle jungen schwarzen Mädchen lautet prompt: „Ich hoffe, das sagt ihnen, dass sie Power sind. Sie kommen von Power. Sie sind mächtig. Sie sind schön. Sie werden gesehen. Sie sind so viel mehr als das, was die Gesellschaft, vor allem seit dem transatlantischen Sklavenhandel, versucht hat, ihnen einzureden.“ Und als Höhepunkt erklärt sie: „Die Welt ist ein ungerechter Ort für jede:n, die:der nicht weiß ist.“ Auch das ist kein Witz. Rekapitulieren wir: Gerade acht Prozent der Weltbevölkerung sind weiß.


Der Disney-Konzern versucht schon seit Jahren, solche ideologischen Fallstricke zu meiden, und achtete etwa beim Remake von „Aladdin“ (2019) penibel auf ein diverses Casting. Doch als bekannt wurde, dass ein paar Stuntmen im Hintergrund nachgeschminkt wurden, damit sie bei gefährlichen Szenen so aussahen wie die eigentlichen Schauspieler, kam es zu einem Aufschrei der Empörung. „Arielle, die Meerjungfrau”, die jetzt mit echten Schauspielern zu sehen sein wird, ist nun ebenfalls schwarz. Schief ging die gewollte Diversität bei der modernisierten Fassung von „Peter Pan & Wendy“. Um geschlechtsspezifische Muster zu vermeiden, ist aus Wendy, die sich im Original noch mütterlich um die Lost Boys kümmerte und dabei sich selbst wie auch die Gruppe verlorener Jungs aufs Erwachsensein vorbereitete, ein „angestrengt dominantes Teenagermädchen“ geworden, das sich vor allem für Schwertkampf interessiert, staunt Peters. Die Lost Boys hingegen seien plötzlich eine multiethnische und gemischtgeschlechtliche Gruppe, während das indianische Mädchen Tiger Lily sich nun „als Kriegerin darstellt, die offenbar nie um ein paar tiefe Wahrheiten verlegen ist“.


„Doch erst wenn das letzte weise Wort gesprochen ist, wird man merken, dass man Klischees nicht essen kann“, bilanziert Peters: Beim Publikum fiel „Peter Pan & Wendy“ gnadenlos durch. Diversität soll nicht nur im Film für ein buntes und realistisches Abbild der Wirklichkeit sorgen. „Doch ein Bündel aus guten Absichten, regulierenden Maßnahmen und strategischer Ignoranz bewirkt vor allem Unmut“, fasst er zusammen: „Das Problem ist, dass sich das Problem nicht lösen lässt. Die Stereotype, dies es eigentlich auszumerzen galt, werden vollumfänglich bestätigt. Je genauer man vorgeht, desto mehr Ungenauigkeit wird produziert.“


Das zeigen auch die „Regeln“, die sich der Streaminganbieter Amazon Prime verordnet hat: Bis 2024 soll die Hälfte des Produktionsteams aus „LGBTQIA+, Menschen mit einer Behinderung und drei regional unterrepräsentierten Rassen/ethnischen/ kulturellen Gruppen“ stammen, wobei jeweils eine Sprechrolle für Vertreter aus den genannten Gruppen vorgesehen ist. Den Planungen zufolge müssten Schauspieler auch die gleiche Identität wie die Figur haben, was Geschlecht, Geschlechtsidentität, Nationalität, Rasse und Ethnizität, sexuelle Orientierung oder eventuelle Behinderung betrifft – ein nicht zu Ende gedachter Unfug, der weder Science-Fiction- oder Geschichtsstoffe mehr zuließe. Das schwule Cowboy-Drama „Brokeback Mountain” wäre nicht mit Heath Ledger und Jake Gyllenhaal gedreht worden, und hätte man es mit schwulen Schauspielern besetzt, wären es weniger bekannte Namen gewesen, was wiederum weniger Aufmerksamkeit bedeutet hätte. Und so ganz hält sich Amazon noch nicht an die eigenen Richtlinien: In der Österreich-Schmonzette „Sachertorte“ spielt Max Hubacher den Berliner Karl. Er stammt aus der Schweiz.


In diesem Zusammenhang ist unbedingt daran zu erinnern, dass sich 2020 auch die UFA eine „Selbstverpflichtung im Bereich Diversität“ gab. UFA-Geschäftsführer Joachim Kosack strebt, wie er der Süddeutschen Zeitung sagte, bei den handelnden Personen seiner Filme „im Genderbereich“ 50 Prozent und „bei Menschen mit Migrationshintergrund 25 Prozent“ an. Die Quoten gelten jeweils für das gesamte Programm eines Jahres, nicht für jedes einzelne Format. Der Migrantenanteil liegt in Deutschland aber erst seit 2019 über 25 % – da kann, ja darf kein Film mit einer historischen oder historisierenden Handlung solch einer bewussten Verfälschung unterworfen werden. Alles andere wäre eine Täuschung, ja Irreführung, wie sie eben auch Gharavi betrieb.


Vielfalt als Deckbegriff für Konformismus


Der staatlich finanzierte ägyptische Doku-Sender Al Wathaeqya hat prompt angekündigt, eine eigene Dokumentation über Cleopatra VII. zu produzieren. Dabei würde man auf die wahrheitsgetreue Darstellung von Cleopatra achten. Der Sender vermeldete zudem: „Basierend auf den üblichen Praktiken bei Dokumentarfilmproduktionen finden derzeit Abklärungen mit Spezialisten aus den Bereichen Geschichte, Archäologie und Anthropologie statt, um die Genauigkeit und Wahrheitstreue des Dokumentarfilms zu garantieren.“ Und am 10. Mai 2023, dem Release-Tag der Netflix-Show, hat der unabhängige Filmemacher Curtis Ryan Woodside in Zusammenarbeit mit der Ägyptologin Sofia Aziz einen 90-minütigen Dokumentarfilm auf YouTube veröffentlicht, in dem das komplette Leben der letzten Pharaonin Ägyptens genauer beleuchtet wird.


Beide Dekulturationen, das Mannheimer Culturewashing und das ägyptologische Blackfacing, sind die absurden Höhepunkte eines Orwell’schen Umerziehungsprozesses, der nicht nur alle medialen, musikalischen oder literaten, sondern inzwischen auch wissenschaftlichen Bereiche erfasst hat. Kulturelle Aneignung ist es dann, wenn weißhäutige Vertreter der westlichen Welt, einerlei ob Kinder, Laien, Schauspieler etc. sich als Indianer, Schwarz-Afrikaner etc. verkleiden, sich schminken oder sogar deren Werke vortragen. Aber es ist gender-wokeness gerecht, wenn weißhäutige Protagonisten von anderen ethnischen Vertretern gespielt werden. Das ist mindestens Indiz für ein doppeltes Meinungsklima, das kognitive Dissonanzen fördert – wer darf unter Androhung welcher sozialen Sanktionen unter welchen Umständen eigentlich noch was? Hinzu kommt die Tyrannei gut organisierter Minderheiten. Für Norbert Bolz wird das woke Ideal der Diversität und Vielfalt, also der gleichmäßigen Repräsentation aller Religionen, Kulturen und Ethnien in einer Gesellschaft, zum „Deckbegriff für Konformismus“.


Der politischen Korrektheit gehe es nicht darum, „eine abweichende Meinung als falsch zu erweisen, sondern den abweichend Meinenden als unmoralisch zu verurteilen“, hatte er erkannt. Die politische Korrektheit übersieht „natürlich“, dass sich Blackfacing auf einen kleinen Teilbereich des amerikanischen Unterhaltungstheaters des 19. Jahrhunderts bezieht, nämlich auf die Minstrel Shows. In ihnen stellten Weiße mit geschwärzten Gesichtern die Schwarzen als naiv, alkoholisiert, stets fröhlich und total schwachsinnig dar. Daraus leitet die politische Korrektheit nun ab, dass man sich in der Gegenwart ganz automatisch des Rassismus schuldig macht, wenn man einen Weißen als Schwarzen schminkt. Man stößt an die Grenzen des Argumentierbaren, weil derartiger Stuss nicht mehr mit Vernunft zu erklären ist. Denkt man das konsequent weiter, dürfte man Arnold Schönbergs wunderbare Mysterienoper „Moses und Aron“ nur noch mit Juden besetzen, und selbst Shakespeares „Shylock“ dürfte, ungeachtet des ohnedies stückimmanenten und dann noch gesteigerten Antisemitismus, nur von einem jüdischen Schauspieler gespielt werden.


Wo es nach linker Ansicht hingehen soll, dekretierte Maya Alou schon vor vier Jahren auf dem Portal here and black: „Wenn man also endlich annimmt, dass alle Menschen gleich sind, und die Hautfarbe ausgeblendet werden kann, dann bedeutet es nicht nur, dass Othello durchaus Weiß sein kann – es bedeutet im Umkehrschluss auch, dass Maria Stuart Schwarz sein kann, dass Major Ferdinand in Kabale und Liebe schwarz sein kann, dass Emilia Galotti Schwarz sein kann, dass Nathan der Weise Schwarz sein kann – ohne dass dies zugleich Klärungsbedarf oder Interpretationsfläche bieten muss. Das zu Interpretierende ist das Spiel, nicht die Hautfarbe der SchauspielerInnen, auch wenn dies die Vorstellungskraft und Sehgewohnheiten einiger Menschen herausfordert. Es ist die Pflicht deutscher Theaterhäuser, die Erweiterung der Imagination in Angriff zu nehmen, sich als transkulturelle Institution zu definieren und sich nicht mehr an überholte Normen einer vergangenen Gesellschaft zu halten.“ Widerspruch gegen diese Zumutung regte sich medienöffentlich nicht. Es kam im Übrigen niemand auf den Gedanken, es sei „kulturelle Aneignung“ gewesen, als der Bariton Simon Estes als erster Schwarzer in Bayreuth den Fliegenden Holländer sang.


Unter explizit literarischer Perspektive erblickte Bestsellerautorin Donna Leon in der NOZ Mitte Mai bereits eine „Geschichtsklitterung wie im Kommunismus.“ Sie sieht nicht nur eine neue Zeit der Zensur gekommen, in der man nichts mehr dürfe, was „kränkt, überrascht, verletzt, verstört oder in irgendeiner anderen Weise Empfindlichkeiten berührt“, sondern die Redigierung der Vergangenheit „im Namen von Werten und Moral“: „Genauso, wie es die Kommunisten in Russland gemacht haben“, sagte sie. „Wer eben noch am Tag des Sieges mitmarschierte, wurde im nächsten Jahr schon wieder aus dem Foto retuschiert.“ Aber wenn – womit sich der Kreis schließt – ein hochrangiger CDU-Funktionär im Südwesten Tage zuvor von „totalitärer Überformung“ schreibt, ist das für einen Stuttgarter Landespolitikjournalisten „hysterisch“. Schöne neue Welt.


„Der Meinungskorridor in diesem Land gleicht nämlich einer seltsam konstruierten Straße: Die linke Spur ist sehr breit, die rechte dagegen sehr schmal. Und mit heftigem Gegenwind ist nur auf der rechten Spur zu rechnen“, so Müller-Vogg: „Mannheim ist kein Einzelfall; Mannheim ist überall“. Die wahre kulturelle Aneignung besteht offenbar darin, sich stellvertretend für eine Minderheit, der man noch nicht einmal angehört, beleidigt zu fühlen und das noch als Solidarität mit dieser Minderheit zu feiern. Eine Solidarität, die dann von vielen Protagonisten gern angenommen wird. So werden die Diskussionen zunehmend von emotionalen Schablonen formiert. Aber „je enger die Grenzen des Sagbaren gesteckt sind, desto autoritärer ist eine Gesellschaft, auch wenn sie formal demokratisch ist“, bilanziert Alexander Grau in der NZZ. „Es ist daher ein Alarmzeichen, dass eine steigende Anzahl von Bürgern eine Einschränkung der Meinungsfreiheit wahrzunehmen meint. Denn Demokratie ist nur in zweiter Linie eine Staatsform. Zunächst einmal ist sie ein Lebensgefühl. Und wenn dieses stirbt, gerät auch die Staatsform in Gefahr.“



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Über den Autor: Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in

Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg. Hier können Sie TUMULT abonnieren. Für Einzelbestellungen klicken Sie bitte hier.

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